Fritz Müller-Partenkirchen
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15.

Richard Lamprecht war mißvergnügt.

Es ging nicht recht vorwärts. Die eingesetzten Menschen schwankten. Er durfte noch nicht restlos sein Ziel aufdecken, mußte noch immer mit 126 geschlossenem Visier kämpfen, solange sich die Majorität nicht in seinen Händen befand.

Bei denen, auf die es ankam, fand er kein Verständnis für seine Pläne. Was war jenen Wirtschaftsmacht? Menschen, die sich immer nur von Gefühlen treiben ließen, taugten nicht zu Machtkämpfen.

Das mit Flamm hatte Lola Mangold ausgezeichnet gemacht. Aber noch fehlte das letzte Stück – – fehlten die Utzschen Aktien.

Er ließ Lola kommen. Sie stand vor ihm, bleich, nicht mehr das lachend ihn umgaukelnde Geschöpf von ehedem. Irgend etwas hatte sie umgekrempelt.

»Was ist? Brauchst du das Geld nicht mehr, das für dich bereit liegt?« fragte er sie.

Sie stand mit zusammengepreßten Lippen. Und dachte an die verzweifelten Bitten und Mahnungen ihres Vaters, die in ihrer Tasche knisterten.

»Warum sprichst du nicht?« forderte er sie kurz auf.

»Ich habe alles versucht, was in meinen Kräften stand. Bei Frau Flamm stieß ich auf Verständnis – auch Mathilde Utz ist schon gewonnen. Nur Max Flamm wehrt sich. Wenn ich ihn zu einem Ja bringe, gibt Mathilde Utz die Aktien her – –«

Er lächelte.

»Ihn zu einem Ja zu bringen, dürfte dir doch nicht schwer fallen. Als es um ihn selbst ging, ist dir's ja gelungen.«

127 Lola Mangold schwieg. Was sie dem kalten Geschäftsmann sagen könnte, hätte er doch nie verstanden. Hätte nie verstanden, wie es war, wenn in ein verpfuschtes Leben plötzlich eine Liebe ohne Zweck und Ziel brach.

»So kommen wir nicht weiter – –« sagte er ungeduldig.

Sie hob den Blick und sah ihn an.

»Ich – – ich kann es nicht mehr, Richard Lamprecht. Ich bin machtlos. Wenn du darauf bestehst, will ich – – will ich versuchen, zurückzuzahlen, was du mir – –«

Er unterbrach sie mit einer brüsken Handbewegung.

»Unsinn. Ich möchte wissen, warum du machtlos bist.«

Als sie wieder nicht antwortete, stand er auf und trat dicht zu ihr hin. Und sah in ihre Augen. Und da war's auf einmal, als sehe der kalte Rechner bis in eine tiefe, tiefe Frauenseele, als offenbare sich ihm ein Wunder, das er nie zuvor erlebte.

Er ertrug ihren Blick nicht und wandte sich ab.

»Nichts zu machen – – schade,« kam es aus der andern Hälfte des Zimmers, in die er sich zurückgezogen hatte. »Dann muß man eben einen andern Weg gehen.« Er näherte sich ihr von neuem. »Ich erkenne an, daß du dein Möglichstes getan hast, Lola.«

128 Sie wollte etwas sagen, aber die Worte blieben ihr in der Kehle stecken, fanden den Weg nicht zum Munde. Als sie sah, daß er zum Schreibtisch schritt und aus der Lade das Scheckbuch hervorholte, fühlte sie den rasenden Schlag ihres Herzens. Irgendeine neue Bosheit, mit der er ihr einen vernichtenden Schlag versetzen würde?

Er hielt ihr den Scheck entgegen.

»Nun nimm schon – – ich weiß, wie es in dir aussieht. Jedenfalls danke ich dir für deine Mühe –«

Sie griff zögernd nach dem Scheck. Erwartete, er werde die Hand, die ihn hielt, im letzten Augenblick zurückziehen und ihn hohnlachend zerreißen.

»Restbetrag unseres Abkommens – –« sagte er und setzte sich, tat, als sei sie nicht mehr da.

Sie stand mit dem Scheck in der Hand und wagte nicht zu gehen.

»Geh schon, bevor die Bank ihre Schalter schließt,« forderte er sie auf und lachte. Und sah zum Fenster hinaus.

»Richard – –«

»Schon gut,« winkte er ungeduldig ab. »Laß dir's gut gehen und grüß – –«

Er stockte. Hatte »deinen Vater« sagen wollen und erinnerte sich grellklar, daß dieser Vater einen häßlichen Prozeß hatte. Daß er geflohen und seitdem verschollen war. Und daß seit langem drei Jahre Zuchthaus seiner warteten – –

129 Erst als er die Tür ins Schloß klinken hörte, wandte er sich wieder vom Fenster ab und sah dorthin, wo vor einigen Sekunden noch ein armes, zerquältes Körperchen stand.

