Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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8.

Ja, und dann kam ein Tag, an dem sie sich doch wieder allein gegenüberstanden, Thilde Utz und Max Flamm. Nicht zu einer offenen Aussprache, die manches vielleicht hinweggeschwemmt hätte, wenn etwas hinwegzuschwemmen gewesen wäre – Sie 58 standen sich gegenüber, er ruhig, ahnungslos – – sie aufgeregt, empört, ihn anblitzend, wie einen, mit dem sie zu kämpfen bereit sei.

Sie hatte Frau Flamm begrüßt und sie gebeten, sie einen Augenblick mit Max allein zu lassen. Und war zu ihm eingetreten ins Zimmer. Hatte ihn vor dem Reißbrett stehen sehen.

»Verzeih, Max, wenn ich störe – –«

Er sah auf. Lächelte ein wenig. Ganz unpersönlich, fand sie. So, wie man immer lächelt, wenn irgendwer zu Besuch kommt.

»Du störst nicht, Thilde. Es ist gut, daß du einmal da bist – – haben wir nicht manches miteinander zu besprechen?«

»Laß das. Ich habe eingesehen, daß die Firma, die Maschinen die erste Hypothek von dir zu fordern haben. Du selbst hast auf dich verzichtet, da war es auch von mir nur recht und billig, auszuweichen und im Rang zurückzutreten – –«

Er sah sie verständnislos an. Sie lachte.

»Ach so, dich wundert mein Zuhausesein im Hypothekenrecht? Ich habe in der Zwischenzeit manches gelernt. Habe mich ein bißchen in der Hauptbuchhaltung umgeschaut – –«

»Bei Zipperer?« fragte er verblüfft.

»Ja, bei unserm Zipperer.«

»Aber das ist doch – –«

»– – nicht meine Art, meinst du? Man ändert 59 sich mit der Zeit, nicht wahr?« lachte sie wieder nervös. »Oder meintest du, es sei nicht notwendig gewesen? Man kann verschiedener Ansicht darüber sein, nicht wahr? Ich zum Beispiel empfand es als Notstand, daß mein geistesgestörter Vater ohne Gegenleistung am Gewinn der Firma beteiligt ist. Darum will ich versuchen, mit meiner eigenen Kraft das Maß von Arbeit zu leisten, das dem Vater zugekommen wäre.«

Max streckte ihr die Hand entgegen.

»Jetzt verstehe ich dich, Thilde. Es ist schön, daß du kommst, mir das zu sagen – –«

Sie winkte ab.

»Deshalb komme ich nicht. Selbstverständlichkeiten sind nicht wichtig. Wichtiger bist du.«

Er sah sie an.

»Ich fülle meinen Posten aus, das weißt du, Thilde.«

»Auch eine Selbstverständlichkeit. Wichtig ist, daß du dich nicht verlierst, nicht verplemperst, einspannen läßt in Dinge, die deiner unwürdig sind.«

Sie riß ein Zeitungsblatt aus der Tasche und warf es auf das Reißbrett.

»Ich verstehe ja, weshalb du es getan hast.« fuhr sie erregt fort. »Der ›Jungen‹ wegen. Max, ich habe mich schweigend gefügt, als du mich beiseiteschobst, weil ich begreifen lernte, daß im Rang die Wichtigkeiten wechseln können, daß – 60 vorübergehend eins wichtiger sein kann als das andere, was uns allein angeht. Durch mich bist du mit nichts belastet, Max, nichts bist du mir schuldig außer dem einen: Bleib sauber, laß dich nicht mißbrauchen. Das ist's, was ich dir sagen wollte. Und nun – – auf Wiedersehen.«

Er sah ihr nach, als sie zur Tür ging und begriff nicht, was das heißen sollte. Noch einmal blieb sie stehen, deutete auf das Zeitungsblatt und sagte nur:

»Bring das in Ordnung, Max.«

Dann war sie hinaus. Er stand, wie sie ihn verlassen. Was hieß das? Mißbrauchen lassen? In Ordnung bringen? Unverständlich!

Was war in Thilde gefahren? Was war für ein Mensch aus ihr geworden in der vergangenen Zeit?

Es hatte einmal etwas zwischen ihnen gegeben. Einen Streit, einen großen Streit, der eine Wand zwischen ihnen aufrichtete. Weil sie es so wollte. Weil sie sich einredete, die Maschinen seien ihm wichtiger als sie. Schön – – sie hatte nicht unrecht. Aber hatte er damit nicht Utz und Lamprecht gerettet, hatte er nicht ihren Vater mitgerettet und sie ebenfalls?

Hätte sie ihm nicht, genau betrachtet, danken müssen? Er legte keinen Wert darauf – – aber es wäre doch sicher nicht nötig gewesen, den Trennungsstrich so scharf zu ziehen.

