Alexander Moszkowski
Von Genies und Kamelen
Alexander Moszkowski

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III. Teil

Sammlung aus dem Projekt Gutenberg-DE

2017

Kuriositäten-Kabinett

Die vertauschten Köpfe

Diesmal kann sich der selige Ben Akiba definitiv begraben lassen: denn was hier erzählt werden soll, ist wirklich noch nicht dagewesen und besteht in seiner schwindelerregenden Unglaublichkeit als ein Unikum. Trotzdem muß daran festgehalten werden, daß alles mit ganz natürlichen Dingen zugeht:

Vor einigen Monaten waren vom Schwurgericht zwei Todesurteile ergangen; das eine gegen den Lustmörder Max Purrnickel, der bei Klein-Zibbe an der Zobbe eine Magd vergewaltigt und erstochen hatte. Das andere gegen die Giftmischerin Witwe Selma Sabberloh in Nieder-Mochbern. Zwischen beiden Kriminalfällen bestand nicht der geringste Zusammenhang. Die zwei Verurteilten hatten einander niemals gesehen, sie sollten indes an ein und demselben Tage dem Scharfrichter überliefert werden.

Wenige Tage vor der Hinrichtung lief bei der Vollzugsbehörde folgendes Schreiben ein:

»Der unterfertigte Forscher bittet hierdurch, ihm die Körper der beiden Delinquenten zu einem Experiment zu überlassen. Wie bekannt ist es meinen Kollegen, den Wiener Professoren Przibram und Walter Fink gelungen, an Heuschrecken und Wasserkäfern Köpfe zu transplantieren und nach der Vertauschung auf den Rümpfen zur Verheilung zu bringen. Es besteht nicht der mindeste Zweifel, daß sich solche Kopfvertauschung auch bei Menschen ausführen läßt; freilich nicht im Laboratorium, weil das unvermeidliche Abschneiden der Köpfe den Forscher mit dem Strafgesetz in schwersten Konflikt bringen würde.

Hier aber fällt dies Bedenken fort, denn es handelt sich um zwei Individuen, die ohnehin dem Beil verfallen sind und die ich mir für meinen Versuch erbitte, nachdem der Strafjustiz Genüge geschehen ist. Diese Eingabe hat also keinen andern Zweck, als den Fortschritt der Wissenschaft, die hier geradezu am entscheidenden Wendepunkt ihrer Entwickelung steht. Ergebenst Professor Dyslicenus, Naturforscher.«

Nun läßt sich eine deutsche Behörde alles eher nachsagen als ein mangelndes Verständnis für wissenschaftliche Ziele. Sonach ergab sich bei Prüfung dieses Gesuches kein Widerstand. Damit gelangen wir bereits zum zweiten Akt der kriminalistischen Sensation: der Professor nahm die diversen Ueberbleibsel der Gerichteten in Empfang, vertauschte die Köpfe, vernähte sie auf den Rümpfen und brachte alles hübsch zur Verheilung. Mit dem Ergebnis, daß nunmehr zwei lebendige Personen vorhanden waren: der Max Purrnickel mit dem Kopfe der Selma Sabberloh, und die schlimme Witwe mit dem Haupte des Lustmörders Purrnickel.

Wer aber an diesem Resultat Anstoß nahm, das war der Staatsanwalt, der sofort ein neues Verfahren anbahnte und zwar mit einer Begründung, die Hand und Fuß hatte:

»Der Wahrspruch des Schwurgerichts,« so motivierte er »ist durch den Eingriff des Professors völlig illusorisch geworden. Die Enthauptung hat nur dann einen juristischen Sinn, wenn sie sich nicht, wie hier geschehen, zu einer Behauptung auswächst. Die beiden Verbrecher müssen sonach noch einmal hingerichtet werden, natürlich unter Ausschluß jeder professoralen Störung.«

Hiergegen opponierten nun wiederum die Verteidiger nach dem unerschütterlichen Rechtsgrundsatz: »ne bis in idem«. Kein Mensch dürfe mehr als einmal hingerichtet werden, und wenn er nachher munter fortlebe, so wäre das seine Privatsache, um die sich der Staatsanwalt den Teufel zu kümmern habe. So stand Ansicht gegen Ansicht, und in dem Konflikt der Meinungen gelangte die Sache bis ans Reichsgericht.

Hier wurde der Vortrag des Forschers Dyslicenus maßgebend, den man als den berufensten Sachverständigen aufrief.

»Gegen wen,« fragte er, »soll hier überhaupt verhandelt werden? Gegen den Lustmörder Purrnickel? Gegen die Giftmischerin Sabberloh? Diese Individuen sind von der Welt verschwunden, und wenn auch hier auf der Bank zwei Personen sitzen, die fragmentarisch an sie erinnern, so behaupte ich mit gutem Grund: sie existieren gar nicht!

Denn das Kennzeichen des Individuums ist der Kopf, nur in seinem Kopf steckt sein Ich, sein Selbst, seine Verantwortung. Dieser Mensch dort mit dem Rumpf des Purrnickel soll eine Frauensperson vergewaltigt haben? Aber er hat ja selbst ein Frauenbewußtsein, hat die Magd nie begehrt, niemals auch nur gesehen. Ebensowenig kommt er als Giftmischer und nun gar als Giftmischerin in Betracht, denn zur Verübung dieses Verbrechens gehören Hände, und diese Hände, die an der anderen Person hängen, stehen unter dem Impulse eines Kopfes, der von jener Giftmischerin nicht die leiseste Ahnung besitzt. Und schließlich, hoher Gerichtshof, selbst wenn man sich über diese sonnenklaren Argumente hinwegsetzen wollte, wäre es doch der Gipfel barbarischen Widersinns, dem Manne nachträglich einen Weiberkopf und dem Weibe einen Mannskopf abschlagen zu wollen.«

Es blieb tatsächlich nichts übrig, als das erneute Gerichtsverfahren durch eine Sentenz zu beenden, die dem Gutachten des Professors entsprach. Die Verhandlung mußte abgebrochen und eingestellt werden, weil überhaupt kein Individuum vorhanden war, gegen das vernünftigerweise verhandelt werden konnte. Allein, ganz folgenlos sollte die verzwickte Angelegenheit doch nicht verlaufen. Die beiden Subjekte mit den transplantierten Köpfen fühlten sich durch die Gemeinsamkeit ihres Schicksals zueinander hingezogen und sie beschlossen, ihre Affinität durch eine Heirat zu bekräftigen; da sie ja schon sowieso – anatomisch genommen – eng genug zusammenhingen. Die Sexualforscher freilich sehen da neue Mißstände voraus; und eine gewisse Schwierigkeit wird sich ganz bestimmt herausstellen, wenn die zukünftigen Kinder dieser Ehe nicht wissen werden, zu wem sie Papa und zu wem sie Mama zu sagen haben.

 


 


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