Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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4.

Die Amerikaner waren bei Utz und Lamprecht vorgefahren. Etwas großspurig. Mit Kraftwagen, wie sie das Kopfsteinpflaster des großen viereckigen Fabrikhofes noch nie gesehen hatte.

Der Fahrer fluchte. Das Pflaster wäre Mord an seinen Reifen.

Zipperer hörte das Fluchen durchs offene Fenster und verzog den Mund.

31 »Unsere Pferde und die der Bauern haben das Pflaster fünfzig Jahre lang ausgehalten. An zu hartem Pflaster sind Tier und Mensch noch nie kaputtgegangen – – wohl aber an zu weichen Unterlagen,« brummte er.

»Was heißt das, zu weiche Unterlagen, Herr Zipperer?« wollte Franz Lohmann, der Lehrling, wissen.

Der alte Buchhalter sah ihn an.

»Als da sind: Daunenbetten, große Lotteriegewinne, dicke Bankguthaben, unverdiente Erbschaften – –«

»Kann man sich denn eine Erbschaft überhaupt verdienen?« war der Lehrling neugierig.

»Ist euch in der Schule nie das Aufsatzthema aufgegeben worden: ›Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen‹?«

»Herr Zipperer, das verstehe ich nicht – – was man erbt, das braucht man doch nicht erst zu erwerben.«

»Hinter allem Tiefen steckt ein Widerspruch, mein Junge. Aber nur für Oberflächliche. Tauchen muß man, um die Lösung zu finden.«

Franz grinste heimlich.

»Da hab ich neulich hier auf einem Pult einen Spruch liegen sehen, da stand zu lesen: ›Was du ererbt von deinen Vätern, verwirf es, um dich zu besitzen.‹«

32 Zipperer sah den Lehrling scharf an.

»Den Spruch kenne ich – – der ist zweigesichtig.«

»Was heißt das: zweigesichtig?«

»Das heißt, die Weisen und die Narren ziehen aus ihm Nahrung.«

Bevor Franz noch weiter fragen konnte, wurde die Tür geöffnet. Die Amerikaner traten geräuschvoll ein, geführt von Lamprecht und seinem Sohn, der, groß und schlank gewachsen, die Gäste an sich vorbeiließ und dazu ein hochfahrendes Gesicht aufgesetzt hatte, als brauche er das, um den Männern von drüben zu imponieren.

Die Gäste benahmen sich ungeniert. Trotz ausgezeichneter Kleidung spürte man darunter die aufgekrempelten Ärmel. Trotz korrekter Reden hörte man die Untertöne: ›Wir in Amerika – – längst überholt bei uns, was ihr hier in den Himmel hebt. Seid ja soweit ganz fleißig und tüchtig, Kinder, aber der Zug fehlt. Auf Großzügigkeit kommt's an, den Sprung ins Ungewisse muß man wagen.‹ Ein abwägender Blick in die Runde: ›Was würde euer ganzer Krempel kosten, wenn wir uns entschlössen –‹

Der alte Lamprecht führte sie mit ruhiger Liebenswürdigkeit. Ohne daß er es wollte, hob sich ihrer Zugriffigkeit gegenüber seine verhaltene Würde wohltuend ab.

33 »Die Herren sind falsch unterrichtet,« lächelte er, als eine Bemerkung in dieser Richtung fiel. »Verkauft wird die alte Firma nicht.«

»Desto besser. Wir dürfen uns also aussuchen, was wir brauchen können?«

»Sie sind höflich eingeladen, unsere Maschinen zu besichtigen – –«

Es trat ein, was immer eintritt, wenn sich Kaufmannsgegner messen: Höfliches Bedauern und gemimter Aufbruch.

An der Tür dann gemimtes plötzliches Erinnern: »Man sagte uns, daß Herr Utz – – wo ist er übrigens? Doch nicht etwa krank?«

Das war die Stelle, an der die Angestellten und Vertreter der Firma unbehaglich zu werden pflegten.

