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17.

Paragraph 17 der Aktiengesellschaft Utz und Lamprecht lautete: »Spätestens drei Tage vor der Generalversammlung sind die abstimmenden Aktien oder die Ausweise darüber bei der Gesellschaft selbst oder bei den nachstehend aufgeführten Banken zu hinterlegen – –«

Es war ein aufgeregter Handel in Utz und Lamprecht-Aktien. Käufer und Verkäufer lieferten sich Schlachten. Stundenlange Kämpfe wogten hin und her.

Der Zeigefinger der Wertpapierbesitzer fuhr beim Morgenkaffee über die Kursberichte hin: »Ul – – wie stehen Ul? Donnerwetter, schon wieder geklettert!«

Unter der Hand ward es herumgetragen: Der Trustplan der Gesellschaft habe scharfe Gegner. Die Gesellschaft selbst lasse durch Freunde oder Strohmänner ihre eigenen Aktien aufkaufen. Sie brauche eine sichere Mehrheit. Die Verfechter eines Welttrusts säßen in Amerika. Von dort aus würde der Anschluß von Utz und Lamprecht gefordert als letzter Eckstein eines allumfassenden Welttrusts. Gewiß, 141 es gebe Schwierigkeiten; aber der Ausgang sei nicht im geringsten zweifelhaft. Wer klug sei, kaufe Ul.

Die Kurse kletterten.

Ernste Blätter warnten. Aber es nützte wenig, daß man die Aufgeregten, die meinten, zu früh verkauft zu haben, auf den Spruch Rothschilds hinwies: »Sie möchten wissen, mit welchen Mitteln ich mein Vermögen machte? Ganz einfach, meine Herren: Ich habe immer – zu früh verkauft.«

Paragraph 17: »Spätestens drei Tage vor der Generalversammlung – –«

Auf den 24. war die Generalversammlung angesetzt. Am 20. noch ein Hexenkessel um den Börsenpfeiler, wo Maschinenaktien den Besitzer wechselten: »Ul 990 – – Ul 995 – – Ul 998 – – Ul 999 – – Ul 999¼ – – Ul 999½ – – Ul 999⅞ – –«

Die Börse hielt den Atem an. Hunderte von Augenpaaren blickten gebannt auf die große schwarze Kurstafel, wo die Kaufabschlüsse noch in der Minute ihrer Tätigkeit mit Kreideziffern hingehagelt wurden. Hunderte von Hirnen, hier im Saale – – Tausende im Lande draußen warteten fieberhaft auf die Zahl, die seit Wochen von fernher geleuchtet hatte. Die Kreiden hoben sich, die elektrischen Ticker – – die Maklergehilfen an den Telephonen hielten den Hörer zitternd umkrampft, um in der nächsten Sekunde in den Apparat hineinbrüllen zu können: Ul 1000. Ul, der höchste je notierte Kurs. Ul über 1000.

142 Aber im gleichen Moment flogen die Börsentore am 20. krachend zu, ein achtel Prozent vor den drei Nullen mit der wehenden Einsstandarte vorn.

Sie öffneten sich wieder, die ernsten Börsentore, am 21. – – der erste Lichtstrahl von draußen prallte auf den Anschlag: »Spätestens drei Tage vor der Generalversammlung – –«

Keine Brandung mehr um den Maschinenpfeiler in der Börsenhalle. Kein Geschrei mehr und kein Brüllen. Die Aktien waren hinterlegt. Nur die hinterlegten konnten stimmen.

Gähnend preßte der waagerechte Strich auf dem heutigen Kurszettel hinter Utz und Lamprecht die dünnen Lippen aufeinander. Der Strich hieß: Mangels jeglichen Angebots und jeglicher Nachfrage kein Geschäft in diesen Aktien.

