Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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28.

Franz hatte neben dem Generaldirektor einen kleinen Raum bekommen. Beide hatten einen Pakt geschlossen.

»Ich, der Generaldirektor, bleibe nach außen, was ich war, der Kommandant! Das breitgeschweifte L meines Namenszuges wird erst Wirksamkeit erlangen, wenn ein anderes, ein ganz kleines, ganz bescheidenes L links unten in der Ecke steht.«

So konnte es geschehen, daß im »Allerheiligsten« ein Vertrag bis auf die Unterschrift gedieh. Daß ihn Richard Lamprecht nur noch oberflächlich überlas und ihn unterm Lesen wie von ungefähr durch ein 232 kleines Wandfenster neben seinem Schreibtisch in den Nebenraum gleiten ließ.

»Aha, Sie lassen's registrieren, Herr Generaldirektor?« lächelte der Besucher siegesfroh. Das Gespräch floß in ruhigen Bahnen weiter. Nach einer Weile – der Besucher hatte sich einen Augenblick abgewendet – geschah es dann, daß er ein leises Rascheln zu hören meinte. Und wenn er dann aufstand: »Darf ich um das Duplikat bitten, Herr Generaldirektor?« – sah er, daß Richard Lamprecht unter das Blatt, das vor ihm lag, noch immer nicht seinen Namen mit dem weitgeschwungenen L gesetzt hatte.

Auch die linke Ecke war leer.

Lamprecht raffte sich auf.

»Tja, verehrter Herr Kulenkamp, es tut mir leid – es geht doch nicht.«

»Was heißt – geht nicht?« fuhr der Besucher auf.

Das mit dem Vertrag gehe nicht, meinte Lamprecht.

»Aber erlauben Sie, der Vertrag ist doch unterschrieben.«

»Von Ihnen. Noch nicht von mir. Ich habe es mir anders überlegt. Wir kommen nicht auf unsere Rechnung.«

Der Besucher wütete. Der Generaldirektor hob immer wieder langsam seine Schultern und ließ sie 233 jäh zurückfallen, indem er unaufhörlich in die leere untere linke Ecke des Papiers starrte.

Fluchend ging der Besucher endlich.

»Unerhört. Mich zu binden und sich dann selbst zurückzuziehen. Na, das kommt Sie teuer zu stehen, mein Lieber.«

War er allein, sprang Lamprecht auf und schritt mit ähnlichen Gefühlen auf die Tür zu, die ins Nebenzimmer führte. Vor der Tür aber blieb er stehen. Drucklos glitt die Hand von der kühlen Klinke ab.

Bis sich das kleine Wandfenster öffnete und das Gesicht Franz Lohmanns sichtbar wurde.

»Es tut mir leid, Herr Generaldirektor, aber es ging nicht. Der Paragraph sieben hätte eine Fußangel für die Firma werden können. Seien Sie nicht ungehalten. Es war meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen.«

Und ruhig ging Lamprecht wieder an seine Arbeit zurück.

Es war kein Zweifel: Mit Utz und Lamprecht ging es wieder aufwärts. Erst ganz langsam. Zuviele notdürftig überbrückte Hohlräume waren auszufüllen.

Dann aber nicht mehr ganz so langsam – dann immer schneller und schneller.

Der Tag schien nicht mehr fern zu sein, wo die Firma wieder die alte überragende Stellung erklommen haben würde.

234 Der Takt zu diesem neuen Rhythmus, ward getuschelt, gehe von einer geheimnisvollen Stelle aus. Ein kleines, winziges L stehe dahinter.

Alle wußten, was dieses L zu bedeuten hatte. Keiner sprach es aus.

Auch der Aktienkurs hatte wieder die Linie nach oben eingeschlagen. Die Generalversammlungen verliefen nicht mehr dumpf, verstimmt, trübe. In der heutigen war sogar ein Staunen durchgedrungen: Die Dividende, die vor drei Jahren ausgesetzt werden mußte, die Dividende, die im letzten Jahr in sehr bescheidenem Maße wieder aufgenommen worden war, hatte eine Verdoppelung erfahren.

Wie das bei solchem Anlaß immer ist, man tat so, als gehe das nicht weiter als bis an die Haut. Es war ja schließlich unfein, sich die Seelenstimmung von der Dividende vorschreiben zu lassen.

