Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Die Befreiten

Der Gott, der Eisen wachsen ließ, hat auch das Blech nicht zu kurz kommen lassen. Es klappert vernehmlich durch Befreiungsfeiern, Ministerreden, amtliche und private Kundgebungen und nicht zuletzt durch den tyrtäischen Vorspruch des Artilleristenvereins zu Worms am Rhein, dessen Kenntnis wir der ›Deutschen Zeitung‹ verdanken:

Frei seid ihr erst, wenn dem Feind zu Trutze
Ihr Euch könnt stellen, die Fäuste geballt,
Wenn Ihr erst wieder zum Heil und zum Schutze
Kräftig könnt halten der Waffen Gewalt ...

Das ist die Freiheit, die sie meinen. Nun, den alten Artilleristen sei ihre Poesie verziehen, sie können es nicht besser. Aber die Prosa des berühmten Erfüllungsministers Joseph Wirth klingt auch nicht viel schöner, wenn er in seiner mainzer Festrede sagt: »Wir haben die Freiheit am Rhein teuer durch den Tributplan erkauft, der noch Kinder und Kindeskinder belastet.« Tributplan –? In der Sprache derer um Wirth heißt das sonst der Youngplan oder der Neue Plan. Herr Wirth, der zu den Unterzeichnern und eifrigsten Einpeitschern gehörte, sollte sich hüten, seine Phrasen von den Leuten zu beziehen, die mit Steinen nach ihm werfen. Herr Wirth kennt die Tragikomödie der Reparationen aus eigner Anschauung. Er weiß, daß wir die Räumung schon viel früher und viel billiger hätten haben können, wenn nicht jahrelang die verrückte Vorstellung in den Köpfen gespukt hätte, daß bei halbwegs strammer Haltung unsrerseits die Franzosen sich schließlich auch unbezahlt trollen würden. Wenn schon Herr Wirth zur Feier des Tags mit den Sklavenketten rasselt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Berufsteutonen gleich Hermannsschlacht spielen und sich so gehaben, als hätte ihre große Schnauze den gallischen Hahn in die Flucht getrieben.

Überhaupt waren diese Feiern wieder einmal entzückend falsch instrumentiert. Weil man nationalistische Gegendemonstrationen befürchtete, die auch fahrplanmäßig eingetroffen sind, wählte man eine Sprache, die den Opponenten ihre besten Brocken fortnehmen sollte. Das Ergebnis war eine unleidliche Mischung von feister Bardenpathetik und kitschiger Weinerlichkeit, halb Schwertgeklirr mit Wogenprall, halb Stolzenfels am Rhein. Die Rheinländer sind ein legerer, unfeierlicher Menschenschlag und hätten sicher eine offene, herzliche Sprache besser verstanden und aufgenommen als das stelzende Gerede unsrer Ministerialkanzleien, die zum Volke immer so sprechen, als gelte es, einen pensionierten Steuersekretär zu überzeugen, daß auch die Republik ihre guten Seiten hat. Es wäre besser gewesen, vom fröhlichen Weinberg herab zu sprechen anstatt von der traurigen Biertonne. Es ist erstaunlich, daß Männer wie Doktor Joseph Wirth, die sonst so gut mit Rheinwein zu Rande kommen, so hilflos werden, wenn sie sich dort bewegen sollen, wo er wächst. Man toastete etwas zu viel auf die deutsche Treue und vergaß dabei, daß auch die Franzosen sich als treu erwiesen haben, daß sie gegen alle innern Widerstände ihr Wort ehrlich gehalten haben, was bis zum letzten Augenblick von gut der Hälfte aller deutschen Blätter angezweifelt worden ist. Und es hätte gerechterweise auch erinnert werden müssen an den Augenblick des großen Umschwungs in Frankreich, an die historischen Maiwahlen von 1924, die die rheinischen Pläne des Bloc national und der Generale endgültig begraben und damit den Weg zur saubern Verhandlung frei gemacht haben. Das wäre wohl zu viel verlangt gewesen, denn man hatte ja auch Stresemann vergessen. So gab es keinen Ausblick in eine bessere, friedlichere Zukunft, kein Wort fiel über das künftige Verhältnis der beiden großen Völker, die sich in der Vergangenheit so oft wehgetan haben. Ein mürrischer Provinzialpatriotismus machte sich groß und stellte alte Wunden prahlerisch und aufreizend zur Schau. Diese Feiern hatten keine Wahrheit und deshalb auch keinen Stil und keine Würde.

