Fritz Müller-Partenkirchen
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10.

Der junge Lamprecht hatte Thilde Utz ins Pförtnerhaus geschickt und ließ seinen Vater bitten, einen Augenblick hinüberzukommen, es sei Wichtiges zu besprechen.

Dem alten Lamprecht wallte es bitter auf: »Laßt gefälligst das Theater, mich zu fragen. Seit Jahr und Tag geschieht ja, was die Jungen wollen. Dein eigener Vater, Thilde, hat es an sich erfahren müssen.«

»Mein Vater zählt nicht,« sagte Thilde ernst. »Er weiß nichts mehr von dem, was geschieht. Er hat es schon nicht mehr gewußt, als du deinem Sohn die Führung anvertrautest, Onkel Lamprecht.«

»Anvertrautest? Er hat sie sich genommen, Kind.«

»Darin tust du Richard unrecht. Ist er nicht der 78 erste täglich an der Arbeit, setzt er nicht seine ganze Kraft ein?«

»Das tust du auch. Und Zipperer tut es ebenfalls. Wir alle tun es – – Flamm, dein Verlobter, allen voran.«

Jetzt ging die Bitterkeit auf Thilde über.

»Verlobter? Ja, mit seinem Reißbrett, nicht mit mir. Der Sklave seiner Maschinen ist er – – dein Sohn dagegen führt.«

»Jawohl, zur Großmannssucht.«

»Willst du ihn nicht hören, Onkel? Ich finde es schön, daß er mit seinen Plänen zuerst zu dir kommt.«

»Weil er muß,« lachte der alte Lamprecht grimmig. »Er würde sich den Teufel um seinen Vater kümmern, wenn der nicht auf einem großen Posten Aktien säße. Tja, mein Kind, noch sitzt er drauf, und hat auch nicht die Absicht, sie sich abknöpfen zu lassen.«

»Aber, Onkel, daran denkt doch niemand.«

»Na, von deinem Vater bin ich nicht ganz sicher, ob er sie noch hat.«

»Die verwalte ich. Also darf ich Richard sagen, daß du kommst, Onkel?«

»Er soll zu mir kommen,« knurrte der Alte.

Etwas lärmend trat am Nachmittag der Sohn ins Zimmer. Die Fenster standen offen.

»Bei der Kälte, Vater. Du hast noch mächtigen Überschuß an innerer Hitze, was?«

79 Der Alte antwortete nicht. Richard Lamprecht war ans Fenster getreten und sah hinaus.

»Herrlich. Jetzt verstehe ich, Vater, warum du nicht von hier weichst. Alle unsere Kamine sieht man ja von hier aus rauchen – – alle Teile unseres Werkes kann man überblicken.«

»Wie das so üblich ist bei einem Wächterhäuschen,« erwiderte Heinrich Lamprecht trocken.

Der Sohn fuhr herum.

»Wenn du damit sagen willst, Vater, es sei nötig, mich zu überwachen – –«

»Ich will gar nichts sagen. Mein ganzes Leben lang habe ich nichts sagen wollen. Mir genügte, daß ich arbeitete.«

»Das tun wir auch.«

»Der bezahlte Wächter wohnt hier unten.« Er deutete auf die Stube des Pförtners im Parterre. »Ich bin nur sein Untermieter – –«

»Schlimm genug, daß du uns ausweichst, Vater – –«

»Ich weiche niemand aus. Ich bin nur zurückgekehrt, von wo ich ausging. Ich passe nicht in euer Hetzgetriebe. Also, was führt dich her?«

»Gemütlich hast du dir 's eingerichtet. Urväterhausrat – –«

»– – den ihr zu allen Teufeln wünscht. Um mir das zu sagen, bist du sicher nicht gekommen. Mach's kurz.«

80 Richard Lamprecht trat vom Fenster weg.

»Wir ersticken, Vater.«

Der Alte zog die Brauen hoch.

»Ersticken? Wodurch?«

»Durch das laufende Band.«

»Endlich also seht ihr's ein,« lachte der alte Lamprecht. »Seht ein, daß das Band ein Unheil war – –«

»Es ist gar kein Unheil, wenn es reguliert wird.«

»Wie wollt ihr es regulieren?«

»Durch den Trust.«

Das Wort stand einsilbig und fremd im Altväterraum. Vom Verladehof her drang Rufen und klirrende Arbeit. Siemens-Martin-Öfen sah man durch ein Hallenfenster ihre rotglühenden Feuerschlünde auftun. In der Ferne rauchten und flammten die Kamine.