Sie diktierte doch.

Man war vergnügt. Man nickte dem Nachbarn freundlich zu. Man hatte ihn zwar nie gesehen – die Dividenden schafften Bruderstimmung.

Die Entlastung war erteilt. »Einstimmig,« schrieb der Notar. Die Bilanz hatte man schon eingangs glatt genehmigt. In ihr war die neue Doppeldividende eingeschlossen.

In aufgeräumter Stimmung rüstete man zum Gehen. Man verriet sich gegenseitig ein paar gute 235 Weinlokale, wo man einen Teil der Dividende nutzbringend anlegen könnte.

Richard Lamprecht grüßte nach allen Seiten. Das Lächeln eines Siegers wich den ganzen Tag nicht von seinen Zügen, die in der letzten Zeit einen etwas gedunsenen Ausdruck angenommen hatten.

Max Flamm neigte sich zu seiner Frau: »Ich wollte, der Finanzklimbim wäre endlich vorbei, Thilde.«

»Auch diese Dinge sind ein Teil von unserer Arbeit, Max.«

»Nicht von der meinen. Fühlst du 's nicht? Es ist unbehaglich hier.«

»Wie meinst du das?«

»Es liegt etwas in der Luft – etwas Explosives. Irgend etwas stimmt hier nicht,« zog er die Schultern zusammen.

»Wenn du das geschäftlich meinst, Max: Ich habe keine Angst. Solange der dort in der Nische sitzt, kann uns nichts passieren,« sagte Thilde.

»Ach so, den Ein-Stockwerk-tiefer meinst du, den heimlichen Lotsen? Ja, auf den vertrau ich auch. Was will er aber ausrichten, wenn der Zug ihn miterfaßt?«

»Welcher Zug?«

»Der geheime. Hast du noch keinen scheinbar toten Wasserspiegel gesehen, unter dem todbringend, unsichtbar ein Wirbel quirlt?«

236 »Leiser, Max – Franz schaut herüber. Gerade der soll es nicht hören,« mahnte sie.

»Ich verstehe –«

Nicht weit davon, in einer Ecke, wurde das Fehlen des alten Lamprecht bemerkt.

»Laßt ihn doch,« meinte einer. »Das Genie des jungen Lamprecht hat uns die verdiente Doppeldividende aus dem Kuddelmuddel herausgeholt. Wir Aktionäre hätten dem Manne etwas abzubitten.«

»Abzubitten? Was denn?« fragte ein anderer.

»Habt ihr die Redereien vergessen? Eine Schande war das.« Der Sprecher richtete sich auf. »Ich bitte ums Wort. – Ich beantrage, unserem verdienten Herrn Generaldirektor für die mustergültige Versammlungsleitung und noch mehr für das unerwartet günstige Abschneiden des Geschäftsjahres unseren herzlichsten Dank auszusprechen.«

Geräuschvolle Zustimmung von allen Seiten und Bravorufe.

In einer anderen Gruppe aber, die sich etwas zurückgezogen hatte, schienen Zwistigkeiten ausgebrochen zu sein.

»Gott sei Dank, daß ich selbst mit Wechselreitereien nichts zu tun habe,« sagte einer.

»Was ihn nicht zu hindern braucht, es bei anderen zu kritisieren, nicht wahr?« höhnte ein anderer.

Ein dritter äußerte erregt: »Soviel er will. Aber 237 Utz und Lamprecht damit in Verbindung zu bringen, das ist eine – – ist eine Unverschämtheit!«

»Wenn er noch ein Wort darüber sagt, schicke ich ihm den Hauptbuchhalter Zipperer auf den Hals.«

»Zipperer?« fing der erste wieder an. »Das ist es ja: Sogar dessen Prokura-Unterschrift habe ich auf solchen Abschnitten gesehen.«

»Verleumder!«

»Jetzt wird 's aber zu bunt!«

Der Angegriffene wehrte sich.

»Heute vormittag noch gingen mehrere solcher Abschnitte durch die Hände unseres Prokuristen. Und wenn man ihnen auch nicht an der Nasenspitze ansehen konnte, ob es sich um waschechte Reitwechsel handelte – –«

»Warum haben Sie Ihren Prokuristen nicht gleich mitgebracht?« spöttelte ein anderer. »Von der Handelsbank, nicht wahr?«

Da war der Angegriffene schon fort. Im Sturmlauf.

