Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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3.

Frau Flamm schaute sorgenvoll vom schlichten Abendbrot auf und sah zu ihrem Sohn hinüber.

»Was ist mit dir, Max?«

Er hob kaum den Kopf.

»Nichts, Mutter, gar nichts.«

»Einer Mutter mußt du das nicht sagen, Max.« lächelte sie. »Hat's in der Firma was gegeben?«

»Was es immer gibt. Die Konkurrenz kommt immer mehr nach vorn. Utz und Lamprecht marschierten zu lange an der Spitze. Überall Wettbewerb bis aufs Messer. Da braucht man Geld. Der neue Bankkredit macht, wie gemunkelt wird, Schwierigkeiten. Die Firma braucht ihn aber – – muß ihn haben, bis die Versuche abgeschlossen sind.«

»Versuche?«

»Auf dem Weg zur stabilen Dreschmaschine. Wenn wir sie haben, sind wir wieder die Ersten. So lang ich denken kann, ist Utz dahinter her.«

»Du auch, Max – –«

»Heute hab ich keine Wahl mehr, Mutter – – mir geht's, wie es Utz ergangen ist.«

»Utz hat den Verstand darüber verloren.«

»Ein Grund mehr, daß andere das Erbe übernehmen.«

»Und wenn du – – wenn du auch – –«

»Es hat keinen Zweck, Mutter, darüber nachzudenken. Wenn man keine Wahl hat, ist es müßig, 23 viel Worte zu machen. Ich muß den Fehler finden, und ich werde ihn finden.«

Die Flurglocke läutete. Frau Flamm erhob sich, um zu öffnen. Thilde Utz, Max Flamms Verlobte, kam herein, schüttelte ihrer künftigen Schwiegermutter vergnügt die Hand, stürmte ins Wohnzimmer und begrüßte Max mit jener sorglosen Heiterkeit, die ihr eigen war.

Und begann zu reden von den hundert Dingen, mit denen sie sich ständig beschäftigte. Davon, daß sie im Fürsorgeverein einen Vortrag halten werde, daß man ihr im Liebhabertheater eine große Rolle übertragen habe, daß sie einen Komponisten kennenlernte, der Förderung verdiene – –

Alles, was sie bewegte und erfüllte, faßte sie zu einem begeistert hinausgeschleuderten Huttenzitat zusammen:

»Es ist eine Lust zu leben, Kinder!«

Sohn und Mutter hatten denselben Gedanken: Und dein Vater?

Thilde Utz mochte das Unausgesprochene fühlen. Eine rasche Wolke flog über ihre helle Stirn: »Freilich – – wenn ich an den Vater denke – – Denkt euch, der Arzt ist endlich mit der Wahrheit herausgerückt. Schrecklich ist sie: Hoffnungslos! Und das nur, weil er sein ganzes Leben lang einem Phantom nachjagte, einem Hirngespinst – –«

»Hirngespinst?« unterbrach sie Max Flamm und 24 sah sie ernst an. »Weißt du, Thilde, daß ich demselben Hirngespinst nachjage?«

Sie lachte leichthin.

»Es bleibt dir anstandshalber nichts anderes übrig.«

»Du irrst dich ein wenig, Thilde: Die Arbeit deines Vaters ist das Fundament der Firma. Mit ihr steht und fällt sie.«

Sie winkte ab.

»Das sind so die Sätze, die man für die Angestellten zurechtdrechselt, um sie anzuspornen. In Wirklichkeit kommt's gar nicht so sehr darauf an.«

»Es kommt so sehr darauf an, daß das Ziel in einem Jahr erreicht sein muß, sonst – –«

»Sonst?«

»Sonst haben Utz und Lamprecht aufgehört zu existieren.«

»Schwarzseher. Da wollen wir nur schnell Hochzeit machen, bevor 's zu spät ist,« versuchte sie mit einem Scherz den Ernst der Lage wegzuwischen.

Max Flamm sah an ihr vorbei, als er nach einer kurzen Pause sagte: »Ich wollte dich bitten, Thilde, unsere Hochzeit etwas zu verschieben.«

»Grund?« zwang sie sich zu einem Ton nervöser Sachlichkeit.

»Die stabile Dreschmaschine,« ging er auf diesen Ton ein.

