Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Gänse und Krieger

Ein hoher preußischer Funktionär hat neulich, als er ein paar Presseleuten das Verbot von Lampels »Giftgas« plausibel machen wollte, gesagt: »Wir können uns das heute nicht erlauben, denn wir leben in einer Stimmung wie vor dem Kapp-Putsch.«

Die Iden des März kommen heran, ein von altersher verdächtiges Datum, doppelt belastet durch die Erinnerung an 1920. Zwei Mal war die Deutsche Republik auf der Kippe, zwei Mal haben die deutschen Republikaner das Unheil tatenlos herankommen lassen und höchstens, um sich etwas Bewegung zu machen, nach den Warnern mit Steinen geworfen. Beide Male ist die Republik nicht von ihren Konsuln gerettet worden. Als Lüttwitz von Döberitz heranmarschierte, saßen die Regierenden grade im Theater, und als der eiserne Vorhang fiel, da waren die militärischen Arme des Staates schon zum Andreas gegangen. Kapp ist gescheitert an den Zweifeln, die die hohe Bureaukratie in seine Dauerhaftigkeit setzte, und an dem gewaltigen Streikwillen der Arbeiter. Und als im November 1923 Herr Hitler in München seine Diktatur ausposaunt hatte, da erschien als Retter der Kardinal Michael Faulhaber, Erzbischof von München und Freising, dem der Wotanskult der Verschworenen bedenklich geworden war, und zwang den Zivilgouverneur von Kahr, an seinen teutonischen Brüdern zur Midgardschlange zu werden.

Diese Erlebnisse sind auch den langmütigsten Republikanern schwer in die Knochen gefahren. Dies Mal passen wir auf, haben sie sichs zugeschworen, dies Mal soll uns der Teufel nicht müßig finden! Und so ist schon seit Wochen auf dem Kapitol des Geschnatters kein Ende.

Was ist eigentlich los? Sichtbar sind einige Landbundunternehmungen, besonders in Holstein; aber dieser Bundschuh wird sich senken, wenn man ihn mit Dukaten vollstopft. Hörbar ist Herr Franz Seldte, der jetzt auf seinen alten Beruf verzichtet, allerdings die Fachausdrücke seiner Branche ins neue Leben hinübergenommen hat. Aber Herr Seldte betreibt nicht den rohen Umsturz, sondern die Verfassungsänderung auf dem Wege des Volksbegehrens. Ein Unterfangen, das vor zwei Monaten noch lachhaft schien, aber heute, dank dem grenzenlosen Versagen der Parlamentsparteien, immer mehr in den Kreis der Wahrscheinlichkeit rückt. Was ist also los? Warum drohen die geflügelten Primadonnen sich die Stimmbänder zu zerreißen?

Niemand weiß genaues. Nicht die Presse, nicht die Politiker, vielleicht die sehr schweigsame preußische Regierung. Aber einer raunt dem andern Unheimliches zu. Im Vorübergehen wird geflüstert, daß »man« in Ostpreußen zum Losschlagen fertig sei. Wer ist »man«?

Das ist, wie gesagt, nicht bekannt. Dennoch werden überall die trübsten Vermutungen ausgetauscht. Es ist wie in jener Anekdote von Achtundvierzig: ein guter Stuttgarter Bürger erscheint in totenstiller Nacht auf dem Amt und fleht um Einschreiten. »Warum denn?« fragt man ihn. »Es ist so ruhig in der Stadt.«

Nun ist Wachsamkeit schließlich kein Übel, und es ist zu verstehen, wenn sich nach den Alarmen von 1920 und 23 die Republik nicht mehr ohne weiteres auf die Hoffnung verlassen mag, es müßte auch beim dritten Mal der rettende Gott auf ein Klingelzeichen von Links aus der Maschine steigen. Die Panikstimmung jedoch bietet Verlockung für Nutznießer, und die Republikaner selbst werden schwachmütig vor Figuren, die sich als Helfer anbieten und die sie schleunigst abkomplimentieren müßten. Immer, wenn es der Republik schlecht geht, erscheint der ewig irrende Ritter Arthur Mahraun wie ein Lohengrin oder Lancelot vom See, um die Farben der erwählten Dame an jenes Blech zu heften, das zwar nicht seine tapfere Brust schirmt, wohl aber in unfaßbaren Mengen seinem Munde entströmt. Seine neueste Vorführung nennt er »volks-nationale Aktion«, was sich so schwülstig anhört wie alles, was der Orden verlautbart.

