Alexander Moszkowski
Von Genies und Kamelen
Alexander Moszkowski

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Wie ich ihn anlernte

Das war in jenen Tagen, als ich noch selbst das kritische Richtschwert schwang und Virtuosen wie Komponisten unterm Strich zu Blutwurst verarbeitete. Eben hatte ich wieder so ein Massaker verübt, mit der Grausamkeit eines Rifkabylen, und ich stand im Begriff, mich zu neuen Greueln durch eine Zigarre zu stärken. Aber das war ein übles Kraut, und ich warf den kohlenden Glimmstengel in den Aschenkasten; denn er hatte noch weniger Zug als die Oper, deren letzten Akt ich nunmehr lynchen wollte. Himmel, was war das heutige Blutbad für eine Strapaze! Ich sann darüber nach, wieviel Sorgen und Beschwerden auf meinem Beruf lasteten, und widmete meinen Neid allen Mitmenschen, die ein freundliches Geschick vor den hirnzerreißenden Qualen des Rezensententums bewahrt. Wie wahr, o Meister Berlioz, sagst du in deinen Grotesken: Elende Kritiker! Für sie hat der Winter kein Feuer, der Sommer kein Eis! Immer frieren, immer brennen. Immer hören, immer leiden! Immer den Eiertanz aufführen, zitternd, eins zu zerbrechen . . . und nicht einmal ihre müde Feder an den Weiden des Flusses zu Babylon aufhängen und sich am Ufer niedersetzen zu können, um nach Muße zu weinen! . . . An diese Jereminade mußte ich denken, und mit dem Goetheschen Donnerwort: »Schlagt ihn tot, den Hund, er ist ein Rezensent!« schlug ich mit der Faust auf den Tisch, daß eine Fontäne, so schwarz wie meine Galle, aus dem Tintenfaß auf das Manuskript niederspritzte.

Gleichzeitig trat ein Herr, der nach Ausweis seiner Visitenkarte auf den Namen Zyprian hörte, mit der Frage, ob er störe, in mein Zimmer. Er sah aus wie ein Künstler, der eine bedeutende Zukunft hinter sich hat. Und er befleißigte sich eines Lächelns, das an Demokrit erinnert hätte, wenn es nicht so blöde gewesen wäre.

»Machen Sie's kurz!« sagte ich. »Spielen Sie Violine oder Klavier oder besitzen Sie am Ende die Verruchtheit, zu singen? ganz zu schweigen von der diabolischen Möglichkeit, daß Sie, Gott behüte, gar komponieren! Sie wollen natürlich als Konzertgeber auftreten und wünschen mich hierzu als literarischen Spießgesellen; ich möchte die Gefälligkeit haben, Ihnen eine Reklame zu schreiben? Ihr gemeines Vorhaben soll unter einer Bedingung verwirklicht werden, wenn Sie sofort mit Überlichtgeschwindigkeit das Weite suchen, werde ich Ihnen eine Notiz in die Zeitung bringen.«

»Danke verbindlichst«, erwiderte Zyprian. »Sie befinden sich indes im Irrtum. Ich bin vorderhand noch gar nichts, beabsichtige vielmehr erst etwas zu werden, vorläufig besitze ich von musikalischen Dingen kaum eine Ahnung und ich habe deshalb eine Stelle als Musikkritiker angenommen.«

»Bei welcher Zeitung?«

»Der Name des Blattes steht noch nicht fest. Uebermorgen wird erst die Probenummer herauskommen, und wenn dann in einer Woche die Zeitung immer noch erscheint, dann soll definitiv festgesetzt werden, wie sie heißt. Allein ich persönlich bin, wie gesagt, bereits durch Vertrag verpflichtet. Der Verleger sagte mir, wenn ich prinzipiell nur über solche Stoffe schriebe, von denen ich nichts verstände, dann könnte mir der Stoff niemals ausgehen. Deshalb habe ich mich zunächst für das tonkünstlerische Referat entschieden. Inzwischen sind mir aber doch einige leise Bedenken bezüglich meines Amtes angeflogen, und ich wollte Sie deswegen bitten, mir in Ihrer Eigenschaft als Fachmann etliche praktische Winke für meine künftige Tätigkeit zu erteilen.«