25 Frau Flamm bemühte sich, der plötzlich auftauchenden Spannung die Schärfe zu nehmen: »Kinder, Kinder, da komm ich nicht mehr mit! Früher war er es, der drängte – – war sie es, die um Aufschub bat. Aus Gründen aller Art, ausgenommen natürlich eine Dreschmaschine.«

Thilde Utz stand vor ihrem Verlobten und blickte ihn aus zornigen Augen an.

»Erst also die Dreschmaschine – und dann ich, nicht wahr?«

Max Flamm stand nun ebenfalls auf.

»Es geht nicht anders, Thilde – – du mußt das verstehen.« Er wollte ihre Hand fassen. Sie entriß sie ihm mit einem Ruck.

»Ich verstehe nichts – – ich will nichts verstehen. Ich höre nur, daß ein lebloses Ding, eine fixe Idee dir wichtiger ist als ich,« rief sie erbost. »Entweder du läßt das oder ich – –«

»Ich kann nicht anders, Thilde.«

»Nun, dann kann ich es. Ich gebe dir dein Wort zurück. Für eine Ehe, die mir schon am Anfang meinen Platz hinter der Maschine zuweist, danke ich.«

Sie drehte sich hastig um und verließ das Zimmer. Dröhnend fiel die Tür hinter ihr ins Schloß.

Schweigen lag zwischen Mutter und Sohn. Bis Frau Flamm sich ihm näherte. Ihr Gesicht war blaß geworden.

26 »Max, du setzt deine Zukunft aufs Spiel und – – und – –«

»Laß mich den Satz vollenden, Mutter!« unterbrach er sie. »Ich setze meine Zukunft aufs Spiel und werfe alles über Bord, was mir unverdient in den Schoß fiel, nicht wahr? Das Glück, als Schlosserlehrling in einer bekannten Firma unterzukommen, nachdem des Vaters Tod etwas anderes unmöglich machte – – den Aufstieg in dieser Firma – – die unverdiente Neigung der Tochter des Chefs – – alles über Bord – – einer fixen Idee wegen.«

Sie wich seinem bitteren Blick nicht aus.

»Ist es nicht so, Max?«

»Die fixen Ideen waren es, Mutter, die die Welt voranbrachten. Und es ist Thildes Vater, dessen Lebenswerk ich retten will.«

Wieder schrillte die Glocke draußen. Aufatmend eilte Frau Flamm hinaus. Sie glaubte, Thilde kehre zurück, ihre Heftigkeit bereuend, bereit, sich zu versöhnen. Es war nur Georg, ein Freund Max Flamms schon von der Schulzeit her.

Georg Kallhardt schüttelte dem Freunde, der sich seinem Reißbrett zugewandt hatte, die Hand.

»Was war denn los mit deiner Braut?« fragte er lachend. »Sie rannte an mir vorbei, als hetze ein Gespenst sie vorwärts. Kleiner Streit, was? Vorgeplänkel unvermeidlich kommender Ehegefechte. Salz der Ehe, mein Lieber.«

27 Max antwortete nicht. Frau Flamm erzählte dem Freunde ihres Sohnes, was es gegeben hatte. Der schüttelte den Kopf.

»Bitter,« meinte er. »Ich ließe mir das an ihrer Stelle auch nicht bieten.« Er trat hinter Max, der über sein Reißbrett gebeugt stand und schlug ihm auf die Schulter. Max richtete sich unwillig hoch.

Georg Kallhardt lachte schallend auf.

»O weh, das Gesicht. Zum Fürchten. Wenn ich ein Weib wäre, würde ich auch davonlaufen. Glücklicherweise bin ich ein Mann, der sich nicht ins Bockshorn jagen läßt. Und Männer streiten sich nicht über jede Kleinigkeit, was?«

»Zum Beispiel?« warf Max Flamm hin.

»Was uns seit der Schulzeit verbindet, ist doch stärker.«

»Meinst du die Sozialbewegung?«

»Freilich. Ist doch eine Sie, nicht? Allerdings mehr Göttin als Frauenzimmer. Frauenzimmer haben – entschuldigen Sie, Frau Flamm, Anwesende sind natürlich ausgeschlossen, – immer Launen, denen wir uns unterwerfen sollen.«

Max Flamm legte die Reißschiene hin.

