Fritz Müller-Partenkirchen
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18.

Die Generalversammlung von Utz und Lamprecht tagte schon seit einer Stunde. Es war keine gleichgültige Generalversammlung, von der zwölf auf ein Dutzend gehen. Es war ein kommendes Schlachtfeld, das sich summend ordnete.

Der Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich Lamprecht ließ den Blick über die Anwesenden hingehen.

»– – es wäre nun nur noch ein letzter Punkt der Tagesordnung zu behandeln, den unsere amerikanischen Kollegen auf Grund ihres Aktienbesitzes eingebracht haben: Soll dem geplanten Weltmaschinentrust beigetreten werden oder nicht?« Eine 149 kleine Pause nur, dann fuhr er fort: »Einen Überblick über das Für und Wider dieses Antrags zu geben, wäre eigentlich meine Aufgabe, da ich als Ältester des Werks – –«

»Und Utz?« fiel ein Zwischenruf, dessen Ursprung sich nicht feststellen ließ.

Schweigen. Lächeln. In der Luft schossen die Umrisse einer Peinlichkeit zusammen.

»Utz?« rettete der alte Lamprecht offenen Auges die Lage. »Ich wollte, er säße an meiner Stelle hier. Er ist krank. Auch ich bin alt und grau geworden im Dienste der Firma. Bin der Jüngste nicht mehr. Vielleicht verstehe ich auch nicht mehr, was die neue Zeit verlangt. Bitte, leihen Sie Ihre Aufmerksamkeit dem Generaldirektor, meinem Sohn.«

Leichtes Beifallsklatschen. Aller Blicke wandten sich Richard Lamprecht zu.

Richard Lamprecht stand ruhig, sicher und zeichnete ein Bild des Trusts. Überzeugend, verantwortungsbewußt.

»Ein Volkswirtschaftsprofessor könnte auch nicht anders sprechen,« dachte man enttäuscht.

Lebhafter, farbiger wurden seine Worte, als er auf die Not hinwies, die ein schrankenloser Wettbewerb in Zeiten der Krise erzeugen könne: Alles balge sich um die verbliebenen Auftragsreste, die Gewinne schmölzen dahin, die Verluste wüchsen, einer dränge rücksichtslos den andern beiseite, die 150 Konkurse schwöllen, mit Wirtschaftsleichen sei der Weg des Rückgangs gezeichnet.

Gewiß, auch Zusammenschlüsse in der Form von Trusten böten keine unbedingte Sicherheit. Immerhin, es würde nicht geschleudert. Elastisch könne man Erzeugungskurven den gesunkenen Verbrauchskurven angleichen. Arbeiterheere brauchten nicht von heute auf morgen auf die Straße geworfen zu werden. Über weite Zeiten, weite Räume könnten große Wirtschaftspläne ohne Unterbrechung durchgeführt werden. Der Produktionsprozeß würde sich in einem Haus vollziehen, durch dessen Dach es niemals regnen könnte –

»Und in dem es drinnen mufft und modert vor Bequemlichkeit, weil niemand sich zu plagen braucht, um im Wettkampf aneinander zu wachsen,« kam eine spöttisch-klare Stimme aus dem Saal.

»Sie haben nicht das Wort, Herr,« quiekte ein kleines Männchen von der Unionsbank.

»Zwischenrufe sind erlaubt,« entschied der alte Lamprecht, ohne sich auf seinem Präsidentenplatz zu rühren. »Man kann durchaus verschiedener Meinung sein. Deshalb sind wir ja hier. Eine Generalversammlung ist ein Meinungsaustausch. Siegen soll, wem es gelingt, den Gegner zu überzeugen.«

»Ausgezeichnet,« kamen Zustimmungsrufe aus dem Saal. »Weiter im Text.«

151 »Ich bin fertig!« sagte der Generaldirektor plötzlich kühl und sachlich. Etwas in der Stimme seines Vaters hatte ihn angepackt. »Ich beantrage Abstimmung.«

»Oho. Aussprache.«

»Wer wünscht dazu das Wort?« fragte Heinrich Lamprecht. Ein durchgeistigtes Gesicht tauchte vor ihm auf. »Ihr Name, bitte.«

»Muß der genannt werden?«

»Es ist üblich.«

»Doktor Zietl.«

Das quicke Männchen von der Unionsbank wandte sich spöttisch erklärend an seinen Nachbarn: »Professor der Philosophie – – weltfremd. Schade um die Zeit.«

»Sein Einwand hatte Hand und Fuß.«

»Was heißt Hand und Fuß?«

»Ruhe,« gebot der Vorsitzende. »Ich erteile Herrn Doktor Zietl das Wort.«

Dessen gescheites Gesicht wurde tiefernst: »Ich bitte, etwas weiter ausholen zu dürfen – –«

»Adam und Eva,« kicherte jemand.

