Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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In den Schacht gefallen

Kanzler Müller ist nicht das, was man im Gelände einer leichtern Kunst als es der Parlamentarismus ist, einen Stimmungssänger nennt. Auch diesmal hat der Kanzler mit dem ihm eignen trockenen Ernst gesprochen, der in einem so deutlichen Gegensatz steht zu der wildblühenden Phantastik der Reden, wie sie am Tag darauf in dem Scalameeting der Wirtschaftsführer gehalten wurden. Und dabei tat der Kanzler ganz recht, einen rhetorischen Schwung zu vermeiden, der ihm nicht liegt. Das Defizit hat sein eignes Pathos, unabhängig von Geist und Stimme des Redners. Als Hermann Müller schlicht darlegte, daß bei Monatsende das Kassendefizit des Reiches 1,7 Milliarden betragen werde, da war der große Effekt da, kein Cicero könnte ähnliches erreichen. Dem Reichskanzler ist kein Vorwurf daraus zu machen, daß er die grausame Finanzlage so offen enthüllt hat, die Zeitungen, die mit Havenstein und Hermes durch Dick und Dünn gegangen sind, haben kein Recht, die Regierung deswegen der Katastrophenpolitik zu bezichtigen. Der Fehler liegt nur darin, daß sie so lange damit gewartet und das Kassabuch erst unter dem Zwang des Schachtschen Vorstoßes geöffnet hat. So durfte der Gouverneur der Reichsbank nicht nur das Prävenire spielen, sondern auch noch den Triumph heimsen, dem schweigsamen Kabinett das Geständnis entrissen zu haben. Herr Schacht warf sich unberufen zum Staatsanwalt auf, und da er die Schwerindustrie und ihre Organe für sich hatte, so mußte die Regierung wohl oder übel auf der Anklagebank Platz nehmen. Eine kräftige Abwehr hat sie nicht gefunden. Eine Regierung, die auf sich hält, hätte nach der Veröffentlichung des Memorandums jeden weitern Verkehr mit dessen Verfasser abbrechen müssen, wenn sie ihn nicht auf dem Disziplinarwege packen konnte. Denn immerhin ist Herr Schacht, trotz der vom Feindbund gewährleisteten Autonomie seines Instituts, nicht exterritorial, nicht der Vertreter einer fremden Großmacht, sondern ein vom Deutschen Reiche bezahlter Beamter. So steht er heute als der wirkliche Sieger da, hinter sich die Scharfmacher der Industrie und der Bankwelt und die ungezählten Ahnungslosen unter den mittlern und kleinen Geschäftsleuten, die sich einbilden, daß wir keine Reparationen zu zahlen brauchen, wenn nur Einer richtig den Mund auftut. Hjalmar Schacht kann also zu weitern Taten rüsten, und die Zeit bis zur haager Schlußkonferenz bietet noch ungeahnte Möglichkeiten. Übrigens ist in der breiten Öffentlichkeit Schachts Attacke mit richtigem Instinkt viel klarer gedeutet worden als selbst in denjenigen Linksblättern, wo ihm die Legitimation zu seinem Vorgehen bestritten wurde. Hier hat man darin ganz hellsichtig den Versuch erkannt, den Young-Plan und die Reparationszahlungen zu torpedieren. Grade im außenpolitischen Interesse wäre es sehr dringend geboten gewesen, Herrn Schacht einen gehörigen Dämpfer aufzusetzen. Das ist nicht geschehen, statt dessen hat die Reichsregierung sich mit einem unbestimmten und schwammigen Vertrauensvotum begnügt, das keine Schwierigkeit beseitigt, sondern nur den Ausblick auf zahllose neue Krisen öffnet. Die Regierung ist gründlich in den Schacht gefallen. Man läßt sie einstweilen liegen, obgleich man weiß, daß es ein paar ernste Knochenbrüche gegeben hat, und tut so, als wäre sie noch vorhanden. Sie ist aber nicht mehr da.

