Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Der Lutherklecks

Im Lutherzimmer auf der Wartburg wird noch heute der berühmte schwarze Fleck an der Wand gezeigt, letztes Zeugnis der Auseinandersetzung zwischen dem Teufel und einem streitbaren deutschen Theologen. Denn von altersher ist der Teufel die besondere Beängstigung der Deutschen gewesen, viele Tintenfässer sind ihm an den Kopf geflogen, in welcher Gestalt er sich auch offenbarte. Sah der gute Doktor Luther in ihm noch das nordische Phantom mit Schweif und Klauen, so entdeckte der nicht minder beherzte Doktor Dinter in dem triumphierenden Grinsen Israels die ewigen Züge des bösen Feindes, der neuerdings, zur schreckhaften Verwirrung aller Deutschgesinnten, sogar die venerable Erscheinung des Generalfeldmarschalls von Hindenburg mißbraucht, um die armen deutschen Kapitalisten für Jahrzehnte unter fremde Schuldknechtschaft zu beugen, denn:

Groß Macht und viel List
sein grausam Rüstung ist
– auf Erd ist nicht seinsgleichen ...

Aber auch die deutsche Seele ist nicht wehrlos, und ihr letzter Wurf nach dem Vater alles Bösen war ein wirklich brillanter Treffer. Mit besonderer Vernehmlichkeit ist er vor ein paar Wochen an die Wand des Staatsministeriums von Weimar geklatscht und stellte sich sogleich als der Abgeordnete Doktor Frick vor, unter Poehner Amtmann im Polizeipräsidium München, Putschist von Dreiundzwanzig, seit sechs Jahren tragikomische Figur im Reichstag, nunmehr vom nationalsozialistischen Hauptquartier berufen, den republikanischen Saustall in Thüringen auszufegen.

Von vornherein hat kein Verständiger gezweifelt, daß die Amtszeit Fricks als thüringischer Staatsminister nur eine kurze und turbulente Episode sein würde. Gewiß sollen einem Extremisten andre Maße als die üblichen zugebilligt werden, aber es müssen doch noch politische sein. Herr Frick stand von je ganz außerhalb der Bereiche politischer Wertung: er hat sich immer nur als psychopathologischer Manifestant bewiesen, dessen Auftreten im Reichstag oft genug die Frage nach seiner Zurechnungsfähigkeit wachrief. Der heute Dreiundfünfzigjährige ist äußerlich nicht mehr als ein altmodischer Bureaukrat bayrischer Provenienz. Eine sehr gleichgültige Gestalt. Auffallend an dem ganz trockenen Gesicht ist ein gewisser gespannter Zug; unter weit vorspringendem Stirnbein blinzeln die Augen halb unsicher, halb herausfordernd in die Welt der Realitäten. Ein Mensch, dem das Schicksal nicht viel Gaben auf den Weg gegeben hat aber desto mehr üble Laune. Einer von den ewig Mißgestimmten, denen alles sehr schwer wird, die sich oft als Überzählige des Lebens fühlen und sich in ihrer Not gern um Gesundbeter wie Haeusser und Zeileis oder Gesundflucher wie Hugenberg und Hitler sammeln. Denn die dort zelebrierten Absurditäten festigen in ihnen die fanatische Überzeugung, unter Millionen von Verworfenen die einzigen Auserwählten zu sein. Alle diese völkischen Granden haben so einen Knacks weg, von Goebbels und seinem berliner Bestiarium ganz zu schweigen. Der Eine sieht die Weisen von Zion, der Andre weiße Mäuse, der Dritte entdeckt eine Verschwörung zwischen dem Papst und Stalin zugunsten der Wohlfahrtskasse des Zentralvereins. Daß diese armen Patienten heute vor Tausenden mit Erfolg predigen können, anstatt mit faulen Eiern heimgeschickt zu werden, ergibt sich aus der desperaten deutschen Grundstimmung, aus der ungeheuern Enttäuschung an den Parteien und ihren Führern. Daß aber einer davon in ein Staatsministerium einziehen durfte, das ist ein politischer Skandal ersten Ranges, dessen Ursachen interessanter sind als dieser selbst.

Herr Severing läßt sich von Freunden für seine republikanische Energie als rocher de bronce feiern. Gut. Aber gegen Frick hätte auch Külz, selbst Keudell nicht anders gehandelt. Der Schlüssel zur Situation liegt nicht in Weimar sondern in Berlin und in der Großen Koalition selbst. Denn der Fall Frick ist nur durch die Deutsche Volkspartei, der Partei der Herren Curtius und Moldenhauer, möglich geworden. Sie hat Frick geduldet und gehalten. Und selbst nach diesen thüringischen Erfahrungen hat die Partei den Gedanken nicht aufgegeben, in Sachsen ein ähnliches nationalsozialistisches Intermezzo zu arrangieren. Severings Exekutivmaßregeln nehmen sich gewiß recht kraftvoll aus. Aber ebenso bedeutsam und vielleicht noch wirkungsvoller wäre die einfache Frage an die koalierte Deutsche Volkspartei gewesen, ob sie bereit ist, den thüringischen Spuk abzublasen, ob sie bereit ist, ihrem thüringischen Landesverband die Liaison mit einer Partei zu verwehren, die die Reichsregierung als eine Clique von Hochverrätern hinstellt und die von vornherein erklärt, daß sie auf die Verfassung pfeift.