Was will der Jungdeutsche Orden heute noch? Sicher zwischen allen schlecht aufgetischten Phrasen ist nur die unbedingt kriegerische Stellung gegen Rußland, den grausen »Bolschew«, wie Herr Mahraun sich in einem Poem seiner Frühzeit auszudrücken beliebte. Deshalb plädiert der Orden für deutsch-französische Versöhnung. Die alltägliche Haltung ist noch immer reaktionär und antisemitisch und von der andrer Rechtsbünde kaum zu unterscheiden. Sein Einfluß auf Massen ist seit dem Krach mit Hugenberg wie Schnee vor der Sonne geschmolzen, sein Schrecken für die Linke geschwunden, seitdem die Ordensbrüder zu schießen aufgehört haben. Er ist mit seinem Hochmeister, seinen wunderlichen Ämtern, seinen »Balleien« immer mehr zu einem in Permanenz erklärten Kostümfest geworden, mit allerlei mystagogischem Faxenkram und einer täglich erscheinenden Ballzeitung. Aber hinter Mahraun steht Herr Arnold Rechberg und hinter diesem das Kalikapital, und verschiedene andre mittlere Industrien blicken heute verlangend nach den Ordensbrüdern, denn jeder sieht sich in diesen unsichern Zeiten nach einer Schutzgarde um. Und wer verteidigte wohl den Geldschrank zuverlässiger als eine Leibwache von kleinen Angestellten und Arbeitern? Neuerdings wenden auch ausgesprochen liberal gerichtete Kreise Herrn Mahraun ihre Aufmerksamkeit zu. Wenn der Hochmeister bis dahin nicht wieder zu Hugenberg abgezogen ist, wird man bei den nächsten Wahlen einen merkwürdigen Aufzug erleben. Hier der Romantiker, der für den ständisch gegliederten Staat schwärmt und Ernst M. Arndt zitiert, und neben ihm geölte Geschäftsleute, denen gar nicht nach Mittelalter zumute ist. Wahrscheinlich würde nach errungenem Siege die Börse Butzenscheiben bekommen und der Börsenvorstand einen pompösen Titel aus der Zeit der Hohenstaufen. Weiter würde Ritter Arthurs Einfluß auch nicht reichen.

Viel wichtiger ist nur, daß neuerdings erzählt wird, es habe kürzlich in Magdeburg eine ernsthafte Fühlungnahme zwischen Jungdo und Reichsbanner stattgefunden zwecks engerer Zusammenarbeit. Hierauf allerdings müßte die Leitung des Reichsbanners eine deutliche Antwort geben, ob das wahr ist oder nicht. So viel man auch von seinem Direktorium gewöhnt ist, so wenig möchte man annehmen, daß es sich mit Jungdoleuten an einen Tisch setzt, über den die Schatten der Toten von Mechterstädt fallen. Es wird überhaupt Zeit, diese Panikstimmung mit ihren Dunkelheiten zu beenden. Die Republik hat, wenn es darauf ankommen sollte, noch immer genug Männer zur Verfügung, die als simple Krieger für sie fechten würden; sie braucht nicht den ordensritterlichen Mummenschanz, an dem noch dazu das Blut gemeuchelter Arbeiter klebt. Die Gänse haben lange genug auf dem Kapitol geschnattert. Jetzt mögen sie wieder ins Wasser steigen und ihren Lohengrin nach Hause fahren.

Die Weltbühne, 12. März 1929


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