Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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25.

Der Vorportier hatte den unscheinbaren Ankömmling mit der zerlederten Aktentasche fragen wollen: »Wen darf ich melden?« Aber ein Blick auf den schlichten Rock, die dicken Stiefelsohlen, die stumpfe Stahlbrille – ein zweiter in harte graue Augen ließen ihn sich begnügen mit einem: »Sie wünschen?«

»Von Ihnen nichts,« erwiderte der Untersetzte und ging ruhig durch die Vorhalle.

Der Vorportier blickte ihm verblüfft nach. So etwas war ihm bis zum heutigen Tage denn doch noch nicht passiert.

Dann klingelte der Mann den Hauptportier im Direktionsgebäude an: »Du, Emil, da kommt jetzt so 'n komischer Kauz – – scheint so einer zu sein, an dem man sich die Finger verbrennen kann. Sieh dich vor.«

So unterrichtet, warf sich der Goldbetreßte dem Unscheinbaren stolz entgegen.

»Ihr Name, bitte?«

»Tut nichts zur Sache. Aber wenn es Ihre Vorschrift ist: Peter Trumm.«

»Trumm? – Peter Trumm?«

»Gefällt er Ihnen? Freut mich. Nun den Ihren, bitte.«

»Den – den meinen?« staunte der Betreßte. Nach seinem Namen hatte man doch nie gefragt.

208 Aber der Fremde war schon weitergegangen, war schon auf der Treppe, wo er den ersten jungen Mann anhielt, der ihm entgegenkam: »Peter Trumm. – Wie, nicht viel Zeit? Geht's Ihnen so wie mir. Sind also gewissermaßen Kollegen. Melden Sie mich Ihrem Generaldirektor.«

Der junge Mann staunte den Einfachen an.

»Der Herr Generaldirektor –«

»– wartet schon auf mich. Ob erfreut oder nicht, spielt keine Rolle. Also flink, junger Mann.«

Der junge Mann verschwand tatsächlich im Allerheiligsten. Da drinnen saß Richard Lamprecht in nicht sehr guter Laune. Die Geschäfte ließen nach. Der Ton der Auslandsgläubiger hatte eine Färbung angenommen, in dem versteckte Drohungen schlummerten. Er mußte so tun, als erfasse er sie nicht, denn sonst hätte er im gleichen Tone erwidern müssen. Und dazu war – hm. – die finanzielle Lage der Firma nicht stark genug.

Dazu kamen ein paar Sticheleien von den Banken, deren eingeräumten Schuldkredit man kürzlich nicht unwesentlich überschreiten mußte. Das hinunterzuschlucken, war für einen umschmeichelten Gewalthaber nicht leicht.

Der junge Mann kam zur rechten Zeit.

»Was ist los? Mich sprechen? Sind Sie verrückt geworden? Es kann doch nicht jeder, der von der Straße heraufkommt, mich einfach sprechen wollen,«

209 schrie er ihn an. »Schmeißen Sie den Kerl hinaus.«

»Wenn's Ihnen Spaß macht, Herr Lamprecht, soll er's ruhig tun,« kam eine scharfe Stimme von der Tür her.

Lamprecht sprang auf. Ein ganz klein wenig verfärbte sich sein Gesicht.

»Ah, Sie, Herr Trumm. Das freut mich.« Und sich an den jungen Mann wendend: »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Herr Trumm hat natürlich jederzeit Zutritt.«

Trumms Gesicht blieb unbewegt. Auch als der junge Mann verschwunden war. Er zog nur seine Uhr und warf mit scheinbar ahnungsloser sachlicher Grobheit wie nebenbei hin:

»Zeitkrampf. Wieviel die Menschen heutzutage reden – nicht zu glauben.« Er hob die Hand. »Ich beginne.«

Richard Lamprecht schluckte.

»Womit, wenn ich – wenn ich fragen darf?«

»Natürlich dürfen Sie fragen, obwohl das ja sonst eigentlich meines Amtes ist. Immerhin, ich frage nicht zuviel – ich höre lieber.«

Lamprecht verbeugte sich.

»Daß ich im Auftrage des Revisionsverbandes komme, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu beweisen.«

»Unserer Firma ist zwar seit zwölf Jahren eine Revision erspart geblieben –«

210 »Dreizehn,« verbesserte Trumm.

»– und ich glaubte Grund zu der Annahme zu haben, daß –«

»Daß das Versäumnis jetzt endlich einmal nachgeholt werden muß, nicht wahr?« nickte Trumm und deutete auf das Klingelbrett. »Teilen Sie, bitte, allen Abteilungen meinen freien Zutritt mit.«

»Eine halbe Stunde vor Geschäftsschluß?«

»Ich weiß, meine Kollegen kommen immer zu einer gelegeneren Zeit. Ich bitte, bei meiner Marotte bleiben zu dürfen, die ich heute sogar dahin erweitere, daß heute keiner eher fortgeht, als bis ich das Zeichen dazu gegeben habe. Und wenn es Mitternacht wird. Oder halten Sie ein bißchen Nachtarbeit nach dreizehn Jahren zu Revisionszwecken für übertrieben?«

»Durchaus nicht,« sagte Richard Lamprecht. »Ganz und gar nicht. Das heißt, ich selbst kann wohl – oder darf wohl nach Belieben und Gutdünken gehen?«

»Über das Maß des Dürfens, das sich Generaldirektoren selbst bewilligen, habe ich nicht zu entscheiden.«

»Sondern?« fragte Lamprecht, und seine Stimme verriet eine gewisse Schärfe.

