Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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6.

Als die neue Dreschmaschine auf den Markt kam, gab's zuerst ein leises Zögern. Wie immer, wenn man sich in langen Jahren an vorhandenen Mängeln schließlich nicht mehr wundrieb, sondern sich an sie gewöhnte.

Gar bei Landmaschinen. Hinter ihnen stehen Bauern, die die gleichen Höfe oft seit Nibelungenzeiten in gerader Folge – Vater, Sohn, Enkel, Urenkel – im Besitz hatten. Bauern, die am Alten hielten und das Neue nur bei sich aufnahmen, wenn's gar nicht anders mehr ging. Die Fellachen in Ägypten ackern heute noch mit Pflügen, deren Krummholzform zu Zeiten der Pharaonen erfunden wurde.

49 Als jedoch Amerika voranging, stieß die neue stabile Dreschmaschine, von Max Flamm erfunden, über Nacht durch.

Aufträge, die erst langsam hereintröpfelten, wurden zu Bächen, Flüssen, Strömen. Es war, als habe Mutter Erde selbst die Parole ausgegeben: ›Zum Donnerwetter, Kinder, wenn ich fruchtbar bleiben soll, so sorgt gefälligst dafür, daß die Frucht modern gedroschen wird und nicht vorsintflutlich.‹

Richard Lamprecht, der Sohn des alten Lamprecht, schritt in seiner etwas überlegenen Art durch die Fabrikräume, blieb hier stehen, blieb dort stehen und beobachtete das Tempo, in dem gearbeitet wurde. Und was seit dem Anwachsen der Produktion, seit Flamms Erfindung, in ihm rumorte, was sich auflehnte in ihm gegen die »altmodische« Art der Geschäftsführung durch seinen Vater, drängte nach Betätigung.

Als er das Privatbüro seines Vaters betrat, nachlässig, als habe er nicht die geringsten Absichten, als er sich in den Sessel fallen ließ und sich umständlich eine Zigarette anzündete, merkte der alte Lamprecht sofort, daß sein Sohn etwas auf dem Herzen hatte.

Er sah ihn fragend an.

Da hielt's den Jungen nicht mehr.

»So geht das nicht mehr weiter, Vater,« platzte er heraus. »Wir kommen nicht mehr nach.«

50 »Womit?« forschte Heinrich Lamprecht in seiner bedächtigen Weise.

»Mit der Produktion.«

»Ach so. Ich dachte schon, mit eueren neuen Plänen, von denen einer den anderen so lange im Kreise jagt, bis sie einander in die Weichen fahren. Ich ließ Nachtschichten einlegen, obgleich das eine Sünde gegen die Natur ist. Was willst du noch mehr?«

»Ich für mich nichts,« antwortete Richard. »Aber die Firma verlangt's.«

»Die Firma? Das ist auch so etwas Modernes, mein Junge, etwas Anonymes, sozusagen mystisch Verantwortungsloses, die Firma. Merk dir eins: Die Firma ist nichts. Der Mensch, der sie lenkt, ist alles.«

Richard stand auf und ging hin und her. Blieb dann vor seinem Vater stehen.

»Also, ich, der Mensch – – ich, dein Sohn, verlange die Verdoppelung, die Verdreifachung der Fabrikräume, Vater.«

Der Vater lächelte ein wenig ironisch.

»Schön, dann vergiß nicht, auch die Millionen dafür gleich anzufordern.«

Der Sohn erwiderte die Ironie des Vaters mit einer gleichen Verbeugung.

»Soll geschehen, alter Herr. Ich denke, drei Millionen dürften fürs erste genügen, nicht wahr?«

51 »Und fürs zweite?«

»Weitere zwei Millionen, damit sind wir an der Spitze.«

Heinrich Lamprecht stand gleichfalls auf und sah seinen Sohn, der ihn um fast Haupteslänge üherragte, an.

