Alexander Moszkowski
Von Genies und Kamelen
Alexander Moszkowski

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Meine Jubelouvertüren

Ich verstehe darunter gewisse bis in Olims Zeiten zurückreichende Vorspiele meiner späteren Schriftstellerei. Die betrafen Geschäftsjubiläen, Silvesterfeste, Verlobungen, Polterabende, Hochzeiten und sonstige freudige Anlässe, bei denen sich die Stimmungshöhe in Toasten, Tafelliedern und ausgewachsenen dramatischen Festspielen jubilierend kundgab. Der Drang nach versifiziertem Jubel hat im Laufe der Jahrzehnte auf Berliner Boden erheblich nachgelassen: man behilft sich heute mit sachlichen Ansprachen, versteigt sich nicht mehr zum stürmischen Ausdruck, und die Mitglieder der Dichtergilde werden nur höchst selten bei solchen Gelegenheiten mobilisiert. Aber damals galt ihre Mitwirkung als unerläßlich, und ich besonders erfreute mich in weiten wohlhabenden Kreisen einer Vorzugsstellung, die durch Jahre fast zur Stärke eines Monopols gedieh. Besonders bei Liebesbündnissen wurde meine Mitwirkung als naturgewollt betrachtet, eine Hochzeit ohne meinen poetischen Tamtam erschien als inkomplett, und man hätte sich eher ohne Standesbeamten beholfen, als ohne mich.

Obschon mein literarisches Gepäck mich noch nicht sonderlich drückte, besaß ich einen wohlgegründeten Ruf in den Gesellschaftsschichten, wo Hymen seine Feste feiert, das Gedeck von zwanzig Mark aufwärts. In Betracht kam vornehmlich die Zeit kurz nach den Verlobungen, als noch kein Gedanke an Scheidung das junge Glück trübte, das von mir in gesteigerter Prosa und in Versen verherrlicht wurde. Mit sicherem, bei einem so jungen Autor doppelt bemerkenswertem Takt wußte ich in meinen Festspielen jedesmal die beste der Welten darzustellen, mit einem von der Höhe der Mitgift völlig unabhängigen Ueberschwang der Liebe, in deren Darstellung das jedesmalige Brautpaar staunend erkannte, wie gern es sich eigentlich hatte. Humoristische Lichter vergoldeten diese Bühnenspiele, es wimmelte darin von dankbaren Rollen für alle erdenklichen Vettern und Cousinen der Neuvermählten, und der Erfolg war jedesmal ein durchschlagender, vorausgesetzt, daß es auch wirklich zur Aufführung meiner Jubelouvertüren kam. Da ereigneten sich allerdings bisweilen Ausnahmen, so beispielsweise, als der Bräutigam am Tage der Hochzeit mit seiner Mätresse verduftete, weil an der bedungenen Morgengabe bare zehntausend Mark fehlten.

Mit außerordentlicher Routine verwertete ich den Trick, berühmte Liebespaare in meine Festmanuskripte einzuflechten. Da zog ich Parallelen mit Romeo und Julia, Luna und Endymion, Abälard und Heloise, Vergleiche, die durchaus nicht als übertrieben empfunden wurden, wenngleich es sich ereignete, daß die Braut Pockennarben und der Geliebte eine Hasenscharte besaß. Wenn ich mich in der Folgezeit mit meinen Allegorien noch höher hinauf wagte, so verdanke ich dies der liebenswürdigen Anregung einiger Auftraggeber, die mich für ein Kapitalfest allerersten Ranges in Anspruch nahmen.

Die Besuche solcher Abgesandten waren mir geläufig; denn wenn schon mein Pegasus vor den Brautwagen gespannt werden sollte, so waren mir doch gewisse Informationen vonnöten, Einzelheiten aus der Lebensgeschichte der zu bedichtenden Persönlichkeiten, kurz die Unterlagen, auf denen ich meine festspielenden Monumente errichten konnte. Und in diesem Betracht haperte es oft recht bedenklich, die positiven Daten flossen so spärlich, daß schon eine tüchtige Technik dazu gehörte, um in die Dinge eine dramatische Weihe hineinzubringen. Einmal bestand die gesamte Information darin, daß das junge Paar sich in Beatenberg kennengelernt habe, daß der Verlobte stark rauche, nebenbei an der Börse tätig sei und daß in meinem Festspiel ein Thor mit dem prachtvollen Endreim ›Arbitrage – Mariage‹ vorkommen müsse.