»Sondern die Firma.«

»Und da ich die Firma selbst repräsentiere?«

211 »– nehme ich an, daß ich den Chef des Hauses selbst noch um Mitternacht, wenn ich ihn brauchen sollte, nicht erst in seiner Wohnung anzuläuten brauche, sondern nur diese Tür hier zu öffnen habe –« vollendete Trumm seelenruhig.

Richard Lamprecht suchte nach einem Taschentuch, um die roten Tropfen seines Lippenbisses fortzuwischen.

Trumm ging, ohne eine weitere Antwort abzuwarten, zur Hauptbuchhaltung. Sah den alten Zipperer an und gab ihm kurz die Hand.

»Na also – noch immer da, Zipperer.« Er sah sich um. »Die Dame dort drüben kenne ich nicht – oder doch, sie kommt mir bekannt vor –«

»Frau Flamm,« flüsterte Zipperer. »Frau Thilde Flamm.«

»Die Frau von – –«

»– – Max Flamm,« nickte Zipperer.

»Und ist sich als Gattin des berühmten Erfinders nicht zu schade, um in der Firma mitzupflügen? Anerkennenswert – sieht ihm ähnlich, dem Flamm.«

»Es ist die Tochter vom alten Utz, Trumm.«

»Ah, daher das bekannte Gesicht.«

»Ihr Vater lebt noch immer und geistert durch die Firma als Irrer. Übrigens, Trumm, so irr, wie manche meinen oder gern hätten, ist er nicht. Ich wollte –«

212 Er unterbrach sich selbst. Der Revisor sah ihn scharf an.

»Sie wollten, alle in der Firma wären – – warum beenden Sie den Satz nicht, Zipperer?«

»Weil Sie ihn in Gedanken längst zu Ende gedacht haben.«

»Stimmt. Was meinen Sie sonst zu den Dingen hier, Zipperer?«

Der alte Zipperer starrte ins Hauptbuch. An die hundert Hauptbuchblätterecken hielt die hagere Hand umklammert. Nun ließ er sie fallen.

Peter Trumm, der gefürchtete Revisor, hatte so ungefähr tausend Revisionen hinter sich. Glatte, holprige, dunkle, solche, die haarscharf zwischen Recht und Unrecht auf des Messers Schneide liefen.

Hatte manche dünne rote Abschlußlinie quer übers Hauptbuch gezogen, die über der Herzgrube einer Firma oder an der Stirnschläfe eines Handlungshauses ihren Anfang nahm und in der letzten Spalte des Handelsregisters endete: »Firma gelöscht.«

Aus dem erbarmungslosen Reich der Zahlen stieß der Revisor immer wieder zu Menschenseelen vor, die das starre Reich zu betreuen hatten. Wohlgefällig schaute er den alten Zipperer an. Einer von der alten Garde, aus der Zeit der Firmentreue, die nicht wanken und nicht weichen konnte, weil sie sich sonst mitvernichtet fühlte.

213 »Reden Sie endlich einmal, Zipperer – was meinen Sie dazu?«

»Ich habe hier ein Amt und keine Meinung,« antwortete Zipperer starr.

»Schön, so werde ich sie mir selbst bilden müssen. Alle Leute des Rechnungswesens haben auf ihren Plätzen zu bleiben, bis ich sie gesprochen habe. Geben Sie die Order weiter, Zipperer.«

Diese Nacht der Revision vergaß die Firma nie wieder. Einseitiger spielte sich noch niemals ein Revisionskampf ab. Da war auf der einen Seite nur ein Mann – und auf der andern ein Heer von Angestellten. Der eine Mann besaß nur eine Waffe. Eine sonderbare Waffe. Die stärkste Waffe, die ein Revisionsbeamter schwingen kann: Das Schweigen. Allem, was sie ihm zu sagen hatten, setzte er das gleiche große Schweigen entgegen.

Das entnervte sie. Das ließ sie Dinge sagen, die sie ihm nie sagen wollten. An ihren eigenen Worten kletterten sie zum andernmal in die Höhe. Da erst zeigte sich, was wahr war und was nicht. Menschen, die sich mangels eines Echos auf der Gegenseite mit den eigenen Worten überschreien, verlieren die Kontrolle über sich und ihre Aufgabe.

Alles, was er wissen wollte, erfuhr der Revisor dadurch, daß er einfach dasaß. Daß er vorgab, gar nichts Bestimmtes erfahren zu wollen.

214 Und als sich gar noch zeigte, daß er sich nicht einmal die kleinste Notiz machte, sprudelten die Quellen einer unaufgeforderten Mitteilsamkeit über.

Um Mitternacht war er fertig. Die beiden Letzten, die sich vor dem Pförtnerhause trafen, waren der Revisor und der Generaldirektor. Richard Lamprecht lüftete den Hut.

»Ich habe darauf gewartet, daß Sie zu mir kommen, Trumm.«

»Erwies sich als überflüssig,« sagte der Revisor. Seine Hände machten eine ungewollte Bewegung. Ebenso ungewollt erschrak der Generaldirektor: War das nicht die Bewegung zweier Hände, die etwas zuzogen?

Eine Schlinge –?

 


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