Alexander Moszkowski
Von Genies und Kamelen
Alexander Moszkowski

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II. Teil

Sammlung aus dem Projekt Gutenberg-DE

2017

Horribilicribrifax

Die effektvolle Jungfrau

»Eigentlich müssen wir jetzt zur Probe,« sagte Herr Hecht, Direktor des Thespis-Theaters, »die Probe ist auf zehn Uhr angesetzt, und wir halten in dieser Hinsicht auf strenge Pünktlichkeit, es fehlen nur noch zehn Minuten.«

Sein Sozius, Direktor Krämer, ergänzte: »Die Probe dieses neuen Stückes hat eine besondere Wichtigkeit für uns; wir haben nämlich beschlossen, daß diese Novität einen sensationellen Erfolg erzielen und dreihundert Aufführungen erleben wird.«

»Da komme ich wohl sehr ungelegen?« bemerkte ich schüchtern.

»Sozusagen ja,« bestätigte Direktor Hecht. »Aber da Sie nun einmal hier sind, wollen wir Sie nicht ohne weiteres fortschicken, was bringen Sie eigentlich?«

»Ich wollte Ihnen, vielleicht für nächstes Jahr, ein neues Stück einreichen, und womöglich selbst vorlesen; aber da Sie so wenig Zeit übrig haben . . ..«

»Was das betrifft« unterbrach Direktor Hecht, »so ließe sich darüber hinweg kommen; in zehn Minuten läßt sich viel erledigen. Also, was ist das für ein Stück?«

Ich markierte Fassung, und begann: »Mein Drama heißt: ›Die Jungfrau von Orleans‹. Im Mittelpunkt steht jene heldenhafte Jungfrau, halb historische Figur, halb legendäre Erscheinung, die in göttlicher Begeisterung Frankreich errettet, indem sie sich an die Spitze der französischen Streitmacht stellt und über die Engländer einen phänomenalen Sieg erkämpft.«

Die beiden Direktoren des Thespis-Theaters tauschten Blicke. Kramer nahm das Wort: »Wenn die Engländer gehörig was auf die Mütze kriegen, das würde sich auf unserer Bühne ganz gut ausnehmen.«

Hecht pflichtete bei: »Erstens das! Einen guten Aktschluß gibt es zum mindesten, wenn so ein englischer Dreadnought in die Luft fliegt. Dann aber interessiert mich auch Ihre Jungfrau selbst. Ist ja offenbar eine sehr forsche Person, und mit solchen Frauenrechtlerinnen haben wir schon früher Bombenerfolge gehabt. Mir kommt da eine sehr gute Idee: wir lassen den ersten Akt in London spielen und verbinden die Sache mit der Unterzeichnung des Vertrages von Locarno.

»Erlauben Sie, meine Herren, das ist unmöglich!« opponierte ich. »Das Stück beginnt vielmehr in einer ländlichen Gegend. Thibaud d'Arc, ein reicher Landmann besitzt drei Töchter: Margot, Louison und Johanna, die von drei jungen Schäfern zur Ehe begehrt werden. Bitte zuzuhören:

Thibaud: Ja, liebe Nachbarn! Heute sind wir noch Franzosen, freie Bürger noch und Herren des alten Bodens, den die Väter pflügten . . .«

Beide Direktoren sprangen in die Luft. »Um Gottes willen!« rief Hecht, »Sie haben ja da ein dickes Paket in der Hand!«

»Selbstverständlich ist es dick!« entgegnete ich, »wie wollen Sie denn so ein großes historisches Drama kennen lernen, wenn ich's Ihnen nicht vorlese?!«

»Gänzlich ausgeschlossen!« erklärte Hecht; »erstens halten wir überhaupt nichts von Manuskripten, und zweitens haben wir Ihnen ja bereits gesagt, daß wir das Stück annehmen, weil es uns gefällt. Die Hauptsache ist, daß wir uns über die Einzelheiten verständigen. Also, wo soll die ganze Geschichte spielen?«

Ich erläuterte: »Nach dem Vorspiel in ländlicher Gegend erblickt man das Hoflager des Königs Karl des Siebenten von Frankreich.«

»Wissen Sie,« sagte Direktor Kramer, »auf Könige sind wir im Thespis-Theater nicht eingerichtet. Das gibt Schwierigkeiten mit der Zensur. Aber Ihre Jungfrau von Orleans, die kann so bleiben. Die besetzen wir Ihnen vorzüglich, was meinen Sie, Hecht? Alma Drillhaase?«

Hecht überlegte: »Alma Drillhaase würde die Jungfrau schon schaffen. Aber die kann ja keine Couplets singen. Das kann die Cläre Sengebusch. Selbstverständlich, Cläre Sengebusch! Ich sage Ihnen, lieber Herr, die macht das zum Schreien! Die legt Ihnen eine Jungfrau hin, da wälzen Sie sich!«

»Aber die Johanna d'Arc ist eine tragische Figur!«

»Wieso Johanna?«

»So heißt die Jungfrau!«

»Na, darüber wollen wir uns nicht zanken. So heißt sie einstweilen in Ihrem Manuskript, – tun Sie schon das dicke Paket fort, das stört uns hier bloß, wenn wir den Plan zu Ihrem Stück entwerfen. Sie sind eben ein Anfänger und wissen nicht, wie sowas gedeichselt wird. Vor allem müssen wir die Berliner Note hineinkriegen. Aus Ihrem König machen wir einen Grafen . . .«

»Und zwar den Grafen Zeppelin,« ergänzte Krämer.