Gelächter.

Der Redner achtete nicht darauf.

Das Wort Trust sei angelsächsisch. Es heiße trauen – – vertrauen. Worauf vertrauen? Auf die Güte der Menschen? Wundervoll. Aber Güte werde nicht geschenkt. Güte müsse man sich täglich 152 neu erkämpfen. In der eigenen Brust erkämpfen. Sei das so im Reich der Seele, wieviel mehr im Reich der Wirtschaft. Wirtschaft ohne Kampf sei Stillstand. Sei stumpf stagnierendes Gewässer. Solche Wasser trieben keine Mühlen. Solche Wasser brüteten Miasmen aus. Sie erzeugten Fieber. An solchen Sümpfen zu wohnen, sei das Gegenteil von idyllisch. Es sei – um es auch mit einem Einsilber zu sagen, wie der Trust einer sei – es sei der Tod.

»Eine Sonntagspredigt in der Generalversammlung,« höhnte der Quicke.

Und kurz und gut: Er warne vor der Kirchhofsruhe des Trusts. Gewiß, stetige Dividenden seien verführerisch. Aber verführerisch für alte Leute. Nicht für junge Industrien. Nicht für Landmaschinen.

»Pflüge hat es schon zu Pharaos Zeiten in Ägypten gegeben,« kam eine Stimme aus dem Saal.

»Der Pflug eine Maschine? Schön. Hat der Herr Zwischenrufer schon den Pharaonenpflug gesehen? Zwei Stangen und ein grobgespitzter Hartpfahl. Gesetzt den Fall, ein harter Pflugtrust wäre nach einer Generalversammlung unter dem dritten Rhamses gegründet worden und hätte alle Pflüge der Welt in sich eingegliedert. Jeder, der mit einem Hartpfahl und zwei Stangen pflügte, hätte die Gewißheit garantiert bekommen, daß kein Wettbewerber einen Viertelmorgen mehr am Tage mit verbesserten Geräten pflügen könnte – Herr 153 Generaldirektor, die Kamine hier vor unseren Fenstern hätten nie zu rauchen angefangen, und der Mann dort drüben vor den Toren Ihrer Werke, den ich auf dem Weg hierher die Felder seiner Ahnen überackern sah – er pflügte heute noch und pflügte in alle Ewigkeit mit zwei Stangen und einem spitzen Hartpfahl.«

Der Gelehrte hatte sich in Eifer geredet. Man fühlte, daß er nicht allein stand. Man fühlte: Mehr als einer, der mit einem klaren Ja hierher gekommen war, begann sich zu besinnen.

Doktor Zietl stand noch immer an seinem Platz.

»Wünschen Sie noch etwas hinzuzufügen?« fragte der Vorsitzende ihn höflich.

»Nur die Bitte: Bleibt, was ihr seid – – bleibt deutsch.«

Richard Lamprecht war aufgesprungen.

»Ich muß doch bitten, mir keine antideutschen Ziele unterzuschieben. Deutsche Pflüge sollen nach wie vor die deutsche Erde pflügen. Das ist es ja, was der Trust verhindern will: Den verwüstenden Einbruch fremder Pflüge in unsere Kreise.«

»Und den Einbruch in die Seele, in den freien, hellen deutschen Fortschritt achtet ihr gleich nichts?« fragte Dr. Zietl.

»Der kann auch beim Trust gesichert werden.«

»Kann ist nicht genug. Kann ist ein Vielleicht beim Trust. Ohne Trust ist es mehr. Ohne Trust ist es die Gewißheit eines segensreichen Müssens. 154 Kann für einen Deutschen da die Wahl noch schwer sein?«

Wie scharfgespitzte Pfeile flogen Rede und Gegenrede hin und her. Eine Zeitlang waren Generalversammlungsreden aufgehoben.

Der Finger des Quicken flog in die Höhe. Heinrich Lamprecht nickte.