Richard Lamprecht schwang die Präsidentenglocke. Es sei zwar rechtlich nicht unbedingt nötig, aber der Notar lege doch Wert darauf, das inzwischen angefertigte Protokoll samt den Beschlüssen der verehrlichen Versammlung vorzulesen. Es sei zwar schade um die Zeit, aber er habe nichts dagegen, wenn inzwischen Briefe geschrieben oder die Zeitung gelesen würde. Nur dazubleiben bitte er –

238 »Wären wir gegangen, Max,« sagte Thilde. »Verfolgt dich das – wie soll ich 's sagen – das zweite Gesicht noch immer?«

Er gab ihr keine Antwort.

Das eintönige Geplätscher des vorlesenden Notars förderte die Unterhaltung.

Ein Diener fragte, ob der Zutritt neuer Ankömmlinge verboten sei? Durchaus nicht, wurde ihm bedeutet. Es sei sowieso gleich vorüber.

Da trat der vorhin Angegriffene ein. In seiner Begleitung befand sich der Prokurist der Handelsbank. Sie ließen den Hauptbuchhalter Zipperer auf die Seite bitten. Der Prokurist entblätterte zunächst ein Wechselbündel. Wies auf einige hohe Markbeträge, dann auf die Unterschriften:

»Ich bitte um Entschuldigung, daß ich überhaupt zu fragen wage – unser Herr Vertreter hat mir reichlich verworren berichtet –«

»Keine Einleitungen,« unterbrach ihn Zipperer. »Wir sind kurz vorm Ende. Was wünschen Sie?«

»Nichts weiter, als zu wissen, ob diese Unterschriften in Ordnung sind.«

Der alte Buchhalter hatte längst alles gesehen. Nur wer unter den Tisch geblickt hätte, auf seine Hände, wäre verwundert gewesen, zu sehen, wie sie sich fest zusammenpreßten.

Überm Tisch markierte er ein Blinzeln.

239 »Unterschriften? Unsere? Was gibt's da noch zu fragen?«

»Ist Fragen nicht erlaubt?«

»Im Zusammenhang mit Wechseln bei unserer Firma nicht.«

Dann ließ er den verdutzten Frager stehen, schlenderte wie von ungefähr, aber mit ungemein mühsamer Beherrschung, zu Richard Lamprecht hinüber, tat so, als suche er auf dessen Platz Papiere einzuordnen und flüsterte mit kaum bewegten Lippen:

»Tun Sie, als hörten Sie nicht, was ich Ihnen sage, Herr Lamprecht. Etwas ganz – ganz Komisches ist da – ein Bündel hoher Wechsel mit Ihrer Unterschrift ist im Umlauf, ohne in unseren Büchern eingetragen zu sein. Wissen Sie davon? Da drüben – der Prokurist der Handelsbank hat sie –«

Seine Hände wühlten sinnlos in gleichgültigen Konzeptpapieren auf dem Platze des Generaldirektors. In ihm selbst wühlte eine feurige Firmenfrage, wühlte die Frage aller Firmen: Sind wir noch sauber?

Von Richard Lamprecht kam keine Antwort.

Immer drückender, furchtbarer stieg in Zipperer die Frage aller Fragen auf. Sie saß in seiner Kehle, während seine zitternden Finger die Papiere durchwühlten. Sie breitete sich aus, die verhängnisvolle 240 Frage. Am liebsten hätte er sie dem Chef ins Gesicht gebrüllt.

»Sind wir noch sauber?«

Richard Lamprecht stand auf und schritt davon. Einer kleinen Tür zu. Als er sie erreicht hatte, wandte er sich kurz um – Zipperer glaubte einen Wink seiner Augen zu erkennen und folgte ihm.

Zipperer stand seinem Prinzipal gegenüber und erschrak. Dessen gedunsenes Gesicht war aschfahl, die Augen starrten an ihm vorbei, als suchten sie irgendwo an der Wand einen Halt.

»Herr Generaldirektor,« stammelte er. »Was – was bedeutet das? Sind wir – ist die Firma noch sauber? Ist – ist alles noch so, daß wir – daß wir – –«

Da stand auf einmal Franz Lohmann in der Tür.