Es wäre wahrscheinlich manches nicht so schlimm gekommen, wenn im Reichsfinanzministerium eine härtere Persönlichkeit als Herr Hilferding gesessen hätte. Vergebens fragt man sich, wie die Sozialdemokratie ein Ressort, das voraussichtlich dem stärksten Druck ausgesetzt sein würde, einem Manne anvertrauen konnte, neben dem sich selbst Herr Breitscheid wie ein Gladiator ausnimmt. Wir haben in den vergangenen zwanzig Jahren zwei klassische Finanzminister erlebt, die zugleich wirkliche Finanzreformer waren: Caillaux und Erzberger. Zwei Namen, die von tragischen Schicksalen künden und zugleich aussagen, wie lebensgefährlich es für einen Finanzminister ist, das Großkapital zu einer stärkern Beteiligung an den allgemeinen Lasten heranzuholen. So tief sitzt der Haß der Geldsäcke gegen den ermordeten Erzberger, daß noch vor ein paar Tagen in der Scala der sonst so sanftmütige Herr Silverberg den Mut zu einer dummdreisten Schmähung des Toten gefunden hat, ohne daß übrigens einer der Herren Regierungsvertreter ein Wort der Verwahrung gefunden hätte. Das Finanzministerium ist also in Zeiten, wo es gilt, mit dem Großkapital anzubinden, ein zugiger Platz und grade dorthin hat die Partei Herrn Hilferding gestellt, einen bequemen Sybariten, der in einem frühern Leben einmal eine Leuchte der marxistischen Theorie gewesen ist. Wenn es den Sozialisten Hilferding nicht gäbe, so hätte er von einem Industriesyndikus erfunden werden müssen, denn er ist das ideale Objekt für die Drohungen und heuchlerischen Angstschreie der sogenannten Wirtschaftskapitäne. Gewiß geht es der deutschen Industrie zurzeit herzlich schlecht, aber wenn man betrachtet, was sie noch so nebenbei zu leisten vermag, dann kann man ruhig mit dem alten Isolani sagen: »Es ist noch lang nicht alles Gold gemünzt!« Solange die Wirtschaft noch Hitler und Seldte mit Subsidien füttern und ihre Heerscharen armieren und tapezieren kann, hat sie nicht die geringste Veranlassung, Notsignale zu senden. Wieviele Millionen mögen in diesen vaterländischen Unternehmungen investiert sein, deren Zweck ist, das Land nicht zur Ruhe kommen zu lassen und dem Mann auf der Straße das Gehirn nationalistisch zu vernebeln, damit er nicht merkt, daß sein Magen knurrt und wem er seinen Hunger verdankt. Und von Herrn Vögler, dem tönendsten Mundstück der notleidenden Schwerindustrie, gehen über die Alpine Montan goldene Fäden zur österreichischen Heimwehr. Ein durchaus erträgliches Elend, nicht wahr, das es sich leisten kann, in einem Nachbarstaat noch eine Bürgerkriegsarmee auf die Beine zu bringen! Es wäre nützlich gewesen, wenn Kanzler Müller weniger zimperlich gewesen wäre und auch dies Kapitel einmal berührt hätte. Vielleicht hätten ihm dann noch ein paar Volksparteiler mehr das Vertrauen verweigert, was kein erhebliches Unglück gewesen wäre, denn das ziemlich traurige Spiel um das Zustandekommen des Vertrauensvotums hat einleuchtend bewiesen, daß die Große Koalition weder zu einer ganzen noch zu einer halben Finanzreform jemals imstande sein wird. Auch bei der Beurteilung des Etats müssen die Meinungen hoffnungslos auseinanderplatzen. Wenn schon gespart werden soll, dann möge man bei Militär und Marine anfangen, anstatt deren weitere Hypertrophie auf Kosten des Sozialetats zu dulden. Es gibt noch manche andern Posten, wo gespart werden könnte. Der preußische Finanzminister hat zum Beispiel vor ein paar Tagen Klage geführt über die Entscheidungen des Reichsgerichts in den noch immer laufenden Fürstenprozessen, die den Staat bis zum Weißbluten zum Zahlen zwingen. (Der Sparsamkeitsapostel Schacht hat gegen die Fürstenfütterung niemals Einwände gehabt ...) Dann gibt es noch völlig zwecklose Verschwendungen wie die Millionen, die jetzt für die angeblichen deutschen Brüder aus Rußland verpulvert werden, woraus einzig für Cunos Hapag ein Bombengeschäft erwächst, was hier bald eingehender behandelt werden soll. Das sind nur ein paar Fälle, die beliebig vermehrt werden können. Finanzreform tut not, aber sie darf sich nicht allein auf Steuermacherei beschränken. Wenn Kanzler Müller es wirklich ernst meint, wird er um baldige Neuwahlen nicht herumkommen. Der gegenwärtige Reichstag ist zu einer volksfreundlichen, den Besitz erfassenden Reformarbeit nicht willens und selbst zu einer unpopulären, rein kapitalistischen Lösung, wie die letzten Tage erst augenscheinlich gemacht haben, technisch gar nicht fähig.

Die Weltbühne, 17. Dezember 1929


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