Alexander Moszkowski
Von Genies und Kamelen
Alexander Moszkowski

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Eine Pfeife Opium

Wie ich zu der Rauchpille gekommen bin? Nebensache. Genug, sie war vorhanden, und ich darf sogar verraten, daß Opium sich heut leichter erhandeln läßt als gewisse sagenhaft gewordene Sorten von Zigarettentabak. Eine malerische Stellung auf dem Kanapee war schnell gewonnen, und die Dampfgase aus dem glimmenden Kügelchen konnten ihre Wirkung beginnen.

Zunächst gilt es einen Irrtum zu berichtigen. Alle bisherigen Opium-Praktiker beginnen ihre Berichte mit der Darstellung huschender, violetter Flecken, deren Getanze vor dem benebelten Auge eine überaus wonnige Halluzination bereiten soll. Keine Spur davon. Meine Halluzination äußerte sich ganz anders. Statt der violetten Tupfen – aus denen ich mir übrigens nicht viel gemacht hätte – erschien mir ein Mensch. Ich erkannte ihn sogleich nach dem Bilde und sprang auf, um ihn zu begrüßen, denn es handelte sich allerdings um einen außergewöhnlichen Besuch.

»Nehmen Sie Platz, Herr von Leibniz, und erklären Sie mir vor allen Dingen, was mir die Ehre verschafft . . .«

– »Wir wollen uns nicht mit Redensarten aufhalten,« versetzte er, »sondern ohne Verzug zur Hauptsache kommen. Ich habe Grund zu der Vermutung, daß Sie mit meinem System heute nicht mehr übereinstimmen.«

»Wenn Sie Ihre Lehre von der »besten aller Welten« meinen, so wage ich Ihrer Vermutung nicht zu widersprechen. Und Sie werden gegenwärtig wenig Erdenbürger antreffen, die sich in der Betrachtung der Welt Ihrem schrankenlosen Optimismus anschließen.«

– »In der Tat,« entgegnete Leibniz, »dann sind Sie äußerst anspruchsvoll. Möglich auch, daß Sie die letzten Weltentwicklungen versäumt oder verschlafen haben.«

»Welche Entwicklungen meinen Sie?«

– »Die geologischen, klimatischen, politischen, kurz, alle zusammen.«

»Ich bitte Sie, Magister, reden Sie von Ihrer, von unserer Welt, nicht von irgendeiner in Wolkenkuckucksheim. Kennen Sie überhaupt die tatsächlichen Verhältnisse?«

– »Ich schon, Sie noch nicht, wie es scheint. Also begleiten Sie mich ins Freie, daß ich Ihnen die wirkliche Welt zeige und erläutere.«

»Unmöglich, bei diesem Hundewetter!«

– »Es stimmt schon, wie ich dachte. Sie haben die kosmologischen Veränderungen vollkommen verschlafen. Dann können Sie freilich nicht wissen, daß die Welt seit geraumer Zeit in dauerndem lachenden Wonnemond existiert.«

Er nahm mich bei der Hand, und wir schritten dahin. Direkt durch die Stubenwände und Mauern, die sich öffneten wie flatternde Vorhänge. Eine Ideallandschaft umfing mich, in hellem Frühling mit berauschendem Blütenzauber. Eine in Böcklinsche Farben getauchte Landschafts-Utopie, die ich auf Erden vielleicht in die reizenden Gefilde Polynesiens, aber nimmermehr in unseren grämlichen Norden verlegt hätte. »Nun, wie finden Sie diese Welt?«

»Sehr erfreulich.« bekannte ich, »aber total verhext; hier liegt unbedingt ein Sinnentrug vor.«

– »Keineswegs. – Nur eine Weltrevolution, von der Sie bisher noch keine Notiz genommen haben. Eine Verlagerung der Erdachse, die ich bereits prophetisch voraussah, als ich die Welt zur besten unter allen denkbaren ausrief. Beachten Sie wohl: so sieht es jetzt in Mitteleuropa aus. Und das ist erst der Anfang. Dort bemerken Sie ein bewegtes Treiben,– wofür halten Sie das?«