Richard Lamprecht saß rechnend über den Anmeldelisten und der Statistik über die erworbenen Aktien, die für den Verwaltungsantrag stimmen würden: So viele Aktien würden vertreten sein – – demnach würde diese Ziffer die einfache Mehrheit bedeuten?

Ein befriedigtes Lächeln legte sich um seinen Mund.

»Gesichert.«

Stirnrunzelnd blätterte er in den Statuten. Damals hatte man natürlich den Trustgedanken nicht vorausgeahnt. Und da stand so ein dummer 143 Paragraph, der eine Dreiviertelmehrheit verlangte. Und das würde nicht ganz einfach sein. Es waren einige Unsicherheitsposten vorhanden, die man nicht ausschalten konnte. Es gab viereckige Bauernschädel, die man nicht vorher bearbeiten konnte, wollte man nicht das Gegenteil erzielen – –

Offiziell lag bisher keine Ankündigung eines Gegners vor, aber im letzten Augenblick konnte – –

Er läutete Zipperer. Verglich dessen Kontrollnotizen mit den seinigen.

»Sie sind doch auch der Meinung, Zipperer, daß die vorhandenen Unterlagen eindeutig daraus hinweisen – –«

Der alte Hauptbuchhalter wich aus: »Viel wird an der Leitung liegen, Herr Lamprecht – –«

»– – die ich meinem Vater nicht gut aus den Händen winden kann.«

»Was gesetzlich auch nicht statthaft wäre.«

»Sie meinen, weil er den Vorsitz im Aufsichtsrat führt?«

»Der Posten wäre übertragbar, Herr Lamprecht.«

»Nicht übertragbar aber wäre, meinen Sie, der Sohnesgehorsam meinem Vater gegenüber?«

»Herr Lamprecht machen es einem alten Beamten schwer – –«

»– – sich offen zu äußern? Durchaus nicht, lieber Zipperer. Ich habe Sie rufen lassen, um ganz 144 offen und rückhaltlos Ihre Ansicht zu hören. Also heraus damit.«

Zipperer machte einen Anlauf. Machte einen zweiten.

»Es geht nicht, Herr Lamprecht. Ich tauge nicht für diese großen Dinge. Mir sitzt der Angestellte noch in den Knochen, von der Zeit her, da wir noch eine kleine Landmaschinenfirma waren, da der Bauer vor den Toren unserer schlichten Werkstatt seinen Acker pflügte. Mit demselben Pfluge pflügte, den er eine Stunde vorher aus der Werkstatt holte.«

»Na, und heute? Im Grunde ist es doch heute nicht anders.«

»Heute liegt das ganze Reich vor unsern Toren.«

»Auch damals, Sie alter Zauderer,« lachte Lamprecht. »Nur damals haben Sie 's nicht gesehen.«

»Ich sah es wohl, aber verantwortlich war ich nicht dafür. Ich und unsere Firma waren kleine pflichtgetreue Rädchen – –«

»Daß wir heute Räder sind statt Rädchen, ist doch nur ein Unterschied des Grades, nicht des Wesens.«

»Wir wurden damals angetrieben von geheimnisvollen Mächten. Denen dienten wir gehorsam, wie's auch kommen mochte. Ob böse oder gut – –«

»Und heute?«

145 »Heute unterfängt man sich, die Räder selbst zu treiben. Übers Weltmeer haben sie zu greifen. Das zu tun und das zu meiden. Keine Demut mehr, ein Schicksal hinzunehmen – –«

»Also, klipp und klar: Der Hauptbuchhalter unseres führenden Unternehmens ist der Ansicht, das eigene Schicksal mittels eines Welttrusts in die Hand zu nehmen, wäre Sünde?«

»Ansicht? Ich habe hier ein Amt und keine Ansicht, Herr Lamprecht,« verbeugte sich der Alte.

Lamprecht klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter.