»Abgesehen davon, daß sich's auf einer Spitze auf die Dauer recht ungemütlich sitzen läßt – woher soll ich die Millionen nehmen?«

»Für die Hälfte hätte unsere Firma heute reichlichen Kredit – –«

»Ich bin stolz darauf, den letzten Kredit so schnell zurückgezahlt zu haben, Richard. Gib dir keine Mühe – – mit Krediten nehmen Utz und Lamprecht keine Anleihe bei einem so wankelmütigen Frauenzimmer, wie es die Zukunft ist, auf.«

Der Blick des Sohnes hielt den Vater fest. Es war ein verstecktes Glitzern in den grauen Augen des Jüngeren.

»Das war nicht immer so, Vater.«

Der alte Lamprecht überhörte den Vorwurf.

»Was war, ist überwunden.«

»Es wäre schön, Vater, überwändest du auch deine alten Vorurteile.«

»Vorurteile? Gegen wen?«

»Gegen Aktien beispielsweise.«

Eine kleine Pause trat ein, bevor Heinrich Lamprecht antwortete. Und dann tat er es ruhig, 52 gemessen: »Du weißt, wie ich darüber denke, Richard. Es mag rückständig sein – – ich gebe zu, es ist rückständig. Der alte Lamprecht ist's wohl überhaupt in seiner ganzen Person. Immerhin, so lange ich lebe, müßt ihr mit dem – – mit dem Rückstand rechnen. Sonst noch etwas auf dem Herzen?«

Richard Lamprecht gab sich nicht geschlagen.

»Ich verstehe, Vater, daß du mit dem ganzen Drum und Dran einer Aktiengesellschaftsgründung nicht behelligt werden möchtest – – die Banken übernehmen das mit Kußhand.«

»Es ist nicht das Drum und Dran, Richard. Es ist der Grundsatz. Aktien sind fremdes Geld. Utz und Lamprecht sind bisher ohne Aktien ausgekommen – – sie werden es auch weiter.«

»Aber auch nicht mit Grundsätzen allein, Vater,« sagte der Sohn, und es klang hinter den Worten so etwas wie eine leise Drohung.

Der alte Lamprecht war ans Fenster getreten. Jetzt fuhr er mit einer harten Wendung herum und stand wieder dem Sohne gegenüber.

»Was willst du damit sagen, Richard?« klang es scharf aus dem Munde des alten Herrn.

Richard lächelte schon wieder harmlos.

»Nichts, Vater, gar nichts – –«

»Du weichst zurück? Dann will ich dir sagen, was du nicht den Mut hast vorzubringen – –«

»Aber, Vater, es ist – –«

53 »Glaubst du, das Alter habe mich taub gemacht? Meinst du, ich hätte nicht die Drohung hinter deinen Worten gehört? Ich werde dir sagen, was es ist: Wir haben einmal eine Bilanz frisiert, jawohl. Eine Zehntausendmarkfrisur. Die Frisur war vom Gesetz vorgeschrieben. Kein Staatsanwalt der Welt würde uns damit – –«

»Wer spricht denn vom Staatsanwalt,« versuchte Richard einzulenken.

»Ich, du hörst es doch. Auf der Suche nach einem Druckmittel für deine Pläne hast du die Bilanz durchschnüffelt. So ein grauer Flecken auf der weißen Weste wäre dir sehr zupaß gekommen –«

»Vater!« Richard schlug einen anderen, einen wärmeren Ton an. »Das Debitorenkonto war euch recht auf der Suche nach Geld – – mir erschien es genau so recht auf dem Wege zur großen Aktienform die auf die Dauer doch nicht aufzuhalten ist. Gleichen wir's aus, Vater – –«

»Siehst du nicht den Graben, der zwischen deiner Gleichheit und der meinen liegt?«

»Schütten wir ihn zu, Vater. Es war dumm von mir, verzeih mir – – im Grunde wollen wir doch beide das gleiche: Den Aufstieg unserer Firma, nicht wahr?«

Er streckte seinem Vater die Hand entgegen. Der alte Lamprecht schlug nicht ein. Sein Blick bohrte sich in den des Sohnes, als wolle er bis in 54 dessen innerste Tiefen dringen. Dann lag plötzlich die Hand des Alten in der des Jungen.

»Bist du belehrbar, will ich es auch sein, Richard,« sagte er langsam. »Setz mir deine Pläne auseinander – – nüchtern, bitte – – ich bin bereit, sie zu prüfen.«

 


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