»Nur durch den Trust,« wiederholte der Sohn.

Zwei Schwingen hatte jetzt das Wort. Lautlos wie ein Vogel umschwebte es des Vaters und des Sohnes Kopf und äugte die beiden an. Ein Flügelschlag. Es schoß hinaus. Zog draußen Kreise um den Fabrikhof. Setzte sich auf den fahrenden Rollkran. Mit einem Zucken seiner Eisenschultern warf der Kran es ab. Es flog weiter. Setzte sich auf das Fabrikgesimse.

»Wenn dir der moderne Sinn des Wortes nicht ganz geläufig sein sollte, Vater – –«

81 »Bemüh dich nicht. Ich bin ein Gegner des Trusts.«

»Versteh doch recht: Seine Planwirtschaft verhindert, daß zuviel erzeugt wird oder auch zu wenig, Vater. Sie paßt sich jeder Lage an, gleicht jedes Auf und Ab aus – –«

»– – und läßt erstarren, was gelebt hat. Ich aber bin fürs Leben und Atmen. Gerade das Auf und Ab ist es, das das Leben schön macht und aus jedem Menschen herausholt, was an Kräften in ihm steckt.«

»Aber wenn's einmal an solchen Kräften mangeln sollte – –«

»– – hätte euer Trust die reizvolle Aufgabe, lebensunfähige Betriebe mühsam mitzuschleppen, nicht wahr?«

»Wie sollte es nach deiner Meinung sein?«

»Ausscheiden müßte er. Ihr aber wollt Risiko, Gefahr und Wettbewerb ausgeschaltet wissen – – wollt ausschalten, was den Menschen strafft und tüchtig bleiben läßt. Muß ich dir das sagen, Richard, wie schön Kampf ist und wie fad und schwül die wattierten Lotterbetten euerer Trusts mit Pensionsberechtigung sind?«

Richard Lamprechts Haltung verriet leise Ungeduld.

»Was du da festhältst, Vater, ist eine versunkene Zeit.«

82 »Noch lebe ich und mit mir eine Zeit, der ich nichts schuldig blieb,« kam es hart zurück.

»Darin irrst du eben,« ereiferte sich Richard. »Der Zug der Zeit von heute ist ein anderer. Ich kam zu dir, Vater, um deine Zustimmung zu bekommen. Sei mir nicht böse, wenn ich dir offen sage: Du wirst dich fügen müssen, Vater. Die Anhänger des Trusts haben jetzt schon die Majorität.«

»Haben sie? Wenn du die Majorität der Aktien meinen solltest, mein Junge, laß dir sagen, daß der Irrtum auf deiner Seite ist. Sonst noch etwas?«

Richard Lamprecht ging. Er hatte es eigentlich nicht anders erwartet. Er kannte die Einstellung seines Vaters.

Es mußte weitergekämpft werden. Mit geschlossenem Visier und verdecktem Ziel.

Der amerikanische Landmaschinentrust hatte keinen Zweifel gelassen: Wer sich ausschloß, mußte mit Kampf bis aufs Messer rechnen. Der Trust würde überall, wo Landmaschinen gebraucht wurden – und sie wurden gebraucht überall auf der ganzen Erde, – die Preise unterbieten. Was gingen den Trust altverbriefte Rechte an. Er stieß zu. Und seine Macht war groß genug, den Stoß tödlich zu führen.

Die kleineren Firmen waren zum Beitritt bereit. Allerdings unter der Bedingung, daß auch Utz und Lamprecht dabei waren.

83 Und Richard Lamprecht wußte genau, was er der Firma schuldig war.

Die Maschinen rückten aus seinem Gesichtsfeld. Das Wort hatten die Aktien. Auf sie kam es an.

Dünne Schatten waren es nur, diese Aktien. Schatten, die die Maschinen warfen. Aber diese Schatten wurden Gesetze, unheimliche Gesetze, denen sich Mensch und Maschine unterzuordnen hatten.

Richard Lamprechts Stift begann zu rechnen. Schob die Aktien wie auf einem Schachbrett hin und her. Er sandte Spione aus, die ihm berichten mußten:

»Gebrüder Larsen Ultimoklemme. Mäßiges Paket gelockert. Drahtet Äußerstpreis« – »Erbmasse Krukenberg hundert Stück. Blockverkauf. Börsenaufpreis wahrscheinlich. Drahtet Verhalten.«

Richard Lamprechts Maschine lief. Lief, wie Maschinen laufen: Exakt, zuverlässig, sich durchfressend zum Ziel.

