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21.

Auf den alten Lamprecht war ein Trommelfeuer niedergegangen. Er brauche Schonung – – er dürfe nicht mehr mit solchen Dingen belastet werden – –

Er begriff erst nicht, was man damit bezweckte. Erst bei der feierlichen Überreichung der Urkunde, die ihn zum Ehrenvorsitzenden ernannte, hatte er begriffen.

Stumm trat er ab. Nicht, ohne vorher zu fragen: »Wenn ich die Ehre haben soll – – was ist dann meinem Nachfolger zugedacht worden?«

Man hätte sagen können: ›Die Arbeit‹. – Aber Graf Kaltenbrunn, der Nachfolger, hatte noch nie gearbeitet. Also sagte man: »Die Repräsentation. Eine Gesellschaft, wie die unsere, braucht einen feudalen Außenglanz. Sie werden das verstehen, Herr Lamprecht.«

185 Er verstand es nicht. Das war auch nicht nötig. Es genügte, daß er seinen Ehrenvorsitz vernünftigerweise so auffaßte, zu jeder Sitzung einen Boten mit einem Kärtchen zu schicken: Er bedauere, aus irgendeinem Grunde nicht erscheinen zu können.

Man bedeutete dem Boten, es sei gut. Aber der Bote wies in die Ecke des Kärtchens: »Um Rückgabe wird gebeten.« Mit den Jahren, in denen diese Karte immer wieder hin und her wanderte, wurde sie gelb. Elfenbeingelb wie die müde Haut, die sich rissig über die Backenknochen des Grafen Kaltenbrunn spannte, während er verlas, was ihm auf den Präsidentenplatz geschoben wurde.

Er las farblos.

Thilde Utz, die das Protokoll zu führen hatte, dachte: Er betont falsch. Auch der kleinste Lehrling unserer Firma hätte mehr Verständnis für den Rechenschaftsbericht über das letzte Geschäftsjahr.

Einer der Aufsichtsräte gähnte. Es war Kulenkamp, der Rentner, von dem es hieß, er habe »es« im kleinen Finger. »Es« war das Geld, »es« war der Profit, war die Empfindung: Hier gibt's zu verdienen. »Es« war die Witterung: Hier ist's brenzlich.

Kulenkamp hatte keine Ahnung von Volkswirtschaft und von tieferen Zusammenhängen. Er hatte nur den »Riecher«, sonst nichts.

Am Präsidentenplatz gab es eine Stockung. 186 Graf Kaltenbrunn hatte Blatt drei beendet und die Fortsetzung aus Versehen auf Blatt fünf aufgenommen. Ihn hatte der sinnlose Übergang darin nicht gestört. Generaldirektor Lamprecht machte eine Bewegung, als wolle er den Schaden beheben, ließ es aber sein, als niemand Anstoß daran nahm.

»– – so daß die Gesellschaft in diesem Jahr leider nicht in der Lage ist,« schnurrte der Graf zu Ende, »die herkömmliche Dividende an die Herren Aktionäre auszuschütten.«

»Hol mich der Teufel,« schaltete Kulenkamp ein.

Über der Aufsichtsratssitzung lag Gewitterspannung. Die Stühle rückten, Finger flogen in die Höhe. Jeder wollte zuerst das Wort haben.

Da griff Lamprecht doch ein: »Verzeihung, Herr Graf, der letzte Satz ist nicht ganz richtig vorgelesen. Darf ich mir erlauben?«

Er nahm ihm das Blatt aus der Hand.

»Der Satz heißt so: – – so daß die Gesellschaft in diesem Jahre leider nicht mehr in der Lage wäre und so weiter.«

»Hört, hört,« rief Kulenkamp. »Nicht wäre –«

»Wäre oder ist – ist oder wäre – – ich finde wirklich keinen allzugroßen Unterschied,« sagte Graf Kaltenbrunn.

