Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Der Schacht-Putsch

Auch Geldgenerale können putschen. Wie Perseus der bedrängten Andromeda zu Hilfe eilt und dem bedrohlich nach den Waden schnappenden Drachen das Gebiß zerschlägt, so kommt Hjalmar Schacht als Retter für Herrn Hugenberg. Er muß doch eine anziehende Persönlichkeit sein, der Herr Geheimrat, dem seine Gegner so gefällig sind. Seine pleite gegangene Ostbank saniert die preußische Regierung mit gut marxistischem Kapital, und aus seinen politischen Ängsten befreit ihn Schachts überlegene Hinterhaltsstrategie. Was der Herr Reichsbankpräsident unternommen hat, nenn man in Ländern spanischer Zunge ein Pronunciamiento: ein General stellt ein Ultimatum, und die Regierung muß annehmen oder über die Klinge springen. Herr Schacht, der große Ordnungsmann, hat mit der heimtückischen Publikation seines Memorandums die Kreise der deutschen Außenpolitik gründlich zertreten, er hat den deutschen Kredit geschädigt und Hugenberg vor den Gegnern im eignen Haus gerechtfertigt. In jedem Staat, dem seine Autorität kein bloßes Schaustück ist, hätte der Präsident einer staatlichen Notenbank, der sich ein solches Solospiel herausnimmt, noch am gleichen Tage den blauen Brief auf dem Tisch. Doch Schacht ist über die disziplinaren Niederungen des gewöhnlichen Beamtenschicksals erhaben: die Sonderverfassung der Reichsbank, wie sie sich aus dem Dawesplan ergeben hat, macht ihn unkündbar. Die fremden Ketten, die er so gern zerreißen möchte, sichern auch seinen Amtsstuhl.

Man weiß seit Jahr und Tag, daß er sich für die Finanzdiktatur berufen fühlt. Ein gefährlich hohes Ziel, denn der Diktator Schacht bringt dafür nicht mehr mit als seine natürliche Ungeschliffenheit, die ihn als Politiker unmöglich macht, wie es sich zuletzt bei der pariser Konferenz gezeigt hat. Damals brüskierte er nicht nur die Herren von der Gegenseite unnötig sondern übersprang auch glattweg seine Instruktionen, indem er unzulässigerweise die Kolonialpolitik aufs Tapet brachte, womit er sich sowohl in den Industriekontoren wie bei den Männergesangvereinen bestens als starker Mann und Retter empfohlen hielt. Die damals geholte Niederlage hat er nicht vergessen, und wenn er schon gegen den Feindbund nichts auszurichten vermochte, so kann er doch seine Regierung in Verlegenheit bringen. Seine große Spekulation ist diesmal das gewichtige Wort: Finanzreform, womit er auch diejenigen fangen will, die aus politischen Gründen mit seiner Aggressivität nicht einverstanden sind. Denn Finanzreform, das bedeutet selbstverständlich nur Drosselung der Sozialpolitik und Abwälzung der Lasten auf die wirtschaftlich Schwachen. Es gehört zu diesem System, daß gegen den Reichsfinanzminister Hilferding eine Opposition aufgezäumt wird, als wäre er nicht ein zu allen Konzessionen an das Großkapital bereiter Opportunist sondern der leibhaftige rote Expropriationsteufel. Die »Wirtschaft« meldet ihre Ansprüche mit einem schon lange nicht mehr erlebten Ungestüm an und ist fast wieder so frech wie 1923.

Wie verführerisch Schachts Vorstoß selbst für unbedingte Anhänger der gegenwärtig regierenden Koalition sein muß, zeigt am deutlichsten die Haltung des ›Berliner Tageblatts‹ auf, das auch für die tollsten Kapriolen des Herrn Präsidenten ein empfehlendes Wort findet. Es war schon auffallend, daß während der Youngkonferenz der Berichterstatter des ›B.T.‹, Herr Günther Stein, völlig auf eigne Meinung verzichtend, sich darauf beschränkte, die unwirschen Impromptus des Meisters für ein liberal-demokratisches Leserpublikum zu instrumentieren, und dem großen Manne unerschrocken in Bezirke folgte, wo selbst den trainiertesten Demoblättern die Luft wegblieb. Es ist nicht unsre Sache zu ergründen, ob diese neue Haltung des ›B.T.‹ den definitiven Abmarsch ins Schwerkapitalistische bedeutet oder ob man nur glücklich ist, in Herrn Schacht das seit dem vorzeitigen Abgang Cunos so lange entbehrte Hausidol gefunden zu haben und mit viel Sorgfalt die nächste der alle paar Jahre fälligen Nieten vorbereitet – jedenfalls setzt Herr Stein auf der ersten Seite des Blattes seine Hymnen auf Schacht entschlossen fort, während im politischen Glossarium auf der dritten Seite die Rechtspresse gerüffelt wird, weil sie ihrerseits aus dem Fall Kapital zu schlagen versucht. Ob das ›B.T.‹ nun für den Youngplan ist oder ihn ohne hugenbergschen Radau lieber auf diskrete Weise abgewürgt sehen möchte, bleibt infolgedessen dunkel, und klar ist nur, daß ein sonst so streng auf die Hütung der formalen Demokratie eingeschworenes Blatt einem Beamten Beifall zollt, der die Regierung unter seinen Willen zwingen will und nicht einmal vor der Aufputschung der Öffentlichkeit zurückscheut.

Die Regierung wird nun vom Reichstag ein Vertrauensvotum fordern. Das ist richtig als Maßnahme gegen den parlamentarischen Wirrwarr, unrichtig jedoch als Gegenzug gegen Herrn Schacht, der damit auf eine ihm nicht zukommende Stufe gehoben und dessen kleiner Staatsstreich damit gleichsam legalisiert wird. Würde der Herr Reichsbankpräsident das der Regierung ausgesprochene Vertrauen als ein gegen sich gerichtetes Mißtrauen aufnehmen und seinen Abschied einreichen, so wäre das allerdings eine höchst erwünschte Folge. Denn Hjalmar Schacht hat den Platz, auf dem er sich einmal ein historisches Verdienst erworben hat, inzwischen lange verscherzt, seit er, hemmungslos seiner neurasthenischen Herrschsucht verfallen, sich immer wieder als Quertreiber und Schädling gezeigt hat.

Die Weltbühne. 10. Dezember 1929


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