Zipperer wich entsetzt zurück, taumelte gegen Richard Lamprecht, um dessen verschwommenen Mund ein verbissener Zug erschien.

»Ich habe auch ein Recht, es zu erfahren, ob wir noch sauber sind, Herr Lamprecht,« sagte Franz Lohmann, und in seiner Stimme tobte ein unterdrückter Sturm. »Ich bin der Kontrollbeamte der Firma, von denen aufgestellt, die Ihnen, Herr Generaldirektor, noch eine letzte Möglichkeit geben wollten. Ich hatte den Gläubigern einen Vertrauenseid geleistet: Nichts geht in der Firma vor, ohne meinen 241 Blick zu passieren. Nicht der leiseste Schatten sollte mehr auf die Ehrbarkeit der Firma fallen –«

Er stand vor Richard Lamprecht und hatte dessen Handgelenk gepackt.

»Ich habe den Schwur gebrochen. Ein Wechselbündel hat meinen Blick nicht passiert. Der Schatten eines Bündels falscher Wechsel ruht auf unserer Firma und wird immer auf ihr ruhen. Wissen Sie, was ein falscher Wechsel ist, Herr Lamprecht? Ein falscher Wechsel ist der Tod des Kaufmanns.« Er schrie ihn an: »Was haben Sie noch hier zu tun?«

Er ließ den Generaldirektor los.

»Ich nichts. Sie, Herr Zipperer?«

Der alte Buchhalter weinte.

»Sehen Sie das, Herr Lamprecht? Wissen Sie, was das heißt? Die Tränen einer vor die Hunde gegangenen Firma –«

Da raffte sich Richard Lamprecht auf.

»Halt. Jetzt will ich auch einmal reden. Ich, der Chef. Machen Sie die Tür dort besser zu. Nicht? Na, schön – dann tue ich es selbst.« Mit einem Satz war er an der Tür und drehte den Schlüssel herum. Kam langsam zurück und sah seinem Gegenspieler ins Gesicht. »Bis jetzt haben Sie gesprochen. Ich – ich habe nichts zu verlieren – wissen Sie, was das heißt?«

»Leider, wenn ich an die Firma denke,« sagte Franz ruhig.

242 »Mit dem, was Sie mir eben ins Gesicht schleuderten, glaubten Sie abzurechnen,« schrie Lamprecht. »Sie vergaßen: Zum Abrechnen gehören zwei. Einer, der rechnet – und einer, der mit sich rechnen läßt. So weit sind wir aber noch nicht. Gestatten Sie, daß ich etwas vorschalte, Herr – Herr Schulmeister.«

Franz Lohmann sah auf die Uhr.

»Etwas kurz, bitte. Die Leute draußen spüren schon: Hier geht etwas vor. Hier geht es um den letzten Einsatz. Sie warten auf das Schlußwort –«

»Das spreche ich. Hören Sie zunächst, was Sie betrifft. Es ist richtig, die Wechsel gehen nicht in Ordnung. Sie sind nicht gebucht. Wir hätten unsere Dividende nicht erhöhen können, wenn – –«

»– – und wir werden sie auch nicht erhöhen. Es war ein Betrug, Herr Lamprecht.«

»Lassen Sie die starken Worte. Um mal deutsch zu reden: Die Wechsel werden im Laufe des nächsten Jahres ganz von selbst von der Firma getilgt –«

»Noch deutscher, Herr Lamprecht: Was Sie privat verludert haben, soll die Firma zahlen?«

»Nehmen Sie sich in acht – ich gebe Ihnen eine letzte Möglichkeit, Sie – Lehrling: Was Sie eben sagten, habe ich nicht gehört. Seien Sie vernünftig: Ich brauche Sie, Sie brauchen mich – die Firma braucht uns beide. Der Verständigungsweg ist offen – so offen, daß –«

243 »– – daß Sie mich zu Ihrem Komplizen machen wollen.«

Lamprecht lachte.

»Was bleibt Ihnen denn weiter übrig?«

»Was übrigbleibt, bestimme ich – was einem von der eigenen Ehre übrigbleibt, darf kein anderer bestimmen,« sagte Franz Lohmann, maßlos erregt.

