Alexander Moszkowski
Von Genies und Kamelen
Alexander Moszkowski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Linse, G.m.b.H.

Photographische Novelette

Erstes Kapitel

Ella war sehr glücklich verheiratet und fühlte sich namenlos unglücklich. Sie liebte ihren Mann, wurde von ihm ziemlich oft wieder geliebt – und dennoch! In diesem »dennoch« steckte der verzehrende Verdacht der Untreue, die Vermutung, daß ihr Gatte, der liebenswürdige, chevalereske Ingenieur Eduard Springfuß aus seiner Junggesellenzeit allerhand polygame Neigungen in die Ehe hinüber genommen haben könnte. Aber es ging ihr wie der Reformschülerin, der der Professor im Examen den pythagoreischen Lehrsatz vorlegte: sie konnte ihm nichts beweisen!

Oftmals schon hatte sie eine verdächtige Fährte aufgenommen, ohne auf eine greifbare Spur zu stoßen; das weibliche corpus delicti wollte sich nicht auffinden lassen. Und so verschmachtete sie weiter, umgeben von allen Aufmerksamkeiten Eduards, in den Qualen der Eifersucht.

Eines Tages aber faßte sie einen Plan, den ich bei aller Hochachtung vor den sonstigen Qualitäten Ellas nicht anders als einen satanischen bezeichnen kann. Sie schützte eine Reise zu ihrer leidenden Mutter nach Teplitz vor und begab sich zunächst zu ihrer verheirateten Schwester, die wie sie selbst in Berlin wohnte.

»Höre, Sophie, du mußt mir einen großen Dienst erweisen. Ich fahre in drei Tagen zu Mama ins Sanatorium, und während meiner Abwesenheit sollst du Eduard beobachten lassen.«

»Aber Schwester, was fällt dir ein?«

»Ich versichere dir, es ist nötig. Ich werde den Gedanken nicht los, daß Eduard mich hintergeht. Also setze dich mit einem guten Detektiv in Verbindung, gleichviel, was das kostet . . .«

»Wenn du so etwas für geeignet hältst, so tue es doch selbst.«

»Ich persönlich? Nein, das geht nicht. Ich mag mich nicht so herausstellen; ich schäme mich.«

»Natürlich. Weil das Mittel zu dem du greifst, kein sehr nobles ist. Und da soll ich . . .?«

»Ja, Sophie, du mußt mir das übernehmen. Und wenn der Detektiv wirklich etwas herausgebracht hat, ich meine etwas Schlimmes, so soll er die Beweise sofort dem Justizrat Fernbach übergeben. Der versteht sich am besten auf Scheidungsangelegenheiten.«

»Um Gottes willen, du willst dich scheiden lassen?«

»Unbedingt! Nicht einen Augenblick lebe ich mit diesem Scheusal mehr zusammen. Ich weiß, was du sagen willst: Eduard ist nett, reizend, er verwöhnt mich, – alles zugestanden; aber wenn er mich betrügt, ist er ein Scheusal, und dann trenne ich mich vom Bande, wie die Kronjuristen sagen.«

Zweites Kapitel.

Schwester Sophie nahm den Auftrag an und erkundigte sich sofort nach einem leistungsfähigen Detektiv-Bureau. Man empfahl ihr die Firma Linse, G.m.b.H., als besonders geschickt und zuverlässig. Die Mandantin hatte das Glück, mit dem Chef der Firma, dem ehemaligen Kriminalkommissar Linse, persönlich verhandeln zu können, und dieser versprach ihr, gegen angemessenes Honorar binnen kurzem soviel Beweise aus dem Kapitel »in flagranti« zu beschaffen, daß man davon fünf Ehebruch-Romane und sechs Stücke fürs Residenztheater machen könnte. »Ist Ihr Herr Schwager heute Nachmittag zu Hause?« fragte er.

