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11.

Die bestürzten Freunde schüttelten die Köpfe.

»Wie ist es möglich, daß ein Mann von Flamms Charakter einem solchen Frauenzimmer mit Haut und Haar verfällt?«

Die so sprachen, kannten Flamm ein wenig, Lola Mangold aber gar nicht. Aber auf das leichte Gruseln eines Urteils, das sich scheu bekreuzte, konnten sie nicht verzichten.

Die ihn besser kannten, winkten ab:

»Laßt ihn. Sein Genie von vordem und die Nebelschwaden heute wallen aus derselben Tiefe. Der nächste Windstoß treibt die Nebelfetzen weiter – das lautere Gold darunter glänzt dann mehr denn je.«

96 »Ich würde mich auf keinen Wind verlassen. Derselbe Wind kann neue, kann stärkere Schwaden bringen. Zuverlässiger als ein unberechenbarer Wind ist ein heller Ruf.«

»Bei einem, der in dicker Watte eingewickelt ist, magst du lange rufen.«

»Ihr versteht mich nicht. Ich will's nicht sein, der ruft – – es muß rufen.«

»Es?«

»Ich hatte einen Onkel auf dem Lande. Der Onkel auf dem Lande hatte ein Pferd, von dem es hieß, es sei bei Gravelotte dabeigewesen. Auf diesem Pferde, wenn es im Geschirr war, durfte ich als Junge einmal reiten. Eines Tages ging's durch dichten Nebel. Hinter uns tanzte die eingespannte Egge überm aufgepflügten Acker. Mein Onkel reichte mir eine Kindertrompete, auf der er mir am Morgen eine Melodie eingelernt hatte: ›Blase, Bub, und reite in die Schlacht!‹ – Beim ersten Ton spitzte der Gaul die Ohren. beim zweiten wieherte er – – beim dritten stieg er hoch und dann – – dann flog die Egge, es flog der Acker, die Stränge rissen, pfeilgerade brauste das Pferd dahin. Ich verkrallte mich in seiner Mähne, durch den Nebel einem Ziele zu: Der verdeckten Schlacht, die ihn gerufen hatte.«

»Und die nicht da war.«

»Darauf kommt's nicht an. Auf den Ruf kommt's 97 an. Wir standen wieder, beide mächtig schnaufend, in der Sonne, weit im Rücken braute der Nebel.«

»Nicht übel vorgeritten, was du da erzähltest. Jetzt für unsern armen Flamm die Nutzanwendung. Der Nebel wäre da – – nun schaffe die Trompete.«

»Auch schon lange da. Habt ihr nie etwas von Fabriksirenen gehört?«

»Sirenen also gegen Sirene. Wo ist aber einer, der sie bliese?«

»Der kann nicht aus Ruf und Widerruf beordert werden. Der wird da sein, wenn die Zeit da ist. Wenn wir schärfere Augen hätten, könnten wir ihn vielleicht schon erkennen.«

»Erst war's ein Kind mit einem Kindertrompetchen.«

»Geht mir zu. Als ob das Schicksal nicht in tausenderlei Gestalten einhergeritten kommen könnte.«

Unterdessen lenkte Lola Mangold den Max Flamm nach ihrem Plänchen durch das von ihr vernebelte Gelände. Unterdessen lenkte Richard Lamprecht die von ihm gekaufte Lola Mangold nach seinem Plänchen durch das von ihm vernebelte Gelände. Unterdessen lenkte ein verdecktes Kaufmannsziel, Majorität geheißen, den gekauften Richard Lamprecht nach gewissen Plänen durchs vernebelte Gelände. Unterdessen – ach, was wissen wir von einem Plane über allen Plänchen und 98 vernebelten Geländen. Und was liegt daran, ob das Fragezeichen etwas weiter vorne oder weiter hinten steht.

Alle wußten um Max Flamms Verzauberung. Alle sprachen davon. Nur zu ihm selber keiner.

Seiner Mutter wich Max Flamm aus. Und ihm selbst suchte Thilde Utz auszuweichen, die zunächst Betroffene. Ungesprochene Worte hingen sich mit Bleigewichten an drei Herzen, die sich danach sehnten, das zu bleiben, was sie waren.

Der junge Lamprecht freilich klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter.