Er erfaßte auf einmal, daß es nicht um ihn ging, nicht um diesen Menschen da – es ging um das Lebensgebilde der Firma selbst, mit der er aufgewachsen war, von der er ein lebendiges, durchblutetes Stück war – die Firma war es, die weiterleben wollte und die aus diesem Lebenswillen heraus ihn schüttelte und zu Worten zwang, die er von sich aus zu diesem Chef nicht mehr gesprochen hätte.

Mit aufgehobenen Händen trat er vor Richard Lamprecht hin, der kein Stück der Firma mehr war, der die Firma für seine eigenen, selbstsüchtigen Zwecke mißbraucht hatte, den die Firma längst innerlich abgeschüttelt hatte.

»Herr Lamprecht, noch ist es Zeit – noch kann unser Haus gerettet werden –«

»Aber, Mann Gottes, das will ich ja.«

»– durch die rücksichtslose Wahrheit. Sie sind ein Lamprecht, nehmen Sie 's auf sich – treten Sie hinaus und erklären Sie –«

Der Generaldirektor unterbrach ihn mit einem wütenden Auflachen.

244 »Den Teufel werd' ich. Als Schulbube dastehen und mich abkanzeln lassen von denen da. Mir sagen lassen, daß ich, der Generaldirektor, falsch gerechnet habe. Ein netter, guter Rat. Wenn sie keinen besseren haben –«

Franz wandte sich ab. Der Tür zu. Lamprecht sah ihm nach mit verzerrten Zügen.

»Lohmann –«

Es riß Franz herum.

»Lohmann – ich habe eine Bitte an Sie. Sie sind durch die Firma groß geworden. Bringen Sie ihr ein Opfer. Sagen Sie, Sie hätten sich geirrt – Sie und Zipperer – den Zipperer kriege ich herum. Wo ist er denn?«

»Er ist schon drinnen im Saal,« stieß Franz hervor und vermochte sich kaum noch zu beherrschen. »Bereit, irgend etwas zu tun – für die Firma – zu sterben, wenn es sein muß – für die Firma, Herr Lamprecht, nicht für Sie.«

»Er tut's, wenn Sie auch bereit sind.«

»Ich bin bereit – zur Wahrheit, zu nichts anderem. Für eine Firma, die leben, die sauber bleiben will, gibt's auf die Dauer immer nur die Wahrheit.«

»Es gibt Fälle – –«

»Es gibt keine Fälle, Herr Lamprecht.«

Richard Lamprechts Augen hatten plötzlich einen haßerfüllten Ausdruck: »Mit andern Worten also: 245 Meine Arbeit war – war ein Sumpf –« Er näherte sich Franz: »Nehmen Sie das zurück!«

»Sofort, wenn Ihre Wechsel da erscheinen, wohin sie gehören: In der Bilanz.«

»Was heißen würde, daß wir –«

»– nicht nur ohne Reingewinn, sondern sogar mit einem Verlust abschließen würden. Es müßte allerdings zur Bilanz eine erklärende Fußnote treten –«

»Fußnote?« kam es unheimlich von Lamprechts Lippen. »Und der Inhalt dieser Fußnote, bitte?«

»Diesen Betrag hat Generaldirektor Lamprecht für private Zwecke veruntreut,« sagte Franz Lohmann trocken.

Das gab dem andern den Rest. In seinen Augen dämmerte eine zu allem entschlossene Wut.

»Wir müssen das Gespräch beenden, Herr Lamprecht. Hören Sie die Unruhe da drüben –«

Die Tür flog auf. Zipperer, der sich vorhin leise entfernt hatte, um auf seinen Posten zurückzukehren, stand da. Die beiden Herren der Handelsbank hielten ihn am Ärmel. Er stieß sie zurück.

»Ich – ich kann nicht mehr, Herr Lohmann,« stammelte er.