Der alte Lamprecht richtete sich auf. Aufgekrempelte Ärmel gegen aufgekrempelte Ärmel. Er setzte sich resolut auf Franzens Portokasse, steckte die Hände in die Hosentaschen, wie die Amerikaner es taten, und sah sie freimütig an:

»Wir wollen uns nichts vormachen, meine Herren. Sie wissen es genau so wie wir alle: Herr Utz ist, wie Sie drüben und wir hier bei uns sagen, nicht normal.«

Eine Sekunde lang nur Verblüffung. Dann lebhaftes Reden:

»O bitte! Gerade nichtgenormte Männer wissen wir zu schätzen. Nichtgenormte haben unser Land 34 entdeckt, besiedelt, hochgebracht und – – wir sind sozusagen immer auf der Suche nach Menschen mit neuen Ideen. Herr Utz soll der stabilen Dreschmaschine verflucht dicht auf den Hacken sein.«

»Gewiß,« bekannte Lamprecht offen. »Nur daß diese Hacken von seinen Bemühungen immer den gleichen Abstand hielten – – bis heute.«

»Wäre es möglich, sich das letzte Versuchsmodell einmal anzusehen?«

Lamprecht schwankte. Sein Blick streifte seinen Sohn, der ihm ein heimliches Zeichen machte. Zipperers Stirn umwölkte sich. Die Ingenieure sahen gespannt ihren Chef an.

In die momentane Stille klang plötzlich Franzens, des Lehrlings, ängstliche Stimme:

»Verzeihung, Herr Lamprecht – – Sie setzen sich in den Leim.«

Der kleine Zwischenfall löste die Spannung. Alle lachten.

»Keine Angst, Franz. Und wenn auch – – er ist viel zu dünn, als daß ich kleben bliebe. – Darf ich bitten, meine Herren?«

Als sie in den Versuchsraum traten, geisterte der alte Utz um die Versuchsmaschine. Niemand nahm Notiz von ihm.

Das gemütliche Gehabe der Amerikaner verschwand. Es war, als würden unsichtbare Hebel herumgeworfen. Treuherzigkeit auf Ruf und 35 Widerruf war abgestellt. Angespannte Aufmerksamkeit leuchtete aus blauen Augen. Der Fachmann war erwacht. Scheinbar nur mäßig interessiert umschritten sie die Maschine. Niemand sprach ein Wort. Als aber einer der jungen Ingenieure eine Erklärung anbringen wollte, traf ihn der Blick des Führers der Amerikaner und ließ ihn erschrocken schweigen.

Sie waren alle Erntemaschinenfachleute. Ihre Väter waren drüben eingewandert. »Abnorm« die meisten. Von kleinlichen und erschreckten Vaterländchen in der alten Welt herumgestoßen. Unerwünscht. Standen zum erstenmal ungeheuren Flächen gegenüber, der Enge der Heimat entflohen. Und wußten: Die Prärie war unerbittlich. Kampf forderte sie. Kampf fast ein Jahrhundert lang. Schon neigte sich der Sieg der Prärie zu. Den der Weite untertan gewordenen Weißen wurde gnadenhalber das Nomadendasein einer Rothaut zugebilligt. Da kam die Maschine.

Im Bunde mit dem eisernen Kameraden besiegten sie die Weite. Der Farmer drüben stand ganz anders zur Maschine als der Bauer in Europa: So verkehrt eine Großmacht mit der andern. Widerwillig aber nur ließ sich eine Großmacht von der andern ins Getriebe sehen. So kam es, daß sie drüben nur aus Zufall in Maschinen etwas Neues fanden. Und dies Neue ging mehr in die Breite als in die Tiefe.

36 Tiefer sah der Ingenieur in Europa. Wenn er es auch manchmal wie der alte Utz, der dort mit wollenem Putzlappen seine Maschine streichelte, mit einem Hieb jäh zuschlagender Maschinentatze büßen mußte.

Dieses Tiefersehens wegen waren die Männer der Prärie gekommen. Dieses Tiefersehens wegen hatten sie die Scheckbücher mitgebracht und die Verstellung, womit sie mit der einen Hand dem deutschen Ingenieur auf die Schulter, mit der andern auf ihr Scheckbuch klopften: »Ganz nett soweit, Ihre Idee – how much?