Zipperer kam: »Eben ruft ein Bankvertreter aus der Hauptstadt an. Die Presse verbreitet Gerüchte über Minderumsatz. Wir müssen dementieren, Herr Lamprecht.«

Der junge Lamprecht lachte dem alten Hauptbuchhalter ins Gesicht.

»Dementieren? Auf keinen Fall.«

Zipperer hob erstaunt die Augenbrauen.

»Verzeihung, Herr Lamprecht, die letzte Monatsstatistik – –«

84 »Ich hab es auch ohne Statistik in den Fingerspitzen, lieber Zipperer, daß die Umsatzkurve ohne Unterbrechung immer noch nach oben steigt.«

»Dann sind die Gerüchte falsch.«

»Grundfalsch,« bestätigte Lamprecht lächelnd.

»Und wir werden diese Unwahrheiten richtigstellen müssen.«

»Wir werden nicht, mein lieber Zipperer.«

»Ich verstehe nicht – –«

»Sie verstehen nicht, daß uns die Gerüchte willkommen sind, weil durch sie – – Was gibt's?« wandte er sich an den eintretenden Bürodiener.

Der überreichte den letzten Kurszettel. Lamprecht überflog ihn und sah Zipperer triumphierend an.

»Das Ereignis des heutigen Tages war der Kurseinbruch in Aktien Utz und Lamprecht. Infolge der umlaufenden Gerüchte setzten sie mit zehn Punkten niedriger ein und verloren unter Schwankungen weitere sieben Punkte. Sie verließen den offiziellen Verkehr mit einer reinen Angebotsnotiz und büßten an der Nachbörse noch einmal zehn Punkte ein.«

»Das ist ja unerhört,« entfuhr es dem alten Zipperer. »Die erstklassigste Aktie des ganzen Kurszettels.«

»Ein Glücksfall, lieber Zipperer. Jetzt kriegen wir das Paket Larsen und die Erbschaftsstücke für ein Spottgeld.«

»Aber für den Verkäufer ist das doch – –«

85 »– – Pech, ja. Da läßt sich nichts machen. Der eine geht hoch, der andere hinunter – – und das Ganze heißt man Gleichgewicht der Welt.«

»Aber der Ruf der Firma – –?« zitterte Zipperer.

»Der Ruf der Firma heißt: Dividende.«

»Doch nicht ganz,« wagte Zipperer zu widersprechen. »Ihr Herr Vater war der Ansicht – –«

»›War‹ ist die Vergangenheit, lieber Zipperer, daran müssen auch Sie sich allmählich gewöhnen.«

Zipperer verließ mit langsamen, müden Schritten das Privatbüro des jungen Chefs, der ihn, kaum daß sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, schon vergaß und wieder zu rechnen begann.

Es reichte noch immer nicht zur Majorität.

Auf der langen Aktienliste standen in der Reihenfolge ihrer Schwere jene Bündel, die es zu erwerben galt. Versagte eine Nummer, nahm man sich die nächste vor. Mittel waren genügend vorhanden aus den reichlichen Rücklagen.

Gewinne als stille Reserven zu verstecken, war nicht die schlechteste Bilanzkunst. Das drückte heimlich und willkommen auf die Aktienkurse, trieb also billig Hasen in die Küche.

Richard Lamprecht sah die Aktienliste durch und addierte. Eine schöne Reihe war erledigt. Mit Geschick erledigt. Die meisten Außenforts der Festung Majorität waren fest in seiner Hand. Nun galt es, 86 einen schweren Innenturm zu stürmen: Einen Wachtturm erster Ordnung: Max Flamm.

Die berühmte Dreschmaschine seiner Werkstatt war der Felsgrund gewesen, auf dem die Aktiengesellschaft damals aufgebaut wurde. Dementsprechend war sein Aktienanteil ausgefallen.

Richard Lamprecht wußte, daß sich die Aktien in Frau Flamms Verwahrung befanden.

Max Flamm hatte sie ihr gegeben: »Halt mir das Zeug vom Leibe, Mutter. Und versprich mir, daß mein Reißbrett nie damit zu tun hat.«

Sie hatte es ihm lächelnd versprochen und den raschelnden Anteil der besten Arbeit ihres Sohnes sicher versteckt. Entschlossen, ihn festzuhalten, was auch kommen möge.

