Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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13.

Auf Max Flamms Schreibtisch häuften sich unerledigte Dinge zu Bergen. Briefe, Papiere, Zeichnungen, Anfragen, Zeitungen und wieder Briefe – – Briefe – –

Briefe für die er Zeit brauchte, zur Beantwortung – – Briefe, deren Erledigung irgendwie gut überlegt sein wollte.

Er kam nicht dazu.

Morgen für Morgen häufte sich ein neuer Stoß zum alten.

Die Zeichnungen auf dem Reißbrett kamen nicht vom Fleck. Immer, wenn er vor ihnen stand, formte sich aus Linien und Kurven ein Gesicht – – ein lächelndes Gesicht. Und das Gesicht hatte Augen, die sich in ihn hineinbrannten, ihn nicht zur Besinnung, zur Überlegung kommen ließen.

Bis eines Morgens Franz Lohmann vor ihm stand.

109 »Verzeihung, Herr Oberingenieur sind noch nicht fort?«

Max Flamm sah den Lehrling erstaunt an.

»Fort? Was ist? Wohin soll ich?«

»Heute ist doch Freitag, Herr Oberingenieur – – haben Sie das Telegramm nicht gelesen?«

»Nein.«

»Da ist doch am Montag ein Telegramm gekommen: ›Beziehen uns auf unsere letzte Zuschrift und erwarten Ihr Eintreffen Freitag mit dem Drei-Uhr-Schnellzug.‹ Unterschrift: Dekanat der naturwissenschaftlichen Fakultät.«

»Ich weiß von keinem Briefe – –«

Franz stand so viel Ahnungslosigkeit ziemlich ratlos gegenüber, besonders als sich Max Flamm wieder seiner Arbeit am Reißbrett zuwandte. Bis er schließlich einen Ausweg fand: Er lief zu Thilde Utz – und ein paar Minuten später saß Max Flamm im Schnellzug, angetan mit eilig zusammengerafften Dingen und – was ihm wichtiger erschien – mit dem aufgeschlagenen Konstruktionsnotizbuch auf den Knien.

Dieses Notizbuch war noch aufgeschlagen, als Flamm zwischen Strichen, Kurven und Zahlenheeren einen unverständlich langen Aufenthalt des Zuges feststellte und vom Bahnsteig her aufgeregtes Rufen in sein Abteil drang: »Er muß da sein! Hier ist die Depesche von der Firma, die ihn ankündigte!«

110 Max Flamm warf einen Blick hinaus und las den Stationsnamen. Und merkte jetzt erst, daß er am Ziel seiner Reise war.

Stieg aus und war im Nu umringt, schüttelte Hände, wurde hinausbegleitet, in einen Wagen geschoben, der in schneller Fahrt davonschoß, vor dem Portal der Hochschule hielt, wo ein Empfangsausschuß ihn feierlich empfing.

In einem Saal saß er, auf einem besonderen Platz, und wußte nicht, was das alles bedeuten sollte. Ein Professor mit blitzender Goldbrille auf dicker Knollennase stand hinter einem Podium und hielt eine lange Rede.

»– – unvergängliche Verdienste um die Landwirtschaft – – zur Ehre anrechnen, daß es der gleichen Alma mater, an der einst ein schwerringender Student namens Max Flamm immatrikuliert gewesen, vergönnt war, diesen der Forschung und dem Allgemeinwohl dienenden Mann zum Ehrendoktor – –«

Max Flamm war's, als zerreiße ein Vorhang. Er sah sich wieder hungern und studieren. Die Mittel waren ihm ausgegangen. Die Mutter hatte ihm geschrieben, daß sie ihm nichts mehr schicken könne. Sie müsse es ihm sagen, daß der Vater kein Vermögen hinterlassen habe. Es helfe nichts – – er müsse seine Studien abbrechen. In der Landmaschinenfabrik Utz und Lamprecht sei ein kleiner 111 Technikerposten frei geworden. Dieser »Technikerposten« stellte sich als nichts anderes heraus als die Stellung eines Schlosserlehrlings, der von der Pike auf zu dienen hatte.

So kam er zu Utz und Lamprecht. Die Firma war heute weltbedeutend – – und er, der hungernde Student von einst, der Schlosserlehrling, war Ehrendoktor.

Es übernahm ihn doch, wie er jetzt zurücksah durch den Riß im Vorhang: Strahlend lag vor ihm die ganze Welt.

Die ganze? Huschte nicht ein Schatten über den Glanz? Trug der Schattenriß nicht Thilde Utzens Züge?

Wie stand er zu ihr? War's nicht eine drückende Schuld, an der er trug? Ein Abgrund klaffte zwischen ihnen. Nicht nur der, den die Maschinen rissen – –

Es war noch mehr da. Schwereres, Unüberbrückbareres – –

Hatte er nicht alles, was er in sich trug, der Firma gegeben?

Aber von Thilde war ja die Rede – – von einem Menschen, nicht von der Firma – –

Der Mensch wartete – – noch immer – – wenn er auch schwieg, es nicht verriet – –

Aber da war Lola – –

Ein Kapitel Lola überschlägt man. War man nicht stark genug zum Überschlagen, so übersprang 112 man es. Kann man es nicht überspringen, so brach man es ab. Ging auch das nicht, mußte man es fertig lesen – –

Thilde Utz wartete – –

Menschen umdrängten ihn, schüttelten ihm wieder die Hände. Es war ihm alles so fern, was da um ihn geschah.

Er stand draußen vor der Aula – und sah plötzlich Lola Mangold vor sich. Ihr Lächeln stürzte über ihn hin und wischte alles andere hinweg. Er fühlte ihre Hand in der seinen.

»Ich wollte die erste sein, die dir gratuliert, Max,« lächelte sie.

Er nickte. Und ging dann Seite an Seite mit ihr fort.

Der Riß im Vorhang war verschlossen. Versunken war, was das Leben aus Vergangenem heraufsteigen ließ.

Die Gegenwart schritt neben ihm – – lächelnd und lockend – – lähmend und befreiend – –

 


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