Diesmal aber brachten die Auftraggeber – der Bruder Max und die Schwester Mieze aus der Familie der Verlobten – bedeutendere Fundamente mit; ja Bruder Max entwickelte bereits einen fertigen Plan, den ich nur dithyrambisch zu vervollkommnen hatte, um mir die dichterischen Lorbeern des Festabends zu sichern.

Er erklärte mir nämlich mit dem Brustton, den nur eine geniale Idee einzugeben vermag: Wir bringen den ganzen Olymp auf die Bühne!

»Weshalb wollen Sie denn dem Feste einen so gebirgigen Charakter verleihen?« fragte ich.

»Wegen der Götter; ich habe einen Cousin, der sich als Jupiter großartig ausnehmen wird. Er dient jetzt gerade sein Jahr bei den Kürassieren ab.«

»Wer dient? Jupiter?«

»Nun ja, mein Cousin. Ich selbst könnte den Merkur spielen und meine Schwester die drei Grazien.

Mieze schlug verschämt die Augen nieder.

»Es ist mir keinen Augenblick zweifelhaft,« erwiderte ich ambrosisch angeregt, »daß sich aus Ihrer werten Familie eine ausreichende Anzahl von Göttern und Göttinnen rekrutieren ließe. Allein weshalb gleich zu einer so gewaltsamen Aushebung schreiten? Diese Hochzeit spielt sich, so viel ich weiß, auf den realen, geschäftlichen Boden Berliner Wirklichkeit ab, es würde sich sonach empfehlen, das Festspiel in eine minder mythologische Region zu verlegen.«

Allein der erfinderische Auftraggeber blieb bei seiner Idee. »Verlassen Sie sich darauf – nur Olymp! Ich stelle mir die Sache so vor: Jupiter hält mit Juno, Neptun, Mieze und mir ein Festmahl ab. Dabei beklagt er sich darüber, daß seit dem trojanischen Krieg auf der Erde nichts hübsches passiert sei. Plötzlich berichtet Amor, daß er inzwischen eine brillante Verlobung gestiftet hat. Dann kommen Jupiter, Juno, Neptun, Mieze und ich von der Bühne herunter, steigen vom Olymp in den Saal vom Hotel Kaiserhof und mischen sich unter die Hochzeitsgäste, während die Musik einen Tusch bläst.«

Allein nach Verlauf weniger Tage – ich hatte eben angefangen, mir aus homerischer Lektüre Stimmung zu saugen – erschien der Bräutigamvater an meinem Schreibtisch, um gegen den Plan Einspruch zu erheben: »Ausgerechnet Olymp! Ist mein Sohn der griechische Kronprinz? Er ist Sensal, außerdem Generalkonsul von Trinidad und er besitzt eine Gemäldegalerie. Das ist die Hauptsache. Also von seinen Kunstwerken suchen wir uns die schönsten aus, stellen sie als lebende Bilder, und Sie dichten die Verse dazu. Da haben wir den garantierten Effekt!«

Das komplizierte die Sache höchst schwierig. Denn jene Gemälde illustrierten vorwiegend die Nachtseiten des menschlichen Daseins, und ich erklärte es für unmöglich, zu einem Gemälde, das die Hinrichtung der Maria Stuart vorstellte, sinnige Anspielungen auf die bevorstehende Hochzeit zu finden. Allein hier trat unvermutet ein sehr talentvoller Neffe in die Erscheinung, der neue Ausblicke eröffnete durch die Verkündung, der Bräutigam habe ein Semester in Bonn studiert und würde sich enorm freuen, als Begleitmusik zu den lebenden Bildern flotte Burschenlieder zu hören. Damit näherte sich das Problem seiner Lösung; jenes Gemälde wurde probeweise lebend gestellt, und Mieze sang dazu die vielleicht sachlich nicht ganz passende, aber jedenfalls festlich beschwingte Coupletstrophe:

Hier die Stuart, Gottogott, jup heidi, jup heida –
Legt ihr Köpfchen aufs Schaffot – jup heidi, heida;
Und der Henker schwapp und klapp
Haut ihr gleich die Rübe ab.
Jup heidi, juvivallera, jup heidi, heida!

