Alexander Moszkowski
Von Genies und Kamelen
Alexander Moszkowski

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Die geschüttelte Muse

Die Vorzeit behalf sich mit neun Musen, Jean Paul entdeckte die zehnte, und seit knapp einem halben Jahrhundert haben wir die elfte, die aber von ihren Schwestern auf dem Helikon nur widerwillig geduldet wird. Zur Rechtfertigung ihrer Existenz kann sie nur das eine geltend machen, daß sie humoristisch wirkt: aber sie trägt keine Schönheitsmerkmale, neigt stark zur Perversion, und man könnte die Frage aufwerfen, ob sie nicht besser in einer Kaltwasserheilanstalt unterzubringen wäre, als in dem apollinischen Haine des Musenberges. Genau genommen lebt sie von ihrem wichtigtuenden Irrsinn, von der Entblößung ihres pathologischen Zustandes der sich in einem beständigen Geschüttel kundgibt. Sobald sie zu deklamieren anfängt, geht ein Zucken durch ihren Leib. ihr Sprachwerkzeug, der Reim, beteiligt sich an der Schüttelbewegung. und sie rechnet darauf, daß sich auch ihre Hörer schütteln werden.

Das hat sie nun allerdings bis zu einem gewissen Grade erreicht, ja noch mehr: sie hat die klinischen Symptome des Schüttelns auf eine ganze Dichtergeneration übertragen und eine wildschweifende Horde verseuchter Reimschmiede gezüchtet: Poeten und Poetaster, die in unbesiegbarer Hypnose auf eine einzige Sprachmöglichkeit starren, die wachend und träumend alle erdenklichen Wortgebilde verbiegen, verquirlen, durcheinanderwirbeln, um nur wieder einen neuen Schüttelreim zu entdecken, der mit gewolltem oder unvermutetem Blödsinn Aufsehen erregen könnte.

Ich kann mich noch ziemlich genau auf die Anfänge der Epidemie besinnen, um so deutlicher, als ich ihr selbst verfallen war und in beständigen Rückfällen zahlreiche geschüttelte Gräßlichkeiten verübte. Einige der nachstehend erwähnten kommen auf mein eignes Konto, sind Zeugen meiner Reimkrämpfe, die mich ergriffen, als die Ansteckungszeichen der Schüttelmuse sich noch im Primärstadium befanden. Ein gewissenhafter Sprachforscher könnte vielleicht den Beginn historisch erheblich zurückdatieren, bis zu Rückert, der in seinen orientalisierenden Gedichten schon recht nahe an die eigentlichen Schüttelreime unserer Epoche heranstreift. Allein beflügelte Schwungkraft gewannen sie doch erst, als sie vor etlichen Jahrzehnten aus anonymen Ecken hervorbrachen und mit knotigem Witz ihren Anspruch auf Volkstümlichkeit anmeldeten. Ohne bestimmbare Herkunft, autorlos, schwirrte ein Epigramm durch die Berliner Gassen, ein Hohnspruch auf die hervorragenden Politiker August Bebel und Eugen Richter:

Herrn Eugen Richters Säbelbeine
Sind bald so krumm wie Bebel seine.

Eine höchst inkorrekte Sprachleistung im Berliner Ulkjargon der man besonders einen groben Verstoß gegen die anatomische Wahrheit vorrücken muß: denn beide Parteiführer stützten sich auf optisch einwandfreie Beine, wenn sie auch vielleicht nicht das Ideal der Gradlinigkeit nach Vorbild des Apollo vom Belvedere verkörperten.

Zu den ersten Proben, die sich volkstümlich durchsetzten, gehörte eine zweizeilige Hymne auf die Gemütsverfassung einer Frau, die ihren Sohn an der Waterkant zur Fahrt nach exotischen Gebieten entläßt:

Sie gibt ihm ihren Mutterkuß
Weil er jetzt auf den Kutter muß.

In neuzeitlicher Nachbarschaft finden wir eine Probe lehrhafter Poesie, die an sich nicht unweise Lebensregel:

O Mensch, gieß' nie die Hummersoße
Auf deine neue Summerhose!

Wir haben hier eine leise Willkür im Vokal und Konsonant zu rügen, müssen indes zugeben, daß die Schüttelmuse in diesen Versen eine bemerkenswerte didaktische Höhe erreicht: alldieweil Hummermayonaise auf alten Wintersachen sich tatsächlich erfreulicher ausnimmt, als auf neuen Sommerbeinkleidern.

An einigen Schüttelreimen der Folgezeit ist die Autorschaft hängen geblieben, so an dem alpenhaften Denkspruch:

Das Jodeln übt der Steiermärker,
Im Jüdeln ist der Meyer stärker;

Dieses phonographische Erinnerungsbild ist von Oskar Blumenthal aufgenommen und galt seinerzeit als klassisches Reimspiel; es hat sich auch vermöge seiner eindringlichen Antithese länger behauptet als manches Lustspielfinale des nämlichen Dichters, das einstmals im Lessing-Theater als Schlager auftrat.

