Fritz Müller-Partenkirchen
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20.

Der alte Zipperer hatte sich ein halbes Dutzendmal vergeblich melden lassen. Immer hatte es geheißen: »Keine Zeit jetzt – muß verreisen – morgen.« Und zuletzt: »Schriftlich einreichen.«

Da hatte er alles, was er auf dem Herzen hatte, sauber ausgefeilt und eingereicht. Hatte das Schriftstück angemahnt. Einmal, zweimal, dreimal. Bekam keine Antwort.

Hatte sich an andere um Rat gewandt: »Was 180 würden Sie tun, Fräulein Utz?« – »Was raten Sie mir, Herr Doktor Flamm?«

»Mich haben Sie noch nicht gefragt, Herr Zipperer,« sagte Franz Lohmann.

»Sie?«

»Sie vergessen,« lachte Franz, »daß ich seit einiger Zeit nicht mehr Lehrling bin.«

»Nichts vergeß ich,« brummte Zipperer. »Wer Lehrling war, bleibt immer Lehrling.«

Er hielt das für einen weisen Satz. Aber Franz Lohmann war ihm gewachsen: »Waren Sie nicht auch einmal Lehrling, Herr Zipperer?«

»Selbstverständlich. Was geht das Sie an?«

»Mich nicht viel – – aber, ich denke, Sie.«

Ein wenig besann sich der alte Zipperer.

»Sie haben recht, Franz. Also, was raten Sie mir?«

»Fragen Sie einmal die höchste Instanz, Herr Zipperer.«

»Und die ist?«

»Man selbst, hat mir einmal ein alter Hauptbuchhalter gesagt.«

Schmunzelnd steckte der Alte die Belehrung ein. Wenig später trat er ungerufen durch die Tür mit der Aufschrift: »Eintritt ohne vorherige Anmeldung streng verboten.«

Richard Lamprecht fuhr auf.

»Wer hat Sie gerufen?«

181 »Niemand, Herr Geheimrat, ich hielt es für meine Pflicht – –«

»Ausmaß und Richtung Ihrer Pflicht bestimme ich.«

»Verzeihung, die Bilanz der Firma – –«

»Wir haben Sommer – – die Bilanz ist Wintersache. Fassen Sie sich kurz.«

»Die statistische Erfassung aller Ausgabenkonten ergibt, daß – –«

»Noch kürzer, bitte.«

»Wir geben zuviel aus,« sagte Zipperer mit tiefem Atemzuge.

»Wer ist – wir?«

»Die Firma, der wir alle dienen.«

»Sie dienen ihr – – ich beherrsche sie.«

»Nur solange sie bestehen kann, Herr Geheimrat.«

»Was erlauben Sie sich, Zipperer. Halten Sie es Ihrem weißen Haar zugute, wenn ich Ihre Anmaßung – –«

»Ich bin nicht anmaßend, Herr Geheimrat – – ich bin besorgt. Nach einem Menschenalter Dienstzeit habe ich das Recht, besorgt zu sein. Ich müßte sonst um meinen schlichten Abschied bitten.«

Er stand wartend da. Die alten Schreiberhände zitterten. Nur die Augen waren fest auf einen Spruch gerichtet, den noch der alte Lamprecht überm Schreibtisch angenagelt hatte: »Sei getreu!«

Richard Lamprecht zuckte mit den Schultern.

182 »Reden Sie – – oder nein, Sie brauchen nichts zu sagen. Ich werde es für Sie tun. Also: Die neuen Spesenkonten betragen ein Mehrfaches der alten Spesenkonten. Die angeordnete Ausgabenbehandlung als Vermögenszuwachs kann nach den alten Grundsätzen nicht gebilligt werden. Nicht gebilligt werden kann auch die Hunderttausendmarkstiftung. Mein eigenes ansehnliches Privatkonto darf weder gedeckt noch unter Debitorenkonto laufen, Bürgschaften, die von der Firma für meine Freunde eingegangen wurden, kommen in der Bilanz nicht vor – – die von mir verfügten Grundsätze bei der Bestandsaufnahme lassen die Vorratskonten viel zu hoch erscheinen – – die altbewährten Reserven, die für schlechte Zeiten vorsorgen sollten, bestehen nur scheinbar fort, in Wahrheit aber sind sie durch gewisse Gegenkonten heimlich aufgehoben worden. Na, ist er vollständig, der Speisezettel?«

Zipperer sah seinen Chef entgeistert an.

»Sie haben gewußt, daß – – daß – –«

»Vielleicht sogar noch etwas länger als Sie.«

»Aber dann – – dann begreife ich nicht – –«

»Was begreifen Sie nicht?«

»Daß Sie mir nicht befehlen: Zipperer, kehren Sie zur Bilanzwahrheit zurück!«

Lamprecht seufzte. »Man hat's schwer mit Euch alten starren Veteranen. Da sind die jungen Kräfte wendiger. Die fragen nicht so viel.« Er sah den 183 alten Buchhalter an. »Zipperer, lernen Sie endlich einmal erfassen: Wir leben in einer anderen Zeit. Jetzt herrscht ein Geschlecht, das auch etwas wagt. Wagnisse sind Übergänge zu Größerem. Mit Pfennigfuchserbilanzen erwecken wir bei dem Trust keinen Respekt. Großzügig müssen die Bilanzen wirken. Es muß der Anschein erhalten bleiben, als schwimme man im Gelde. Sonst wird man gefressen. Sonst wird die neue Umsatzziffer angezweifelt.«

»Welche Umsatzziffer?«

»Die gestern der Trustleitung hinübergekabelt wurde.«

»Wer hat sie gekabelt?«

»Ich natürlich,« sagte Lamprecht ungeduldig. »Dinge, auf die es ankommt, macht man immer persönlich.«

Er winkte Zipperer zu, als wünsche er die Unterredung zu beenden.

»In Zukunft, wenn Sie der Hauptbuchhalter Zipperer sein und bleiben wollen – –«

Zipperer sah seine kranke Frau vor sich, sah vor sich die Kinder. die ihm noch immer auf der Tasche lagen – –

»– – ich – – ich will es bleiben, Herr Geheimrat,« sagte er mit bebender Stimme.

»Na also. Ich kenne Sie doch, alter Herr. Hier sehen Sie – – wenn Sie hier das Hauptbuch 184 zum letztenmal zugeklappt haben, erfüllt sich ein alter Traum: Das kleine Haus im Grünen. Hier liegt das Papier, auf dem Ihnen Ihre Pensionsberechtigung zugestanden wurde.«

Zipperer fühlte ein Zittern in den Knien.

»Herr – – Geheimrat – –«

»Schon gut. Ich hoffe, Sie haben wegen der Bilanz keine Wünsche mehr vorzubringen.«

 


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