»Daß ich's Ihnen nur gestehe, lieber Flamm. Ich selbst habe zu dem alten Herrn von Weimar seit meiner Schulzeit nie ein rechtes Verhältnis finden können. Aber mit zwei Zeilen hat er recht gehabt. Sie kennen sie?«

»Zwei Zeilen? Welche von zweihunderttausend?«

»Wenn ihr das Leben gar zu ernsthaft nehmt – was ist denn dran? – Ist's noch des Aus- und Anziehns wert?« Er zwinkerte ihm zu. »Nicht erst auf meine alten Tage will ich mich nach dem versteckten Rat in diesen zwei Zeilen richten. Und Sie, Flamm?«

»Ich?« wehrte er den Zugriff ab. »Ich halt es lieber mit den anderen von demselben Weisen:

Sehe jeder, wie er's treibe,
Und wer steht, daß er nicht falle!«

99 Der junge Lamprecht quittierte den kleinen Hieb nicht. Er steckte ihn lächelnd ein. ›Es geht in einem Aufwaschen,‹ dachte er, ›die Generalabrechnung ist schon unterwegs, mein Lieber.‹

Da geschah es ihm selbst, daß sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. Sein Vater stand vor ihm.

»Ich kümmere mich nicht mehr um Dinge, die dich persönlich angehen, Richard,« sagte er und sah ihn ernst an.

»Und, Vater?«

»Heute komme ich mit einer Bitte zu dir.«

»Bewilligt. Vater.«

»Gemach, mein Sohn, es könnte dich gereuen.«

»Wie sieht die Bitte aus, Vater?«

»Nichts für mich. Flamm geht sie an. Er steht im Alter zwischen dir und mir. Wenn ich es ihm sage, könnte er sich's als unerbetene Bevormundung verbitten, was er sich von dir halb im Scherz, halb aus Kameradschaft sagen läßt.«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Vater.«

»Es handelt sich um das Frauenzimmer.«

»Welches Frauenzimmer?«

»Öffne ihm die Augen.«

»Hm.«

»Nicht meinetwegen, nicht der Firma wegen, so nötig sie auch seine unverblendeten Augen wird brauchen können. Seinetwegen will ich es. Mir 100 tut's weh, zu sehen, wie jeder Lumpenhund ihn zur Zielscheibe seines Witzes macht.«

»Auf die Gefahr hin, selbst dazu gezählt zu werden, Vater – – ich bedauere.«

Er entfernte sich rasch, bevor der alte Lamprecht ihm noch weiter zusetzen konnte. Der sah ihm kopfschüttelnd nach. In ihm keimte eine Ahnung der Zusammenhänge – – aber er wies sie zurück.

Max Flamm lebte wie in einem Traum.

Er ging kaum noch nach Hause. Seine Arbeit erfordere es, daß er eine Zeitlang in der Fabrik wohne, sagte er der Mutter.

Er sah sie nicht an, während er ihr das sagte. Und sie sah ebenfalls an ihm vorbei. Sie schämte sich für ihn um seine Lüge. Erst nach einer Weile faßte sie ihn an:

»Max, wir sind bis heute ohne Lüge miteinander ausgekommen. Wenn es jenes Mädchens wegen ist, sprich ihr von deiner Mutter – – und sag ihr, daß meine Türe offensteht – – auch für sie. Laß den Frieden vieler Menschen nicht vor die Hunde gehen – –«

Sie brauchte nicht weiterzusprechen. Max war hinausgeschlichen. Sie war nicht traurig. Sie kannte ihn. Er kam schon zurück. Nur warten mußte man können. Und wenn Mütter eines können, so ist es dies: Warten. Ob es Stunden oder Tage sind, Wochen, Monde oder Jahre – – das ist nicht so 101 wichtig. Wichtig ist, zu wissen, was am Ende sein wird. Und das wußte Mutter Flamm.

Was unterwegs sein würde, war im schlimmsten Falle das Zittern einer Saite, die hinüber- und herüberschwang um die Lage eines Gleichgewichts, um das, solang die Welt steht, Mütter wissen.

Nach drei Wartetagen stand das Mädchen vor ihr.

Frau Flamm umfaßte sie mit einem Blick und wußte, wer sie war.

»Ich habe Sie mir anders vorgestellt,« sagte sie.

Lola Mangold lächelte ein wenig.

»Es ist meistens so, daß man sich die Menschen anders vorstellt, als sie in Wirklichkeit sind.«

Frau Flamm nickte. Sie ließ keinen Blick von dem Mädel, dessen Augen so seltsam tief waren, daß man es schon begreifen konnte, wenn eines Mannes Blick darinnen versank und nicht mehr in die Welt zurückfand.