Ein dutzendmal waren sie um die Maschine herumgegangen, ohne zu fragen. Keine Hand hatten sie ausgestreckt, die Maschine zu betasten. Dennoch entging ihnen nichts. Wo etwas neu schien, zwinkerten die Augen, hielten sie den drüben lang gewordenen Schädel schräg, straffte sich die kupfrig gewordene Haut – und hatten, was sie fragen wollten.

Bis auf irgendeine Winzigkeit, auf die es ankam.

»Ganz nett soweit,« sagte der Führer und klopfte dem alten Lamprecht wohlwollend die Schulter.

Schon wollte sein Nebenmann, ungeduldiger von Natur, die andere Klopfbewegung auf das Scheckbuch machen: »And how much, please?« da fiel ihm ein Dritter ins Wort: »Das also wäre die Maschine tot – – nun hätten wir sie auch gern lebendig gesehen.«

37 Aller Blicke flogen zu dem alten Lamprecht hinüber. Der schwankte sichtlich. Sein Sohn stand neben ihm und flüsterte ihm zu: »Revers unterschreiben lassen, sonst haben sie uns in der Hand.«

Der Alte schüttelte unwillig den Kopf und sah den Sohn an. ›Es gibt so etwas wie Vertrauen, Richard,‹ hieß das.

Mit einem Achselzucken gab der Sohn den Blick zurück.

›Hinterwäldler,‹ hieß das. ›Aber wie du willst – ich wasche meine Hände in Unschuld. Wenn's nach mir ginge – –‹

Da ging plötzlich ein Surren durch den Raum, ein Aufrattern und Stampfen.

Die Maschine lief.

»Wer hat die Maschine angestellt?« schrie der junge Lamprecht voller Empörung.

»Ich,« sagte der Mann mit dem Putzlappen und nahm den Finger vom Anlasserknopf.

Richard Lamprecht brauste auf: »Vater, du kannst nicht dulden, daß dieser – – dieser – –«

»Erfinder,« ergänzte ihn der Vater ruhig.

Wie auf Kommando fuhren die Köpfe der Amerikaner herum, von der Maschine ab, dem Mann mit dem Putzlappen zu.

»Utz?« rief es durcheinander. »Ja, aber – – Mann Gottes – – das hätten Sie doch sagen 38 müssen. Entschuldigen Sie, daß wir – – kommen Sie doch ins Helle.«

Er kam nicht ins Helle. Er streichelte und rieb zärtlich die zitternde Maschine. Die Menschen interessierten ihn nicht.

Die Aufmerksamkeit wandte sich wieder der Maschine zu. Die Amerikaner schlichen wieder um sie herum, als wollten sie ihr die Seele aus dem stählernen Gefüge saugen. Trotz aller gemachten Lässigkeit konnten sie es nicht mehr verbergen: Das Werk imponierte ihnen.

Der junge Lamprecht stand mit finster zusammengezogenen Brauen neben seinem Vater und flüsterte ihm zu:

»Wenn ein Verrückter tun darf, was er will, Vater – – wozu sind wir dann da?«

»Es zu machen wie dieser da,« sagte Lamprecht und deutete auf den Führer der Amerikaner, der eben auf den alten Utz zugetreten war und sich vor ihm verbeugte.

»Stop please!«

Utz nickte, drückte auf einen Knopf – die Maschine lief schnaufend aus.

»Alle Achtung, Herr Utz,« klang die Stimme des Wortführers durch den Raum. »Mehr als eine Verbesserung gegen früher. Sie sind natürlich durch Patent gesichert, nicht wahr?«

Utz antwortete nicht. Seine Hand streichelte mit gleichbleibender Zärtlichkeit die Maschine.

39 Richard Lamprecht konnte nicht mehr an sich halten.

»Vater, wenn du jetzt nicht sprichst, werde ich –«

Der Alte sah den Sohn scharf an.