»Der Vertreter der Unionsbank hat das Wort.«

»Ich bin nicht fürs lange Reden,« begann der lebendig. »Nur den Kern der Sache will ich anders formulieren: Wer für schwankende Erträgnisse ist, hält's mit dem Doktor Zietl. Die Freunde einer steten Dividende aber werden für den Antrag der Verwaltung stimmen. Die Frage so gestellt – kann da noch ein Zweifel sein, meine Herren?«

»Für den Geldbeutel nicht,« antwortete der kleine Doktor kurz. »Für den Menschen: Ja. Ich beneide Sie nicht um Ihre Zweifellosigkeit, Herr Generaldirektor.«

»Donnerwetter,« brummte einer. »Der hat's in sich.«

Sein Gegenüber fing das Wort auf: »Ob er nur für sich spricht oder als Vertreter einer großen Gruppe?«

»Dem Ernst nach, den er entwickelt, könnten es Tausende von Aktien sein, die er vertritt. Schade, daß man's nicht weiß.«

155 »Das läßt sich doch machen. Sie brauchen nur dem alten Buchhalter am Eingang über die Schulter in die Präsenzliste zu sehen.«

»Er verweigert's. Hab's vorhin schon versucht. Nur dem Präsidenten habe er Ziffern mitzuteilen.«

Inzwischen hatte der Vorsitzende noch einmal den Blick in die Runde gehen lassen.

»Wenn niemand sonst das Wort wünscht – –«

Lässig erhob sich der Amerikaner. Es war, als schöbe sich ein Teleskop mit immer längeren Gliedern in die Höhe. Wie nebenbei, bemerkte er gelassen:

»Ich spreche nicht German language kurant. Auch nicht serr nötwendig. Alles very much clear. In Amerika schon eine Trust für such like machinery. Wir nicht brauchen Germany nötwendig. Aber Germany brauchen Amerika nötwendig!«

»Oho,« protestierte es von allen Seiten.

»Nix oho. Es sein so, wie ich habe gesagt.«

»Eine Frage, bitte: Warum sind Sie dann zu uns gekommen und haben nicht gewartet, bis wir armen Teufel zu Ihnen kamen?«

»Oh, Sie sein gekommen, bitte serr.«

Alle sahen auf den alten Lamprecht. Der hielt die Blicke aus. Alle sahen auf den jungen Lamprecht. Der zuckte ungeduldig mit den Schultern.

»Ich verbitte es mir, in ein Verhör genommen zu werden. Ich weiß, was ich tue. Ich pflege vorzubeugen und nicht zu warten, bis mir keine Wahl 156 mehr bleibt. Heute ist die Wahl noch offen. Wie aber, wenn ein großer Rückschlag kommt?«

Dr. Zietl warf dazwischen: »Rückschlag? Glauben Sie, Herr Generaldirektor, dieses Wort gab's nicht im Wörterbuch unserer Ahnen, samt den Wörtern, die besagten, wie man auch allein sich wehren kann?«

»Ahnen. Ahnen. Ich will weiterkommen, als die Ahnen kamen.«

»Weiter?« zuckte es um die klugen Augen Dr. Zietls. »Weiter als zu sich selber kann niemand kommen.«

Das bewegliche Männchen von der Unionsbank hatte einen puterroten Kopf bekommen und schrie: »Zum Donnerwetter, sitzen wir in einem Philosophenkolleg oder in einer Generalversammlung?«

Allgemeiner Beifall. Kein Zweifel, die Gefolgschaft Zietls würde, wenn sie es nicht schon war, in die Minderheit herunterbröckeln.

Den jungen Lamprecht erfüllte das mit Zuversicht. Boten kamen, Boten gingen. Sein Bleistift hagelte Zahlen auf das rötliche Konzeptpapier. Er berechnete die Erfolgsaussichten. Seine Mienen wurden hell und heller. Wenn nicht alles trügte, konnte man den Verwaltungsantrag mit großer Mehrheit als angenommen betrachten.

Sein Blick blieb auf einer Zeile haften:

»Dr. Zietl – 1 Stimme.«

157 Ein erlöstes Lachen kam von seinem Munde.

»Meine Herren,« unterbrach er eine abgelesene Zustimmungserklärung einer befreundeten kleinen Landwirtschaftsmaschinenfirma, »eine Feststellung, die Sie interessieren dürfte. Herr Doktor Zietl, der sich so sehr gegen den Trust einsetzte, verfügt über – – eine Stimme.«

Erst schien der Saal erstarrt. Dann überfiel ihn eine unbändige Heiterkeit. Wie Kiesel im Rüttelsieb klang's, dann wie Rollen eines schwerbeladenen Fuhrwerks und dazwischen peitschengeknallte Blitze:

»Eine Stimme – – hahaha, – – eine – – unglaublich – – hahaha – –«

Der Quicke hatte Oberwasser: »Hat man so etwas schon erlebt? Tut so, als vertrete er zwanzigtausend Stimmen und hat eine – – eine einzige Stimme. Das gehört in die Zeitung. In das goldene Buch der Wirtschaft gehört das.«

Links und rechts von Dr. Zietl bildeten sich hohle Räume. Man rückte ab von ihm, als schäme man sich.