Es ist kein erhebendes Symbol, daß die Rheinlandbefreiung zum Anlaß genommen wurde, um die Herren Fememörder zu amnestieren, was wieder so aussieht, als verdankten wir das erfreuliche Ereignis den Kombattanten von Klapproths wilder verwegener Jagd. Wir haben hier oft zum Ausdruck gebracht, daß es unsinnig sei, die kleinen, durch mancherlei Zufälle sichtbar gewordenen Würger der schwarzen Feme zu bestrafen, ohne dabei aufzuhellen, welcher Kopf diese blutigen Hände in Bewegung gesetzt hat. Nicht ohne Verschulden der Sozialdemokratie ist die Generalamnestie immer wieder verschleppt worden. Was jetzt dabei herausgekommen ist, verdient diesen Namen nicht, ist nur ein Abkommen zwischen der Rechten und den Kommunisten: zwei feindliche Parteien tauschen in einer Kampfpause ihre Gefangenen aus. Wir machen den Kommunisten keinen Vorwurf, daß sie taktische Elastizität einer Unerbittlichkeit vorgezogen haben, die auf Kosten ihrer eingesperrten Genossen gegangen wäre, aber sie sollten dann das Recht auf Taktik auch andern zubilligen, die nicht dem parteiamtlichen Irrtum verfallen, Charakter mit Stimmbandstärke zu verwechseln. Und es wäre auch notwendig gewesen, eines so unpolitischen Gefangenen zu gedenken, wie es der Lagerverwalter Bullerjahn ist, an dem der Vierte Strafsenat ein juristisches Meisterstück geliefert hat, das jeden einzelnen der Hersteller dieses Urteils für Lebenszeit um den roten Talar bringen sollte.

Jetzt müssen die am Rhein nachholen, was sie versäumt haben. Nazis und Stahlhelmer brechen in Horden ein, und sogar eine »Feme« hat sich schon gebildet, die an Separatisten oder an Leuten, die als solche denunziert werden, Lynchjustiz übt. Die Krawalle von Kaiserslautern, Mainz und Wiesbaden eröffnen üble Perspektiven. Das ist nicht die Haltung von Bürgern, die von einer lästigen militärischen Gamaschenherrschaft frei geworden sind, sondern die Frechheit des Mobs, wenn der Schutzmann abgerückt ist. Letzten Endes sind auch diese abscheulichen Vorfälle nur ein Ausdruck von Angst vor der wirtschaftlichen Zukunft. Denn das Rheinland wird in einer schlimmen Zeit frei, das Reich wird ihm zunächst nicht viel mehr gewähren können als einen Anteil an seiner Misere. Die Okkupation hat große Mißhelligkeiten geschaffen, aber sie hat auch die Geschäftsleute verdienen lassen. Das fällt jetzt fort. Noch ist das Fest nicht zu Ende, und schon verlöschen die Illuminationen, und der Kater guckt durchs Fenster. Die Rechtsradikalen werden am Rhein ein dankbares Publikum finden, und sie werden viel Aktivität aufwenden, um das bisher verschlossene Gebiet zu durchdringen. Sie werden sich um so mehr anstrengen müssen, weil es jetzt bei ihnen nicht mehr klappen will. Zwischen den hitlerschen Zeitungslords ist großer Krach ausgebrochen, und unser talentvoller Goebbeles, der Wunderrebbe von Berlin, hat gleich die ganze Fraktion Strasser-Buchrucker aus der Partei hinausgezaubert. Der innere Zwiespalt wird die Nazisozis zu noch wildern äußern Formen zwingen. Das Reich aber wird die rheinische Unzufriedenheit mit Subventionen behandeln müssen, zu denen einstweilen die Mittel fehlen. Die Westhilfe steht schon auf dem Papier, während der Finanzminister sich noch über die Balancierung des Etats den Kopf zerbricht.

Dennoch ist der Abzug der Franzosen vom Rhein ein großes europäisches Ereignis, das schon aller Opfer wert ist. Der Schicksalsstrom zweier Nationen wird von keiner fremden Uniform mehr kontrolliert. Zwischen Deutschland und Frankreich ist endlich wieder tabula rasa und könnte es dauernd bleiben, wenn die Regierung die nötige Autorität aufbrächte, von vornherein energisch zu verhindern, daß die skrupellose nationalistische Agitation aus den bisherigen besetzten Gebieten »bedrohte Gebiete« macht. Viele Geschäftspatrioten und Vereinsmeier, die sich in diesen Jahren an der heiligen Flamme des Vaterlandes ihre Sonntagsgans gebraten haben, fürchten existenzlos zu werden. Es gibt eine fatale Heimattreue, die nur gut honoriert in Funktion tritt. Die Befreiungsreden der Herren Minister hatten keinen hellen Klang, sie waren teils geschwollen, teils duckmäuserig und schienen vornehmlich an die Gefühle von derlei Volk zu appellieren. Wird am Rhein eine künstliche Mißtrauenszone geschaffen, dann verliert die Räumung den besten Teil ihres Sinnes. Dringen in das entmilitarisierte Land die Vaterländischen Verbände mit ihrer verheerenden Unternehmungslust und ihren schwarzen Kunststücken ein, dann werden in Frankreich jene Gruppen schnell wieder Oberwasser haben, die die Räumung als einen Fehler, als eine unverzeihliche Gefühlsduselei bezeichnen; das anmutige Ensemblespiel der deutschen und französischen Vertreter der blutigen Internationale wird weitergehen und zunächst in den kommenden Saarverhandlungen eine fette Weide finden. Die Äußerung Herrn Tirards, daß die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen jetzt nur noch auf dem deutschen Ehrenwort ruht, ist von einem Ernst, über den man sich bei uns leider nicht den Kopf zerbrochen hat.

Die Weltbühne, 8. Juli 1930


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