»Sie sind schon recht, Zipperer. Von meinem Vater war die Rede. Sie kennen ihn fast besser als ich, der Sohn. In der Trustfrage weicht er mir aus – –«

»Die haben Sie als Generaldirektor der Versammlung zu erläutern. Keiner wird das besser können – –«

»Hoffen wir's. Ich bestimme Sie zum Listenführer, Zipperer. Ich verlasse mich auf Sie. Wie sind Sie mit Fräulein Utz zufrieden?«

»Sehr. Sie hat viel gelernt. Ist unermüdlich tätig. Für jede Sparte im Geschäft interessiert sie sich. Sogar die Technik sucht sie zu verstehen – – so weit eine Frau das vermag.«

Lamprecht lachte.

146 »Ob die Technik daran schuld ist oder der – Techniker, weiß man nicht so genau, was? – Ich lasse Fräulein Utz bitten.«

Sie war eine Minute später zur Stelle.

»Ich habe Ihnen zu danken, Thilde. Zipperer singt Ihr Lob in vollen Tönen, obwohl er damit sonst sehr sparsam umgeht,« lächelte er. »Außerdem danke ich Ihnen dafür, daß Sie die Aktien Ihres Vaters an uns abgetreten haben.«

»Ich bekam dafür den Gegenwert,« sagte sie zurückhaltend.

»Er wäre heute bedeutend höher.«

»Ich weiß, daß Preise schwanken. Für meinen Vater und mich ist's genug, daß wir mehr erhielten, als sie meinem Vater bei der Gründung der Gesellschaft kosteten.«

»Das nenn' ich nobel denken – – unsereiner kann sich das nicht leisten.«

Sie sah ihn fragend an.

»Wir wollen mehr – – wir müssen immer mehr wollen, als die andern geben möchten,« fuhr er fort.

»Wer zwingt Sie dazu?«

»Das Geschäft. Das Geschäft ist unerbittlich. Es hat nie genug. Auch nicht in den Grenzen. Meinen Sie, es sei mir ein Vergnügen, dem Trust beizutreten?«

Nach einer Pause erst antwortete sie: »Ihr Vater hat's nicht müssen.«

147 »Der Glückliche. Er gehört einer anderen Zeit. Ich habe keine Wahl. Doch eine hätte ich: Mich immer weiter ausdehnen oder unter die Räder kommen.«

Es dauerte wieder eine Weile, ehe sie erwiderte: »Kann man nicht auch beim Sichausdehnen unter die Räder kommen, Richard?«

»Gewiß kann man das,« lachte er.

»Dann wäre also die Wahl darauf beschränkt, unter das Ausdehnungsrad oder unter das Nichtausdehnungsrad zu kommen.«

»Sie sind eine Sophistin, Thilde. An Ihnen ist ein Philosophieprofessor verlorengegangen. Eine Frage noch: Hier sind 229 Aktien notiert, die wir von Ihnen übernommen haben. Stimmt das?«

»Es stimmt.«

»Waren es nicht 230 Aktien, die Ihr Vater hatte?«

»Ich habe nur 229 gefunden – –«

»Und Ihr Vater?«

»Gab sie mir offen in Verwahrung. Ich habe keine mehr.«

»Und wenn – –«

»– – stünde sie der Firma zur Verfügung.«

Er pfiff leise durch die Zähne.

»Also nicht mir?«

»Sie sagten eben selbst, Richard: Das Geschäft ist mehr als Sie. Die Firma käme immer an erster Stelle.«

148 »Sie sind schlau. Halten sich ein kleines Hintertürchen offen, für den Fall, daß es schief gehen sollte – –«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Damit man sagen könnte, man sei nur für die Firma eingetreten.«

»Ich mache keine Winkelzüge, Richard,« sagte sie ruhig.

»Ich glaube, wir brechen unsere Unterredung für heute ab, sonst treiben Sie mich noch in die Enge, Thilde – – und der Mann läßt nicht gern von dem Wahn, daß er dem andern Geschlecht überlegen sei, nicht wahr?«

 


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