Jemand deutete auf einen leeren Stuhl neben ihm.

»Wenn sich eine zweite einschichtige Stimme im Saal einsam fühlen sollte – bitte.«

Gelächter dröhnte, umbrandete den Doktor, von dem alle meinten, er werde nun aufspringen und fluchtartig den Saal verlassen.

158 Er tat es nicht. Er sah sich lächelnd um. Und ganz ruhig sagte er:

»Ja, ich habe eine Aktie. Mein Vater hat sie mir vererbt. Ich wußte nicht, daß es eine Schande ist, eine Aktie zu haben. Aber wenn es eine ist, so wäre es nur logisch, daß zwei Aktien zweimal eine Schande sind. Ich hörte, daß mein Gegenüber tausend Aktien hier vertrete. Hat er deshalb seinen Platz verlassen, weil er die tausendfache Schande nicht mehr ertragen kann? Darf ich um Antwort bitten, Herr Präsident?«

Das Lachen war abgeebbt. Aller Blicke richteten sich auf den alten Lamprecht. Man sah es ihm an: in ihm arbeitete es.

»Herr Doktor Zietl, eine Aktie ist genau so wenig schändlich, wie es – – wie es tausend Aktien manchmal sein können.«

Ohorufe, Proteste, andersartiges Gelächter.

»– – manchmal werden können,« fuhr der alte Lamprecht ruhig fort. »Ich schäme mich, eine Versammlung leiten zu müssen, in der ein Aktionär Gegenstand des Gelächters wurde, weil er nur eine Aktie besitzt. Es ist eine andere Zeit, Herr Doktor. In meiner Jugend hat man nicht gelacht, als mein Vater seine Werkstatt mit einem Kapital begann, das kleiner war als Ihre Aktie. Zu meiner Zeit begann die Aktienehre nicht erst nach dem zehnten Stück. Unser Gott war kein Gott des Dicketuns. Er ist auch heute, wo die Firma groß und mächtig 159 wurde, nicht der meine. Ich, verehrter Herr Doktor, habe das Bedürfnis, mich zu Ihnen auf den leeren Stuhl zu setzen. Die Herren Aktionäre bitte ich, davon Kenntnis zu nehmen, daß ich das Präsidium an den Platz verlege, wo ein Mann mit weißen Haaren hingehört für jene kurze Weile, die ihm noch vergönnt ist, sich für seine mit ihm altgewordene Firma helfend einzusetzen.«

Betretenes Schweigen. Es breitete sich im Saale aus, wie Wellen sich in einem See ausbreiten, in den ein Stein fiel.

Der Amerikaner hatte sich zum Wort gemeldet.

»Ich nur sagen, zuviel Zeit verlieren – – viel zu viel Zeit. Bei uns in Amerika – –«

»– – gilt der Dollar. Wir wissen das, Mister Sneel,« wurde ihm entgegnet.

»Oh, not only Dollar also ist unser Amerika das Land, but wo – –«

»– – die schönsten Veilchen keinen Wohlgeruch mehr haben und die entarteten Kartoffeln süßlich schmecken!«

Der Amerikaner wurde wild: »Ich hier represent mehr als twentyfive percent aller shares und werden behandelt wie ein – – wie ein Mann mit one share!«

Richard Lamprecht wurde nervös. Es entging ihm nicht, daß der Amerikaner Sneel eine komische 160 Figur zu werden drohte. Das könnte die Abstimmung empfindlich beeinflussen.

Er gab einem unscheinbaren Mann ein unmerkliches Zeichen. Der erhob sich. Zeigte ein zerarbeitetes Gesicht.

»Meine Herren,« begann er langsam, »ich bekenne, ich bin es, der den Plan des Landmaschinentrusts zuerst gefaßt hat. Ich, ein Deutscher, bin in jungen Jahren ausgewandert und habe in der alten und in der neuen Welt drüben den Pflug geführt. Wenn ich die Summe eines arbeitsreichen Lebens ziehe, gelange ich zu der Erkenntnis: Erde ist Erde. Hüben wie drüben. Mensch ist Mensch. Hüben wie drüben. Geld ist Geld und kennt keine Grenzen. Ich habe es zu etwas gebracht drüben. Ich beherrsche erste Landmaschinenfirmen. Ich habe es nie verstanden, warum in Deutschland immer noch mit Flüsterstimme über Geld gesprochen wird. Verlogene Scham ist das. Ich bekenne offen, daß ich eine achtstellige Ziffer in Dollar mein eigen nenne. Alles steckt in Maschinen und im Boden.«