61 Wie war das weiter gewesen?

Wenige Tage später waren die Amerikaner gekommen, und er hatte den Fehler entdeckt, hatte die Dreschmaschine von unten her beobachtet. Was der alte Utz in sieben Jahren nicht fand, was jenem den Verstand raubte – ihm gelang es in einer Stunde. Freilich, in einer Stunde, der viele andere vorausgingen, die angefüllt waren mit grenzenlosem Suchen, Grübeln, Forschen und Suchen.

Aber da war Thilde Utz schon nicht mehr da. Sie war ganz plötzlich untergetaucht. Er gestand sich ehrlich: in jenen Tagen hatte er sie nicht vermißt. Sein Leben war angefüllt mit Triumph und Arbeit. Mit so viel Arbeit, daß er nicht einmal an sich selbst denken konnte.

Und die Arbeit war nicht geringer, war immer größer geworden, seitdem er – – seitdem man ihn zum Mittelpunkt der Firma gemacht hatte. Seitdem seine Erfindung der Firma neuen Auftrieb und stabile Unterlage gab.

Thilde – –

Sie war nicht der Mensch, der teilte. Sie wollte sich ganz geben, wollte aber auch einen ganzen Menschen dafür haben.

Der Anflug eines leisen Lächelns erschien um Max Flamms Mund.

So war das nun. Ein Mann kann sich nie ganz geben. Immer ist noch etwas da, das ihn festhält 62 mit eisernen Klammern, das den besseren Teil seines Ichs aufsaugt – – und – –

Sein Blick fiel auf die Zeitung. Er nahm sie auf und las einen blau angestrichenen Abschnitt. Oder vielmehr, er las ihn nicht. Sein Blick flog darüber hin. Er war kein methodischer Zeitungsleser. Er war gewohnt, auf Anhieb da und dort Einzelsätze in sich aufzunehmen:

Von einer kombinierten Erntemaschine war die Rede, die längs der Getreidefelder entlangfahre, mit langen Sensenmessern die ganze Feldbreite erfasse und brausend Millionen Ähren wegrasiere. Auf schrägen Bändern transportiere sie sie dann zum Maschinentrichter, schüttele sie und dresche sie, erzeuge einen künstlichen Sausewind und sammele alle Spreu in Becken. Die Getreidesorten trenne sie und mahle und lasse, wie man wolle, goldene Getreidekörner oder Mehl in bereithängende Säcke rinnen. Jeder Sack bekomme automatisch das vorgeschriebene Gewicht. Wenn sie gefüllt seien, reihe sie ein besonderer Hebel am Straßenrand auf, so daß ein Nachfahrwagen sie nur aufzuladen und zur nächsten Bahnstation zu befördern brauche. Von dort aus zu den Bäckereien, die demnächst auch in die Mechanismen des Ernteriesen eingegliedert würden, der als ungeheurer Vogel vorn in die Felder tauche. Hinten brauche man dann nur die offenen Körbe hinzuhalten. Semmeln, Brötchen, Laibe für 63 Menschen und Völker kämen fertig zum Vorschein. Es gäbe keine Not und keinen Hunger mehr.

Max Flamm lächelte, während er den Artikel überflog.

Nett geschrieben. Phantastisch ausgemalt. Aber ein Zukunftstraum in weitem, weitem Felde – –

Utopie – –

In dieser Form nie zu verwirklichen. Menschengeist schuf und formte Gewaltiges, aber das?

Dichter wollen auch etwas zu tun haben.

Das Zeitungsblatt flatterte zu Boden. Vergessen schon.

Was hatte er damit zu tun?

Als er sein Zimmer im Büro der Firma Utz und Lamprecht betrat, kam schon Franz Lohmann, der Lehrling, der in den letzten Wochen beträchtlich in die Höhe geschossen war, herein, grüßte höflich und sagte, ein Zeitungsblatt in der Hand haltend:

»Verzeihung, Herr Oberingenieur, Herr Hauptbuchhalter Zipperer bittet um die Erlaubnis, auf diesen Artikel aufmerksam machen zu dürfen, weil – weil – –«

Max Flamm sah den jungen Mann an.

»Weil? Schnell, bitte, hab wenig Zeit.«

»Weil er sich nicht denken kann – – weil er vermutet, daß vielleicht eine – – eine drittinteressierte Seite mit Rücksicht auf die heute erstmals aufgelegten ›Jungen‹ – –«

64 »Schon wieder ›Junge‹? Das hab ich heute schon einmal gehört. Und sagen Sie Herrn Zipperer, daß ich den Artikel bereits gelesen hätte. Interessiert mich nicht – 'raus!«

Kaum hatte Franz ihn verlassen, wurde die Tür abermals aufgerissen. Der junge Lamprecht kam herein, ein wenig aufgeregt, wie es schien.

»'n Morgen, Herr Flamm – – 'tschuldigen Sie, daß ich Sie so mir nichts dir nichts überfalle. Aber es eilt. Mein Vater wird gleich hier sein, wegen – – naja, ein bißchen empört ist er – –«

Max Flamm lächelte.

