Fritz Müller-Partenkirchen
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22.

Es tut selten gut, wenn der Lehrling in der Lehrzeitfirma angestellt bleibt. Für die Firma nicht und für den Angestellten nicht. Auch die Kunden sagen: »Den? Den kennen wir ja noch aus der Zeit, als er die Portokasse unter sich hatte,« – und erwarten nichts von ihm.

Franz Lohmann war doch geblieben. Er hatte sich hinaufgehantelt. Es hatte sich herausgestellt, daß er mit den Banken gut verhandeln konnte. Er war mit bemerkenswert schneller Auffassungsgabe in das geheimnisvolle Räderwerk des Bankbetriebes eingedrungen.

Noch ein anderes Talent glaubte Thilde Utz in ihm entdeckt zu haben.

»Schickt ihn auf die Reise,« riet sie. »Franz Lohmann hat, glaube ich, das Zeug zu einer Verkaufskanone.«

Bei zwei, drei Sachen, die sich brieflich schon zerschlagen hatten, wurde ein Versuch gemacht. »Verderben kann er nichts mehr,« hieß es. »Hier ist das Reisegeld.«

Und als er zögerte: »Na, warum verschwinden Sie nicht? Woran fehlt's noch?«

Da sah der kleine Franz Lohmann keck auf: »Welchen Provisionssatz bekomme ich, wenn ich die Kiste schmeiße?«

Er »schmiß« sie wirklich. Er bekam die Provision. 191 Er bekam noch viele solcher Provisionen. Bei den Großgeschäften, wenn sie auf des Messers Schneide standen, hieß es von nun ab: »Heraus mit unserer Verkaufskanone. Franz Lohmann an die Front.«

Die Zeit der Genossenschaften war angebrochen. Die Genossenschaften wurden groß – – die Zeit blieb klein. Überall in der Politik war die Parole »Links!« durchgebrochen. Fast lückenlos war die vielgliedrige Front der Konsumgenossenschaften von den sozialdemokratischen Arbeiterführern erobert worden. Jetzt schickten sie sich an, den Angriff in die Produktionsgenossenschaften hineinzutragen.

Kaum, daß sie Widerstände fanden. Da wagte man den Einbruch auch ins flache Land. Der Bauer hatte den Linksern bisher immer als nicht zu eroberndes Bollwerk gegolten. Jetzt erwies es sich: Auf dem Umweg über die Genossenschaften war er es nicht mehr.

»Lohmann, betonen Sie: Sie sind der Sohn eines Arbeiters. Fühlen Sie bei den Herren an der Spitze vorsichtig vor, woran es liegt, daß die Verkaufsverhandlungen nicht vorwärtsgehen wollen,« sagte man Franz Lohmann.

»Es werden Angebote der Konkurrenz vorliegen,« sagte er mit der Miene des Wissenden.

»Wir haben jeden Preis unterboten. Daran kann's also nicht liegen.«

»Auf der Gegenseite könnten Verbesserungen, neue Patente vorliegen.«

192 »Zum Donnerwetter, Lohmann, Sie reden daher, als hätten wir keinen Max Flamm. Hat der nicht vier Fünftel aller Landmaschinenerfindungen der letzten zehn Jahre auf sein Konto zu buchen? Und steht er nicht gerade jetzt auf der Höhe?«

»Dann bleibt nur eins noch – –« meinte Franz sinnend.

»Daß man auf der andern Seite ein bißchen künstlich nachhilft?« lächelte der Verkaufsdirektor. »Wird schon so sein. Wir werden uns anpassen, Lohmann.«

»Also schmieren?«

»Nach Bedarf und nach den neuesten Methoden. Sie haben volle Freiheit. Die Hauptsache, der feste Auftrag kommt herein. Es handelt sich um hunderttausend Mark, Lohmann. Telegraphieren Sie uns über den Erfolg.«

Franz brachte den Auftrag auf die doppelte Anzahl Mähmaschinen.

