Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Einer von der Infanterie

Vor ein paar Tagen konstatierte eines von jenen Rechtsblättern, die man irrtümlicherweise für gemäßigt hält, weil sie sich dem Pantoffeldespotismus des Geheimrats Hugenberg nicht fügen, daß sich um die gegenwärtige Reichsregierung ein immer ärgeres Mißbehagen bemerkbar mache. Man kann nicht höflicher über einen bittern Notstand aussagen. Was ist aus den Mordskerlen geworden, die sich vor wenigen Wochen noch mit Herkuleslenden in ihre Ministerstühle warfen? Was aus dem Herrn Reichskanzler selbst, der das Parlament zunächst nur leicht mit der Stiefelspitze berührte, um anzudeuten, daß er es bald den Absätzen gröber beschuhter Leute überlassen würde? Die Herren von Rechts, die sich entschlossen haben, das zweifelhafte Risiko der »staatsbürgerlichen Mitte« zu teilen, sind mit Recht enttäuscht und ergrimmt. Sie haben eine Niete gezogen, und diese Niete heißt Heinrich Brüning. Sie haben erwartet, daß sich der Mann ihres Vertrauens mit einem Kranz wetterfester Mitarbeiter umgeben würde. Aber neben den Koryphäen des Kabinetts Brüning nehmen sich Hilferding und Robert Schmidt wie strahlende junge Athleten aus. Nichts geschieht gegen die Finanznot, nichts gegen die Arbeitslosigkeit. Zwar ist die Osthilfe glücklich bewilligt, aber woher soll das Geld genommen werden? Der große Schiele ist ganz still geworden und denkt nicht daran, den Reichspräsidenten, der doch so große Stücke auf ihn hält, etwa zu einem warmherzigen Aufruf an die Kapitalisten zu bewegen, dem notleidenden Osten mit einer freiwilligen Spende wieder auf die Strümpfe zu helfen. Obgleich Herr Schiele kein großes Licht ist, so ist er doch klug genug, um zu wissen, daß die Macht des Herrn Reichspräsidenten zwar auslangt, um ein paar sozialistische Minister zu verscheuchen, daß sie aber vor den Geldschränken von Kommerz und Industrie ihren Zauber verliert. Und was die engern nationalen Aufgaben angeht, wo jedermann, ob Freund oder nicht, von der Regierung Tatkraft erwartet hatte, so bleibt auch hier nur ein großes Erstaunen über die Hilflosigkeit, mit der die Herren der Abtreibung des Panzerkreuzers B zusehen, ohne über die Schuldigen den § 218 zu verhängen. Das Diktaturgerede ist verstummt; die Fanfaroneure schleichen belämmert in die Fraktionszimmer, um sich Instruktionen oder Verweise zu holen. Alle ins Weite gehenden Pläne sind nichtig geworden. Die gemeine Not dieser Monate stellt konkrete Aufgaben, die Regierung drückt sich mühselig und verlegen in schlechten Improvisationen herum, und was ihre Freunde verteidigend vorbringen, heißt im Grunde nur: »Es wird höflichst gebeten, nach den Herren vom Orchester nicht mit dem Lasso zu werfen. Sie tun ihr Bestes.«

Was wir hier erleben, ist mehr als das Versagen von Personen, es ist die blamable Enthüllung einer Phrase. Denn unter welchem Leitmotiv wurde die neue Regierung eingeführt? Die Frontgeneration kommt ans Ruder. Die Schützengrabengeneration schickt ihre Vertreter vor, um es den Etappenschweinen der Demokratie endlich zu zeigen. Das alberne Geschwätz von der Frontgeneration, das die ideologische Grundlage jener alles verheerenden Auffassung bildet, der Streit der Parteien sei dem Krieg vergleichbar und müsse allnächtlich in den Straßen mit Schlagring und Schießeisen ausgetragen werden – dieses lächerliche Geschwätz hat eine Regierung möglich gemacht, deren hauptsächlichste Mitglieder als Empfehlung nicht viel mehr als ihre Militärpapiere vorzuweisen hatten. Fragt außerhalb Deutschlands jemand, ob Herr Baldwin ein Gewehr geladen, Herr Tardieu eine Goulaschkanone geheizt hat? Hier holte man sich Einen, der seine Vorbildung für die Reichskanzlerschaft bei der Infanterie erworben hat: Herrn Heinrich Brüning, der sonst ein guter Katholik ist und die zehn Gebote achtet bis auf das eine, das er als MG.-Offizier zur höhern Ehre des Vaterlandes verletzen mußte. Hinter ihm zog Herr Treviranus her, der sich bei der Marine um die Dezimierung der europäischen Christenheit verdient gemacht hat. Die ältesten parlamentarischen Schmerbäuche suchten ihre vergilbten Landsturmscheine heraus, die plötzlich sakrale Bedeutung gewonnen hatten. Ringsum war des Jubels kein Ende: Gruppe Bosemüller bildet die nationale Regierung! Aufbruch der Nation in Stahlgewittern!