Der thüringische Zwischenfall kann nicht gleichsam als extramundan betrachtet werden, er gehört in den Rahmen der Koalitionspolitik und muß auch da gelöst werden. Denn die Deutsche Volkspartei hat seit ihrer Beteiligung am Kabinett Müller alles getan, um der Sozialdemokratie immer eine besonders peinigende Verantwortung aufzubürden. Die Duldung und konkrete Unterstützung des nationalsozialistischen Ministers in Weimar ist nur ein Beweis, wie sehr es ihr darauf ankommt, die Sozialdemokratie in Schwierigkeiten zu bringen, ihr Gewaltlösungen aufzunötigen, die in der Konsequenz selbstmörderisch werden können, bestenfalls ein feindseliges Odium hinterlassen. Glaubt denn wirklich ein Mensch von gesunden Sinnen, daß die Deutsche Volkspartei, grade in der Provinz eine timide, immer von Volksversöhnung schwabbelnde Ordnungspartei, noch unverändert die Fraktion Drehscheibe von ehemals, einer bürgerlichen Zentralregierung in Berlin eine solche Nuß aufzubeißen gegeben hätte –?

Es ist sogar fraglich, ob Severing und seine Genossen ahnen, daß der durch ihre großartige republikanische Energie errungene Geländegewinn für sie sehr leicht zu einem Hinterhalt werden kann. Wahrscheinlich kommt ihnen die Episode Frick nicht einmal ungelegen, um der öffentlichen Meinung auf der Linken das neue republikanische Republikschutzgesetz schmackhafter zu machen, um den Nachweis führen zu können, daß es nicht nur gegen die Kommunisten sondern auch »gegen Rechts« geht. Verlorene Liebesmüh! Herr Severing kann die Auslegung, die er seinem Diktaturgesetz im Reichstag gegeben hat, nicht rückgängig machen: »Heute brauchen wir das Republikschutzgesetz noch notwendiger, das sollten auch die Deutschnationalen begreifen. Im Jahre 1927 hatten wir ein Jahr der Konjunktur mit einer verhältnismäßig geringen Arbeitslosenzahl, dagegen haben wir gegenwärtig drei Millionen Arbeitslose. Die Arbeitslosen sind das Rekrutierungsfeld der Linksradikalen.« Und voran ging das wahrhaft klassische Geständnis: »Wir brauchen dieses Gesetz nicht allein zum Schutz der Republik. Auch die Deutschnationalen haben im Jahre 1927 der Verlängerung des Republikschutzgesetzes zugestimmt mit der Begründung, daß man dadurch der kommunistischen Gefahr begegnen könnte.« Ja, meine Herrschaften, worüber streiten Sie sich dann noch? Herr Severing braucht doch das Gesetz nicht allein zum Schutz der Republik.

Eine Legislatur, die unter solchen Auspizien begann, wird schwerlich zu einer Geißel für die Rechte werden. Nun, das Gesetz ist durch, es wird seine wirkliche Tendenz bald enthüllen, wenn auch die Affäre Frick vorübergehend noch die Verschleierung ermöglichen wird. Man sollte übrigens nicht ganz vergessen, daß auch Dreiundzwanzig die sehr zahm geplante und sogleich steckengebliebene Exekution gegen Bayern den Mittelparteien nur mundgerecht gemacht werden konnte durch die Verjagung der damaligen linkssozialistischen Regierungen Sachsens und Thüringens. Steht wirklich das ganze Kabinett hinter Severing, also auch die volksparteilichen Minister, also auch die Herren vom Zentrum, so darf schon die Frage erlaubt sein, was für neue Maßnahmen gegen Links als Kompensation für den Feldzug gegen Frick zugestanden werden mußten. Wahrscheinlich werden die Sozialdemokraten ihren republikanischen Eifer mit Wucherzinsen bezahlen müssen.

»Wenn schon Diktatur, dann unsre!« rief Herr Otto Wels vor beinahe Jahresfrist aus. Das war das Stichwort für eine Entwicklung, die den Höhepunkt noch lange nicht erreicht hat. Herr Wels ist ein Bramarbas, ein redegewaltiger Erschütterer jener sehr deutschen Zone, wo republikanisches Pathos und Bockbierfest zwanglos ineinander übergehen. Severing ist viel feiner organisiert. Aber auch er ist einem durch nichts begründeten Machtrausch erlegen, auch er hat nicht begriffen, daß der Staatswagen bald in den Graben fallen muß, wenn man so wesensfremde Begriffe wie Demokratie und Diktatur zusammen als Vorspann benutzen will. Die parlamentarische Demokratie ist wechselhaft und läßt häufige Systemänderung zu. Ein schlechter parlamentarischer Minister, der sich nicht über seine Nachfolger den Kopf zerbricht! Und dieses Ausnahmegesetz ist so beschaffen, daß es ohne den geringsten rabulistischen Aufwand gegen Republikaner, die nur die Republik verteidigen, praktiziert werden kann. »Wir brauchen dieses Gesetz nicht allein zum Schutz der Republik.« Sagte nicht Herr Severing so?

Der Herr Reichsinnenminister mag sich gewiß als starker Mann fühlen, wenn er jetzt die Machtmittel des Reiches in Anwendung bringt, um den großen nationalsozialistischen Klecks von der Weimarer Regierungswand zu tilgen. Doch das kann nichts an dem bittern Urteil ändern, daß er selbst das Messer geschliffen hat, mit dem kommende Machthaber von der andern Seite alle roten und schwarzrotgoldnen Flecken noch viel radikaler abkratzen werden.

Die Weltbühne, 25. März 1930


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