Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Eichenlaub und Bomben

Elf Sprengstoffattentate hat die Presse seit vorigem November gezählt und dabei noch jenen Blitz vergessen, den der alte Jehova in diesem Frühsommer in den preußischen Landtag in der Prinz-Albrecht-Straße gesandt hat, grade während einer Rede des Abgeordneten Kube, wodurch der antiparlamentarische Charakter dieser supernaturalistischen Meinungsäußerung zunächst verdunkelt wurde, da Herrn Kube nicht weniger als den andern Herren der Schreck ins deutsche Mark fuhr. Die andern Attentate haben eine eher erkennbare Herkunft, sie deuten nicht auf himmlische Mächte hin, sondern auf national gesinnte Mitbürger.

Mögen mir die sozialdemokratischen Konsistorialräte die Kühnheit verzeihen: – die Bomben werden von großen Teilen der Bevölkerung nicht ohne heitere Zustimmung aufgenommen. Es sind in der Tat gut agrarische Bomben mit deutschem Erdgeruch, auf deutschem Kartoffelacker gewachsen, mit deutschem Idealismus gedüngt, und deshalb mehr laut als furchtbar, mehr treuherzig als tückisch. Es ist ein etwas hinterwäldlerisches Carbonaritum, das mit einer respektablen Bauernschlauheit seine selbstgezogenen Sprengkörper dort zur Explosion bringt, wo die allgemeine Sympathie keine Schutzwand bildet. So platzten die Dinger mit gewaltiger Detonation, aber die zehnte erst, die im Reichstag, störte Vater Staat ernsthaft den Schlaf.

Die Presse nimmt als selbstverständlich an, daß alle bisherigen Anschläge von einer Zentrale aus dirigiert worden sind. Es läßt sich jedoch ganz gut denken, daß wenigstens die ersten Attentate – die auf dem flachen Lande – dem schlichten Verstand einer kleinbäuerlichen Camorra entsprungen sind, verführt durch das Beispiel des Farmers Langkoop, und erst später mag irgendeine der Dunkelkammern des nationalen Aktivismus in die Sache System gebracht haben. Die bescheidenen ländlichen Bombenzüchter suchten alles, was ihnen hassenswert erschien, dort zu treffen, wo die Steuereintreibung wohnt, aber die Pulververschwörung gegen das Parlamentshaus war mehr als die Rache verärgerter Rübenbauern, das war ein zentrales Aufruhrsignal, wie es deutlicher nicht gegeben werden kann.

Vielleicht wird der allmächtige Zufall, der ja auch ein blindes Schwein einmal eine Eichel finden läßt, den Nachforschungen der Polizei gewogener sein als bisher. Denn die Politische Polizei, die bei Recherchen gegen kommunistische Arbeiter und pazifistische Landesverräter wie durch eine unerklärbare mystische Begnadung manchmal sogar Spuren von Intelligenz zeigt, hat in ihren bisherigen Bemühungen nur ihre alte Unfähigkeit in gewohntem Hochglanz vorgeführt. Es ist wie so oft: – wenn die Polizei nicht weiß, in welchem Bouillonkeller sie ihre Kundschaft zu suchen hat, wenn sie nicht über Straflisten und Bertillonmaße verfügt, wenn sich plötzlich eine neue Spezialität auftut, steht sie hilflos vis-à-vis. Schon die hohen Belohnungen waren das deutliche Zeichen, daß man sich ohne einen Zinker nichts zutraute.

*

Nachts um die zwölfte Stunde verläßt der Tambour sein Grab und steigt die bewaldeten Höhen von Teutoburg hinan, um Revanche zu trommeln wider Quintilius Young und jene unwürdigen Deutschen, die sich feigen Sinns der Tributpflicht unterwerfen wollen. Herr Hugenberg ist kein Tambour, sondern ein überspannter alldeutscher Geheimrat, der unglücklicherweise das nötige Geld besitzt, um andre für sich trommeln zu lassen. Herr Hugenberg ist auch kein Diktator, sondern ein schwachbrüstiger Klamottentribun mit wattierter Toga, der seine patriotische Imagination an Kamillentee entzündet. Dieser Leader der Opposition muß, um seine Beschlüsse zu künden, immer nach dorthin gehen, wo man die winzigsten geistigen Ansprüche stellt, bald in die marburger Universität, bald an irgend einen Fleck, wo nationale Romantik den Hörern die Ohren verklebt und das geduldige deutsche Eichenlaub die intellektuellen Blößen des Redners deckt. Selbst in dem auch nicht grade verwöhnten Reichstag würden seine Trivialitäten Lachstürme hervorrufen. Es ist seltsam, daß seinen Gläubigen nicht das so oft zu Gemüte geführte deutsche Schwert bald ellenlang zum Halse heraushängt.