Er machte eine ganz kleine Pause und fuhr dann fort:

»Ich bilde mir ein, weiter zu sehen, als die meisten heute sehen. Ich habe eine Vision gehabt. Bitte, haben Sie keine Angst. Ich bin kein Dichter. Unter meinen Vorfahren soll es so etwas allerdings einmal gegeben haben. Ich sehe den Zusammenbruch. 161 Unabwendbar steigt er aus dem Kampf zwischen Erde und Maschine. Ohne daß wir's wissen, kämpfen diese Mächte unterirdisch schon seit Hunderten von Jahren.«

Der Ernst in diesen Worten zwang den Saal in seinen Bann. Man sah es dieser Stirn an: Die Maschine der Gedanken hatte sie gepflügt. Diese Stirn war kein glattes Marmorbrett, auf dem nur Gold klimperte. Das war eine Ackerstirn.

»Wir müssen uns rüsten. Die beiden Kämpferheere müssen wir rüsten. Das Heer der Böden und Länder darf nicht mehr in wilden Einzelheeren ungeordnet fechten. Das Maschinenheer darf nicht mehr, sich selbst zerfleischend, gegeneinander und gegen die Böden vorgehen. Sonst hat der Mensch die Zeche zu bezahlen. Und die Heere schließen Frieden auf einer menschenleeren Erde.« Er hob mahnend die Hand. »Leiten müssen wir den größten aller Kämpfe, der jemals in der Welt ausgefochten wurde. Nieder also mit den Ländergrenzen, nieder mit dem Zwergenehrgeiz der Fabriken. Eine Erde muß sein und ein – –«

»Zuchthaus,« vollendete ruhig Dr. Zietl, der langsam aufgestanden war.

Die beiden Kämpfer standen einander gegenüber und sahen sich schweigend an: Zwei Welten.

Über ihr Schweigen brach herein die Sturmflut hundertfältiger aufeinanderprallender Meinungen. 162 Wohl schwang der alte Lamprecht seine Präsidentenglocke, aber ihr Geläut ging unter in dem Brausen und Rauschen. Er ließ es geschehen und setzte die Versammlung auf eine Weile aus.

Nach einer halben Stunde saßen alle wieder friedlich da. Wie von selbst hatten sich die Stimmen für und gegen den Trust gesondert. Ein geübtes Auge, wie das Richard Lamprechts, konnte es von diesen Stirnen wie aus einem offenen Buche lesen. Betroffen war er: Alle seine Vorarbeiten hatten es, wenn ihn der Schein nicht trügte, dahin gebracht, daß die Schalen sich die Waage halten würden.

Er ließ seine Blicke noch einmal forschend über die Gesichter gleiten: Kein Zweifel, da war noch die schmale Phalanx einer dritten Partei, die sich noch nicht ganz entschieden hatte. Die konnte man am nie versagenden Nerv packen: Am Nerv des Profits. Er erhob sich.

»Was ich vorhin über die stete Dividendenpolitik sagte, bedarf noch einer Ergänzung. Es gibt Fälle, wo die Wettbewerbsausschaltung den Gewinn verdoppelte, ja verfünffachte, verzehnfachte. Und logischerweise auch die Dividende.«

Er nannte Zahlen und jonglierte damit. Er sagte, daß er Fälle kenne, wo man sich bei der Bilanzaufstellung vor Überschüssen kaum noch retten konnte, so reichlich seien sie hereingeströmt. Künste des Versteckens hätten sich entwickeln müssen.

163 Er malte mit Millionen. Das glitzerte und schillerte von herrlichen Zeiten, die ein Trust heraufführen würde.

Das sei die eine Seite. Die andere sei: Man könne sich natürlich auch dagegenstemmen. Alle Achtung vor einem geraden Rückgrat. Wenn es aber auf den steifen Nacken übergreife und die Gehirne unbelehrbar würden, müsse man darauf gefaßt sein, unter die Räder zu kommen. Unter die Räder der Entwicklung, die nicht aufzuhalten sei. Die Versammlung habe heute noch ihr Schicksal in der Hand. Morgen nicht mehr. Auch wenn man draußen bleibe, komme dieser Trust.

»Nur ist er dann der Feind, der die Macht hat, uns zu zermalmen, und es auch rücksichtslos tun wird.«

Das Zünglein an der Waage kam ins Rutschen.

Man hätte es jetzt wagen können, abzustimmen.

