Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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34.

Die Jahre kamen, und die Jahre gingen.

Rund um die Erde grünten Ackerbreiten, wenn die Zeit des Grünens war. Rund um die Erde fegten Winterstürme über starre Felderflächen, wenn die Zeit des Starrens war.

Und zwischen dem Grünen und dem Starren trugen die Ackerbreiten Frucht und ratterten die 278 Mähmaschinen, polterten die Dreschmaschinen. Und es war dafür gesorgt, daß im Herbst der letzte Dreschmaschinenpolterer sich mischte mit dem ersten feinen Saatgeräusche, das entsteht, wenn das ausgesäte Saatkorn mit der hochgereckten grünbehelmten Lanze eine Ackerkrume auf die Seite schiebt: ›Ich will zum Licht!‹

So griff im Ring des Lebens eins ins andere, und es war kein Absehen, daß das auf der Erde, die der Schöpfer in das Licht gehängt und deren Lenden er mit Wolken umgürtete, jemals anders werden würde.

Hier nicht und nicht drüben. Mochte zwischen hier und drüben der Atlantik noch so sehr lärmen und dröhnen.

Franz Lohmann befand sich auf der Fahrt in die Heimat. Aus dem Schiff ging 's auf die internationale Durchgangsstrecke. Von der internationalen auf die nationale Schnellzugsstrecke. Von da aus auf die Lokalbahn.

Allerlei Volk stieß da zu einem, das einen fragte, das man fragen konnte. Gewiß, man konnte allerlei erfragen, was sich während seines Zwischenaktes Amerika daheim zugetragen hatte, doch ein abgerundetes Bild zu einem geschlossenen Wo und Wie und Was ergab es noch lange nicht für einen, dem die Riesenmaße außerhalb der Heimat jetzt die heimatlich gebliebenen Hosentaschen zu zersprengen drohten.

279 Hosentaschen – nicht des Rockes Tasche, wo ein Rückwanderer das Dollarscheckbuch zu verwahren pflegte. Übermäßig war das Scheckbuch da drüben nicht angewachsen bei einem, der die mitgenommene Sauberkeit auch jenseits des Ozeans durchhielt und mit ihr zurückkam.

Ja, man erfragte so allerlei.

»Flamm?« war der eine Bauer im Bähnchen auf die Frage eingegangen. »Der is scho recht.«

»Flamm?« hatte die Botenfrau diese Auskunft unterwegs ergänzt. »Flamm – ja, die Frau is scho recht.«

»Flamm und Flamm?« hatte der Geschäftsreisende gelächelt. »Die Firma ist schon recht.«

»Flamm?« hatte der uralte Postamtssekretär am Schalter mit dem Plaudern angefangen. »Der tüchtigste von alle dene' Flammer, das is einer mit dem Namen Zipperer.«

»Flamm?« sagte das Spitalweiblein, das er auf der Alleebank im Sonnenschein sitzen sah. »Bei uns is auch eine eing'kauft word'n im Spital. Die Firma Flamm und Flamm hat 's Geld hergeb'n dafür. Die muß mal früher arg schön g'wesen sein, das Weiberts – dös kennt ma heut no. Heut könnt ma no verstehen, daß an dera Schönheit mehr als eine Flieg'n is pappen blieb'n.«

»Flamm?« sagte der Landarzt, der ihn eine Strecke Wegs begleitete. »Ich hatte selbst – es ist 280 noch gar nicht so lange her – einen von den Flamms ein wenig zu behandeln. Utz schrieb er sich mit seinem eigentlichen Namen. Und offiziell hatte ich ihn mit dementia pracox von der Landesirrenanstalt zugewiesen bekommen. Es wäre meine Pflicht gewesen, ihn einer andern Anstalt zuzuführen – aber den Flamms zuliebe – völlig harmlos – nein, mehr als das, wenn man ihn richtig nahm – – Sie brauchen ja weiter keinen Gebrauch davon zu machen: Ich wollte, daß der Durchschnitt hierzulande so sauber und so verständig dächte wie dieser Irre – –«

›Wenn man 's so zusammenzählt,‹ dachte Franz befriedigt, ›alles plus und plus. Man könnte wohl zufrieden sein mit diesem Gesamtbild. Nur, die Schatten fehlen in dem Bilde, damit es mit den Schatten auch mehr Glaubwürdigkeit und mehr Wärme und mehr Blut gewänne – –‹

»Flamm?« hatte er dann absichtlich noch einen angesprochen, der mit allen Anzeichen der Unzufriedenheit und des Ärgers aus der Richtung herkam, wo die Werkstätten Flamm und Flamm lagen.