»Ich hatte meinen Sohn gebeten, Sie einmal zu mir kommen zu lassen, Fräulein Mangold – –«

»Wahrscheinlich wäre ich aber doch noch nicht gekommen, Frau Flamm, wenn mich Max nicht mit einem Auftrag zu Ihnen geschickt hätte.«

»Mit einem Auftrag?«

Lola Mangold nahm einen kleinen Brief aus ihrer Handtasche und reichte ihn der alten Frau. Frau Flamm nahm ihn zögernd, wog ihn in der Hand.

102 »Ich – – ich habe meine Brille nicht da – – würden Sie die Güte haben, mir zu sagen, was Max von mir will?«

Lola öffnete den Brief und las ihn vor:

»Liebe Mutter! Ich bin leider verhindert, selbst zu kommen, und bitte Dich, Fräulein Mangold die Aktien auszuhändigen, die du aufbewahrst. Ich habe sie zu guten Bedingungen der Unionsbank verkauft. Der Erlös wird uns beiden gutgeschrieben.«

»Ihm und mir?« fragte Frau Flamm.

»Ja.«

»Und was ist mit Ihnen?«

»Mit nur ist nichts. Ich tue nur, um was Max mich bat. Er befürchtet allerdings, daß Sie ihm Schwierigkeiten machen.«

»Schwierigkeiten? Ich bin seine Mutter – – Mütter machen keine Schwierigkeiten. Mütter sind zum Helfen da,« sagte Frau Flamm schlicht und ging ins Nebenzimmer.

Nach geraumer Zeit kam sie mit einem versiegelten Paket zurück.

»Hier sind die Aktien. Sie geben mir wohl eine Quittung? – So, danke. Kann ich sonst mit etwas dienen?«

Lola Mangold stand der alten Frau einen Augenblick lang fassungslos gegenüber. Sie hatte mit einem harten Kampf gerechnet. Für diesen Kampf 103 war sie gedungen worden. Auch ihr Verhältnis zu Max Flamm war nur als ein Glied in diesem Kampf gedacht. Jetzt war der Kampf auf einmal wesenlos geworden. Statt seiner stieß sie auf die Güte einer Mutter.

Von allem Drum und Dran zu Max fielen die Schlacken. Sie erlebte eine langentbehrte Reinheit ohne irgendein verdecktes Ziel. Sie hätte weit in ihre Mädchenzeit zurückgehen müssen, um etwas Ähnliches zu finden.

»Nein, Frau Flamm, sonst nichts – –« stammelte sie. »Ich – – ich bedauere sehr – –«

»Lassen Sie das, Fräulein Mangold, ich erwarte kein Geständnis. Diese Dinge macht man besser mit sich selbst ab. Danach erst mit seinem Auftraggeber – – mit Max – – vor allem aber mit – – mit – nun, den Namen brauche ich Ihnen ja nicht zu nennen.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen – –«

»Sollten Sie wirklich nicht wissen, daß Max mit Thilde Utz verlobt ist?«

»War.«

»Sie entschuldigen, daß eine alte Frau im modernen raschen Wechsel der Gezeiten der Liebe nicht so fix ist. Ich meine: Max ist noch gebunden durch sein Gewissen.«

»Sie meinen, weil die Verlobung nicht offiziell gelöst wurde?«

104 »Gewissen werden nicht in offizielle und inoffizielle Gewissen geschieden. Gewissen gibt es nur eines – oder denkt man darüber heute auch anders?«

Lola Mangold unterdrückte ein Lächeln. Der Respekt vor der weißhaarigen Frau ließ sie ernst bleiben.

»Die Zeiten haben sich geändert, Frau Flamm. Wir nehmen die Liebe und dergleichen heute nicht mehr gar zu wichtig. Früher blähte man diese Dinge künstlich auf und tat so, als seien sie es, die die Welt lenken – –«

Sie brach ab. Fühlte allzuschwer die Blicke einer Wissenden auf sich ruhen. Einer Frau, deren Ehe, deren Mutterschaft, deren ganzes Leben nichts als Liebe gewesen war.

»Verstehen Sie mich recht, Frau Flamm,« fuhr sie nach einer Weile ein wenig verlegen fort, »nicht, als wüßten wir nicht auch, was Liebe ist. Aber sie ist nicht alles. Sie ist ein Faktor – – weiter hat es nichts auf sich mit – – mit – –«

»– – mit der Liebe und dergleichen,« nickte ein gebeugter weißer Scheitel, ohne aufzusehen.

 


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