Aber eine knappe Mehrheit war kein Sieg, der überwältigt. Wenn man der Bauernstimmen sicher war, die der alte Ploderer vertrat, hätte es vollen Sieg bedeutet.

Eine kurze Verhandlungspause trat ein, Richard Lamprecht bat den alten Ploderer in einen Nebenraum.

»Es tut mir sehr leid, Ploderer – – aber die Vollmacht, die Sie als Vertreter der Bauernstimmen haben, ist nicht formgerecht. Immerhin – – 164 das Gesellschaftsstatut bestimmt, daß in Zweifelsfällen ich die Entscheidung habe – –«

Der alte Bauer hielt den Kopf gesenkt.

»Es ist übrigens eine beträchtliche Anzahl von Stimmen, die Sie vertreten,« fuhr Richard Lamprecht fort. »Ich hätte nicht geglaubt, daß so viele Aktien draußen im Lande sind. Es ist wohl doch richtig: Was der Bauer hat, das hält er fest, nicht«?

Der alte Bauer stand noch immer mit gesenktem Kopf. Vielleicht ging ihm durchs Gehirn, was Lamprechts Agenten aufgespürt hatten: Um den Plodererhof stand es schlecht. Jahrhundertelang hatte der steile Gipfel des Plodererhauses stolz und scharf ein sauberes Zahlwort aus dem Himmelblau herausgestochen: Schuldenfrei! Etwas kaufen, ohne daß vorher das abgezählte Geld im Schrank bereitgelegen hätte, wäre für den Ploderer ganz unmöglich gewesen.

Dann war die neue Zeit gekommen. Vor der Zeit war übergeben worden. Den jungen Ploderer hatten sie im Dorf schon immer den »Maschinennarr« geheißen. Nicht schlimm, solange er sich begnügen mußte, sie woanders anzustaunen.

Jetzt wurden sie bestellt. Jetzt liefen sie und wurden ausprobiert, solange der junge Herr den Neid im Aug der andern sah. Dann wurden sie hinausgeräumt, ersetzt durch neue, die das gleiche Schicksal hatten.

165 Ein paar Jahre, und die großen Räume des Plodererhofes standen voll Maschinen. Nichtbenutzten, halbbenutzten, falschbestellten, aus Gefälligkeit gekauften, aus Laune erworbenen.

Der uralte Plodererhof hatte seinen uralten Namen verloren – – als »Maschinenhof« wurde er bespöttelt.

Es blieb nicht beim Spott. Dem Ertrag des Hofes waren die Maschinenrechnungen, die unbezahlten, über den Kopf gewachsen.

Eine Zeitlang hatte der alte Ploderer den Kampf gegen die Maschinenrechnungen geführt. Er vermochte Teilsiege zu erringen. Aber neue Maschinen rückten an. Da war er erlahmt.

»Hat sich was mit festhalten!« polterte er sich seinen Groll von der Brust, als Richard Lamprecht schwieg.

»Ihr habt einen Auftrag von den andern, Euere Stimme abzugeben?« rückte Richard Lamprecht aus sein Ziel los.

»Der Deifi soll alle Maschinen holen.«

»Der Teufel? Da würdet Ihr also gegen den Maschinentrust stimmen?«

»Was sunst, wenn die Luader meinen Hof derdruckt ham.«

»Und wenn man es machen könnte, daß alle Maschinen wieder vom Plodererhof abmarschieren?« forschte Richard.

166 »Nutzt nix. D' Rechnungen marschier'n net – – D' Rechnungen bleiben.«

»Und wenn man es ferner machen könnte, daß alle Maschinenrechnungen durchgestrichen würden?«

Der Alte fuhr sich durch das dünne Bauernhaar und preßte die Ackerfäuste gegen die zerklüftete Stirn.

»Treibt's keinen Spott mit einem, der sei Sach' vor der Zeit aus der Hand 'geb'n hat.«

»Machen wir's kurz, Ploderer. Drinnen wird man ungeduldig. Der Trust ist nicht aufzuhalten. Der Trust braucht Euere Stimmen. Ich lasse sie gelten. Einverstanden?«

Der Alte wandte sich ab.

»Vergeßt nicht, hinter Euerem Ja ist der Plodererhof, was er war.«

»Was wißt Ihr, was der Plodererhof war,« sagte der Ploderer voll Bitterkeit.

»Schuldenfrei.«

Dem alten Bauer riß es das Gesicht herum. Er hatte eine Vision: Da stand der alte Plodererhof und stach mit seinem steilen Gipfel ein anderes Wahlwort aus dem Himmelsblau heraus. Sommerlang, winterlang, bis in die Heidenzeit zurück, bis in die Jahrzahl vor, die er heute morgen vom Kalender abgelesen hatte, in den er einen Termin zu schreiben hatte: Versteigerungsandrohung.

