Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Traurige Hochzeit

Zentrum und Sozialdemokratie haben sich jetzt endlich gekriegt. Sie sind jetzt sozusagen legal getraut. Wenn sie bisher nicht zusammengekommen sind, so lag das weniger an den bösen Menschen, die ihnen das Glück nicht gönnten, als vielmehr an ihnen selbst. Sie wollten absolut nicht. Sie haben sich, von den Verbalinjurien abgesehen, gerauft und gebissen. Denn sie wollten nicht. Jetzt, wo sie sich wund und lahm geprügelt haben, und sich nicht mehr wehren können, lassen sie alles mit sich geschehen, und mit mäßiger Freude aller Erschienenen nur wird Beilager gefeiert. Die Braut hat ein verpflastertes Auge, der Bräutigam ist ramponiert und unlustig. Traurige Hochzeit.

Die Demokraten, die diese Ehe vornehmlich angestiftet haben, sind nicht nur um den Kuppelpelz betrogen, sondern dürfen noch dazu, durch Hergabe des Justizministeriums, einen Teil der Mitgift beisteuern. Leider muß in der Politik nur selten für eine Dummheit so prompt bezahlt werden.

Man kann sich nach dieser Vorgeschichte leicht den weitern Ablauf vorstellen. Nur die völlige Teilnahmslosigkeit der Öffentlichkeit sichert der Regierung der Großen Koalition eine Atempause von vielleicht einigen Monaten. Bereits im vorigen Sommer war alles Für und Wider so klar wie jetzt. Diese acht Monate waren ein Feldzug gegen die Nerven der politisch Interessierten, ein Feldzug mit Ermattungsstrategie, der für den demokratischen Parlamentarismus siegreich ausgegangen ist. Heute kümmert sich niemand mehr um den Reichstag.

Die Erledigung der Panzerkreuzerfrage ist keine. Der taktische Dreh, daß die sozialistischen Minister so stimmen dürfen und die Fraktion wieder andersrum und daß für keine Seite daraus Folgen erwachsen, ist ein Musterbeispiel für die alters berüchtigte deutsche Libertät und kommt einer Flucht in die Anarchie gleich. Eine klägliche Konstruktion, die alle Beteiligten blamiert und nur Minister Groener zum Herrn der Situation macht. Denn der Herr Kriegsminister mußte seinen Panzerkreuzer haben. Das hing über den republikanischen Parteien wie ein unabwendbares Fatum. Da war nichts zu machen. Zwar dachte man auch in den Mittelparteien über den Wert der neuen Flottenpläne nicht ganz so wichtig, wie man redete. Der Weg zur Koalition hätte über den Kriegsminister führen müssen, der sich weigerte, sein Bauprogramm zu kassieren oder wenigstens zurückzustellen. Um Herrn Groener nicht zu kränken, spielte man lieber Dauerkrise. Man riskierte Putschgefahr, Diktatur, Bürgerkrieg. Macht nichts. Herr Groener mußte seinen Kreuzer haben. Die Demokratie ist geschwächt, das Wehrministerium stark wie noch nie.

Wäre Herr Hermann Müller ein Führer und nicht ein übervorsichtiger Fraktionsonkel, der die Welt voll von Porzellanschränken sieht und nur die nicht, die er im Vorübergehen eindrückt – er hätte schon vor einem halben Jahr den Reichstag aufgelöst. Wenn auch die Sozialdemokratie in der Panzerkreuzeraffäre durch das erste eilfertige Ja ihrer Minister etwas kompromittiert war, so hatte sie im weitern Verlauf doch einen ganz gewaltigen Trumpf in der Hand. Das war die Unmöglichkeit der Mittelparteien, ihre jämmerlichen Parlamentskabalen in öffentlichen Versammlungen zu erklären. Wie hätten Scholz und Stegerwald dieses zwei Mal täglich wechselnde Quodlibet von Intrigen und Rankünen ihren Wählern erklären, wie hätten sie diese zahllosen boshaften Attentate gegen die Arbeitsfähigkeit des Reichstags rechtfertigen sollen–? Man rufe sich doch diese tausendfältigen Verwirrungen langer Monate ins Gedächtnis, die schließlich selbst nicht einmal mehr den Journalisten, den professionellen Kennern der Parlamentsatmosphäre, verständlich waren. Und damit hätten die bürgerlichen Parteien in den Wahlkampf gehen sollen? Die Sozialdemokratie, unter dem Einfluß ihrer Minister, hat von dem schwersten ihrer Druckmittel keinen Gebrauch gemacht.

Es war also schon ein fast revolutionärer Aufschwung, daß die Fraktion sich endlich mit Dreiundneunzig gegen Neunundzwanzig gegen die zweite Rate entschied. Die Demoblätter liegen schief, wenn sie darin ein sinnloses Querulantentum sehen. Es war ein Akt der Selbsterhaltung. Das erste Anzeichen, daß nicht die Absicht besteht, sich auf dem Altar des Ministerialismus mit Haut und Haaren verbrennen zu lassen.

Doch schon am nächsten Tage war die resistente Stimmung dahin. Man stritt lang und breit über die Abstriche am Heeresetat, und als man sich müde geredet hatte, da meinte eines der weisen Häupter: »Es ist schon am besten, wir überlassen das Hindenburg und Groener ...« Damit ging man erleichtert auseinander. Strengere Spardiktatoren wären wohl nicht zu finden gewesen.

Es gehört recht viel Phantasie dazu, diese Regierung stabil zu finden, wie das einige Zeitungen der Linken tun. Die Regierung wird stabil sein, so lange sie sich nicht bewegt. Ein Schritt aber nach rechts oder links und sie liegt. Der überaus gerissene Führer des Zentrums hat die Sachlage mit großer Deutlichkeit erkannt, indem er grade die unbeliebten Leute seiner Fraktion, die Querköpfe, die Störer, die Ehrgeizigen, die Herren von Guérard, Stegerwald und Wirth, zu Ministern machte. Jetzt hat Herr Kaas die Herrschaft allein. Niemand wird ihm mehr dreinreden. Die Männer, die ihm aus politischen oder persönlichen Gründen in die Quere kommen könnten, sind mit Auszeichnung abgeschoben. Sie sind buchstäblich matt gesetzt. Sie sind in der Regierung.

Die Weltbühne, 16. April 1929


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