»Nein, er hat Nachmittag immer in einer Maschinenfabrik zu tun.«

»Sehr gut. Wieviel Dienstmädchen sind dort im Hause?«

»Sie haben augenblicklich nur eins.«

»Wie sieht die aus?«

»Ganz hübsch.«

»Freut mich im Interesse der Sache. Also sorgen Sie dafür, daß Ihre Frau Schwester heute Nachmittag ebenfalls ausgeht. Ich werde mich mal mit dem interessanten Dienstbolzen in Verbindung setzen.«

Um 5 Uhr klingelte Linse an Springfuß' Wohnung: »Sind die Herrschaften zugegen?«

»Bedaure, sind beide ausgegangen.«

»Könnte ich vielleicht die Wohnung besichtigen?«

»Die Wohnung? Man hat mir gar nicht gesagt, daß die zu vermieten ist.«

»Das wissen Sie nicht? Sie steht ja in den Zeitungen annonciert. Ich habe auch bereits mit dem Hauswirt gesprochen.«

»Ja, dann freilich. Bitte treten Sie ein.«

Im Salon sah sich der Herr Linse prüfend um. Dann sagte er plötzlich: »Wie heißen Sie, schönes Fräulein?«

»Ich?« – erwiderte die Hausfee«. »Ich heiße bloß Minna.«

»Also hören Sie, liebe Minna, ich will Ihnen die Wahrheit sagen. Ich komme nicht wegen der Wohnung, sondern aus anderen Gründen. Ich bin nämlich von der Polizei!«

»O Gott! Wer hat denn hier was verbrochen?«

»Nur keine Angst! Niemand hat was verbrochen. Hier nehmen Sie – zwanzig Mark für den Schreck; und, verstehen Sie wohl, – reinen Mund. Das müssen Sie mir versprechen.«

»Jawohl, Herr Geheimer,« stotterte Minna, nicht ganz unempfänglich für die Reize der Banknote, aber doch stark verschüchtert.

»Es handelt sich nämlich um eine Untersuchung, welche die Polizei vornimmt, um die Sittlichkeit in den Berliner Häusern zu ermitteln. Wir machen da eine Statistik nach Prozenten, weiter nichts.«

»Ach du lieber Himmel, wie wird es mir da ergehen,« jammerte das Mädchen.

»Ihnen passiert nicht das Geringste; auf meinen Diensteid! Das heißt, wenn Sie mir behilflich sind, Ihre Herrschaft zu beobachten. Und wenn Sie sich dabei geschickt anstellen, bekommen Sie von mir noch weitere dreißig Mark.«

»Ja, was soll ich denn dabei machen? Von der gnädigen Frau kann ich Ihnen garnichts erzählen; die ist so sittlich!«

»Und der Herr?«

»Ach der! Aber irgend was Gewisses könnte ich auch nicht sagen, ich weiß nur, daß man im Hause so allerlei munkelt.«

»Nun, auf Gemunkeltes wollen wir uns nicht einlassen. Passen Sie auf. Uebermorgen früh verreist Frau Springfuß. Sollte sich in der Zeit ihrer Abwesenheit hier irgend etwas Besonderes ereignen, etwas, das auf Damenbesuch schließen läßt, so stellen Sie diesen kleinen Apparat hier vorher dort in die dunkle Ecke«; – er hatte sofort einen günstigen Platz ausbaldowert, wo sich das Maschinchen unauffällig zwischen allerhand Nippes verbergen ließ. »Bevor Sie das Zimmer verlassen, drücken Sie auf diesen Knopf an der Seite, der ein Uhrwerk in Gang setzt, und das Weitere besorgt der Apparat selbst.«

»Es ist doch nicht am Ende eine Höllenmaschine?«

»Nichts weniger als dieses. Dieses Kästchen nimmt nur selbsttätig eine Reihe von Augenblicksbildern auf, das ist alles. Und dann noch eins: sobald die Geschichte erledigt ist, bringen Sie mir selbst den Apparat. Sie finden mich täglich abends 8 Uhr an der Hochbahnstation Hallesches Tor. Wie gesagt, dreißig Mark extra.« Damit empfahl sich Herr Linse, und Minna war froh, den unheimlichen Besuch verschwinden zu sehen.

Viertes Kapitel

Der Justizrat Fernbach plädierte auf Ehescheidung. Er führte vor Gericht aus, daß hier einer der klarsten Fälle nach § 565 des Bürgerlichen Gesetzbuches vorläge und zugleich einer der krassesten, der in den Annalen gewissenloser Ehemänner zu finden wäre. »Kaum hat die liebende Gattin, um ihre kranke Mutter zu besuchen, das Haus auf kurze Zeit verlassen, als der liederliche Strohwitwer die Heimstätte, in der noch der Odem der Trauten wehte, zum Schauplatz widerlicher Orgien macht, hier auf dem Tische liegen die Beweise seiner Zügellosigkeiten, erbracht von dem objektivsten und zuverlässigsten aller Beobachter, vom Photographen! In diesen Stellungen ist Herr Springfuß überrascht worden. Es hieße die Wucht dieses Beweismaterials abschwächen, wenn ich hier noch irgend etwas weiteres hinzufügen wollte.«

