Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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23.

In der Patentabteilung von Utz und Lamprecht wurde wieder eine neue Idee des technischen Direktors ausgearbeitet. Einer von den jungen Ingenieuren schaute in einer Liste nach. Dann ging er strahlend im Büro umher und wisperte jedem dasselbe zu: »Nummer fünfzig.«

»Was – Nummer fünfzig?«

»Das fünfzigste Patent unseres Flamm.«

Der Vorgesetzte sah ihn verweisend an: »Erstens heißt es ›Herr Direktor Flamm‹, zweitens aber ist das ›Unser‹ ungehörig – und drittens ist es noch kein Patent, sondern soll erst eins werden.«

Der Untergebene lächelte. In seinem Innern 196 dachte er: Du kannst sagen, was du willst, es ist doch unser Flamm.

Und er hatte recht. Da war nicht einer in der großen Firma, der Max Flamm nicht liebte, nicht für ihn durchs Feuer gegangen wäre. Für Max Flamm, das große Kind, den Bescheidenen, den allzeit Hilfsbereiten. Für Max Flamm, der langsam älter wurde in der Firma. Für Max Flamm, gegen den sich nur eins hätte sagen lassen: Daß er Thilde Utz, die ihn als ein guter Engel treu und still umsorgte, der er vor – wie lange war's doch her? – vor gut zehn Jahren die Ehe versprochen – – daß er diesen treuesten Menschen, den er nächst seiner Mutter besaß, scheinbar ganz vergessen hatte.

Der Patentantrag kam zurück: Vor Erteilung erwarte man noch befriedigende Äußerungen wegen dieser und jener Punkte.

»Schikanen,« meinte die Jungmannschaft im Patentbüro der Firma. »So viel Einwendungen hat man noch gegen keinen Antrag unseres Flamm gemacht.«

Sie sagten das auch ihrem vergötterten Flamm. Der lächelte und prüfte und nickte: »Hat alles Hand und Fuß, was mir da entgegengehalten wird. Tja, meine Herren, man wird langsam alt.«

Lärmender Widerspruch. Briefe zwischen der Firma und dem Patentamt hin und her. Und steigende Gereiztheit. Ende: Wir bedauern, dem 197 nachgesuchten Patentanspruch nicht stattgeben zu können.

Im Büro tobte Empörung. Alles schielte zum Vorgesetzten hinüber: »Sie nehmen keine Stellung, Herr Dietrich?«

»Die hat Herr Direktor Flamm zu nehmen.« erwiderte der ruhig. »Wir haben ihm nur Stein um Stein zu seiner Stellungnahme herbeizutragen in getreuer Arbeit. Gehn Sie an die Ihre.«

Da schwiegen sie. Aber heimlich dachten sie: Stein um Stein? Wozu? Zu einem Flammschen Monument? Zu seiner Steinigung?

Zum erstenmal begannen sie zu schwanken. War sein Stern im Sinken? Sein Genie erschöpft? Seine Zeit vorbei? Würde jetzt die Zeit der Jungen kommen? Stand, ganz genau besehen, Max Flamm nicht seit Jahren ihrer eigenen Entwicklung im Wege?

Sie begannen sachte abzurücken. Sie arbeiteten seinen nächsten Patentanspruch nicht mehr so sorgfältig aus. Wozu die Arbeit, wenn das Patent doch nicht erteilt wurde?

Aber gerade dieses wurde ohne jede Schwierigkeit erteilt. Ja, was selten vorkam beim Patentamt: Es floß hohes Lob mit ein. Also doch noch nicht zu Ende? Vielleicht sogar ein neuer Aufstieg? Patente waren also Lotterien? Und der Mensch mit ihnen? Es war doch nicht so leicht, immer auf 198 das rechte Pferd zu setzen. Bei Pferden riskierte man allerdings nur einen kleinen Einsatz. Hier jedoch vielleicht die Existenz. Und blamierte sich noch obendrein.

Und das alles, weil man einem Manne namens Flamm die Treue halten wollte? Hm. War das Treue-Halten nicht so etwas wie ein Luxus, den man sich in diesen harten Zeiten nicht mehr erlauben konnte?

Man warf einen Blick durch das Mattglas in den andern Arbeitssaal, wo an seinem Pult der alte Zipperer und die noch immer junge Thilde Utz sich in die Arbeit teilten.

Und auf einmal wußte man, wie man sich zu verhalten hatte: Aufrichtig, unerschüttert, wie die beiden, die an Jahren über ein Menschenalter trennte. Und an Stetigkeit und Treue nicht eine Handbreit.

Und ohne die geringste Verabredung stand man mit den beiden in derselben Front zu Flamm und seinem Lebensweg, der – daran war nun doch kein Zweifel – in einem starken Knick und Winkel abgebogen war.

Abgebogen wohin? Das wußte noch niemand sicher.

