Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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29.

Über den Kopf des Generaldirektors hinweg hatten die Großgläubiger der Firma ihrem Vertrauensmann Bericht erstatten lassen.

»Ungeschminkten,« klang das Schreiben aus. »Und je knapper, desto lieber.«

»Ungeschminkt und knapp?« hatte er zurückgeschrieben. »Ungeschminkt: Die abgesägte Steuerstange hat versagt. Er hat über sie hinaus in größtem Maße gefälscht. Und knapp: Utz und Lamprecht ist verloren.«

Dann hatte er doch gezögert, diese beiden lapidaren Sätze an die Gläubiger abzusenden. Nach Geschäftsschluß war er dageblieben. Den Registrator hatte er gemustert: »Sie haben manches vervielfältigt?«

»Millionen Blätter, Herr Lohmann.«

»Sie bleiben da.«

250 Der andere zögerte: »Unsere Gewerkschaft macht es mir zur Pflicht, bei Überstunden –«

»Überstunden werden vergütet.«

»Unsere Gewerkschaft hält darauf, daß Überstunden vierundzwanzig Stunden vorher anzumelden sind –«

»Ich weiß es selbst erst seit einer Stunde.«

»Wenn mich der Herr Direktor der Gewerkschaft gegenüber decken –«

»Und wer deckt mich?« fuhr Franz ungeduldig auf. »Und wer deckt den, der mich deckt? Können denn die Menschen von heute nicht mehr von sich aus entscheiden? Schämt euch. Gliederpuppen seid ihr. Bleiben Sie oder bleiben Sie nicht?«

Der Registrator senkte demütig den Kopf: »Ich bleibe.«

Es ging auf Mitternacht, als sie mit den Briefen endlich fertig waren. Franz legte die Ellenbogen auf die beiden Pfeiler Briefe und sah dem Registrator ins Gesicht: »Haben Sie begriffen, was Sie da vervielfältigten?«

»Freilich, diese beiden Haufen.«

»Den Inhalt meine ich.«

»Was Geschäftliches eben, wie ich es seit dreißig Jahren zu vervielfältigen habe –«

»Und wenn Sie eines Tages gehen müßten, Ullmann?«

»Gehen müßte?« stotterte der Registrator.

251 »Und nicht mehr wiederzukommen brauchten.«

Jetzt erschrak Ullmann. »Habe ich etwas falsch gemacht, Herr Direktor?«

»Weder im Registrieren noch im Vervielfältigen, Ullmann. Aber macht das gar keinen Eindruck auf Sie, wenn Utz und Lamprecht zusammenbräche – die Firma, von der doch auch Sie ein Teil sind?«

»Ein – Teil?«

Franz Lohmann gab es auf. Er hätte einem von den siebenhundert Schräubchen einer Uhr auch nicht klarer machen können, daß es ein Teil der Zeit sei, der allmächtigen. Er wurde traurig: Mußten Uhren, Werke, Menschen, Firmen, Staaten immer erst zerschlagen werden, damit der Sinn gefügter Teile sich ihnen endlich offenbare?

»Darf ich gehen, Herr Direktor?«

Franz Lohmann nickte.

Unentschlossen saß er dann noch vor den Briefstößen. Absenden? Nicht absenden?

Auf dem Schreibtisch Richard Lamprechts sah er etwas liegen, das bei Geschäftsschluß nicht daraus gelegen hatte, als die Putzfrau, seine Mutter gewohntermaßen den Staub fortwischte.

War das nicht ein Sparbuch? Er schlug es auf.

Es war das Sparbuch der alten Putzfrau. Mit einer beträchtlichen Endsumme. Was mußte sie sich in den dreißig Jahren, die sie bei Utz und Lamprecht diente, alles versagt haben, auf wieviel 252 Lebensschöne und Bequemlichkeit verzichtet haben, um auf ihre alten Tage diese fünfstellige Ziffer zu erreichen.

Da war ja noch ein beschriebener Zettel. Nein, ein Brief:

»Liber Här Lamprecht! Eigenlich habe ich es den Vattern liber gebn wollen, weil er schon meine Mutter gekant hatt, aber weil es heißt, daß sie arge Sorgen haben ins Geschäfft, habe ich mir denkt, ich werde es liber ihnen leien. Zinsen tät ich nuhr verlangen, wenns euch nicht zu schwehr fält. Hofendlich bringts euch übern Berg, dann zahlt ihrs mir zurück.«

Er las das zweimal und begann zum drittenmal, als ihm ein Würgen in der Kehle saß. Er hätte heulen mögen. Solche Leute gab 's noch? Leute, die alles in dreißig Jahren mühsam Ersparte bedenkenlos einem Windhund, einem Fälscher – –

Nein, so war's nicht: Der Firma gab sie 's.

Es war grauer Morgen, als er die Briefe in die Manteltaschen steckte.

Dem Sparbuch der Mutter aber fügte er einen Brief bei: »Liebe Mutter! Voriges Jahr hätte sich 's Deinetwegen noch gelohnt, Utz und Lamprecht wieder aufzubauen. Heute ist's zu spät. Deine sauer verdienten Groschen wären heute unrettbar verloren. Ein Schurke wäre ich, gäbe ich sie Dir nicht zurück. Wenn es ein paar 253 hunderttausend Leute mehr geben würde, die der unbedingten Sauberkeit im Leben mit Leib und Seele ergeben wären wie Du, so wäre Utz und Lamprecht heute noch, was es war: Ein getreues, altes, ehrliches Haus des Kaufmanns. Dein alter Lehrling Franz.«

Das steckte er in einen Geldbriefumschlag und verwahrte es in der linken Rocktasche über seinem Herzen.

Als er durch das Hoftor schritt, drehte sich der erste Arbeitsschlüssel im Schloß. Die Putzfrau stand vor ihm.

Er nahm sie fest bei beiden verschrubbten Händen:

»Ich bin stolz auf dich. Hier, nimm zurück, was wir aus solchen Händen nicht mehr nehmen dürfen.«

Dann zog er tief den Hut und ging.

 


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