»Es scheint ein Volksfest zu sein.«

– »Ganz recht, nur nicht ein gelegentliches, sondern ein permanentes. Es ist immer Volksfest. Und die Leute feiern es mit gutem Grund ohne Aufhören.«

»Bei der Teuerung? Bei unseren Existenzschwierigkeiten?«

– »Sie reden sozusagen von antediluvianischen Dingen, von Erscheinungen, die der Weltgeist vormals ins Werk gesetzt hatte, um die Welt für die Freude reif zu machen, heutzutage führen Begriffe wie Not und Elend nur noch ein geschichtliches Erinnerungsdasein, wie vordem Götzendienst und Hexenprozeß, und man muß in die Tiefe der Schriftwerke hinabsteigen, um sie zu finden. Dieses Volksfest z. B. feiert den Gedenktag der jetzt gültigen Steuerordnung . . .«

»Mit wieviel Prozent vom Einkommen?«

– »Oh, der Prozentsatz ist nicht gering, nur so zu verstehen, daß die Bevölkerung empfängt, und daß der Staat gibt.«

»Heil dem Finanzminister, der das ersann! Er muß eine sehr leistungsfähige Banknotenpresse besitzen.«

– »Er hat etwas Besseres zur Verfügung, nämlich das blanke Gold. Die Finanznot der Welt konnte nur in Zeiten bestehen, da die Technik noch nicht imstande war, die vorhandenen Schätze verkehrsfähig zu machen. Wie Ihnen bekannt, befindet sich im Meereswasser Gold, wenn auch sehr verdünnt, so doch in solcher Gesamtmasse, daß man damit, finanztechnisch genommen, die ganze Erde in ein Paradies verwandeln kann. Bis in die Neuzeit hinein schwammen nach guter Berechnung 5000 Billionen Mark ungemünzt im Schoße der Wasserfluten. Die Sache lag ähnlich wie bei den Sonnenstrahlen, deren Wärme ungenützt in die Räume strömte. Half uns hier die Natur direkt, so bot sie uns dort in der verbesserten Elektrolyse das Mittel, um uns auf ewig von jeder Geldnot zu befreien. Der Staat besitzt natürlich das Monopol der Metallgewinnung, und seine Steuerämter haben lediglich den Zweck, einen Teil der Ueberschüsse pünktlich zum Quartal an die Bevölkerung zu verteilen.«

»Ganz gleichmäßig?«

– »Doch nicht. Das würde in Monotonie ausarten, die bei einer sonst so farbigen Lebensgestaltung vermieden werden muß. Es besteht also auch hier sozusagen eine milde Art von Pflicht und Zwang unter Steuereid, dergestalt, daß man nicht seine Einkünfte. sondern seine Ansprüche und Bedürfnisse erklärt.«

»Da mag ein schöner Andrang herrschen! Kommen Sie, Leibniz, wir wollen uns mit anstellen: da drüben, dort ist doch gewiß die Steuerpolonäse.«

– »Sie sind im Irrtum, was Sie sehen, ist der Eingang zu einem der zahllosen Vergnügungsparks. Es sind die ins Ideale erhobenen Vogelwiesen und Rummelplätze der Vorzeit.«

»Kann mir schon denken: viel Amüsement und alles gratis.«

– »Das wäre wiederum zweckwidrig und unsozial. Die Leute wollen wissen, daß sie Geld ausgeben, und diesem Wunsch muß Rechnung getragen werden. Ein guter Platz zur Neunten Sinfonie kostet eine Mark.«

»Wie kommt denn die Neunte auf den Rummel?«

– »Auf dem Wege der gesteigerten Volksbildung. Selbst zum Karussel und zur Dampfschaukel will man heute keine Kirmesmusik, sondern Parsifal oder dergleichen hören.«

