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2.

Utz machte seinen täglichen Rundgang durch die Fabrik, wie er es seit Jahrzehnten mit absoluter Pünktlichkeit tat. Wenn er auftauchte, griffen die Werkführer der einzelnen Abteilungen in die Westentasche und stellten ihre Uhren ein.

Durch das große Lager der Einzelteile schritt er, aus denen die Mähmaschinen, die Heuwender, die Heuzauser, die Sämaschinen, die Pflüge, die Dreschmaschinen zusammengesetzt wurden.

Blieb stehen vor dem alten Werkmeister.

»'n Morgen, Stockmann. Läuft's?«

»Es läuft, Herr Utz!«

»Die Statistik, bitte!«

Sein Erfinderauge glitt über das dargereichte Blatt. Hob sich dann und blieb an dem Werkmeister haften.

»Regulärer Ablauf aller Teile, nicht wahr?«

»Bis auf die Dreschmaschinenteile, Herr Utz – – da geht's mächtig zurück!«

Falten zerrissen Utzens Stirn.

»Es darf nicht zurückgehen, Stockmann!«

»Die Bauern würden gern kaufen – – aber sie verlangen die Garantie, daß die Maschine nicht mehr torkelt.«

Utzens Faust hieb aus den Tisch des Werkmeisters.

»Zum Donnerwetter, warum torkelt das Luder.«

18 Das weißumbuschte Werkmeisterauge sah den Chef fest an.

»Herr Utz, das wissen Sie am besten.«

Der Blick Utzens bekam etwas Zerquältes.

»Natürlich weiß ich es. Und – – ich werde dafür sorgen, daß es anders wird, Stockmann – – verlassen Sie sich darauf!^

»Wir verlassen uns alle darauf, Herr Utz,« sagte der Werkmeister zuversichtlich.

Utz schritt weiter. Betrat die Gießerei. Ging langsam an den aufgezogenen Feuerlöchern der Öfen vorbei, aus denen dünne Rauchsäulen senkrecht in die Luft stiegen.

Mitten in der Gießhalle türmte sich der große Hügel Formsand und hemmte seinen Schritt. Mechanisch blieb er stehen. Mechanisch sagte er, wie er es tausendmal gesagt hatte:

»'n Morgen, Flamm! Läuft's?«

Der junge Ingenieur verneigte sich etwas.

»Es läuft, Herr Utz – –« Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als wolle er noch etwas hinzufügen. Aber er schwieg, als er sah, daß Utz auf einmal mit dem Stock, den er trug, im Sande zu zeichnen begann. Linie fügte sich an Linie. Ein Gebilde grub sich in den Sand, wuchs, wurde deutlich sichtbar.

Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte der Blick des jungen Ingenieurs den zeichnenden Stock.

19 Plötzlich stockte Utz. Sein Gesicht bekam wieder jenen seltsam zerquälten Zug, der es um Jahre älter machte. Ein unbewußtes Stöhnen rang sich durch zusammengepreßte Lippen. Der Stock fuhr wirr durch den Sand und zerstörte die Zeichnung. Zu spät fiel ihm Flamm in den Arm.

»Warum ließen Sie 's nicht, Herr Utz – – ich hätte es gern nachgezeichnet.«

Utz winkte ärgerlich ab.

»Unsinn! Wertloses Zeug! Von vorn anfangen!«

Abermals begann der Stock sein Spiel im Sande. Langsamer diesmal, sorgfältiger. Linien kreuzten sich, flossen ineinander, zielten auf ein Zentrum, zögerten, brachen ab, krochen zagend weiter, wurden wieder fester.

Ingenieur Flamm folgte aufmerksam.

»Dreschmaschine, letztes Modell!« kommentierte er lächelnd.

Utz sah auf. Um seine Mundwinkel erschien ein sarkastischer Zug.

»Glaubte schon, Sie hielten 's für 'ne Mähmaschine!«

Weiter arbeitete der Stock.

»Siebkasten,« begleitete Flamm die Linien. »So steht er fest – – unverrückbar.«

Utz nickte. »Weiß schon – – kann sich nicht bewegen. Weiter im Text und aufgepaßt, junger Mann.«

20 Neue Linien, neue Schnitte, neue Kreise.

»Abreuter,« entfuhr es Flamm jäh, und seine Stimme klang plötzlich erregt. »Das ist er, Herr Utz – – wenn wir ihn so packen, rührt er sich nicht!«

»Richtig!« hob sich die zerfurchte Stirn des Erfinders. »Jedes für sich steht fest. Wie aber verbinden wir beides miteinander, Flamm?«

»Beides miteinander – –« sann Flamm angestrengt. »Beides miteinander – –«

Utz lachte heiser. Höhnisch klang das Lachen.

»Dachte mir's – – da können Sie auch nicht weiter – – wie ich und alle andern.«

Flamms Blicke hingen an dem Linienwirrwarr im Sande.

»Da beide Teile feststehen,« meinte er grübelnd, »muß es die Dreschmaschine selbst sein, die torkelt.«

»Brav, junger Mann, jetzt sind wir gleich auf gleich. Sieben Jahre hänge ich an dieser Frage: Wie zwing ich trotzdem die Maschine, stabil zu arbeiten? Ich komme nicht vom Fleck. Das Rätsel frißt mich auf, Flamm, hat mich aufgefressen – – mit Haut und Haaren und meinem bißchen Verstand hat es mich aufgesogen – – und nun stehe ich da: Gibt es eine Lösung oder gibt es keine? Heraus damit, wenn Sie 's wissen!«

Er verstummte. Schräg von unten sah er forschend in Flamms Gesicht.

21 Das hatte sich verändert. Ein Zug von Besessenheit wühlte darin. Die Lippen fest zusammengepreßt, starrte Flamm auf die Linien, bekam den Blick nicht los davon. Förmlich hinein bohrte er sich in das Gewirr da zu seinen Füßen.

In Utzens Augen schoß eine Lohe. Aufzuckende Freude ließ das quälerische Grübeln von der Stirn versinken. Wie zwei stumpfgewordene Löwenpranken hieb er dem jungen Ingenieur seine Hände auf die Schulter:

»Mensch, Flamm, es hat Sie gepackt. Es hat Sie in seinen Klauen und läßt Sie nicht mehr los – – wie es mich nicht losließ. Sie sind mein Mann, Flamm.«

Der sah ihn fern an.

»Ihr Mann?«

Utz lachte auf.

»Was sage ich – – mein Mann? Der Mann der Maschine sind Sie, Flamm. Die Maschine hat Sie – – hüten Sie sich, Flamm – – es ist ein grausames Frauenzimmer. Es saugt Sie aus, es nimmt Ihnen alles, was Sie in sich tragen.«

Flamm antwortete nicht. Mit Utz zusammen sah er in den Sand. Utzens Stirne war leer. Auf Flamms Stirne arbeitete es schwer – – 22

 


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