Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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16.

Lola Mangold war geholfen worden. Und mit ihr dem Manne, der aus dem Verborgenen heraus immer wieder ihre Hilfe anrief.

Max Flamm konnte niemand helfen. Zwischen Pflicht und Leidenschaft wurde er hin- und hergeworfen. Tagelang vergrub er sich in seine Arbeit, warf dann jäh alles beiseite, rannte durch die Straßen, 133 bis er vor Lola Mangolds Wohnung stand. Hier hielt er inne, lief zurück, setzte sich und schrieb ihr Brief um Brief. Sie erhielt die Briefe und gewann es über sich, zu schweigen. Alles in ihr zwang sie, zu antworten. Sie tat es nicht, obwohl niemand es von ihr verlangte, daß sie schwieg.

Max Flamm suchte durch die Arbeit über dieses Schweigen hinwegzukommen.

Auf seinem Schreibtisch fand er eine blaugezeichnete Zeitungsnotiz:

». . . . im Gegensatz zu einem technisch kaum mehr überbietbaren Fortschritt des Landmaschinenbaus hat die Absetzbarkeit der massenhaft hergestellten Maschinen in Serien einen beängstigenden Rückschlag erfahren.«

Er las nicht weiter. Das war, als habe ihm jemand einen Faustschlag versetzt. Wer schrieb das? Und stimmte es? Hatte er nicht kürzlich erst in einer statistischen Übersicht des Landmaschinenkonzerns gelesen: ». . . . so übersteigt die Produktion erstklassiger Landmaschinen die praktische Verkäuflichkeit in einer Weise, die den Zusammenbruch der planlosen Produktion früher oder später unausbleiblich erscheinen läßt.«

Und nun schon die andere Feststellung? Bedeutete das – –

Er läutete. Franz Lohmann erschien.

»Ich lasse Herrn Zipperer einen Augenblick bitten.«

134 Er sah, indessen er auf den alten Zipperer wartete, durchs Fenster auf die im Halbkreis gelagerten Fabrikhöfe. Es kam ihm auf einmal so vor, als rauchten die Kamine schwächer, als schlichen die Arbeiter über Höfe und Geleise. Ihm schien es, als rollten nur halbbeladene Wagen bedrückt ins Weite.

Zipperer trat ein.

»Herr Direktor ließen mich rufen.«

Max Flamm deutete auf die Zeitungsausschnitte.

»Was bedeutet das, Herr Zipperer?«

»Herr Lamprecht legt Gewicht darauf, daß die einzelnen Abteilungen einen Überblick über das Ganze erhalten.«

»Das kann nicht gut stimmen, Herr Zipperer. Es war immer Grundsatz der Firma, daß jeder einzelne selbst die Verantwortung trägt und entscheidet, was ihm zukommt.«

»Das war die Übung des alten Herrn. – –«

»Ich kenne keinen andern.«

Zipperer seufzte kaum vernehmbar: »Der alte Herr hat eingestellt, der junge kündigt. Wir haben keine Wahl – –«

»Es ist gut, Herr Zipperer. – Wie lange sind Sie übrigens schon in der Firma?«

»Ein kleines Menschenalter, Herr Direktor.«

»Und noch immer keine eigene Meinung?«

»Wissen Sie, Herr Direktor – – wissen Sie, was ein Pfund Fleisch kostet?« fragte der alte Zipperer.

135 »Mit dem Preis der eigenen Meinung wäre es zu hoch bezahlt. Außerdem: Im schlimmsten Falle ließe sich der Metzger mit dem Hinweis auf den Gärtner schon vernünftig machen.«

»In meinem Alter nicht mehr. Meine alten Knochen wirft der Metzger nur noch als Zugabe auf die Waage, Herr Direktor. Und wenn es heute Krach im Metzgerladen gäbe – –«

»– – wäre ich auch noch da, Herr Zipperer. Sie können auf mich zählen.«

Zipperer sah auf. In seinen zermergelten Zügen zuckte es. Er warf einen scheuen Blick auf die Zeitungsblätter. Es bedrückte ihn etwas. Aber als er sich entschlossen hatte, es zu sagen, sah er Flamm versunken. Da ging er still hinaus.

Auf dem Wege in die Gießerei streifte Max Flamm das Arbeitszimmer Richard Lamprechts.

Der hob den Kopf.

»Ah, Sie, Herr Doktor – – bitte. Lesen Sie mal diesen Brief. Gräßlich, diese Konkurrenz. Eine reine Kriegserklärung. Das umstrittene Gebiet kann nur einer beliefern. Wörtlich steht es hier: › . . . einer von uns wird auf der Strecke bleiben.‹ Deutlich, nicht wahr?«

»Sehr deutlich,« nickte Flamm.

»Und wissen Sie, was es für uns bedeuten würde, wenn der Kampf wirklich kommt: Einige Jahre lang 136 hieße es auf die ehrlich verdiente Dividende verzichten.«

Max Flamm wußte, wohinaus das sollte. Er zuckte mit den Schultern. Richard Lamprecht lächelte.

»Ich weiß, Sie verstehen nichts von kaufmännischen Dingen. Aber da droht ein Zustand, der seine Schatten auch auf Ihr Reißbrett werfen könnte.«

»Vielleicht lassen sich Schatten wegradieren –« meinte Max Flamm ernst.

