Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

886

Diktatur Severing

Es war am Ende des vergangenen Winters, als zuerst gemunkelt wurde, der Herr Reichsinnenminister werde angesichts des immer rabiatern Gehabens der Seldte- und Hitlertrabanten bald energisch werden und nicht einmal vor Artikel 48 zurückschrecken. Herr Grzesinski, Severings preußischer Statthalter, hielt Reden mit roter Gösch, und wir harrten neugierig der republikrettenden Herkulestaten. Doch nicht der Stahlhelm wurde kassiert sondern Rotfront, die erste Offensive galt nicht der pommerschen Vendée sondern dem kommunistischen Neukölln; Zörgiebel etablierte sich als Gallifet. Der Feind stand plötzlich wieder links, und als Herr Severing sich eines Tags der Siegestrophäen rühmen wollte, siehe, da hatte der Reichstag ohne viel Aufhebens das Republikschutzgesetz in die Versenkung fallen lassen. Der triumphierende Simson stand plötzlich ratzekahl geschoren da. Kein schöner Anblick.

Inzwischen sind Monate vergangen und die Haare wieder ein wenig nachgewachsen. Es ist noch nicht die alte Pracht, langt noch nicht hin, um die Könige von Philisterland unter Trümmern zu begraben, genügt aber für ein paar Krafthubereien.

Das Volksbegehren des Triumvirats Hugenberg-Hitler-Seldte ist ganz gewiß eine Dummheit allerdicksten Kalibers. Nur in Deutschland wirkt der Plan nicht lächerlich, außenpolitische Tatsachen, die aus unsrer Gebundenheit an die treibenden wirtschaftlichen Kräfte der Welt resultieren, durch ein Plebiszit wieder rückgängig zu machen. Nun mögen aber die Veranstalter des Volksbegehrens so absurd wie nur irgend möglich handeln, sie handeln trotzdem nicht illegal und nicht undemokratisch. Ihr Vorgehen ist gesetzmäßig, ihre Waffe der Verfassung des Deutschen Reichs entnommen. Die Regierung aber verstößt gegen die demokratische Konstitution, wenn sie Flugblätter beschlagnahmt, die der Propaganda für das Volksbegehren dienen, vor allem aber, wenn sie Beamten die ihnen verfassungsmäßig gewährleistete Meinungsfreiheit unterbindet.

Offen gestanden, es bedeutet eine nicht geringe Überwindung, sich zu dieser Anschauung zu bekennen. Die antidemokratischen Parteien sind in der Wahl ihrer Mittel niemals sehr fein gewesen, und ihre Agitation für das Volksbegehren setzt sich vornehmlich aus Fälschung und Verleumdung zusammen. Die Regierung hat tausendfach recht, dagegen einzuschreiten, und es stehen ihr dazu auch genügend gesetzliche Mittel zur Verfügung. Aber sie hat nicht [die] geringste Veranlassung, die bessere Sache, die sie vertritt, durch ein ganz offenbares Unrecht zu bemakeln. Sie hat vor allem die Pflicht, die so gern im Munde geführte Demokratie auch dort anzuwenden, wo es unangenehm ist und vielleicht des augenblicklichen Vorteils beraubt. Denn das ist doch die wieder und wieder und niemals ohne Selbstgefälligkeit verkündete Überlegenheit der Demokratie, daß sie in jedem Fall die Rechtsform wahrt und durch Gesetz und Verfassung sich selbst da gebunden fühlt, wo das politische Temperament einen andern Ausweg lieber sehen möchte. Haben wir es nicht bis zum Überdruß gehört, daß die Demokratie die beste Garantie biete, selbst ganz großen Umwälzungen im Staat die Bösartigkeit zu nehmen, da sie doch jeder Minderheit die gesetzmäßigen Möglichkeiten verbrieft, einmal Mehrheit zu werden? Das haben wir, wie gesagt, sehr oft gehört, und grade dieses Prinzip ist in den zehn Jahren Republik fortwährend durchlöchert worden. Die sogenannte Reichsexekution in Sachsen, das Ermächtigungsgesetz, das stille Ausnahmegesetz gegen die Linksradikalen – immer wieder wurde die ernsthafte Anwendung des Verfassungsbuchstabens durch leichtfertige Impromptus ersetzt und damit aufs peinlichste bewiesen, daß die Wortdiener der Demokratie es zu Zeiten selbst für nötig finden, das Antlitz ihrer Göttin zu verschleiern.

Auf einem andern Blatt steht, ob es richtig war, den Beamten eine Freiheit zu gewähren, die ihnen erlaubt, ihr Votum für ein Monstrum wie den § 4 des Volksbegehrens abzugeben. Nach der Magna charta von Weimar besteht allerdings kein Zweifel, daß sie es dürfen. Vor dem gesunden Menschenverstand ist es sicher ein Unding, wenn Funktionäre des Staats öffentlich zum Ausdruck bringen können, daß einige ihrer höchsten Vorgesetzten bestimmter Amtshandlungen wegen gerichtlich abgeurteilt zu werden verdienen. Denn diese Amtshandlungen der Minister sind politisch, man kann sie bejahen oder ablehnen, sie sind, wie man die Sache auch dreht und wendet, nicht unehrenhaft, und der Reichstag hat sie gedeckt. Das Verlangen, die verantwortlichen Personen der Außenpolitik vor ein Strafgericht zu ziehen, ist politisch und rechtlich lichterloher Wahnsinn; Beamte, die sich dafür einsetzen, halten sich kaum in den traditionellen Vorstellungen von Respekt und Subordination, die nun einmal mit ihrem Beruf verknüpft sind, aber gravierend ist nur, daß die Verfassung es ihnen nicht verwehrt, sie damit keine Insurrektion begehen und also auch nicht gemaßregelt werden können. Hat die politische Betätigungsfreiheit des Beamten auch vor der Vernunft ihre natürliche Grenze, so haben die Gesetzgeber von Weimar es jedenfalls nicht für nötig befunden, eine solche Grenzziehung auch nur zu versuchen. Das nachzuholen, gibt es ja den legalen Weg, aber eine Unterlassung der Konstituante kann nicht nachträglich durch Willkürakt wettgemacht werden.