Richard Lamprecht hatte schon versucht, an die alte Frau heranzukommen durch Botschafter, die er ihr sandte. Aber alle diese Botschafter waren mit leeren Händen und langen Gesichtern zurückgekommen.

Wenn man an die Aktien Max Flamms heran wollte, mußte man den Weg über ihn selbst wählen. Die Mutter gab nichts heraus, verteidigte seinen Lohn mit ihrem Leben.

Aber der Sohn saß hinter seinem Reißbrett und kümmerte sich nicht um Steigen und Fallen der Aktien, kümmerte sich nicht um Konkurrenz und Trust. Ging man direkt zu ihm, hätte er fern gelächelt. »Damit habe ich nichts zu tun.«

87 Größer mußte der Umweg gewählt werden.

Richard Lamprecht beriet mit seinen Vertrauten und Bundesgenossen. Einer von ihnen riet dies, der andere das. Zu allem schüttelte Richard Lamprecht den Kopf. Und sagte plötzlich aus einem Einfall heraus:

»Man müßte es mit einer Frau versuchen.«

Die Männer, die um Richard Lamprecht saßen, lächelten.

»Ausgeschlossen,« sagte einer. »Ein Mann wie Flamm – – was soll der mit einer Frau anfangen?«

»Nichts,« lächelte auch Lamprecht. »Um so mehr die Frau mit ihm.«

»Gegen Flamms Maschinen kommt keine auf. Denken Sie an seine Verlobte.«

»Das tue ich ja. Was die Tüchtigkeit angeht, kann keine Thilde Utz das Wasser reichen. Es gibt für eine Frau aber auch noch andere Dinge. Und es ist ja nicht das erste Mal, daß ein schillerndes Libellchen einem Bären auf dem Wege voranflog, auf dem man den Bären gern sehen möchte. Auf jeden Fall kann man's probieren.«

»Wenn die Sache nicht zu kostspielig wird.«

»Lassen Sie das meine Sorge sein. Solche Kosten werden reibungslos über Handlungsunkosten abgebucht.«

Richard Lamprecht dachte an eine bestimmte Frau bei seinem Plan. An eine Frau, von deren 88 Süße er selbst genippt, deren Eifer und Talent im Spinnen von Netzen, einen Mann darinnen zu fangen, er am eigenen Leibe gespürt.

Lola Mangold hieß sie und war selbstverständlich Tänzerin. Auf kleinen Füßen hopste sie auf irgendeiner Bühne herum, wiegte den schlanken Körper in den Hüften und lockte aus dunklen Augen nach links und rechts, hoffend, daß irgendein Mannesherz dem Locken folgen werde.

Richard Lamprecht sprach mit Lola Mangold, setzte ihr auseinander, was sie zu tun habe und was dabei zu verdienen sei. Habe sie den erwünschten Erfolg, werde man über eine Sondervergütung sprechen können.

Lola Mangold lächelte mit der überlegenen Sicherheit einer Frau, die es für ausgeschlossen hält, daß es einen Mann gab, der ihrem Lächeln Widerstand entgegenzusetzen vermöge.

»Flamm ist ein Mensch, der nur seiner Arbeit lebt,« erklärte Richard Lamprecht. »Er kennt kein Privatleben – –«

»Dann wird es Zeit, daß er's mal kennenlernt.« lächelte Lola Mangold.

Lola Mangold fand bald heraus, daß es wirklich nicht einfach war, an Max Flamm heranzukommen. Sie wartete stundenlang in der Nähe der Fabrik. Alle gingen. Nur Max Flamm kam nicht. Die Fabrik und das Verwaltungsgebäude lagen in 89 nächtlicher Einsamkeit und Stille – durch ein Fenster drang noch Licht. Dahinter saß Max Flamm seit Wochen und jagte einem Problem nach, das sich spreizte und nicht packen ließ. Wenn er meinte, der Lösung nahe zu sein, verschoben sich Linien und Berechnungen – und ein wirres Durcheinander blieb, in dem sich sein Geist nicht mehr zurechtfand.

Eines Abends warf er alles hin und verließ sein Zimmer. Lief durch die Straßen, die Hände in den Taschen vergraben, sah nicht nach links und nicht nach rechts und merkte natürlich auch nicht, daß da ein schlankes Geschöpfchen hinter ihm herrannte und vergeblich versuchte, ihn zu erreichen.

Lola Mangold hatte sich eine Idee ausgedacht, die glücken müßte. Es war eine alltägliche, unkomplizierte Idee – – aber auf das Alltäglichste fallen Männer ja bekanntlich am leichtesten herein. Gar Männer wie Max Flamm.

