Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Hugenberg an Babbitt

Es gibt keine ausschließlich nationale Politik mehr. Es gibt keine Politik mehr, die den Begriff »Nation« selbstherrlich in den Mittelpunkt stellen darf. Falls das zu beweisen noch notwendig war, so ist es jetzt – nicht ganz freiwillig unter Vermeidung größerer Öffentlichkeit – Herrn Geheimrat Alfred Hugenberg gelungen. Ein Vorgang, der nicht ohne Spaß ist. Herr Hugenberg würde einiges darum geben, wenn er die Sache ungeschehen machen könnte.

Er hat in USA ein Schreiben verbreitet, um die Bürger jener freien demokratischen Republik über die revolutionären Ausschweifungen der jungen deutschen Schwester aufzuklären. Nach Herrn Hugenberg treibt sie Buhlschaft mit radikalen Marxisten, und nicht einmal dem russischen Bolschewismus würde ihre Kammer verschlossen sein. Deshalb, sagt Herr Hugenberg, dürfen die moralischen Amerikaner dieses Lotterbett nicht finanzieren. Nur die Deutschnationalen sind des Vertrauens von Wallstreet würdig. Die werden den Mammon von Übersee solide anlegen und die deutsche Republik vor russischer Infektion schützen.

Herr Hugenberg hat, wie alle sittlichen Rigoristen, übertrieben. Herr Doktor Hilferding, zum Beispiel, ist viel russenfeindlicher als manche der Granden, die um den Thron des allerhöchsten Alfred herumstehen. In dieser Sphäre sind noch lange nicht alle Hoffnungen auf ein deutsch-russisches Militärbündnis erstorben. Ja, es gibt sogar wetterfeste Nationalisten, die Trotzki einzig aus dem Grunde nicht hereinlassen möchten, weil Stalin das übelnehmen könnte.

Die Linkspresse vergilt Herrn Hugenberg seine Liebenswürdigkeit mit Zinsen und ruft aus voller Lunge: Verrat an deutschen Interessen! Verrat an der deutschen Währung! Landesverrat zwiefach! Die Empörung ist verständlich, weniger die praktische Folgerung. Gewiß, man darf der Hugenbergpresse nicht die Bösartigkeit vergessen, mit der sie Persönlichkeiten denunziert, die nicht stupide nationalistisch denken, nicht den Heißhunger, mit der der kleinste Pinscher in der Zimmerstraße nach den Waden ganz harmloser Locarnisten schnappt. Es soll zwar ein Verbrechen sein, Machenschaften der Reichswehr so laut zu kritisieren, daß es im Auslande gehört wird. Aber es ist statthaft – nicht wahr? – den Auslandskredit einer mißliebigen deutschen Regierung zu ruinieren. Hugenbergs Blätter donnern zwei Mal täglich gegen die sogenannte Tributkonferenz, auf der Amerika bekanntlich die Hauptrolle spielt, jedoch ihr oberster Chef biedert sich drüben heimlich an und läßt durchblicken, er werde schon mit sich reden lassen. Nur der Bande, die augenblicklich regiert, möge Amerika steife Ohren zeigen. Denn die ist den Pump nicht wert.

Das ist ohne Zweifel ein recht kräftiges Stück. Doch ist mit Aufregung und moralischer Entrüstung nicht viel getan. Viel wichtiger ist die Feststellung, daß es eben orthodoxe nationale Prinzipien praktisch nicht mehr gibt und heute überhaupt nicht mehr geben kann. Keine intransigente Nationalistenpartei könnte mehr als drei Tage mit ihrem eingefrorenen Programmbuchstaben regieren. Der Fall Hugenberg zeigt sogar, daß eine Partei ihre nationalistischen Prinzipien schon flexibel machen muß, ehe sie zur Regierung kommt. Keine große Partei in einem der entscheidenden Länder appelliert, wenn sie sich der Machtergreifung nahe fühlt, ausschließlich mehr an das eigne Volk, sondern an die ganze Welt. Sie sucht überall Verwandtschaft und Anlehnung. Diesem Zustand, der schon lange vorhanden ist, müßte endlich öffentliche Anerkennung verschafft werden. Das würde die politischen Manieren erheblich bessern, die vergiftende nationale Gesinnungsspitzelei einschränken.

In allen politischen Lagern greifen die Parteien über die Grenzen des Landes. Die kommunistischen Sektionen sind offen internationalistisch; jeder weiß, daß sie ihre Direktiven von Moskau empfangen. Auch die Sozialdemokraten sind international organisiert, ebenso wie die Gewerkschaften, die auf gleicher Linie halten. Das Zentrum wird geistig, und sehr oft auch taktisch, von Rom bestimmt. Die Autorität der Kirchenfürsten ist wiederhergestellt. Soll man deswegen über »Ultramontanismus« jammern? Mir scheint, es ist ein klares Verhältnis und nur die Verdunkelungen sind verwerflich. Die übernationalistischen Hitlermannen wieder schwärmen für Mussolini, und die Seufzer der deutschen Brüder in Südtirol stören sie nicht. Sogar die liberale Demokratie hat, der Not der Zeit folgend, übernationale Beziehungen angebahnt. Wir können heute ganz gut von einer demokratischen Internationale Lloyd George – Erich Koch – Daladier sprechen. Die englischen Liberalen, die neuen Aufschwung erhoffen, werben offenkundig um die Sympathien der Gesinnungsfreunde aller Länder, und unsre Deutschnationalen fühlen sich jeder Reaktion artverwandt. Jeder weiße Henker auf der Welt kann auf deutschnationalen Beifall rechnen. Die Richter Saccos und Vanzettis fanden ihre hitzigsten Verbündeten auf der deutschen Rechten.