»Sind Sie des Konversationslexikons mächtig?«

»So ziemlich. Das heißt, bis zum Buchstaben G inklusive, weiter reicht mein Brockhaus nicht, da ich beim Buchhändler mit der Ratenzahlung im Rückstand geblieben bin.«

»Wenn Sie das Lexikon bis G besitzen, so genügt das fürs erste mehr als reichlich. Sobald in Ihrer Praxis von Auber, Bach, Beethoven, Brahms, Chopin und Gluck die Rede ist, können Sie da gar nicht in Verlegenheit kommen. Musikaufführungen, in denen Werke von Mozart, Mahler, Reger, Schönberg oder Strawinsky gespielt werden, dürfen Sie dann freilich nicht besuchen. Haben Sie ein gutes Gehör?«

»O ja. Ich wache vom leisesten Geräusch aus dem Schlaf auf.«

»Dann sind Sie geborgen. Setzen Sie sich im Konzert und im Opernhaus allemal so, daß Sie die Unterhaltungen anderer Fachkollegen behorchen können. Aber schärfen Sie Ihre Aufmerksamkeit, denn kleine akustische Irrtümer rächen sich oft bedenklich. Wenn jene kritischen Nachbarn zum Beispiel von der dreigestrichenen Oktave reden und Sie verstehen dreiunddreißig gestrichene Oktaven, so würde der Leser, falls Sie das druckten, an Ihrer Sachkenntnis irre werden. Oder wenn Sie statt Koloratur »Cholerakur« verstehen und schreiben, so könnte dies möglicherweise beim Chefredakteur Ihre Autorität untergraben.«

»Wie danke ich Ihnen für Ihre schätzbaren Weisungen! Durch deren Befolgung darf ich in der Tat hoffen, ein vielgelesener und beliebter Rezensent zu werden. Nur weiter mit Ihren Winken, ich bin ganz Ohr!«

»Also passen Sie auf, Herr Zyprian. Es kommt vor, daß ein und dasselbe Stück im Konzert doppelt auftritt. Hans v. Bülow hat sogar die ganze »Neunte« an einem Abend zweimal gemacht und bei sowas melden Sie nicht etwa, der Dirigent beabsichtigte, die Zweite Symphonie von Beethoven in einem Konzert neunmal zu spielen. Noch weniger dürften Sie solche vermeintliche Absicht tadelnd glossieren.«

»Aber der Tadel bleibt doch wohl beim Referieren die Hauptsache: oder meinen Sie, daß ein Rezensent auch loben darf?«

»Nur bedingungsweise. Wo Sie etwa schwanken sollten, geben Sie getrost dem Tadel den Vorzug. Richard Wagner hat die gesamte Musik als Liebe definiert, und in diesem Sinne bleibt es gültig, daß man sich als Journalist zwar verloben kann, aber niemals vertadeln. Das Publikum will amüsiert sein, und es ist einleuchtend, daß man mit Leichtigkeit einen pikanten Tadel zuwege bringt, wogegen gepfeffert zu loben ein Kunststück ist, das Sie sich als Anfänger nicht zutrauen sollten. Seien Sie indes recht behutsam in der Dosierung des Tadels. Sie dürfen unbedenklich jeden Künstler einen Epigonen nennen, einen Stümper, Sie dürfen leise andeuten, daß dieser Stümper eine unverkennbare Anlage zur Geistesschwäche bekundet und sich nur graduell von einem Trottel unterscheidet. Die Zensur »nicht ohne Talentlosigkeit« wird selten übelgenommen. Dagegen riskieren Sie Unannehmlichkeiten, wenn Sie namhafte Virtuosen und Tonsetzer mit Ausdrücken wie Ochse, Aujust, Rhinozeros, Dämelsack oder Schautenkönig belegen.«

»Das sind goldene Worte! Doch auch die sanftere Form des Tadelns könnte mir Feindschaften verursachen. Manche Fachmusiker sollen so eitel sein, daß sie selbst Beiworte wie Pfuscher, Nichtskönner und Tölpel nicht gern akzeptieren. Wie ist da zu helfen?«