»Das ginge,« fuhr Hecht fort. »Sehen Sie, so baut sich allmählig die Szene wirksam auf: der Flugplatz von Johannistal, Soldaten, Volk, Somalineger aus dem Rummelplatz, und nun erscheint plötzlich die Jungfrau von Orleans, um den neuen Kriegsplan gegen England mit Luftbomben loszuschmettern, – da haben Sie einen Effekt der gar nicht umzubringen ist.«

Kramer machte ein nachdenkliches Gesicht: »Ich sehe bei alledem noch gar nicht, wo da ein Tisch mit Kaffeegeschirr umfällt und wo ein Kronleuchter herunterpurzelt.«

»Meine Herren Direktoren,« wagte ich einzuwenden, wir entfernen uns ersichtlich mehr und mehr vom Thema. In meinem Stück handelt es sich um ein Weltenschicksal.«

»Und Sie können hundertmal Schicksale mimen,« polterte Kramer, »wenn dabei nicht ein Tisch umfällt und ein Kronleuchter herabpurzelt, so pfeifen Ihnen die Leute was auf ihre Novität.«

»Abgesehen davon,« sagte Hecht, »fehlt in ihrem Stück die Exposition. Unter einer Exposition verstehen wir Fachleute eine merkwürdige Wette oder eine urkomische Testamentsklausel: womöglich beides zusammen. Aber das läßt sich ja noch nachholen. So eine verrückte Wette mit Erbschaft bringe ich Ihnen noch in der letzten Probe hinein. Was übrigens den umfallenden Tisch betrifft, so könnte der sehr gut in der Universitätsaula stehen, denn im dritten Akt wird selbstverständlich Ihre Jungfrau von Orleans zum Ehrendoktor der philosophischen Fakultät gemacht. Da haben Sie die Aktualität mit Studenten und Kommersliedern, wie Sie sich's gar nicht besser wünschen können.«

»Aber meine Johanna stirbt doch auf dem Schlachtfeld!«

»Ihre, aber nicht unsere. Sie sind überhaupt ganz konfus. Eben erzählten Sie uns doch, daß die Jungfrau von Orleans mit einem halbstarren Militärballon die Engländer vermöbelt! Und da reden Sie sich ein, daß Cläre Sengebusch Ihnen einen Schlachtentod vormimen wird? Da sind Sie auf dem Holzwege.«

»Bei Holzweg fällt mir der Wackeltopf ein,« bedeutete Kramer. »Den hatten wir ganz vergessen.«

»Ich nicht!« betonte Hecht. »Solch wichtige Requisiten wie Wackeltöpfe, Rutschbahnen und Wahnsinnsräder sind mir von Anfang an gegenwärtig, sobald ich ein Stück verfasse, das man uns eingereicht hat. Also unmittelbar, nachdem die Jungfrau ihr Doktorcouplet gesungen hat, das heißt nach dem fünften Dakapovers, begibt sich die ganze Gesellschaft nach dem Lunapark, wo die Hochzeit stattfindet.«

»Keine Ueberstürzung, Hecht! erst nach dem Freibad, dann nach dem Lunapark, – einmal wenigstens muss doch die Jungfrau im Bademantel vorkommen, bevor sie heiratet.«

In mir begann es zu kochen: »Meine Herren, eine heiratende Jungfrau ist ein Blödsinn!« Und aus der Tiefe meines historischen Bewußtseins fügte ich hinzu: »Das wahre Wesen dieser Jungfrau besteht ja eben darin, daß sie . . .«

»Sie halten uns unnütz auf,« entschied Hecht; »wir wissen wohl besser als Sie, worin das wahre Wesen unserer Cläre Sengebusch besteht. Also sie heiratet zum Schluß, – milde ausgedrückt, und zwar einen Aviatiker; ich wüßte sonst nicht, wozu ich zur heutigen Probe das Modell einer Flugmaschine bestellt habe. Gehen wir, meine Herren!«

Wir begaben uns direkt aus dem Theaterbureau auf die Bühne, wo bereits alles in vollem Gange war. Der Regisseur meldete sich: »Herr Direktor, es klappt alles vorzüglich!«

»Freut mich,« sagte Hecht; »da können wir gleich das neue Stück probieren. Dieser Herr hier ist der Verfasser, ein großes Talent, dessen Novität Furore machen wird.«

»Aber Herr Direktor!« rief ich in höchstem Erstaunen; »was geht denn hier vor? es sind doch noch gar keine Rollen ausgeschrieben!«

»Brauchen wir nicht, wenn nur das Stück selbst in den Umrissen vorhanden ist. Silentium, meine Damen und Herren! wir proben das neue Stück ›Die Jungfrau von Orleans‹ und beginnen mit dem letzten Akt. Theatermeister, schieben Sie mal das Dings da aus der Kulisse, mitten auf die Bühne. Fräulein Sengebusch, Sie spielen die Titelrolle, die liegt Ihnen doch, nicht wahr? Also, bitte, steigen Sie mal hier in den Wackeltopf!«

 


 


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