»Mir kommt es manchmal so vor, als sei die Gewerkschaft, der wir beide dienen, auch nicht ganz frei von Launen, Schorsch.«

Plötzlich blitzte so etwas wie Mißtrauen in des andern Augen auf.

28 »Willst du damit sagen, daß die Millionen, deren Lage zu verbessern der Sinn meines Lebens ist – –«

»Der Sinn deines Lebens ist mehr als das,« unterbrach ihn Max, »er umfaßt höhere Aufgaben als die Rechte und Pflichten eines Parteisekretärs.«

»Nämlich?« fuhr Georg Kallhardt auf, und seine Stimme klang gereizt.

»Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Was weiß ich denn selbst vom Sinn meines Lebens über die Kümmerlichkeit einer bezahlten Arbeit hinaus.«

Georg Kallhardt reckte die Schultern.

»Nun, ich diene keiner Kümmerlichkeit in der Sozialbewegung. Und wenn deine eigene lebendige Teilnahme an unserer Arbeit keine Lüge war – –«

Er hielt inne. Hielt den linken Arm, im Eifer des Sprechens erhoben, still, als trüge er einen Schild und sei auf einen jähen Gegenhieb gefaßt. Und wunderte sich, daß er nicht kam. Sah den Freund an, der ihm den Rücken zuwandte, sich über das Reißbrett gebeugt hatte und zeichnete, als sei niemand sonst im Zimmer. Das brachte den Eifrigen aus der Fassung. Mit einer beinahe hilflosen Bewegung drehte er sich um und blickte Frau Flamm an. Sie winkte ihm zu. Er ging zu ihr in die Zimmerecke.

Flüsternd erzählte sie von der Dreschmaschine, vom wirrgewordenen Herrn Utz und von ihrer Sorge um die Zukunft.

29 »Jetzt hat's ihn auch gepackt!« seufzte sie leise. »Alles andere versinkt um ihn – – die Braut – – die Mutter – – der Freund auch – –«

Georg Kallhardt hob beschwichtigend die Hand.

»So schnell geht eine Freundschaft nicht in die Brüche, Frau Flamm. Allerdings, über das, was mir als das Höchste gilt, darf er nichts sagen – –«

Sie unterbrach ihn mütterlich: »Können denn Parteien wirklich als Höchstes gelten?«

»Das verstehen Frauen nicht, Frau Flamm.«

»Meinen Sie damit die Parteien oder meinen Sie das Höchste?«

»Beides.«

Sie erwiderte nichts. Sie lächelte nur. Und dachte: ›Im Höchsten irrt er. Sind nicht Kinder auch ein Höchstes? Und Kinder sind doch Frauensache, ob sie nun geraten oder ob sie nicht geraten. Und es gibt so viele Arten Kinder, als es Kinder selbst gibt. Ist nicht die Erfindung, der er nachjagt, auch ein Kind? Bei dem alten Utz ist's mißraten – – gebe Gott, daß es bei ihm gerate – –‹

Dann nahm sie die singende Teekanne. Aus drei Tassen wallten senkrechte Dampfwolken zur Zimmerdecke hinauf. Teilten sich dort und wurden breite Pinienkronen, deren Zweiggeflecht sich friedlich ineinanderschlang.

»Max, der Tee steht auf dem Tisch.«

Er hörte nicht. Er kämpfte. Vor ihm stand das 30 Ungetüm der Dreschmaschine, grinste ihn hohnlachend an, als wolle es sich lustig machen über ihn.

»Max!«

Er fuhr zusammen. Sprang auf und kam zum Tisch. Machte, noch völlig benommen, eine fahrige Bewegung mit der rechten Hand – –

Klirrend fiel eine Tasse zu Boden.

Frau Flamm stieß einen leisen Schrei aus.

»Max, die Tasse deines Vaters!«

Max lachte verlegen.

»Scherben bedeuten Glück, Mutter.«

»Manchmal,« lachte auch Georg Kallhardt. »Übrigens – – ich muß gehen. Servus, Max. Und vergiß nicht – – du wolltest die Amerikaner um die Statuten ihrer Trade-Union für unsere Gewerkschaft bitten.«

 


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