Die beiden Worte standen gegeneinander. Vom 167 Himmelsblau herunter griff »Schuldenfrei« und schickte sich an, das Kalenderwort »Versteigerungsandrohung« auszulöschen.

Aber es vermochte es nicht.

»I kann's net.« Er sah den Generaldirektor an. »I versteh 's net – – d' Maschinen sollen derschlag'n werd'n mit Maschinen – i kann's net verstehn.«

»Schuldenfrei,« sagte Richard Lamprecht noch einmal.

Da stieg's heiser rasselnd aus der Ackerbrust: »Ja.«

Der Generaldirektor streckte ihm die Hand hin.

»Ich kann mich also auf Euch verlassen, Ploderer.«

»Hab i di scho amal ang'log'n, Richard Lamprecht? Woaßt es nimmer, wie d' in der Vakanz mit mei'm Xaver g'spielt hast?«

»Es wird schon so sein, Ploderer – – mein Vater erzählte mir davon. Was hat das aber mit der Abstimmung zu tun?«

»Nix,« brummte der Alte und stapfte in den brodelnden Saal zurück.

Im Saale machte der Amerikaner Sneel dem Generaldirektor sein Kompliment:

»Ich mich freue, daß Sie – – daß Sie zugrunde gehen.«

Richard Lamprecht zuckte zurück.

»Zugrunde gehen?«

168 »Er übersetzt ›to ground‹ wörtlich,« lächelte der Deutsch-Amerikaner. »Er meint, daß Sie den Dingen auf den Grund gingen.«

Lamprecht wollte lachen. Es ging nicht. Ein merkwürdiges Würgen stak ihm in der Kehle, als er zum letztenmal mit dem Listenführer Zipperer und der Protokollführerin Thilde Utz das voraussichtliche Abstimmungsergebnis abwog.

»Ich bringe über hundert Stimmen mehr für Ja heraus, als nötig wären,« sagte Thilde Utz.

»Und Sie, Zipperer?«

»Ich wäre mit der Hälfte schon zufrieden,« sagte der Alte behutsam.

»Wir schreiten zur Abstimmung.« Alle sahen hinüber zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates. So ernst und metallisch hatte die Stimme des alten Lamprecht nie geklungen. »Ich bestimme zum Stimmenzähler Herrn Doktor Flamm.«

Der fuhr aus allerhand Grübeleien auf und brauchte Zeit, sich aus einer andern Welt zurückzufinden. Dann aber leistete er umständlich und sorgsam seine Zählarbeit. Langsam und eintönig schritt sie voran.

Dann trat eine kurze Unterbrechung ein. Ein Telegramm für den Landwirt Ploderer wurde ausgerufen. Der schüttelte den Kopf. Nie in seinem Leben hatte er ein Telegramm erhalten.

Er riß es auf.

169 »Was gibt's?« fragte irgendwer.

Der Bauer hob den weißen Kopf.

»Braucht's net z' wissen,« sagte er heiser, und sein Gesicht war grau und verfallen. »Derwischt hat's ihn.«

Blicke beugten sich herüber, erhaschten den Inhalt.

»Xaver mit Mähmaschine tödlich verunglückt.«

Der Alte hob den Kopf. Sein Blick suchte Richard Lamprecht. Mit langsamen starken Schritten ging er auf ihn zu.

»Mein Zettel gibst d' mir z'ruck.«

Der alte Lamprecht stand neben ihm.

»Ploderer, sei vernünftig und ruhig. Es ist furchtbar – –«

»Mein Zettel gibst d' mir,« wiederholte Ploderer, als habe er die Worte des alten Freundes nicht gehört.

»Der Abstimmzettel ist schon aufgenommen und unwiderruflich eingetragen,« bedauerte Richard Lamprecht.

Das Gesicht des Alten war starr.

»Mein Zettel gibst d' mir z'ruck!« forderte er zum drittenmal.

»Was wollen Sie damit, Ploderer?«

»Durchstreichen, 's Ja durchstreichen. D' Maschin braucht 's nimmer. I brauch's nimmer. Du brauchst's nimmer. Der Xaver braucht's nimmer. Der Plodererhof braucht's nimmer. Niemand 170 braucht's mehr. Gib mein Ja z'ruck, sag i dir, oder – oder – –«

Da wankte er und sank zusammen. Man hob ihn auf und trug ihn hinaus.