»Du wirst jetzt die Güte haben, dich draußen nach Flamm umzuschauen. Wir brauchen ihn wahrscheinlich jetzt.«

Der Sohn stand ein paar Sekunden noch zögernd. Man sah ihm an, daß es in ihm riß, etwas zu erwidern. Dann bezwang er sich, wandte sich mit einer brüsken Bewegung ab und verließ den Raum.

»– – durch Patent gesichert,« nahm der Amerikaner seine Rede wieder auf. »Wir wären nicht abgeneigt, Ihnen die Patente für Amerika abzukaufen. Da, wie Sie zugeben müssen, nichts grundsätzlich Neues, nichts Umwälzendes vorhanden ist, das geeignet wäre, dem Landmaschinenbau einen Aufschwung zu geben, müßte der Preis natürlich sehr – – sehr entgegenkommend sein. Aber wenn es Ihnen gelänge – – wenn es Ihnen je gelänge, die stabile Dreschmaschine zu bauen – – Sie sehen ja selbst, wie sie noch schwankt – – verdammt schwankt – –«

Utz hörte auf zu streicheln. Mit hängenden Armen stand er da. Demütig koste sein Blick die Maschine. Und plötzlich sprach er mit ihr. Sprach mit ihr, unbekümmert um die Leute, die ihn umstanden, wie man mit einem Menschen spricht:

40 »Ich weiß schon, was dir fehlt – – zwei Organe sind dir falsch gekoppelt. Darum schlägst du aus. Wenn mir zwei Organe falsch gekoppelt wären, schlüge ich auch aus – –«

»Excellently expressed!« murmelte der Amerikaner.

»Aber freilich – – mich hat der Herrgott gebaut,« fuhr Utz fort, als sei er allein. »Der versteht es. Dich habe ich gebaut. Ich bin ein Stümper – – aber sieh, ich hätt' es um dich verdient, daß du mir einen kleinen Wink gibst – – einen ganz kleinen Wink nur – –«

Er verstummte und begann wieder mit dem Putzlappen den Stahlkoloß zu streicheln.

Der Amerikaner wandte sich hastig ab, Lamprecht zu.

»Herr Lamprecht – – es ist sonst nicht meine Art – – nicht unsere Art – – aber angesichts dieses Mannes, der in Ehren auf dem Schlachtfeld der Maschinen gefallen ist, sage ich Ihnen: Millionen an Verschleiß und Arbeit würde eine stabile Dreschmaschine ersparen. Und noch eins: Für das Weltpatent ›Stabilmaschine‹ – stabil, wie aus Erz gegossen, – würde Ihnen unser Landmaschinentrust einige Millionen – – Dollarmillionen, bitte, zahlen.«

Ein dröhnendes Aufsummen unterbrach ihn. Die Maschine lief wieder, hämmernd und ratternd – –

41 und plötzlich war ein Schrei da – – ein heller, gellender Schrei, von dem niemand im Raum hätte sagen können, ob Todesangst oder Triumph ihn erzeugte.

Aller Blicke folgten mit stockendem Atem der Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Und da sahen sie, was sie in der ganzen Stunde, die sie hier verbrachten, nicht gesehen hatten: Unter der Maschine lag ein Mensch, bewegungslos den Blick hinaufgerichtet in das hundertfältige Getriebe – –

»Stop! Halt!« riefen fünf, sechs Stimmen durcheinander.

Das Dröhnen wurde tiefer, verstummte. Die Maschine stand.

Unter ihr hervor kroch Max Flamm.

Erstaunt, verblüfft sahen die Männer, die ihn umstanden, in sein Gesicht, in ein schmutz- und staubbedecktes Gesicht. In dem Gesicht aber strahlten ein Paar Augen, lachte ein Mund. Und Flamm eilte auf Utz zu, packte ihn an den Schultern, schüttelte ihn und schrie:

»Ich hab 's, Herr Utz. Ich hab 's. Abreuter und Siebkasten müssen auseinandergeschnitten werden, müssen sich gegeneinander bewegen, dann steht sie. Dann torkelt sie nicht mehr.«

Um Utzens Mund schwebte ein irres Lächeln.

»Sie gibt's nicht her, ihr Geheimnis, Flamm – sie gibt's nie her – – sie hält uns alle zum Narren.« 42

 


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