»Für den, der keine Aktien hat,« fuhr Kulenkamp auf. »Ich habe welche – – meine Freunde haben welche.«

187 »Also wie steht's mit der Dividende? Wird eine verteilt?«

»Verdient ist keine,« warf der Direktor der Unionsbank ein. »Aber zu beschließen hat der Aufsichtsrat.«

»Ich verstehe das nicht,« meinte ein Professor Wallerstein. »Was nicht verdient ist, kann durch keinerlei Majoritätsbeschluß verteilt werden. Das ist logisch, denke ich.«

»Wirtschaftsdinge sind nicht immer logisch, Herr Professor.«

»Ach was, Logik,« begehrte Kulenkamp auf. »Die Dividende steht zur Debatte. Ich habe meinen Freunden versprochen, daß Dividende – –«

»Auch in der Presse war die Stimmung für Dividende,« bemerkte der Bankdirektor.

»Hinzu kommt noch,« sagte Richard Lamprecht, »daß unsere für unser Land ausschlaggebende Stellung innerhalb des Trusts nur aufrechterhalten werden kann, wenn – –«

»Verteilen – – verteilen!« rief es von allen Seiten.

»Und die liquiden Mittel für die Auszahlung?«

»Sind beschafft.«

»Wieso? Wodurch?«

»Nun, ich denke doch, unser Kredit – –«

Reden und Gegenreden gingen längst über den Kopf des Präsidenten hinweg. Er saß ausgeschaltet da. Er sah unglücklich aus.

188 Es war offensichtlich: Weitaus die meisten waren für Verteilung einer Dividende.

»Abstimmung,« rief Graf Kaltenbrunn.

Bevor es dem Grafen gelang, mit seiner Stimme durchzudringen, drängte sich ein Diener heran, flüsterte Richard Lamprecht etwas zu. Er machte eine ungehaltene Bewegung.

»Sie sehen doch, daß ich jetzt keine Zeit habe.«

Der Diener zuckte die Schultern.

»Verzeihung, Herr Generaldirektor, die Dame macht einen verstörten Eindruck – – ich glaube –«

Lamprecht beugte sich zu Thilde Utz hinüber.

»Machen Sie das ab, Thilde. Aber schnell – – Sie werden hier bald wieder gebraucht für die Protokollierung.«

Thilde eilte hinaus und stand ihrer alten Rivalin Lola Mangold gegenüber. Vergrämt sah sie aus, fast heruntergekommen. Die nackte Not stand auf ihrem Gesicht.

Nur mit Mühe gelang es Thilde, ihre Ruhe zu behalten.

»Es geht Ihnen nicht gut?« fragte sie.

Lola Mangold brach in Tränen aus.

In abgerissenen Sätzen berichtete sie einen erschütternden Lebensabriß: Keine Mutter, kein Vorbild – – der Vater ein Verbrecher, der fliehen und sich verborgen halten mußte. Aus der Verborgenheit bohrte und forderte er ununterbrochen. Trieb 189 sie von einer Hand in die andere. Verlangte immer mehr. Stieß sie immer wieder, wenn sie sich etwas hochgezogen hatte aus dem Sumpf, dorthin zurück. Ein Bruder sei noch da, um den sich der Vater nie gekümmert habe. Sie habe für diesen Bruder alles ertragen – –

»Erinnern Sie sich nicht an den hochbegabten Schüler auf der großen Prüfung an der Landwirtschaftsschule? Er hat damals eine entscheidende Absolventenrede halten dürfen. Ich – – war immer stolz auf ihn – –«

Thilde stand erschüttert. Sagen konnte sie nichts.

»Und nun ist auch das aus, Fräulein Utz – – wir können beide nicht mehr weiter. Er – – er muß sein Studium abbrechen, weil ich – – weil ich kein Geld mehr habe. Ich wollte Richard Lamprecht sprechen. Vielleicht erinnert er sich doch noch meiner. Ich habe ihm doch einmal einen großen Dienst erwiesen und – – und – –«

Thilde Utz zögerte einen Augenblick lang. Dann sagte sie entschlossen:

»Morgen ist Sonntag. Kommen Sie am Nachmittag zu mir – vielleicht kann ich Ihnen helfen – –«

Und bevor Lola Mangold ihr danken konnte, war sie wieder in das Konferenzzimmer geeilt.

Hier war inzwischen die Abstimmung vor sich gegangen, die eine große Mehrheit für eine Dividendenverteilung ergeben hatte. 190

 


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