»Flamm?« hatte der geantwortet. »Lassen Sie mich mit Flamm und Flamm in Ruhe. Eine nette Firma. Eine saubere Firma.«

Und wollte weitergehen. Franz Lohmann hielt ihn zurück.

»Halb ausgesprochener Zorn kann sehr gefährlich sein, guter Freund. Darf ich Sie bitten, da drüben 281 in der Gartenwirtschaft ein Glas Wein mit mir zu trinken? Ich komme aus den Staaten, besuche hierzulande ein paar alte Freunde und heiße Lohmann – –«

»Sehr angenehm,« verbeugte sich der andere. »Forschmann – Emanuel Forschmann, Generalvertreter der Stahlwerke Germania. Nehme gern an – müßte doch ein paar Stunden auf der Bahnstation warten. Dachte nämlich, von Flamm und Flamm einen netten Auftrag zu erhalten. Waren uns als Haus geschildert worden, dessen Bedeutung stetig wachse – wenn auch nicht im Tempo Ihres Landes, Herr Lohmann – –«

»So so – und es war nichts?«

»Aufdreherei natürlich. Hat eine Frau, von der er rühmend sagt, sie leiste für die Firma ungefähr das gleiche wie er selbst. Ist natürlich Unsinn.«

»Na und sonst?«

»Toll, sage ich Ihnen, einfach toll. Also zuerst – alles, was Sie hier hören, ist: Flamm und Flamm. Das ganze Nest hier nur: Flamm und Flamm. Ohne Flamm und Flamm könnten Sie die Ortschaft von der Karte löschen. Ich komme 'rein, ziehe höflich den Hut, steht ein Frauenzimmer da – ich halte sie natürlich für 'ne Art Empfangsdame: ›Gestatten, bin doch hier recht: Flamm und Flamm-Konzern?‹ – ›Flamm und Flamm stimmt, Konzern nicht.‹ sagt sie. In einem Ton – wissen Sie: Ausgedienter 282 General. ›Landmaschinen stellen Sie doch in Massen her und werfen sie auf den Markt,‹ sag ich wieder. – Sie: ›Herstellen ja – auf den Markt werfen, nein. Wir ziehen das Direktverhältnis zum Bauern vor. Wir liefern, was er braucht – die großen Lager ersparen wir uns.‹«

Forschmann sah Franz an, als wolle er sagen: Na, was meinen Sie zu dem Unsinn?

»Ich will's kurz machen und frage nach dem Einkäufer. Ist keiner da. Nach dem Verkaufschef. Auch keiner da. Frage, wer das macht. Herr Flamm, heißt es. Schön, dann möchte ich den sprechen. Ist nicht da, heißt es. Na, dann eben den andern Flamm. Sind doch zwei Flamms. Der zweite Flamm, sagt die Dame, sei Frau Flamm. Mir stieg schon langsam die Galle hoch. Es müsse doch ein Vertreter für Herrn Flamm da sein, der die Einkäufe besorge. Nein, wenn Herr Flamm nicht da sei, werde nichts eingekauft. Ich fing an, mir die Haare zu raufen. Wer denn nach Herrn Flamm käme. Der Prokurist, Herr Zipperer, sagte sie. Also wollte ich den sprechen. Das sei nicht möglich, der verhandele mit dem alten Ploderer. Wer das sei, wollte ich wissen. Ein Bauer! Was sagen Se dazu? Wegen eines Bauern lassen Se mich stehen – mich, den Generalvertreter der Germania-Stahlwerke! Haben Se so was schon erlebt? Wie ich noch so stehe, kommen auf einmal drei Kinder 'reingestürmt. 283 Auf das ältliche Mädchen zu, schreien: ›Mutter!‹ – Da ging mir ein Seifensieder auf. War das doch die Flammin selbst, was sagen Se dazu? Hab ich n' Pech? Na, was sagen Se dazu?«

»Was ich dazu sage?« lachte Franz. »Wir werden wieder in Deutschland.«

Der Generalvertreter sah ihn an, als habe er nicht verstanden.