Zugegeben, daß alle republikanischen Regierungen bisher ihre liebe Not mit großen Teilen der Beamtenschaft hatten, so ist grade dieser Anlaß nicht glücklich gewählt, um ein Exempel zu statuieren. Auch der politische Gegner kann den Beamten, die sich in der Kampagne für das Volksbegehren exponiert haben, die Achtung nicht versagen. Ihr politischer Horizont mag eng sein, ihr Begriff von den Fragen, um die es geht, herzlich verquollen. Das hindert nicht anzuerkennen, daß sie Charakter und Zivilkourage gezeigt haben. Keine große Organisation steht hinter ihnen, keine anonyme Institution, die Kollektivverantwortung übernimmt, wenns schief geht. Sie haben als Einzelpersonen gehandelt, sie haben sich herausgestellt – im Gegensatz zu den vielen Andern, die genau so denken, aber es gern vermeiden, ihrer Gesinnung ein Gesicht zu geben und vor jeder Autorität katzbuckeln.

Die offene Fronde ist immer viel sympathischer und auch viel weniger gefährlich als der kleine zähe Widerstand der charakterlosen Rechnungsträgerei, die immer unverbindlich die Macht anerkennt, die sie bezahlt und die ihre Karriere sichert, aber immer nur, so lange sie Macht ist. Die Republik hat aber immer viel weniger unter den Frondeuren gelitten als vielmehr unter den Virtuosen der Opportunität. Es ist leicht, den Neinsager zu erkennen und auszumerzen, jedoch herzlich schwierig, die Urheber der unzähligen winzigen Hemmungen ausfindig zu machen, die ihre technischen Fähigkeiten hauptsächlich dazu benutzen, den ihnen anvertrauten Mechanismus zu lähmen. Überall sitzt sie, diese feige, namenlose Obstruktion, in Justiz, Armee, Diplomatie, Verwaltung und Schule, horstet diese falsche Loyalität, die der Republik nur Treue auf Zeit gelobt hat, ihren Geist verfälscht, ihre Arbeit sabotiert und ihren Namen nach Kräften lächerlich macht.

Hier liegt die wirkliche Schwierigkeit der republikanischen Aufgabe, hier aber auch die Sünde des republikanischen Staates, der sich mit diesem korrumpierenden Zustand von Zweideutigkeit still abgefunden hat. Was im Laufe der Jahre versäumt worden ist, das kann nicht durch ein gelegentlich statuiertes Exempel wieder gut gemacht werden. Am wenigsten aber durch die Maßregelung von Männern, die nur von ihrem staatsbürgerlichen Recht Gebrauch gemacht haben.

*

Was geht eigentlich in Österreich vor? Nach unsern Demoblättern ist Herr Schober der Mann der gütlichen Verständigung, der die Explosion vermeiden möchte. Aber schon seine Kompromißvorschläge sind eine wahnwitzige Zumutung. Hier ein paar charakteristische Sätze aus dem wiener Brief eines politischen Freundes: »Der Verfassungsentwurf ist ungeheuerlich. Niemals hätte Franz Joseph so etwas dem Parlament vorzulegen gewagt. Er geht weit hinter die 1867 gewährten Rechte zurück. Ganz Österreich wird unter Polizeiaufsicht gestellt. Die Regierung soll freies Ermessen haben, Ausnahmezustand zu verhängen, Suspendierung der Pressefreiheit, Einführung der Theater- und Kinozensur, das alte Ausweisungs- und Abschiebungsgesetz wird wieder lebendig, Einführung des Adels, Aufhebung der Geschworenengerichte. Ich finde, daß man der Sache in Berlin zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Man begeht den Fehler wie vor dem Kriege, da man die balkanischen Affären bagatellisierte. Aus Wien wird eine europäische Angelegenheit. Die Sache wird sich folgendermaßen abspielen. Die Vorlage wird im Parlament von den Sozialdemokraten abgewiesen werden. Da eine Zweidrittelmehrheit auf legalem Wege nicht gefunden werden kann, wird man das Parlament schließen und die Verfassung diktatorisch einführen. Tuts Schober nicht, so wird es Vaugoin tun. Bei der Beseitigung des Magistrats, Einsetzung eines Regierungskommissars im Rathaus wird es zu Widerstand kommen. Die Arbeiter werden nicht, können nicht das Rathaus kampflos preisgeben. Hier also wird geschossen werden. Möglich, daß sofort der Generalstreik einsetzt. Man wird die Eisenbahnbrücken sprengen. Wien wird ohne Licht, Gas und Wasser sein. Die Bahnunterbrechung wird die Handhabe zum Einmarsch geben. Ungarn wartet darauf. Ist Österreich einmal besetzt, dann kann nur eine internationale Konferenz den Knoten lösen. Es wird das erste Loch in die Friedensverträge geschlagen. Apponyi schreibt ziemlich unverblümt darüber. Man will auf Kosten Österreichs die Tschechen für die Rückgabe ungarischer Stücke entschädigen. Es droht die Gefahr, daß Wien den Deutschen verloren geht. Man muß Wien retten, vor der eignen Provinz und vor Ungarn, vor den Tschechen und den Italienern.«

Die Weltbühne, 29. Oktober 1929


 << zurück weiter >>