»Wegradieren? Nein – – verscheuchen, in die Flucht schlagen muß man sie. Ein anderes Mittel gibt es nicht, sie loszuwerden.«

»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen, Herr Lamprecht.«

»Was ich meine? Eine neue Erfindung aus dem Flammschen Gehirn – – aus dem ungeteilten Flammschen Gehirn und – die Schatten wären, wohin Utz und Lamprecht sie täglich wünschen: Im Lande des Pfeffers. Na, nichts für ungut, Herr Flamm – –«

Max Flamm schritt mit gesenktem Kopf weiter.

Die Worte Lamprechts aber begleiteten ihn in den nächsten Tagen. Sie waren auch da, als er am folgenden Sonntagnachmittag hinausfuhr, um die Mutter zu besuchen.

Er trat ein – und stand Thilde Utz gegenüber, die er tagelang nicht gesehen hatte. Es war zwischen 137 ihnen wie eine stillschweigende Verabredung gewesen: Sie waren sich ausgewichen.

Nun gab es kein Ausweichen mehr.

Sie reichte ihm lächelnd die Hand.

»Die Mutter hat darauf bestanden, eine alte Freundin zu besuchen, Max. Ich habe ihr versprochen, auf sie zu warten. Wir sind nun allerdings allein hier – –«

Er nickte schwer. Und setzte sich. Sie nahm ihm gegenüber Platz und griff wieder zu der Handarbeit, die sie bei seinem Eintritt sinken ließ.

Schweigend saßen sie einander gegenüber. Eine Last lag auf Max Flamm. Ihm war, als müsse in der nächsten Minute ein Unwetter losbrechen, das ihn und sie verschlang. Das alles hinwegschwemmte, was je da war.

Sie sah ihn an.

»Bist es nicht mehr gewöhnt, Max, mit mir allein zu sein? Die Zeit hat sich geändert – –«

Ungewiß hob er den Kopf. Und sah sie lächeln.

Die Last wurde untragbar in ihm. Er überdachte, wie er sie seit langem schlecht behandelte, wie er sie, seitdem er Lola kannte, nicht nur fortgeschoben – – nein, sie buchstäblich fortgeworfen hatte. Eigentlich wäre es an der Zeit, mit ihr davon zu reden. Er könnte ihr auseinandersetzen, wie sie sich beide dem hätten fügen müssen, es gäbe gegen das Schicksal keine Revision.

138 Wenn sie jetzt nur mit Vorwürfen gekommen wäre – er hätte die Kraft gefunden zu einer endgültigen Auseinandersetzung.

»Ich mache dir keinen Vorwurf daraus,« unterbrach sie seltsam hellsichtig seinen Gedankengang. »So klein ist die nicht, Max, die du einmal zu deiner Frau machen wolltest – –«

»Ich – – ich verstehe dich nicht – –« murmelte er halblaut.

Es war, als sei dies Eingeständnis das Stichwort. Ein Vorhang ging auf. Der Zimmerboden wurde zum Theater.

»Du verstehst mich nicht?« fragte sie, und ihre Stimme klang, als rede sie nicht zu ihm. sondern zu Tausenden von Menschen, die irgendwo im Dunkel saßen. »Es wird Zeit, Max, daß du die Augen öffnest. Siehst du nicht, wie es um die Firma steht? Fühlst du nicht, daß der Boden, auf dem sie steht, unter unsern Füßen zittert? Bemerkst du nicht die sorgenvollen Mienen aller unserer Leute bis herab zum letzten Lehrling?« Sie beugte sich vor und erfaßte seinen Blick: »Sie sehen auf dich, Max.«

Betroffen wich er zurück.

»Auf mich? Auf Lamprecht, meinst du. In dessen Händen ruht das Schicksal der Firma.«

Sie winkte verächtlich ab.

»In deinen Händen liegt es, Max, nur in deinen. Wie ein Signal dringt es von allen Seiten 139 auf dich ein, Max. Überhör den Ruf nicht, der dir gilt. Er kommt nur einmal zu jedem Menschen – –«

Er saß erstarrt.

»Thilde – –«

»Ach was, Thilde,« unterbrach sie ihn. »Was liegt an mir, was liegt an dir. An der Firma liegt alles und an dem, was dein Werk ist. Jeder Tag ist kostbar – – jede Stunde ist es. Die Firma wartet – – wir alle warten auf dich, Max.«

Er sprang auf.

»Auf mich?«

»Nur auf dich, Max.«

Er stand vor ihr. Erst hingen seine Hände schlaff herab. Dann hoben sie sich, schlossen sich über seiner Brust zu Fäusten, lösten sich und strichen über die Brust hin, als wollten sie etwas Beklemmendes abstreifen.

»Auf niemand sonst als auf dich,« wiederholte sie eindringlich und sah mit dem inneren Gesicht, was es war, das er da von sich abstrich: Liebelei und Hörigkeit, Bequemlichkeit und Feigheit, satte Selbstzufriedenheit, erbärmliches Behagen und Verrostung.

Sie hatte nichts zu tun als stillzuhalten. Ganz von selbst würde jetzt der Stern der alten Liebe wieder aufsteigen.

Zurückgewonnen hatte sie, was schon verloren 140 schien. Nicht mehr auf dem Wege über Aktien. In ihm selbst war es durchgebrochen. In sich selbst hatte er den Ruf vernommen.

 


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