Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Krach um Leutnant Blumenthal

Reichswehrleutnant Blumenthal bringt in die Wehrmacht der ersten deutschen Republik das gleiche Manko wie der Artilleriehauptmann Dreyfus in die Armee der dritten französischen Republik: er ist Jude. Er ist, wie Alfred Dreyfus, fanatischer Pflichtmensch, etwas stur und ohne jene gefällige Veranlagung, die das Glück des Diplomaten macht und die auch in dem rauhesten aller Handwerke nicht entbehrt werden kann. Dieser Blumenthal ist außerdem noch ein Überbleibsel lang verwehter Kriegsideologie: er kommt aus dem Mannschaftsstand und hat sich die Tressen vor dem Feind verdient. Ein ärgerlicher Splitter in einem schon wieder ganz feudalisierten Offizierskorps: Sohn eines jüdischen Trödlers; ein Stück Demos. Der Jude muß verbrannt werden. Es gelingt, denn er hat alle gegen sich: die jungen Monokelfatzken, den aalglatten Regimentskommandeur, der die Reichswehr »entpolitisiert«, indem er die Republikaner ausmerzt. Nur sein Kompagnieführer, ein vornehmer Charakter, ahnt die schofle Intrige, aber er kann sich nicht rühren, weil er durch den Eclat in seiner Truppe selbst hinreichend kompromittiert ist. Denn bei dem unseligen Blumenthal werden zu allem Überfluß noch ein paar jener roten Hefte gefunden, die bei der Reichswehr so beliebt sind.

Das ist die Komödie »Krach um Leutnant Blumenthal« von Alfred Herzog, die jetzt mit der Spielgemeinschaft berliner Schauspieler in die Kammerspiele eingezogen ist. Noch immer Tendenzdramen, Gesinnungsstücke, noch immer Paragraph Zwoachtzehn, denn auch in der Komödie von Alfred Herzog ereignet sich eine Schwangerschaft, die rechtens unterbrochen werden müßte. Nachdem die Dichter bisher ziemlich ausschließlich erörtert haben, wie Kinder gemacht werden, ist es kein großes Unglück, wenn sie sich einmal für eine Saison damit befassen, wie sie beseitigt werden. Dabei lebt dieses Reichswehrstück nicht nur in der Gesinnungsphäre, es zeugt von echter dramatischer Begabung. Es ist sicher gebaut, die Sprache sparsam und ohne künstlich aufgeputschte Erregung; die Katastrophe einer Existenz spielt sich so schnell und trocken ab, wie dergleichen heute vor sich geht, wo auf jeden Platz, der seinen Mann nährt, ein paar Hundert warten. Es wird gesagt, daß der Verfasser ein früherer Reichswehroffizier sein soll – er kennt jedenfalls Leute und Apparat. Er kennt das System Seeckt, das die Amtszeit seines Erfinders überlebt hat und das darauf hinausgeht, ein abgekapseltes Berufsheer zu schaffen, das zunächst zuverlässig gegen das eigne Volk zu sein hat. Die Reichswehr ist nicht mehr monarchistisch – so einfach liegen die Dinge nicht – aber sie verwahrt als köstliches Vermächtnis das Wort des letzten Monarchen, daß der Soldat entschlossen sein muß, auf Vater und Mutter zu schießen. Es ist in der neuen Ära Groener-Heye gelungen, die rüdesten und demonstrativsten antirepublikanischen Ausschreitungen zu unterbinden. Man wird schwerlich mehr einen Truppentransport treffen, der heiter in die Landschaft hinaussingt: »Knallt ab den Walter Rathenau, die gottverdammte Judensau. Der Rathenau, der Walter, erreicht kein hohes Alter.« Dieser offene Zynismus ist heute geduckt. Die Fassade der Reichswehr nimmt sich jetzt ziemlich glatt aus, von einigen mangelhaft verputzten Stellen abgesehen. Aber was mag sich hinter den hohen Mauern abspielen? Hans von Seeckt ist fort, aber er hat seiner Schöpfung sein Sphinxgesicht vererbt. Der exklusive Charakter der Wehrmacht ist gesichert. Wer als Offizier Beziehungen zu volkstümlichen Strömungen sucht, der ist erledigt, ohne daß er deshalb, wie Leutnant Blumenthal, gleich Jude, Demokrat, Marxist, Verteidiger der Menschenrechte seiner Rekruten und Weltbühnenleser zu sein braucht, was übrigens für eine Person etwas viel ist. Diesem Offizier gab Fritz Recknitz gute männliche Figur. Der Jude von Heute ist nicht mehr der weise Nathan, der den Zwist der andern Glaubensbekenntnisse schlichtet. Er muß für sich selbst kämpfen. Herr Ihle war der glatte Oberst, der alles, das Recht ausgenommen, wieder in Ordnung bringt. Fräulein Gerson die schöne Kasernenhelena, eine prachtvolle Kanaille. Unter Fritz Staudtes Regie wurde sauber und hingebungsvoll gespielt. Es war ein großer Eindruck, ein neuer Beweis dafür, wie sympathisch ein berliner Theater wird, wenn die Prominenten nicht dabei sind.

Die Weltbühne, 8. Juli 1930


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