Seitdem ist die Stimmung gründlich umgeschlagen, und die Feldgrauen des Kabinetts Brüning zittern bei dem Gedanken, daß bald der wohlbekannte Ruf zu hören sein wird: Licht aus! Messer raus! Der Einzige, der sich die heitere Ahnungslosigkeit und die stramme Sprache bewahrt hat, ist merkwürdigerweise ein Überbleibsel der vorangegangenen unwürdigen Zivilistenregierung. Herr Peter Moldenhauer reist noch immer im Lande umher, bekränzt sein Defizit mit deutschem Eichenlaub und redet großes von Kavallerieattacken auf den Reichstag. »Vous êtes infatigable, Monsieur Moldenhauer«, dieses von Tardieu im Haag an ihn gerichtete Kompliment muß Herrn Moldenhauer in die Krone gefahren sein. Aber es kann sich nur aufs Mundwerk bezogen haben, denn in der Sache ist Herr Moldenhauer ein schlechter, unfähiger Finanzminister, eine würdige Fortsetzung der gefährlichen, unbrauchbaren Finanzminister Hermes, Köhler, Hilferding. Mit einer Corona von Geheimräten den Etat frisieren, das kann Herr Moldenhauer. Ein produktiverer Einfall ist ihm noch nicht beschieden gewesen. Und mutig ist er auch nicht, denn, in der Parlamentsdebatte gestellt, nimmt er seine sprühenden rheinländischen Bravaden kleinmütig zurück.

Im Gegensatz zu seinem Finanzminister zählt der Herr Reichskanzler zu den Schweigsamen. Herr Doktor Brüning gehört zu denjenigen, die tiefsinnig dreinschauen, wenig sagen und wenn sie schon reden, durch ihre Plattheit erschrecken. Herr Brüning kann zu seiner Entschuldigung vorbringen, daß er seine Aufgabe von vornherein nicht als eine rhetorische aufgefaßt hat. Als er sein Amt antrat, war er fest entschlossen, an seiner Stelle den Artikel 48 sprechen zu lassen, eine Kalkulation, die ihm der Reichstag leider nicht durch tatkräftigen Widerstand sondern durch eben noch rechtzeitiges Einschwenken vereitelt hat. Was sich seitdem begeben hat, ladet Herrn Brüning nicht ein, die Verantwortung für alles auf die eigne Achsel zu nehmen, und auch das Zentrum dürfte kaum Lust haben, für einen Kanzler zahlen zu müssen, dem die vagen konservativen Gedankengänge von Treviranus und Genossen den Kopf verdreht haben. Echt an Herrn Brüning ist ohne Zweifel seine eingefleischte Abneigung gegen alles gesinnungsmäßig Republikanische, er tastet nach der Richtung Seipel, ist nationalistisch und sozialreaktionär. Ihm fehlen jedoch alle Führerqualitäten. Er ist nicht einmal ein Verführer, nicht einmal ein Irreführer. Er hat nicht genug Phantasie, um das von ihm Geplante auch für andre bildkräftig zu machen, und selbst sein unbestreitbares Intrigentalent scheint sich in dem Komplott zur Beseitigung der Müllerregierung einstweilen verausgabt zu haben. Das soll also der Vertreter der Frontgeneration sein? Herr Brüning zeigt weder Entschlossenheit, noch Initiative, noch Verantwortungsfreudigkeit. Er läßt die Dinge einfach treiben und benimmt sich wie ein kümmerlicher Rekrut, der nicht weiß, was er ohne den Vorgesetzten beginnen soll. Ein trübseliger Duckmäuser, kein Feldsoldat der Politik.

Man kann von dem Leiter der Reichspolitik mit einigem Recht verlangen, daß er sich endlich zu den dringendsten Fragen äußert. Was er bisher gesagt hat, war mehr als spärlich. Es werden von ihm keine rednerischen Glanzstücke gefordert, aber inmitten eines schrecklich absinkenden Konjunkturniveaus muß der Reichskanzler schon verraten, ob die Regierung ein Wirtschaftsprogramm hat oder nicht. Das Massenelend agitiert für die Totschlägergarden Hitlers. Die Unternehmerverbände bereiten die Schlußoffensive gegen die Sozialpolitik vor, und wie lange noch, und die Gewerkschaften werden zu riesenhaften Lohnkämpfen aufrufen, einfach um nicht von den Verhältnissen überrannt zu werden, um ihre Leute bei der Stange zu halten. Eine ausgedehnte Katastrophe bereitet sich vor. Der Infanterist Brüning hat sich in den Unterstand zurückgezogen und schweigt.

Dabei sind die Ansprüche, die jetzt in Deutschland an eine Regierung gestellt werden, herzlich gering. Alle Parteien leiden unter einem in der Folge hoffentlich recht segensreichen Mißtrauen. Was augenblicklich gewünscht wird, ist nur eine Regierung, die ihren Funktionen wenigstens technisch gewachsen ist und sich in wirtschaftlichen Dingen nicht so grob dilettantisch gebärdet wie die gegenwärtige. Man wird von den nächsten Herren doch etwas mehr verlangen müssen als die Militärpässe. Und vielleicht hätte auch Herr Brüning nicht so jämmerlich versagt, wenn man von vornherein mehr an seine zivilistischen Fähigkeiten appelliert und ihm nicht gleich einen Tornister voll von fascistischen Wunschzetteln aufgepackt hätte. Unter dieser Last mußte der brave Soldat Brüning schon nach den ersten Kilometern schlapp machen. Drei Lilien, drei Lilien, die pflanzet auf sein Grab.

Die Weltbühne, 3. Juni 1930


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