»Großartig gemacht. Aber warum haben Sie nicht telegraphiert?«

Franz Lohmann senkte den Kopf.

»Eine Schande kommt auch so früh genug.«

»Schande? Wie teuer war sie denn, die Schande?«

Franz wies auf den Zettel.

»Wie? Nicht mehr? Wir haben auf bedeutend mehr gerechnet. Ihre Freunde sind noch Anfänger,« lächelte der Verkaufsdirektor. »Und – –«

193 »Und?«

»– – und Sie selbst, Lohmann?«

Franz wurde blutrot.

»Ich muß doch sehr bitten, Herr Direktor.«

»Schon gut. In diesen gleitenden Dingen gilt der Grundsatz: Wer beleidigt tut, rutscht aus. Sie werden da noch allerlei erleben. Verkaufen Sie nur weiter – –«

»Ich stelle fest: Ich tue nicht beleidigt, sondern –«

Der Direktor schob ihn bei den Schultern zur Tür.

»Alles in Ordnung, lieber Lohmann. Bringen Sie uns weiter solche Auftragszettel. Sie sind schon heute unsere erste Verkaufskanone. Vergessen Sie nur nie: Schmieren lohnt sich.«

Er hatte recht. Es lohnte sich. Franz brachte Großauftrag um Großauftrag.

Er wartete auf einen, der sich nicht »schmieren« ließ. Er wartete vergeblich. Schmieren war so handelsüblich geworden, daß man kaum noch ein Wort darüber verlor. Die meisten Angestellten der Bestellerfirmen sagten es ganz offen, welchen »Zwischenbetrag« sie der »Erwägung anheimgäben.«

Höchstens, daß sie beschönigend hinzufügten: »Ich nehme an, Sie kalkulieren den Betrag mit ein.«

Miteinkalkulierte Unehrlichkeit. Alles war berechenbar geworden, auch das Unrecht.

194 Andere wieder gaben alle Vorzüge des Angebots anerkennend zu, nur »gewisse Schwierigkeiten« seien noch zu überwinden. Dabei öffnete sich wie von selbst die Hand.

Und wo es ganz zähe ging, war er beauftragt, leichthin einzuschalten: »Und welche Summe darf ich für Sie selbst einsetzen?«

Dazu kamen noch einige andere Annehmlichkeiten: Zimmerflucht in ersten Hotels, umfangreiche Zechen, Champagner – – kam alles, was mit einem Augenzwinkern durch ein Heer »verstehender« dienstbereiter Geister herbeizuschaffen war.

Franz hatte mit dem Verkaufsdirektor eine Wette abgeschlossen: »Einen oder zwei finde ich doch im Jahr, die nicht mittun.«

Nach Weihnachten warf der Verkaufsdirektor hin: »Geben Sie die Wette jetzt verloren?«

»Ich habe zwei Herren von der Zentralgenossenschaft auf heute abend in die ›Vier Jahreszeiten‹ zur Schlußabrechnung bestellt.«

»Ich werde ja dann dabei sein und die verlorene Wette gleich bei Ihnen einkassieren,« lachte der Direktor.

Franz sagte nichts.

Im »Goldenen Zimmer« der »Vier Jahreszeiten« war ein wunderbares Abendessen aufgefahren. Die beiden Herren der Zentralgenossenschaft lehnten dankend, aber sehr entschieden ab.

195 »Wir sind Arbeiter,« sagte der eine. »Unsere Väter waren Arbeiter – – und unsere Kinder werden auch Arbeiter sein. Die unterschriebenen Auftragsformulare haben wir vor einer halben Stunde direkt an Ihre Firma geschickt.«

Beide setzten sich in eine Ecke, langten in die Tasche, holten Butterbrote daraus hervor und begannen zu essen.

Und Franz setzte sich zu ihnen, war gutgelaunt, lachte, als freue ihn das Leben wieder – –

Nicht nur der gewonnenen Wette wegen – –

 


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