Während wir im Kaiserhof daran gingen, das zweite Bild »Die Zerstörung Pompejis« hochzeitlich zu aktivieren, hörte ich aus einem Nebenraum eine ganz andere Musik und dazu das hartnäckige Kommando: Eins, zwei, drei! Eins, zwei, drei!

Die Brautmutter war so freundlich, mir die Bedeutung dieser Geräusche klar zu machen: »Das ist unser Tanzmeister Gualitsch, der übt mit den Kindern das Ballett ein.«

»Welches Ballett?«

»Na das aus Ihrem Hochzeitsfestspiel; es wird sich wunderbar machen; denken Sie nur, vierundzwanzig Kinder in Rokoko!

Und nun erfuhr ich die Einzelheiten des über meinen Kopf hinweg getroffenen Arrangements: die Bühne sollte so tief gebaut werden, daß im Hintergrund die Bilder gestellt werden konnten, während vorn der Tanz stattfand. Das war zwar nicht ganz stileinheitlich, wurde aber dadurch ausgeglichen, daß sich unabhängig von Bild, Couplet und Tanz noch ein Schauspiel einschob, worin die beiderseitigen Familienmitglieder grausam-satirisch verulkt wurden.

Wiederum war es der begabte Neffe, der für dieses, ohne mein Wissen hinzugewachsene szenische Intermezzo verantwortlich hätte zeichnen müssen. Merkwürdigerweise blieb der Ruhm der ganzen Arbeit trotzdem an mir kleben. Der wirkliche Autor war nicht imstande, seinen unbekannten Namen gegen das Gerede der Menschen durchzusetzen, und als nach zehn Proben der Termin der Aufführung herannahte, galt es bei allen Eingeweihten als bombenfest, daß kein anderer als ich die ganze Hochzeitskomödie verfaßt habe.

Ueber die Aufführung, der ich persönlich aus guten Gründen nicht beiwohnte, wurden mir später aus sicherer Quelle sehr günstige Berichte übermittelt. Für den Schluß des Festschwankes hatte man eine besonders wirksame, für meinen Geschmack allerdings sehr gewagte realistische Pointe aufgespart: die Brautmutter, portraitähnlich dargestellt, erschien nämlich auf der szenischen Bildfläche, machte sich als Schwiegermutter so unbeliebt wie nur möglich und wurde schließlich zum endlosen Jubel des gesamten Hochzeitsparketts zum Lokal hinausgeworfen.

Nach Jahren begann mein festpoetischer Nimbus zu erbleichen. Es hatte sich nämlich herumgesprochen, daß die von mir erlustigten Hochzeiten eine fatale Neigung aufzeigten, sehr bald in Scheidungsprozesse auszuarten. Ja, man hielt schon pränumerando meine bloße Mitwirkung für ein Signal dafür, daß sich die betreffenden Liebespaare eigentlich nicht ausstehen könnten. Tatsächlich muß ich bekennen, daß sich in meiner späteren Statistik recht üble Ziffern befinden. Auf ein Dutzend meiner Festspiele entfielen durchschnittlich sieben krachende Katastrophen und mindestens drei Partien, die schon vor der Generalprobe meiner Glanzwerke zurückgingen. In einem Falle wurde mir sogar ein Abstandshonorar angeboten, direkt vom Bräutigam, der stark verschuldet war und die rettende Mitgift nicht durch ein Festspiel von mir der Vernichtung preisgegeben sehen wollte.

 


 


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