Der alte Lamprecht sah ihm nach. Lange, schweigend. Er strich schweigend über sein Haar. Beugte sich vor und radierte schweigend auf einem Zettel vor sich.

Max Flamm brachte den Rest der Abstimmzettel. Richard Lamprecht nahm sie in Empfang.

Eine schwere Pause lastete im Saal.

»Addieren,« forderte Richard den alten Zipperer aus, und seine Stimme klang seltsam erregt.

»Ein Zettel fehlt noch, Herr Generaldirektor,« flüsterte Zipperer.

»Ein – – wer?«

»Herr Lamprecht senior.«

Richard Lamprecht lachte krampfhaft.

»Ausgerechnet dich vergißt Herr Flamm, Vater.«

»Er hat mich nicht vergessen, Richard.« Wieder sahen alle überrascht zu ihm auf, wieder war es seine sonore, ehern ernste Stimme, die antwortete: »Ich selbst hatte mich vergessen. Nun aber habe ich mich gefunden. Hier mein Abstimmzettel.«

Richard nahm ihn in Empfang. Warf einen Blick darauf und wurde blaß.

»Verzeihung, Vater, du hast aus Versehen – – nein geschrieben,« stammelte er.

171 »Es hat schon seine Richtigkeit,« klang es halblaut zurück.

Blitzschnell übersah Richard die Situation.

»Mit deinem Ja, Vater, wär's ein großer Sieg. Mit deinem Nein kein Minus und kein Plus. Wir blamieren uns, Vater.«

Ganz ruhig sah ihn der Alte an.

»Ich handle, wie es mir mein Gewissen vorschreibt. Nimm, zähle und verkünde.«

Totenbleich war Richard Lamprecht, als er den Zettel seines Vaters hinüberreichte zu Thilde Utz.

»Halt!« kreischte da eine Stimme aus dem hinteren Ende des Saales. »Halt, hier ist noch eine Stimme – – eine lumpige Stimme.«

Eine hagere Gestalt in schlotterndem Gewand drängte sich durch.

Thilde Utz sah entgeistert auf das verstörte Gesicht.

»Vater – – du?«

Zipperer warf einen Blick auf den Zettel, den Utz triumphierend reichte. Wandte sich an Richard Lamprecht.

»Eine gültige Stimme, Herr Generaldirektor – aber kein Ja darauf und kein Nein.« Und fügte flüsternd hinzu: »Alles hängt von dieser Stimme ab.«

Aber in der Totenstille des Saals vernahm man selbst dies Flüstern.

172 »Tun Sie Ihre Pflicht,« sagte der alte Lamprecht.

Max Flamm riß es zusammen. Sachlich fragte er Utz: »In welchem Sinne wünschen Sie abzustimmen, Herr Utz? Ja oder nein?«

»Ja oder nein,« wiederholte der Irre kichernd. »Nein oder ja. Hurra, es lebe das Ja. Es lebe das Nein.«

Er warf den Zettel in die Luft. Zipperer fing ihn auf. Sah ihn noch einmal an.

Hob erregt den Kopf.

»Ich habe mich geirrt, Herr Generaldirektor – – hier in der Ecke steht ein dünnes Ja – – ich übersah es.«

Ein Aufatmen ging durch Richard Lamprechts Brust.

»Meine Herren, der Beitritt zum Trust ist mit einer Stimme statutenmäßig erforderlicher Mehrheit angenommen.«

Keine Hand rührte sich im Saal.

»Es lebe der Trust,« höhnte jemand.

Die Schlacht war geschlagen.

Vater und Sohn verließen den Raum. Schweigend schritten sie nebeneinander her.

»Du hast deinen Trust mit dem angeblichen Ja eines Irren,« sagte dann Heinrich Lamprecht.

»Angeblichen Ja?«

»Ich hab es nicht gesehen auf dem Zettel.«

173 »Es stand da. Aber nicht von mir geschrieben,« protestierte Richard Lamprecht.

»Ob von dir oder einem Angestellten – es bleibt dasselbe.«

»Wundervoll. Der Vater bezichtigt den eigenen Sohn des Betrugs. Ich würde an deiner Stelle lieber gleich Strafantrag stellen, Vater.«

»Ja, das tue ich: Vor der Firma,« sagte der Alte ernst.

»Firma. Nur der Firma wegen tu ich doch alles. Und werde auch in Zukunft alles ihretwegen tun. Eine Firma – – eine große Firma ist wie ein Staat.«

»Auch ein Staat soll sauber sein, Richard.«

»Für Kinder und für fromme, einfältige Seelen,« lachte der Sohn. »Unsereiner kennt das besser!«

 


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