»Wie meinen Sie das?«

»Wie ich es sage.«

»Na, da brat mir doch einer – wer sind Sie denn überhaupt, Herr?«

Über Franz Lohmann kam Bekennerfreudigkeit: »Ich bin einer, der ein Werk zugrunde gehen sah, das von den Ahnen her für die Ewigkeit gefügt schien. Zugrunde gehen an aufgeplustertem Getue, Aufwand, Leichtsinn, Generaldirektoren, Direktoren und Abteilungschefs und hundertfältigem anderen Schwindel: Die Zeit des Niedergangs. Ich bin einer, der das alles mit ansehen mußte, der sich dagegen stemmte und doch den Zusammenbruch nicht verhindern konnte.«

Er sah nach der Richtung, in der die Werkstätten Flamm und Flamm lagen.

»Ich muß weit zurückgehn in jener untergangsgeweihten Firma. Da treffe ich einen Lehrling, der unmerklich mitgezogen worden war von jener Zeit, der versucht hatte, ein Dreizehnpfennigmanko in der 284 Portokasse durch zwei fingierte Zeilen auszumerzen. Einen Lehrling, dem der alte Zipperer – jawohl, derselbe alte Zipperer, der für Sie keine Zeit hatte, weil er produktiv mit einem Bauern verhandelte – dem der alte Zipperer ein Licht aufsteckte – derselbe Zipperer, den die Zeit zwang, an einer Bilanzfrisur von zehntausend Mark mitzuwirken, und der das schwer büßen mußte, als er, davon ausgehend, Stück um Stück der geliebten Firma versinken sah. Auch da versinken sah, wo sie scheinbar stieg. Sehen Sie, Herr Forschmann, dieser Lehrling bin ich – oder nein –«

Seine Mienen wurden heller.

»Dieser Lehrling war ich. Jetzt bin ich ein anderer. Noch immer Lehrling zwar – ich war's auch drüben, werde es immer sein! – aber ein Lehrling, dem es Gott sei dank beschieden ist, zu erleben, daß eine Seitenwurzel jener Großfirma – – jener Großmannsfirma nicht verdorrte, sondern einen neuen Stamm ans Licht trieb. Einen bescheidenen zwar, aber einen sauberen, der wachsen wird und wachsen, ohne daß noch die Schmarotzer ihm heimlich die Kräfte absaugen. Ich muß Ihnen danken für Ihren Bericht, Herr Generalvertreter, der mir zeigte, wie es mit der neuen Zeit steht – – mit der Zeit des Wiederaufstiegs. Ich muß Ihnen danken, weil Sie es mich schon vorher erleben ließen, bevor ich meine alten Freunde wiedersah – und meine Mutter – –«

285 »Mutter?« brummte Forschmann verlegen.

»Ja, Mutter,« überstürzte sich Franz vergnügt. »Früher Putzfrau bei der alten Firma – jetzt ein Teil der neuen – jetzt die Freundin aller Flamms – des Herrn Flamm – der Frau Flamm –«

»– derselben, die mich hinausschmiß.«

»Und die mich mit offenen Armen empfangen wird,« lachte Franz Lohmann. »Wissen Sie was? Heute ist ein besonderer Tag, ein ganz besonderer, der Ihnen vielleicht auch ein kleines Licht aufgesteckt hat, das Sie weitergeben könnten – an die Germania-Stahlwerke. Aber vorher kommen Sie mit – wenn Sie mit mir im Empfangszimmer stehen, werden Sie – wetten wir? – nicht hinausgeschmissen. Sie bekommen sogar noch einen Auftrag in Kurbelstahl – –«

»Kurbelstahl?« wiederholte der andere nachdenklich. Er machte eine weitausholende Bewegung des Umdrehens und sagte, plötzlich seltsam bescheiden geworden: »Kurbel –? Ich danke Ihnen – ich komme mit.«

 


 


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