Fritz Müller-Partenkirchen
Die Firma
Fritz Müller-Partenkirchen

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24.

Firmen werden krank, genau so, wie ein Mensch erkrankt. Unversehens spürst du einen kleinen Stich im Innern. Der Krankheitskeim hat angeklopft.

Mehr als einmal hatte es bei Utz und Lamprecht angeklopft. Vor der Tür stand – den Fingerknöchel hochgehoben, vorgeneigt den dürren Körper, gespannt das schlaue Fuchsgesicht – der Verfall.

Und es klopfte in diesen Tagen wieder. Die Angestellten verstopften sich die Ohren und taten so, als seien sie taub. Richard Lamprecht achtete nicht auf das Klopfen. Er wollte nicht darauf achten. Es war ihm unangenehm.

An diesem Tage wollte Franz Lohmann mit dem Orientexpreß nach dem Südosten, um im neuen Türkenreiche mit den Konkurrenten schwer um einen Riesenauftrag zu ringen.

Knapp vor der Abreise erhielt er die Nachricht, daß es seinen Mitbewerbern gelungen war, schon gestern abend mit dem Schnellzug abzufahren. Wie die Türken im Geschäft beschaffen waren, hieß 203 das: Erledigt. Das Geschäft macht, wer zuerst kommt.

»Da ist nichts zu machen,« sagte Richard Lamprecht.

Franz zog das Kursbuch hervor. Hatte in zwei Minuten festgestellt: Uneinholbar.

»Wie ich Ihnen sagte,« meinte Richard Lamprecht. »Nicht Ihre Schuld – das genügt mir.«

»Mir nicht,« entgegnete Franz und blätterte fieberhaft weiter. »An in Belgrad – an in Belgrad – ab – fährt nur Freitags durch – heute ist Mittwoch, also – also – das haben sie übersehen. Bleiben einen Tag in Belgrad liegen.«

Richard Lamprecht lachte.

»Also würden Sie von Belgrad aus mit ihnen zusammen fahren und kämen gleichzeitig mit ihnen in Konstantinopel an.«

»Das genügt mir nicht.«

Er jagte auf den Fabrikhof, ließ das Auto vorfahren.

»Das schnellste Tourenauto, das wir haben. Muß in sechs Minuten dastehen. Zwei Fahrer zum Wechseln. Ziel Konstantinopel. Reichlich Proviant mitnehmen. Türkische Grammatik nicht vergessen. Und Decken – viel Decken.«

Los ging's in rasender Fahrt.

»Von der nächsten Stadt aus telephonieren wir nach Wien an unseren dortigen Vertreter. Hat 204 hauptpostlagernd Wien erstklassiges Kartenmaterial Wien–Konstantinopel zu hinterlegen. Schneller fahren, schneller. Denken Sie, Sie fahren zu Ihrer Liebsten. – Wie, haben Sie nicht? – Schaffen Sie sich eine an. Wer keine Liebste hat, hat auch keinen Ehrgeiz – und wer keinen Ehrgeiz hat, den kann die Firma nicht gebrauchen. Zum Teufel, Wilhelm, warum fahren Sie auf einmal so langsam?«

»Weil ich sonst nicht verstehen kann, was Sie sagen, Herr Lohmann,« grinste der Fahrer.

»Das brauchen Sie auch nicht. Zu fahren haben Sie. Den Auftrag der Jungtürkenregierung für ihre Landwirtschaft holen oder verlieren wir nur einmal, Wilhelm. Fahren Sie auf Tod und Leben!«

»Auf meinen Tod und mein Leben, meinetwegen,« brummte der Lenker. »Aber es könnte Ihr Leben mit sein, Herr Lohmann.«

»Auch an dem liegt nicht viel,« lehnte sich Franz zurück. »Ich fürchte aber – ich fürchte, es geht um ein anderes Leben.«

Er sagte nicht, um welches. Wenn es ums Geschick der Firma geht, verstummen die zuerst, die die größte Sorge darum haben.

Während Franz Lohmann nach Konstantinopel jagte, fuhr Richard Lamprecht nach Monte Carlo.

Nach acht Tagen kam er von dort zurück. Mit einem Halbmillionenverlust.

205 Der Verfall rieb sich die Hände: »Wieder einen Schritt vorangemacht.«

»– und zwei zurück,« stellte Franz Lohmann fest, als er mit dem festen Auftrag aus Konstantinopel zurückkam, wo er eine halbe Stunde früher als die Konkurrenz angekommen war, als erster beim Landwirtschaftsminister vorgelassen wurde und mit zündender Beredsamkeit die Angebote seiner Firma unterbreiten konnte.

Aber der Verfall gab das Rennen noch nicht auf.

Jeden Zugang, jeden Abgang wog er ab mit unsichtbarer Waage. Die Bilanzen machte er nicht nur jährlich – er machte sie täglich, stündlich und wußte genau: Wann ist es so weit?

Nach seiner Rechnung war sie mehr als einmal da, die Stunde.

Aber immer wieder wurde ihm die Rechnung durchgestrichen. Von einer Hand, die schweigend aus der Habenseite der Bilanzen langte. Die Hand hatte einen eisernen Schlüssel, den sie in ein Geheimfach schlichter Stahlkammerkonten steckte – –

Und die Reserven kamen anmarschiert. Besetzten die Breschen. Das Getuschel einer aufgeregten Menge blieb:

»– – man munkelt, daß die Firma wanken soll? Ist es wahr, daß der Landmaschinentrust schwere Schlappen durch die Außenseiter erhielt? Haben Sie gehört von unkontrollierbaren Luxusausgaben des 206 Generaldirektors? Unsummen soll er verwettet und verspielt haben. Riesige Gehälter hat er sich bewilligt. Eiserne Bestände wurden angegriffen –«

Die Reserven besetzten auch diese Bresche.

»– kostspielige Gepflogenheiten großer Herren – unbegrenzter Machthunger einzelner Gründungsmitglieder – einer von den Verschwendern soll geäußert haben: Nach uns die Sintflut –«

Noch vermochten die Reserven die Stellung zu halten.

»Einer soll das Zepter bekommen haben, dessen Frau ihm das Mittagessen vor wenigen Jahren noch im Henkeltopf in die Fabrik trug. Bitte sehr, das spräche eher für die Firma. Aber schlimm ist es, daß die entliehenen Auslandsgelder jetzt ins Rutschen kommen.«

Noch schlossen die Reserven die immer breiter werdenden Fugen.

»Die Grundursache aller Schwierigkeit sei in der übertriebenen Kollektivwirtschaft zu suchen. Was das ist? Die Scheu vor der Verantwortlichkeit des Einzelmenschen. Immer versteckten sie sich hinter Mehrheitsbeschlüssen. – Ist es wahr, daß der glänzend beurteilte Kassierer durchgegangen sein soll?«

Und dann geschah es, daß die Reserven nicht mehr alle Lücken schließen konnten – –

Sie wurden breiter – breiter – –

Der Verfall sah seine Stunde näherrücken – – 207

 


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