Die Photographien wurden vom Gerichtshof betrachtet. »Unerhört!« sagte der Vorsitzende, während ein Gerichtsassessor zu seinem Nachbar bemerkte: »Diese Detektivs mit ihren raffinierten Apparaten sind wirklich gefährliche Burschen. Sie knipsen einem das Gewissen aus dem Leibe heraus, man kann da gar nicht vorsichtig genug sein!«

Der Anwalt des Herrn Springfuß, Dr. Straßer, nahm das Wort: »Es fällt mir natürlich nicht ein, die Glaubwürdigkeit dieser Dokumente zu bestreiten . . .«

»Na also!« warf Justizrat Fernbach ein; »da ist die Sache ja erledigt!«

»Nur möchte ich doch gerichtsseitig festgestellt wissen, wer eigentlich die Dirne ist, die wir auf diesen Photographien im tête à tête mit meinem Klienten vereinigt sehen.«

Justizrat Fernbach opponierte: »Es wird den Gerichtshof nur wenig interessieren, zu ermitteln, wie ein solches Frauenzimmer heißt, respektive wo es wohnt.«

Trotzdem wurde aus gewissen juristischen Gründen beschlossen, in eine Beweisaufnahme über das Personal einzutreten.

Man vertagte die Sitzung auf zwei Stunden und zitierte inzwischen die betrogene Gattin.

»Es tut mir leid« sagte der Vorsitzende, »Sie mit dieser Frage behelligen zu müssen. Mit Abscheu und Widerwillen wird sich Ihr treues Frauenauge von solchen Photographien wegwenden, aber trotzdem bitte ich: betrachten Sie sie aufmerksam. Kennen Sie vielleicht zufällig diese – hm! hm? – Frauensperson?«

Frau Ella nahm das erste Bild zur Hand. Ein Ausruf des Schreckens entquoll ihrer Kehle:

»Aber das bin ich ja!« bei dem zweiten, dritten – – –: »Aber das bin ich ja! Wie komme ich denn auf diese Photographien?!«

Bei aller Sensation, die der Fall erregte, fühlte der Gerichtshof sich nicht kompetent, ihr diese elementare Frage zu beantworten. Man legte ihr vielmehr nahe, die Scheidungsklage schleunigst zurückzuziehen, wodurch der Fall mit einem Minimum von Kosten zu erledigen wäre.

Unten am Portal wartete der Gatte: »Hast du nun genug von dieser Lektion?«

»Ja, erkläre mir doch, Eduard . . .«

»Die Sache ist nämlich die,« erläuterte er, während wir mit dieser Erläuterung nunmehr in das

dritte Kapitel

gelangen, das wir dem Leser vor Beginn des vierten Kapitels unterschlagen hatten. Also Eduard erklärte: »Die Sache ist nämlich die: deine Geschichte mit dem Detektiv Linse hatte ich bald herausgebracht. Das verstörte Wesen Minnas war mir aufgefallen, ich nahm sie ins Gebet, sie fing an zu weinen, und erleichterte sich, durch ein kleines Geldgeschenk von mir sittlich gehoben, in einem umfassenden Geständnis. Das war am Vorabend deiner Abreise. Ich nahm ihr den famosen Apparat ab, – übrigens vorzügliche Konstruktion, System Velolux, D.R.P. Nr. 980 025, und stellte ihn so auf, daß er unser niedliches Abschieds-Souper vor deiner Fahrt nach Teplitz getreu abknipsen konnte . . .«

»Also deshalb warst du damals so zärtlich, du hinterlistiger Mensch du?«

»Nicht zärtlicher als sonst. Drei Tage später mußte Minna den Apparat Herrn Linse zurücktragen und ihm versichern, daß er am Abend zuvor, als gerade Besuch bei mir war, automatisch gearbeitet habe. Na – das weitere weißt du ja.« – »Sorge nur dafür,« meinte Ella kleinlaut,« daß die Bilder nicht etwa vor unberufene Augen kommen, oder gar in eine illustrierte Zeitung, dann will ich für diesmal noch ein Auge zudrücken. Aber ein Lump und Betrüger bist du doch, liebster Eduard, – du hast mich sogar mit meinem eigenen Detektiv betrogen!«


 << zurück weiter >>