»Ich kann mir nicht denken, warum?«

»Eines kleinen Zeitungsartikels wegen, den ich als Leiter der Propaganda-Abteilung lancierte. Und da für den Artikel ein autoritärer Name gebraucht wurde, habe ich mir gestattet – – hm. – – Sie verstehen schon, nicht wahr?«

»Nicht ein Wort verstehe ich, Herr Lamprecht.«

Richard Lamprecht lächelte ein wenig verlegen, als er in das Gesicht Max Flamms blickte.

»Wir brauchten ein bißchen Stimmung für die heute eingeführten ›Jungen‹.«

»Ich höre immer ›Junge‹ – – was habe ich damit zu tun?« Max Flamm wurde ungeduldig.

»Im Grunde nichts. Wir wollen einen anständigen Kurs erzielen, begreifen Sie? Und – –«

Er kam nicht dazu, weiterzusprechen.

65 Heinrich Lamprecht kam herein. Hatte ebenfalls das ominöse Zeitungsblatt in der Hand, das scheinbar die ganze Firma auf den Kopf stellte – und stand breit und wuchtig vor Max Flamm. Für seinen Sohn hatte er nur einen flüchtigen Blick.

»Flamm. Was haben Sie da für einen Quatsch geschrieben?« kam es drohend von seinen Lippen.

Max Flamm wollte etwas erwidern, aber Richard Lamprecht kam ihm zuvor:

»Meinst du den Artikel über die Universalmaschine, Vater? Ich muß sagen – –«

»Was du sagst, ist im Augenblick nicht wichtig. Von Ihnen will ich Auskunft, Flamm. Wie kommen Sie dazu, die Leute mit solchem Zeug verrückt zu machen?«

»Zukunftsfanfaren, Vater,« warf der junge Lamprecht wieder ein. »Ungeheuer eindrucksvoll – –«

»Wie können Sie so etwas mit Ihrem guten Namen decken, Flamm?« wollte der alte Lamprecht wissen.

»Mit meinem Namen?«

»Wollen Sie ableugnen, daß Sie das hier geschrieben haben? Jedenfalls steht groß und deutlich Ihr Name unter dem Zeug. Und Sie mußten sich sagen: was unter Ihrem Namen geht, kommt unabwendbar auf Konto der Firma – –«

»Soll's ja auch, Vater,« lachte Richard Lamprecht. »Du vergißt, daß heute die ›Jungen‹ an der Börse eingeführt werden.«

66 »Was hat das damit zu tun?«

»Sehr viel. Wir brauchen das Geld für die Erweiterung der Fabrikbauten, für die Vergrößerung unseres Umsatzes. Die Unionsbank legt die Aktien zu dem Einführungskurs von 200 auf – – stell dir die Katastrophe vor, wenn sie diesen Kurs nicht erreichten.«

»Es handelt sich hier nicht darum – – es handelt sich um diesen unverantwortlichen Zeitungsartikel, den Flamm geschrieben hat – –«

»Entschuldigen Sie, Herr Lamprecht,« gelang es jetzt endlich Max Flamm, einzuwerfen. »Im Interesse unserer weiteren ungestörten Zusammenarbeit möchte ich feststellen: Ich habe diesen Unsinn nicht geschrieben und habe bis zu dieser Stunde überhaupt nichts von ihm gewußt.«

»Nicht?« Der alte Lamprecht sah seinen Sohn an. »Dann hast also du, Richard – –«

Der Lehrling Franz kam hereingestürzt.

»Herr Lamprecht, ein dringendes Telegramm!«

Richard nahm es ihm ab, bevor Heinrich Lamprecht zugreifen konnte, und riß es auf. Ein Leuchten war in seinen Augen.

»Aufgepaßt, alter Herr,« rief er, und in seiner Stimme war fast ein Klang von Siegesfanfaren: »Heutige Einführung der jungen Aktien ein noch nie erlebter Erfolg. Bankenkundschaft riß sich alles verfügbare Material aus den Händen. 67 Anfangskurs von 200 erheblich überschritten, erreichte zum Schluß Stand von 297. Gratulieren. Unionsbank.«

Während Richard Lamprecht das Telegramm las, trafen sich Flamms und des alten Lamprechts Blicke. Kein Muskel zuckte in den beiden Gesichtern.

»Sieg,« rief Richard Lamprecht begeistert, schlug seinem Vater auf die Schulter und stürmte hinaus.

Die beiden Männer blieben allein zurück. Keiner sprach ein Wort. Schweigend standen sie einander gegenüber.

Nicht wie Sieger sahen sie aus – – eher wie Besiegte – – Besiegte, die sich still gelobten, es mannhaft zu tragen – – es zu tragen, wenn es sein mußte bis ans bittere Ende. – –

 


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