Aber Herr Hugenberg braucht keine Ideen, keine Talente. Auch seine Presse, die nur die traditionellen Mittel der Industriedemagogie anwendet – ein Gebiet, das von der alten ›Täglichen Rundschau‹ viel begabter beackert wurde – könnte ohne tiefere Wirkung weiterbelfern, wenn nicht seine Gegner selbst ihm Scharen von Enttäuschten und Verärgerten zutrieben. Der Reichstag hat seit einem Jahre mehr Konvertiten gemacht, als die nationale Propagandamaschine in zehn Jahren fabrizieren könnte.

Selbstverständlich sind Hugenbergs Ziele nicht außenpolitische. Er denkt gar nicht daran, das so oft gezückte Schwert dem welschen Peiniger, dem amerikanischen Blutsauger ins Gekröse zu bohren. Dieser Befreier des Vaterlandes hat es leicht: er braucht nur auf den Augenblick zu warten, wo die heute stipulierte Befreiung vollendet sein wird. Wenn der letzte französische Soldat deutschen Boden verlassen hat und es nichts mehr zu befreien gibt, dann ist auch der Zeitpunkt da, wo die Nationalisten nicht mehr zu fürchten brauchen, durch außenpolitische Kompromisse ihrem Ruf zu schaden, und wo sie nicht mehr genötigt sind, ihre nationalen Schaubudenkunststücke vorzuführen. Herr Hugenberg mag, wenn er den Mund auftut, eine tausendfache Blamage des deutschen Geistes bedeuten, er hat eine viel größere Attraktion als die klugen Herren von der Linken: das ist die verheißene Verstümmelung der sozialen Gesetzgebung. Nicht auf sein nationales Programm baut er, sondern auf sein sozialreaktionäres. Für die Ewigblinden unter den Kleinbürgern, Angestellten und Arbeitern der teutoburger Rummel, für die kapitalistischen Schichten der Klassenkampf mit festen Zielen. So kriegt jeder, was er braucht.

Was hat die Regierung eigentlich zur Abwehr getan? Weniger als nichts. Sie hat Herrn Curtius, Stresemanns designierten Nachfolger, eine lauwarm opportunistische Verteidigung durch den Rundfunk flöten lassen, aber sie denkt nicht daran, das einzige überzeugende Argument für den Youngplan spielen zu lassen: eine neue und gerechtere Verteilung der innern Lasten. Die Verpflichtungen, die sich aus einem verlorenen Krieg ergeben, zu erfüllen, ist Ehrenpflicht und hat nichts mit Versklavung zu tun; der nationale Befreier Hugenberg, der nach New York und Paris viel weitergehende Tributangebote gerichtet hat, ist der eifrige Sachwalter der Schwerindustrie und damit der Exponent jenes Weltkapitalismus, gegen den sein Kampf angeblich geht. Aber die Regierung ist ebenso ideenlos wie ihr grimmiger Feind, und es fehlt ihr noch dazu ganz und gar der verbissene Offensivgeist des Herrn Geheimrats. Ihre republikanischen Anstrengungen erschöpften sich in der Drangsalierung der Kommunisten; sonst hat sie nichts getan. Wo sind, zum Beispiel, die Ausführungsbestimmungen zum Artikel 48, von denen vor der Wahl so viel geredet wurde? Wenn die Attentate nicht bald unterdrückt werden, dann können sehr leicht Verhältnisse eintreten, die den Ausnahmezustand notwendig machen, und dann wird, wie 1923, dessen Handhabung allein in den Händen der Reichswehr liegen – jener Reichswehr, die auch heute wieder von Linksorganen ganz offen des Mitspielens bei den Bombenanschlägen bezichtigt wird. Wir torkeln wieder in ein ungewisses Schicksal hinein. Schon haben die Vorkämpfe von Hugenbergs Hermannsschlacht begonnen, nur daß es für die fremden Unterdrücker nicht so schrecklich werden wird. Der neue Cheruskerfürst dürfte sich darauf beschränken, die Regierung Hermann Müller zu schlachten.

Die Weltbühne, 10. September 1929


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