Es gelang ihr endlich, an ihm vorbeizukommen. Nun lief sie vor ihm her, wie eine, die es furchtbar eilig hatte. Nicht zu weit vor ihm – –

Wartete, bis vor ihr ein Auto auftauchte. Warf einen flüchtigen Blick nach rückwärts. Max Flamm war dicht hinter ihr. Das Auto kam näher. Als es noch wenige Meter von ihr entfernt war, betrat sie den Fahrdamm. Als sehe sie das Auto nicht. Wollte den Damm überqueren – –

Der Mann hinter ihr mußte natürlich sehen, daß 90 es unmöglich sei, vor dem Auto noch über den Damm zu kommen. Lola Mangold wagte es – –

Im letzten Augenblick würde der Mann hinzuspringen, sie zurückreißen – – sie würde ihm mit einem kleinen Entsetzensschrei, als merke sie jetzt erst die Gefahr, der er sie entriß, in die Arme sinken – – würde ihn – wie es in Romanen so schön hieß – mit bleichen, zitternden Lippen anlächeln und verwirrte Worte des Dankes stammeln. Und er – – naja, er müßte sie selbstverständlich nach Hause begleiten. Wie sich das von einem Mann gehörte, der ein armes verlorenes Ding eben dem sicheren Tode entriß. Vor der Tür würde sie ihn bitten, sie nach oben zu begleiten – – sie fürchte sich jetzt nach dem ausgestandenen Schrecken vor dem Alleinsein, er möge eine Tasse Tee mit ihr trinken, und dann – –

Dann ergab sich alles übrige von selbst.

Das Auto brauste heran. Lola war so felsenfest davon überzeugt, von dem Manne zurückgerissen zu werden, daß sie leichtsinnig wurde.

Der Lenker am Steuer des Wagens schrie – –

Jetzt mußte eine Faust sie packen und zurückreißen.

Die Faust blieb aus. Im buchstäblich allerletzten Augenblick gelang es ihr selbst, zurückzuspringen. Der Wagen streifte sie.

Aus dem reizenden, alltäglichen Einfall wäre beinahe bitterer Ernst geworden.

91 Ein bißchen aus der Fassung gebracht, stand Lola Mangold am Rand des Gehsteigs und sah sich um nach dem Mann, der ihr Retter sein sollte. Er war nicht mehr da – – er ging, den Kopf gesenkt, das Hirn gefüllt mit seinen Plänen und Problemen.

Max Flamm hatte keine Zeit, kleinen Mädchen beizuspringen, die leichtsinnig einem Auto entgegenlaufen. Max Flamm beschäftigte sich mit Dingen, die – wenn sie gelangen – den ganzen Landmaschinenbau auf den Kopf stellen konnten.

An diesem Abend gab es Lola Mangold auf. Am nächsten fuhr sie ganz schweres Geschütz auf.

Als Max Flamm in seinem Zimmer saß und arbeitete, öffnete sich die Tür. Er hörte es nicht. Auf seinem Reißbrett war ein Durcheinander von gezahnten Rädern, Kegelschnitten und Differentialgetrieben – die fesselten ihn, nahmen ihn gefangen.

Lola Mangold ging mit zierlichen Schritten auf ihn zu. Das hübsche Kleid, das sie trug, ließ ihre ganze Grazie zur Geltung kommen. Den Beinen wurde auch ihr Recht. Sie ragten wie zwei wunderhübsch geformte Säulchen vor.

Ein Schatten huschte über das Reißbrett.

Max Flamm hob den Kopf und starrte verblüfft das Wunder an, das da vor ihm stand. Starrte in ein Paar dunkle Augen, die ihn neugierig anblickten – – neugierig und befangen zugleich, als 92 wüßten sie nicht genau, was sie mit dem Wesen, das sie erfaßten, anfangen sollten.

In seinen Gedanken wühlte die Konstruktion auf dem Reißbrett tiefe Furchen. Er glaubte, der Lösung auf der Spur zu sein. Glaubte, im nächsten Augenblick zupacken zu können – da tauchte etwas vor ihm auf, wie es nie in diesem Büro zuvor gestanden hatte.

Er sah ein schmales, entzückendes Gesicht mit roten leuchtenden Lippen, sah einen zierlichen, schlanken weißen Hals, einen schlanken Körper – –

Und raffte sich endlich auf.