Seine nächsten drei Patentansprüche wurden schroff abgewiesen. Bei einem vierten stellte es sich heraus, daß ein anderer schon vor ihm ganz genau dasselbe erfunden hatte.

199 Max Flamm, der auf diesem Gebiete alles zu verfolgen hatte, wunderte sich. Wie war es möglich, daß ihm das entging?

Bei einer nächsten Ausarbeitung kam eine ungewöhnlich rasche Antwort: Ob sich die Firma einen Scherz habe erlauben wollen? Das angemeldete Patent sei doch identisch mit Patent Nummer 347855, das der Firma vor neun Jahren erteilt worden sei.

Lange und kopfschüttelnd saß Max Flamm vor diesem Briefe. War's zu Ende?

Ein leichter Schatten fiel auf den Brief. Er sah auf.

»Du, Thilde? Weißt du, was sie schreiben?«

»Ich habe es gelesen, Max,« sagte sie freundlich.

»Und – was sagst du dazu?« kam es fast gebrochen von seinen Lippen.

»Du hast einen Zwischenakt zu überwinden, Max, der bei andern ihr ganzes Leben darstellt.«

»Und danach?« beharrte er.

»Danach – das ist eine Sorge für die Kleinen – die Großen kennen nur das Jetzt.«

»Du weichst mir aus. Thilde,« sagte er matt.

Sie hätte ihm entgegnen können: Du bist mir und meinem Glück zehn Jahre lang ausgewichen.

Sie versagte sich's. Es wäre ihr zu billig vorgekommen. Vorwürfe gegenüber einem, der an seinem Stern zu verzweifeln begann, waren ihrer stillen Frauenseele ungemäß.

200 Eine leise, aber tiefe Ahnung überkam sie von den Bitterkeiten eines Erfinderabends.

Auf unhörbaren Sohlen gingen ihre Frauenfüße von Pult zu Pult, von Mensch zu Mensch, von Einsicht zu Einsicht.

Es war nicht überall ein Nicken, das sie einkassieren durfte. Es war auch Spott darunter und Schadenfreude.

Die Tragik eines alternden Genies begann.

Nicht lange danach ging Flamm an einer Schreibmaschine vorüber und warf einen Blick auf das Papier:

»Wie? Erfinder gesucht? Wer hat Ihnen diesen Text diktiert, Fräulein?«

Das Fräulein faßte sich schnell.

»Der Direktor der Unionsbank, der beauftragt war, für eine befreundete Fabrik von Bergwerksmaschinen eine Kraft zu suchen,« log es. Log so geschickt und ehern, daß Max Flamm sich täuschen ließ. Und es wäre vielleicht noch lange so weitergegangen, wenn nicht – –

Wenn nicht eine höhere Macht in diesem Augenblick entschieden hätte: Genug.

Wenn nicht im Auftrage dieser höheren Macht gerade der alte Utz dahergekommen wäre, der alte irre Utz, der immer noch durch die Räume der Fabrik streifte.

Wenn ihm dieser Irre nicht freundlich unter den Arm gegriffen und gesagt hätte: »Komm!« Wenn 201 nicht von der andern Seite her des Irren Tochter gekommen wäre, um, wie sie meinte, ein Unglück zu verhüten.

Der Irre nahm auch ihre Hand und sagte nichts als: »Komm!«

Und friedsam wanderte das seltsame Dreigespann über den Fabrikhof, wanderte durch das Tor auf das freie Feld hinaus, wo ein Bauer pflügte. Auf diesen pflügenden Bauern wies der Irre, der auf einmal einen hellgesichtigen Satz zu formen vermochte: »Den kenne ich, dessen Vater hat gestern noch gepflügt. Aus. Heute pflügt er selbst. Morgen wird sein Sohn pflügen. Aus. Wer von den dreien willst du sein, Flamm? Weißt es selbst nicht, gelt? Ist auch gleich. Aus ist's gestern, heute und morgen. Warum willst du dich sperren, Max?«

»Ich?« konnte Max Flamm nach einer Pause endlich stammeln. »Ich – ich will mich nicht mehr sperren, Vater Utz.«

»So ist's richtig. Schau dich um, Max – es bleibt dir ja noch allerlei. Komm, sag du 's ihm, Thilde, wenn er mir 's nicht glauben will.«

»Max« wiederholte Thilde Utz seltsam feierlich und folgsam. »Es – es bleibt dir noch allerlei – –«

Er sah sie starr an. Allmählich wich die Starre aus seinem Blick. Wärme kam hinein und ein Leuchten.

202 »Ja – du,« kam es erkenntnisschwer von seinen Lippen. »Du bleibst mir, Thilde –«

»Und uns beiden, Max, eine Arbeit, die der Mühe wert sein wird,« sagte sie und legte ihre Hand in die seine.

 


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