»Mich haben Sie anzureden,« rief Lamprecht herrisch. Dann mit eiserner Stirn, ohne die Verbindlichkeit der Form zu verlieren, zu den Begleitern: »Die Herren wünschen?«

246 Ein Bündel Wechsel klatschte auf den Tisch.

»Ob diese – diese Wechsel hier – Ihr Herr Zipperer erlaubte sich, uns mit faden, gewundenen Erklärungen abzuspeisen –«

»Sie scheinen die Fassung verloren zu haben, meine Herren,« blätterte Lamprecht lässig durch die Wechsel. »Ganz ohne Ursache –«

»Also wären diese – diese Dinger –«

»Dinger?« gelang es Lamprecht, das Wort unnahbar eisig auszusprechen. »Ordnungsgemäß ausgestellte und akzeptierte Wechsel unserer Firma sind keine Dinger – das sollte Ihnen bekannt sein.«

»Sie werden also –«

»– – pünktlich eingelöst. Was dachten Sie denn, meine Herren?«

»Das – dasselbe natürlich. Verzeihen Sie die Störung.«

»Nichts zu verzeihen. Sonst noch etwas, meine Herren?«

Er geleitete die beiden Herren bis zur Tür. Betrat mit ihnen den Saal. Harmlos plaudernd. Starr sah ihnen Franz Lohmann nach.

»Zipperer,« keuchte er. »Sie wissen – Sie müssen wissen, daß das alles – –«

»– Theater ist,« senkte der Alte den Kopf.

Franz packte ihn und schüttelte ihn.

»Aber – dann müssen wir ja – Zipperer, rufen Sie die Herren zurück – wir müssen ihnen sagen –«

247 »– was sie ohnehin schon wissen, Herr Lohmann? Die Spatzen pfeifen 's insgeheim schon lange von den Dächern.«

»Und nur wir – nur wir –«

»– erfuhren es als die letzten. Das ist bei den Angestellten und – bei den großen Diebereien immer so, Herr Lohmann.«

»Aber den Herren von der Handelsbank – –« Von Sekunde zu Sekunde stieg die Erregung in Franz Lohmann.

»Denen ist nur eins wichtig: Daß die Wechsel eingelöst werden.«

»Und die Aktionäre – die betrogenen Aktionäre da drinnen?«

»Denen ist der Skandal unwillkommen. Sie wollen die erhöhte Dividende – alles andere ist ihnen gleich.«

Kalkbleich war Franz Lohmanns Gesicht. Er ballte die Hände. Die Pulse seiner Schläfen flogen.

»Ich muß – ich muß es ihnen sagen – die Dividende ist – ist ein Schwindel – ein Betrug – ein Verbrechen.«

Zwei Männer mit Sanitätsmützen standen in der Tür.

»Verzeihung – es soll hier jemand – ein Unfall – – Ah. Sie wohl? Herzanfall, nicht wahr? Werden wir gleich haben – wir haben notfalls eine Bahre mit –«

248 Furchtbar stieg es in Franz Lohmann auf. Mit erhobenen Fäusten ging er ihnen entgegen.

»Sie unterstehen sich – –«

»Also – Nervenanfall. Hat seine Richtigkeit.« sagte der andere Sanitäter.

Mit einem gellenden Schrei schlug Franz Lohmanns Oberkörper auf den Tisch. Vier geübte Sanitäterhände packten zu. Allerdings um den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Franz war aufgesprungen. Stieß den, der ihm am nächsten stand, beiseite, war mit einem Satz am Fenster, riß es auf und sprang hinaus.

Keuchend stand er auf der abendlichen Straße.

Durch die Straßen rannte er verstört. Feiner Sprühregen ging hernieder. Allmählich bekam er die eine Hälfte seines Ich, die körperliche, wieder in die Hand.

Die seelische blieb wirr.

Blieb noch in den Vorstadtstraßen wirr, durch die er ziellos irrte. Er hörte eine Stimme, die ihn ansprach. Eine weibliche Stimme: »Ich bin hungrig, Herr – –«

Er blieb stehen, wühlte in den Taschen und gab der Überraschten ein paar Scheine, die er gerade erraffte. Ihre Stimme schlug in Gestammel um: »Ach, Herr, Sie sind – Sie sind –«

»Nichts. Früher war ich etwas – früher – aber jetzt –« stieß er hervor.

249 »Wollen Sie nicht – ich wohne ganz hier in der Nähe – Lola heiße ich – –«

Er hörte es schon nicht mehr. Er lief weiter –

Zur selben Zeit verließen die letzten Aktionäre die Generalversammlung von Utz und Lamprecht.

»Mir scheint, es regnet –« sagte einer.

»Dividenden,« lachte der andere und hielt es für einen Witz.

 


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