»Sie wünschen?«

Lola Mangold spielte meisterhaft die Verlegene.

»Verzeihen Sie – – ich glaube, ich habe mich verlaufen,« lächelte sie – und das Lächeln müßte eigentlich dem Manne sagen: ›Ich gestehe jetzt, daß ich mich gern verlaufen habe.‹

Max Flamm verstand es nicht.

»Zu wem wollten Sie denn?« fragte er ahnungslos.

»Mein – – mein Bruder arbeitet hier irgendwo. Ich wollte ihn abholen – –«

»Es ist doch längst Büroschluß.«

»Eben. Deshalb wollte ich selbst einmal sehen, wo er geblieben ist,« lächelte sie. Und da er nicht antwortete, beugte sie sich vor. Stieß einen Laut der Überraschung aus: »Herrgott, die vielen Linien, die vielen Räder! Wird das eine Maschine?«

93 Max Flamm wußte nicht, was er zu der naiven Frechheit des jungen, bildhübschen Mädels sagen sollte. Er wagte es nicht, sie aufzufordern, zu gehen, da er zu arbeiten habe. Er war verlegen, besonders, als sie nun, wie selbstverständlich, an seine Seite trat, so dicht heran zu ihm, daß er den zarten Duft ihres Haares spüren mußte – – und als sie sich tiefer über die Zeichnung beugte, so daß er ihren feinen weißen Nacken sehen konnte, der in weichen Linien zu den Schultern verlief.

»Sind Sie–– sind Sie vielleicht gar Herr Flamm?« fragte sie, mit Ehrfurcht in der Stimme und sah von unten herauf zu ihm empor.

Er nickte.

»Oh, von Ihnen habe ich schon viel gehört – – mein Bruder schwärmt so viel von Ihnen, was für ein großer Erfinder Sie sind, und daß die Firma ohne Sie gar nichts wäre – –«

Das kam völlig ungekünstelt von ihren Lippen, mit so großer Naivität, daß ein größerer Frauenkenner, als es Max Flamm war, darauf hereingefallen wäre.

Er merkte, daß ihm das Rot ins Gesicht stieg. Und wußte nicht, ob es das Lob von ihrem Munde war oder der seltsame Zauber, der von diesem schönen Geschöpf ausströmte, was ihn erröten ließ.

Sie lächelte. Jetzt verwirrte ihn das Lächeln. Max Flamm hatte noch nie eine Frau so lächeln 94 sehen. Es war, als pirsche sich dies Lächeln in sein Inneres hinein, nehme Besitz davon, mache sich breit, daß auf einmal alle Gedanken an die Arbeit ausgewischt waren – und nur noch einer da war: Ich habe gar nicht gewußt, daß Frauen so lächeln können.

»Was soll das werden?« fragte sie und war ihm nun so nahe, daß ihre Körper sich berührten und ein Funke von ihr zu ihm sprang.

Er sah ihren Arm, wie er auf die Zeichnung wies – – ausgestreckt und schlank, untadelig weiß, untadelig schön in seinen Linien. Und eine Hand, die ihm wie ein kleines Kunstwerk erschien.

Jetzt fuhr der Arm zurück und streifte seine Brust. Ihm war, als empfinge er einen Schlag.

Ihr Blick wandte sich ihm zu, von der Seite her.

Lola Mangold spielte ihre Rolle ausgezeichnet.

Sie blickte auf seinen Mund, als sehe sie ihn zum erstenmal. Und sagte genau so naiv und darum bezwingend, wie sie vorhin von dem »großen Erfinder« sprach:

»Sie haben einen schönen Mund, Herr Flamm – so stark und so – – so – –«

Ihr Blick ersetzte die Worte: ›Hilf mir doch – – du bist doch klug – – du weißt doch, was ich sagen will.‹

Er wußte es nicht. Er wußte nur, daß die Lage, in die er da geraten war, tausend geheime Wunder umschloß, von deren Dasein er nie geträumt.

95 Jetzt war ihr Gesicht ganz dicht vor dem seinen. Ihre Augen waren von einem ganz weichen feuchten Schleier überhaucht, so, als stünde eine Sehnsucht in ihnen, die nichts weiter wollte als Erfüllung.

Ja, und dann – –

Max Flamm wußte später nie, wie es kam, daß ihr Mund auf einmal den seinen berührte – – und daß dieser Mund sich nicht mehr zu lösen vermochte von dem seinen. Er fühlte nur einen schönen Körper in seinen Armen, indes alles, was sonst war, versank – –

 


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