Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Der Weg zu Frick

Ob in Österreich das Gesetz siegen oder der offene Staatsstreich stattfinden wird – was in diesen letzten Tagen dort geschehen ist, das ist verhängnisvoll genug. Denn hier bietet sich der deutschen Reaktion gradezu ein Musterexempel, wie man so etwas macht. Dabei ist Bubi Starhemberg nur ein aristokratischer Cidevant von bescheidenen Gaben. Was könnte erst ein kühl überlegender und der Verwaltung kundiger Politiker anrichten!

Das Schreckgespenst der deutschen Linken heißt Frick; Innenminister Frick. Noch fühlt man sich entfernt davon, noch rechnet man mit der Dauerhaftigkeit der Konstruktion Braun – Brüning. Wir teilen diese Zuversicht nicht. Herr Brüning ist ein viel zu überzeugter Konservativer, um den Pakt mit der Sozialdemokratie höher einzuschätzen als einen vorübergehenden peinlichen Notbehelf. Dazu hat er alle Trümpfe in der Hand, denn muckt die Sozialdemokratie auf, so kündigt das Zentrum die preußische Koalition. Während die Sozialdemokratie also recht einseitig die Kosten des Paktes tragen muß, bemüht sich der Reichskanzler mit zäher Sicherheit, dessen reale Voraussetzungen zu verändern. Herr Brüning geht zielbewußt nach rechts, dem Platze zu, wo die Vereinigung mit Hugenberg und Hitler erfolgen kann, nicht durch einen Gewaltstreich, sondern hübsch ordentlich unter Verhandlungen von Macht zu Macht.

Ein Hauptteil der Konkordienformel zwischen Sozialdemokratie und Zentrum war bisher die Fortführung der Stresemannschen Außenpolitik. Und grade hier hat der Kanzler sich selbständig gemacht und eine Richtung eingeschlagen, die der seit Locarno innegehaltenen zuwider läuft. Es gibt genug merkwürdige Käuze auf der Linken, die in Brüning die letzte Rettung vor der nationalsozialistischen Diktatur erblicken, aber ihr aus der Furcht geborenes Vertrauen sollte sie nicht verleiten, dem Manne ihrer Hoffnung auch außenpolitisch Blankovollmacht zu geben.

Die republikanische Presse nennt die Erklärung, die der Kanzler dem Vertreter einer pariser Zeitung gegeben hat, eine Friedensbotschaft. In Wahrheit ist der Grundton dieses Interviews der einer spöttischen Belehrung. Dem Gläubiger, der seine Pfänder aus der Hand gegeben, ruft der Schuldner ein paar ironische Bemerkungen nach. »Frankreich, der Hauptgläubiger Deutschlands ...«, so adressiert Herr Brüning seine Beschwerden, und diese Adresse stimmt nicht. Der große gemeinsame Gläubiger Deutschlands und Frankreichs ist Amerika. Das sucht man in Berlin zu unterdrücken, um die beliebten Vorstellungen von dem gallischen Sadismus nicht zu stören, das weiß man aber in Paris viel besser, wo nicht der Deutsche die bête noire ist, sondern der Yankee. Herr Brüning meint auch, daß Frankreich keine Veranlassung habe, über das Verhalten Deutschlands nach der Rheinlandräumung enttäuscht zu sein: »Die immer wieder hinausgeschobene Entscheidung hat die Wirkung und den Eindruck dieser lang erwarteten Maßnahme, die zudem nicht ohne neue Härten und Belastungen vor sich ging, sehr abgeschwächt.« Deshalb widerspreche es auch dem »Stolze und der Würde eines großen Volkes«, das Aufhören der Besetzung »zum Anlaß einer besondern Dankesbezeugung zu nehmen«. Dankbarkeit –? Nein, aber es hätte durchaus dem Stolze und der Würde eines großen Volkes entsprochen, wenn es Frankreich wenigstens in formaler Höflichkeit die loyale Erfüllung der Abmachungen bestätigt hätte, und auch den großen Zeitungen wäre keine Schlagzeile aus der Papierkrone gefallen, wenn sie das getan hätten. Der Kanzler ist ein ruhiger, korrekter Mann, der auf Gefühle nichts gibt. Es hat aber nichts mit Gefühlen zu tun, sondern liegt durchaus im Bereich der Sachlichkeit, wenn von dem deutschen Reichskanzler Kenntnis jener Schwierigkeiten verlangt wird, die die gegenwärtige französische Regierung überwinden mußte, um die Räumung durchzusetzen. Von dem Widerstand französischer Generale geruht Herr Brüning nicht Notiz zu nehmen, und vielleicht denkt er auch gar nicht bis so hoch, denn bei uns bestimmen schon die Leutnants. Aber es wäre nur ein Akt kollegialer Rücksichtnahme gewesen, den Verständigungspolitikern im Kabinett Tardieu ihre Stellung zu erleichtern. Statt dessen spricht der Kanzler so, als käme es ihm nur darauf an, die Stellung Briands zu erschüttern. Wünscht der deutsche Nationalismus einen französischen Außenminister, der seiner Entrüstung ergiebigere Stichworte hinwirft als der alte, kränkliche Aristide?

Revision – Vertragsrevision, Youngrevision – das ist also die große Parole. Treviranus, ein windiger Plänkler, schwärmte voran; jetzt folgt Brünings schwere Artillerie. Leider sind die Methoden, die das offizielle Deutschland anwendet, nicht geeignet, einem so nützlichen Ziel näherzurücken. Auf die Methoden aber kommt es an. Was die Regierung und ihr Kanzler unternehmen, das ist nicht ernsthafte Außenpolitik sondern ein innenpolitisches Manöver, um den Siegern des 14. September ein populäres Schlagwort abzunehmen. Die Gefahr dabei ist, daß Brüning selbst zum Gefangenen der Bewegung wird, die er scheinbar reguliert, und Herr Brüning dürfte sich von der Rechten lieber gefangen nehmen lassen als von Otto Braun. Am Ende dieser Entwicklung steht die gemeinsame Plattform mit Hugenberg und Hitler – die Belle Alliance aller nationalistischen und reaktionären Kräfte.

Aus Angst vor dem offenen Fascismus gestatten die Republikaner ein Experiment, das außenpolitisch bald mit einem eklatanten Fehlschlag enden wird, innenpolitisch aber dem Chauvinismus die letzte Hemmung nehmen muß. Was als Weg zur Wiedererlangung der äußern Souveränität Deutschlands angepriesen wird, führt zum Verlust der innern Souveränität, zur Thronerhebung des Fascismus. Der Revisionismus des Herrn Brüning führt nicht zur Freiheit sondern zu Frick.

Die Weltbühne, 11. November 1930


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