»Hat denn jedermann Zeit, sich so vielen Zerstreuungen hinzugeben?«

»Selbstverständlich. Die Mechanisierung der Welt ist so weit gediehen, daß alle Maschinen sich selbst bedienen. Dies bildet die Basis für die Genußfreudigkeit, und eine verbesserte Hygiene gestattet den Menschen, mit ihren Nerven durch endlose Genüsse durchzuhalten.«

»Ich möchte beinahe vermuten, daß diese beneidenswerte Welt sich ohne Krankheiten behilft.«

– »Getroffen. Seitdem die Natur sich auf ihre klimatischen Pflichten besann, finden die Aerzte wenig zu tun, und soweit Mediziner noch existieren, haben sie umgelernt, wenn sich hin und wieder noch ein leichter Fall von Grippe oder Asthma zeigt, so verordnet man dagegen milde Zigarren. Denn es hat sich herausgestellt, daß verschiedene Körperübel der Vorzeit ihre Wurzel darin hatten, daß den Menschen zu wenig Nikotin zugeführt wurde. Damals spedierte man auch die Leute nach dem Süden, eine Maßregel, die hinfällig wurde, nachdem sich die südliche Natur zu uns bemühte.«

»Und wie steht es überhaupt mit dem Reisen?«

– »Das könnten Sie sich selbst beantworten. Reisen heißt, dem Hier entfliehen, um dem Dort zuzustreben. Wenn aber das Hier schon alle Herrlichkeiten bietet, wie könnte das Dort noch verlocken? Tatsächlich hat sich der Reisedrang der Vorzeit, der nur ein Zeichen inneren Unfriedens war, so weit vermindert, daß die Regierung heut jedem Fahrgast einen besonderen Salonwagen zur Verfügung stellt. Auch der Güterverkehr hält sich in engen Grenzen, denn wir haben ja fast alles, was wir an Stoffen brauchen, überreich in nächster Nähe.«

»Glückliche Welt, die unter solchen Bedingungen wirtschaftet, wenn ich an die Zeit zurückdenke, da wir noch rationiert wurden . . .«

– »Halt. Das Rationieren an sich ist kein Unglück, es fragte sich nur, was zur Verteilung gelangt. Lesen Sie hier.«

Wir standen vor einem Plakat, das am Stamm einer Kokospalme befestigt war. Es enthielt das Verzeichnis der Dinge, die man sich in laufender Woche auf Abschnitt A abholen durfte: zwei Kilo Kaviar, ein halb Schock Ananas, zehn Meter Brokat, eine seidene Hängematte, zwanzig Kiebitzeier, eine Terrine Hummerscheren, vier Meter Federboas, eine Kiste Rivieraparfüm, fünf Tüten Karnevalkonfetti, eine Loge zum Theater der Fünfmalhunderttausend und zwei paar Tanzschuhe auf den Kopf der Bevölkerung.

Eben tobte ein fröhlicher Demonstrationszug an uns vorbei mit der Chormelodie und den Textworten der Ode an die Freude. Ich wurde mit hineingewirbelt in den bacchantischen Jubel, in mir hämmerte es: »Die beste der Welten!« Ich faßte nach einem Thyrsusstab, um ihm zu Häupten ekstatisch zu schwingen, griff fehl, stolperte über den Stab, stürzte und – –

und lag neben meinem Kanapee, die zerbrochene Opiumpfeife in der Hand. Mit benebeltem Schädel raffte ich mich auf. Von draußen klatschte ans Fenster, was eben in unserem Klima an unsagbarem Gemisch von Niederschlag prasseln kann. Aufgeschreckt aus arkadischem Idyll, ließ ich die Blicke auf den Arbeitstisch wandern. Da lag noch aufgeschlagen eine in höchstem Optimismus schwelgende Abhandlung von Leibniz, daneben zur Ergänzung die frischen Abendzeitungen mit den neuesten Verdrießlichkeiten aus aller Welt. O, tönet fort, ihr süßen Zeitungslieder, die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!

 


 


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