Merkwürdig, das klang eben, bevor sich die Tür schloß, wie ein verhaltenes Schluchzen – – und war doch sicher nur die schlechtgeölte Angel.

Er drückte auf den Knopf der Glocke.

Seine Sekretärin erschien.

»Ich lasse Fräulein Utz bitten.«

Zwei Minuten später stand Thilde Utz vor ihm. Er reichte ihr die Hand und schob ihr mit liebenswürdiger Geste einen Sessel hin.

»Thilde, ich möchte ein offenes Wort mit Ihnen sprechen,« begann er, nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte.

Thilde schwieg. Er suchte nach einem geeigneten Anfang.

»Es handelt sich – –. Hm, Sie entschuldigen, Thilde, daß ich mich da in Dinge mische, die mich eigentlich nichts angehen. Es handelt sich um Flamm. Sie wissen, was Flamm für die Firma bedeutet. Ihn verlieren, hieße für die Firma eine Schlacht verlieren, von der sie sich schwer erholen würde. Und sie ist auf dem besten Wege dazu, wenn Sie es nicht verhindern – –«

Er sah sie prüfend an. Ihr Gesicht war unbewegt. 130 Nichts darin verriet, daß seine Worte irgendeinen Eindruck bei ihr hinterließen.

»Es gibt niemand sonst, der es verhindern kann. Sie sind mit Flamm verlobt – –«

Jetzt unterbrach sie ihn.

»Sie vergessen, Richard, daß ich es war, die vor langem die Verlobung aufhob – –«

»Der Grund zu dieser Aufhebung besteht wohl heute kaum noch, nachdem Sie Gelegenheit hatten, sich durch Ihre eigene Tätigkeit in der Firma von der Wichtigkeit seines Arbeitsgebietes zu überzeugen. Und außerdem – – wenn ich recht unterrichtet bin – – die Aufhebung wurde wohl weder von Ihrer noch von seiner Seite wirklich ernst genommen – –«

Er erwartete ein Lächeln. Es blieb aus.

Richard Lamprecht glaubte, das Feld genügend sondiert zu haben. Er stand auf.

»Ohne lange Vor- und Nachrede, Thilde – – als kaufmännischer Leiter der Firma habe ich Ihnen ein Angebot zu machen. Sie können es ablehnen oder – überlegen. Sie und Flamm gehören zusammen. In der letzten Zeit ist da ein kleines Hindernis aufgetaucht. Ich verspreche Ihnen, dies Hindernis zu beseitigen – – und Sie geben mir dafür das, was ich für den Aufstieg der alten Firma, mit der wir ja alle auf Gedeih und Verderb verbunden sind, brauche – –«

131 Sie sah ihn voll an.

»Die Aktien?«

Er nickte.

»Sie wissen, Richard, es sind Vaters Aktien. Sie wissen, seinem hoffnungslosen Zustand sind Aktien oder der kurante Gegenwert in bar dasselbe. Sie wissen, mir steht über allem, was ich jetzt erst schätzen lernte: Die Arbeit. Der Verzicht des Störenfrieds hat nichts daran ändern können. Lassen Sie es gut sein. Ich habe mich abzufinden, und ich werde mich abfinden. Vater hat sich mit seinem Zustand abfinden müssen, die Tochter wird es mit der – – mit der Liebe, die ihr nicht bestimmt ist – –«

Er trat auf sie zu und griff nach ihrer Hand.

»Ihre Rechnung hat einen großen Fehler, Thilde – – einen Fehler, der – –«

»– – der Max Flamm heißt,« sagte sie resigniert.

»– – der bisher versagt hat, versagen mußte. Was gilt's: Ich habe endlich das Motiv gefunden, das der berühmte Rattenfänger blies.«

»Rattenfängermotiv?«

»Ja, das ihn frei macht. Frei von sich selbst, frei für Sie, frei für uns. Wir, die Firma, haben seinen entwölkten Kopf ebenso nötig wie Sie sein entwölktes Herz. Gilt es, Thilde?«

»Es gilt,« sagte sie müde und wandte sich zum Gehen.

132 Er hielt sie zurück.

»Mit einem passiven Handschlag allein ist es nicht getan, Thilde,« lächelte er.

»Was noch?«

»Ihre Mitarbeit ist nötig. Wollen Sie meinen Vorschlag nicht hören?«

»Ich muß wohl.«

Er entwickelte ihr seinen Plan.

Erst hörte sie apathisch zu. Dann halb. Dann ganz. Dann wurde sie lebendig. Blut schoß ihr in die Wangen. Die Stirn begann zu glühen.

»Das ist alles,« schloß er.

Sie sprang auf.

»Ausgezeichnet, Richard – – wunderbar, Ihr Plan – – aber unannehmbar.«

»Für mich durchaus nicht,« lächelte er. »Und ich hoffe, wenn Sie sich's ein paar Stunden überlegt haben, werden Sie anders darüber urteilen – –«

 


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