»Sehr einfach. Das Publikum will Tadel lesen, also schreibe man den Tadel, daß die Späne fliegen. Damit ist indes nicht gesagt, daß gerade die aktuell zu behandelnde Person getadelt werden muß. Im Gegenteil. Setzen wir den Fall, die Dame so und so, nennen wir sie unpersönlich Meyer, gibt ein Konzert. Dann sagen Sie ihr einige schmeichelhafte Zeilen und ziehen die Parallele zwischen der Dame Meyer und der Dame Schultze, die vor Jahren in demselben Lokal die nämlichen Stücke vorgetragen hat. Jetzt haben Sie freies Feld und können die vormalige Konzertgeberin Schultze in Grund und Boden verschimpfieren. So hat der Leser sein Vergnügen und die Virtuosin von gestern ein noch größeres.«

»Das mag schon richtig sein. Aber die andere, die ich so fürchterlich verreiße, wird mir spinnefeind.«

»Kaum anzunehmen, die liest ja Ihre Kritik gar nicht. Höchstens könnte die andere im Laufe der Zeit einmal wiederkehren und abermals konzertieren. Nun dafür haben Sie ja jetzt das Rezept in der Tasche: Sie werden nunmehr der Schultzen etliche wohlwollende Zeilen spenden und dafür die Meyern bis auf die Knochen blamieren. Auf diese Weise üben Sie ausgleichende Gerechtigkeit und verschaffen sich lauter Freunde in der Künstlerwelt, obschon Ihre Artikel von Tadel strotzen.«

»Ja, so will ich's machen; diese Methode schützt mich ja nach allen Seiten.«

»Vorausgesetzt, daß Sie sich nicht anderweitig kompromittieren. Vermeiden sie speziell lange Analysen bei vorzeitlichen Kirchenmusiken, denn da lauern die Fallstricke auf Schritt und Tritt. Ich nehme zwar an, daß Sie imstande sind, den alten Palestrina von Neu-Palästina zu unterscheiden. Trotzdem könnten Sie straucheln, wenn Sie etwa diesen uralten Meister bis in die Zeit des Cheops oder Rhamses zurückverlegen. Und dann noch eins: für unerfahrene Kritiker liegt eine wesentliche Gefahr darin, daß sie dazu neigen, Aufführungen zu besprechen, die gar nicht stattgefunden haben. Die sichere Kenntnis davon, ob das betreffende Musikereignis nicht etwa verschoben oder ganz ausgefallen ist, gehört zu den wertvollsten Eigenschaften des Referenten.«

»Oh, davor ist mir nicht bange. Bevor ich zu schreiben anfange, kann ich ja jedesmal den äußeren Tatbestand durch eine Vertrauensperson feststellen, die sich in den Saal begibt und mir alles Erforderliche mitteilt. Mein Hausportier zum Beispiel, der mir allerlei Botengänge verrichtet, ist bis auf kleine Unregelmäßigkeiten ein ganz zuverlässiger Mensch. Er geht für mich durchs Feuer, weil ich der einzige im Hause bin, der ihn noch nicht bei der Polizei angezeigt hat. Sollte ich also gelegentlich ein Konzert schwänzen, so schicke ich diesen Mann in den Saal, und er wird mir berichten, ob sich dort alles nach Programm abgewickelt hat.«

»Sehr verständig. Und um ganz praktisch zu verfahren, brauchen Sie diese Methode nur noch um einen Grad auszubauen: lassen Sie doch Ihren Portier gleich die ganze Kritik aufschreiben! dann sind Sie von allem Mühsal entlastet, und es steht sogar zu hoffen, daß die Rezension gediegener geraten wird, als wenn Sie sich persönlich darum anstrengen.«

Ich habe nur noch nachzutragen, daß das zuvor erwähnte Blatt nicht über die erste Probenummer hinausgekommen ist. Sehr bedauerlich. Denn diese Nummer enthielt einen vorzüglichen Artikel, den Herr Zyprian mit rührender Treue aus Band II des Großen Brockhaus abgeschrieben hatte.

 


 


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