Es hat in diesen Jahren keine schwierige Situation gegeben, wo nicht alle deutschen Parteien Ausschau nach Sukkurs im Ausland gehalten hätten. Wie gern würde nicht Herr Seldte mit jenen Moskauern paktieren, deren deutsche Brut er abwürgen möchte! Und sein Widerpart, Herr Mahraun, möchte am liebsten unter dem Geschmetter französischer Clairons Rußland siegreich schlagen. Bei Lord d'Abernon haben die Vertreter aller bürgerlichen Gruppen antichambriert; dieser kluge alte Herr hat den Deutschen, ohne ihnen Ersatz zu bieten, das »Gott strafe England!« gründlich abgewöhnt. Und es ist auch ein holder Irrtum anzunehmen, daß man bei Herrn Krestinski ausschließlich Herrn Thälmann und seine Transportarbeiter anträfe. Die Bourgeoisie, die sich dort gern einfindet, kommt nicht nur der kulinarischen Reize wegen und hält sich nicht nur so tüchtig ran, um den ökonomischen Zusammenbruch der Sowjets zu beschleunigen – die Tafel hat auch ihre politischen Lockungen. Zugegeben, daß diese Bankettverbrüderungen nicht allzuviel bedeuten und oft auch politische Indigestionen hinterlassen, keine politische Gruppe kann sich mehr Isolation leisten. Auch die nationalen Ultras können von den Vertrauensvoten ihres Clans allein nicht mehr leben. Eine Wahlniederlage der englischen Konservativen wird überall von der Reaktion als übles Omen empfunden werden. Eine Enttäuschung der englischen Liberalen dagegen in Deutschland und Frankreich den Glauben an die Zukunft der liberalen Demokratie niederdrücken. Die Zeit des nationalen Kleinbetriebs geht in Europa zu Ende.

Man muß das offen aussprechen. Denn noch tun die meisten Parteien schamhaft. Zwar möchten die Demokraten augenblicklich Herrn Hugenberg am liebsten auf dem Hausvogteiplatz als Hochverräter guillotinieren. Aber vielleicht sehr bald, wenn die Krise der pariser Reparationskonferenz offensichtlich wird, dann werden sie das gleiche Schicksal jenen im eignen Lager androhen, die nicht geneigt sind, in Herrn Schacht den idealen Unterhändler zu sehen. Wenn nicht alles trügt, droht in den Reparationsdingen wieder jene nationale Einheitsfront auszubrechen, die seit 1914 die Mutter aller Torheiten gewesen ist. Wie vor sechs, sieben Jahren, wie in der verhängnisvollen Ära zwischen Spaa und Locarno, sendet man wieder Hilferufe an England und Amerika, bettelt man wieder vor verstopften Ohren um Sekundantendienste. Das ist nicht national würdelos. National würdelos ist nur, sich mit den französischen Auffassungen auseinanderzusetzen, den Hauptgegner verstehen zu lernen. Als ob es einen andern Weg gäbe, zur Verständigung zu kommen! Das nationale Pharisäertum hat Unglück über Unglück herbeigeführt, und heute steht es ganz und gar gegen die Entwicklung. Seine Lebensbedingungen sind eingetrocknet, es ist nicht mehr als eine schäbige Pose.

Deshalb muß man auch Herrn Hugenberg mildernde Umstände zuerkennen, wenn er einem unaufschiebbaren Faktum seine heimliche Reverenz gemacht hat. Ist es auch mit seiner moralischen Legitimation dazu schlecht bestellt, so wirkt doch die vollkommene Ungeschicklichkeit seines Unternehmens beinahe versöhnend. Er suchte das Bündnis des amerikanischen Spießers, spekulierte auf dessen Bolschewikenfurcht. Er wollte Babbitts Herz rühren, indem er ihm seine in den Preisgefechten gegen den Bolschewismus errungenen Diplome überlebensgroß vorführte. Aber er vergaß dabei, daß es Babbitt heute gar nicht mehr so wild zu Mute ist, sondern daß ihn die Vorstellungen von riesenhaften Rußlandgeschäften fascinieren. Von Herbert Hoover wird erhofft, daß er, über alle Phrasen hinweg, Moskau dem amerikanischen Kapital öffnet. Die Babbitts lechzen gradezu nach einem gehörigen Job mit dem roten Drachen, und da kommt der deutsche Geheimrat mit dem Blechkragen dazwischen und will ihm das deutsche Schwert tief ins Gekröse bohren. Einen schlechtern Augenblick konnte sich Herr Hugenberg für seine Offerte nicht aussuchen. Die Aktion ist so dumm, daß sie beinahe idealistisch wirkt.

Die Weltbühne, 2. April 1929


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