Es bedeutete einen technischen Fortschritt, als die Schüttelreime doppelt erklangen, in einer kombinatorischen Häufung, wie sie nur der abenteuernde Zufall zustande bringt. Und ich bekenne, daß ich noch heute die Spuren des Staunens empfinde, das mich zur Zeit ihres Entstehens ergriff:

Daß er die Schmerzen aus der Wade banne,
Bestieg er flugs die heiße Badewanne.
Doch konnte er die Schmerzen bannen weder,
Noch auch nur lindern durch die Wannenbäder

Im Punkte der Reimakrobatik noch verblüffender erschien mir der Ausruf jenes Vorarbeiters am Hafen, der seine pfuschenden Gehilfen mit dem entrüsteten Vierzeiler rüffelt:

Ist es nicht ein krasser Wahn,
Oder streicht das Lumpenpack
Diesen neuen Wasserkrahn
Mit dem alten Pumpenlack!

Aber den Gipfel der Schüttelosis erblickte ich in der geradezu unheimlichen Verschnörkelung:

Weil die beiden Moppel dort
Gar so gräßlich zwiegesungen,
Hat durch einen Doppelmord
Man zum Schweigen sie gezwungen.

Immerhin gab es auch einfachere Gebilde, die sich mit erheuchelter Anspruchslosigkeit vorstellten und trotzdem durch Idee und Tonfall knallige Effekte leisteten. Zum Troste der Hausmütter, denen die Untugenden der Kleinen Sorge verursachen, meldete sich der lautlich falsche, aber als Lebensdokument sicherlich richtige Hinweis:

Es war selbst Anton Rubinstein
Als Knabe nicht ganz stubinrein.

Als der Komponist der »Salome« in seinen Frühwerken den Ausübenden unerhörte Schwierigkeiten zumutete, hörte man in den Konzertsälen die geschüttelte Kritik:

In der neuen Sonate von Richard Strauß
Kriegt selbst nicht Joachim die Strichart raus,

und stellenweise schien es, als ob die gedachte Muse ungeachtet ihrer Modernität uns die Pflege alter Meisterwerke besonders ans Herz legen wollte:

wie zart sind doch die Mozart-Sachen
Kein Mensch kann heut sie so zart machen!

Aber sie hielt sich nicht allzulange bei der Kunstbetrachtung auf, glitt vielmehr auf das gesellschaftliche Parkett und warf epische Lichter auf besondere Vorgänge, die sich an der Tafel begüterter Häuser abspielten. Hier gab es Episoden, die sonst des Sängers Höflichkeit verschwieg, die aber der Schüttler mit schonungsloser Indiskretion allen Ohren preisgab:

Stern hat 'nen Witz beim Schmaus gerissen,
Da hat ihn Heymann rausgeschmissen.

Wie klobig muß dieser Witz gewesen sein, daß der Schmausgeber Heymann sich veranlaßt sah, die elementarsten Regeln des gesellschaftlichen Taktes über Bord zu werfen. Sollte vielleicht Herr Stern selber bei jener Gelegenheit einen bedenklichen Schüttelreim losgelassen haben, etwa von der Kategorie:

Jetzt geh' ich in den Birkenwald,
Denn meine Pillen wirken bald –?

oder zitierte er die Ansprache des Balltänzers, dem seine Dame allzuschwer in den Armen lag:

Du tanzt ja heut' wie Blei, Thereschen,
Hast Du am Fuß ein Eiterbläschen?

Das würde das Verfahren jenes Gastgebers, wenn auch nicht vollkommen entschuldigen, so doch für sehr empfindliche Beurteiler einigermaßen begreiflich machen.

Daneben wird auch der Sensitivste dem Schüttelreimer die Rechtswohltat zubilligen, die jedem Aphorismus zusteht, wenn er sich mit rein menschlichen Dingen beschäftigt: also mit Erscheinungen der Menschwerdung, die jeder Arzt als tatsächliche beglaubigt. In dieser Hinsicht möchte ich das Wort des berühmten Pianisten Arthur Schnabel als geradezu epochal bezeichnen:

Am Anbeginn war Schnabel nur
Das Ende einer Nabelschnur.

und ich glaube, dieser Scherz verdient auch den Beifall der gestrengen Fachwissenschaftler, die über physiologische Themen keine andere als toternste Behandlung zulassen. Sollte etwa ein solcher Professor opponieren, so würde auf ihn der Schüttelspruch passen:

Die allergrößten Fachgelehrten,
Sind meist sehr schlechte Lachgefährten.

Und wie in diesem Falle zeigt der Schüttelreim vielfach eine Vorliebe für das Philosophische, Allgemeingültige, Abstrakte. Keine Phase des Dasein entgeht ihm, er ist stets willig, sich in die wesentlichen Begebnisse des Erdenbürgers mit Bemerkungen hineinzuschütteln, die zwischen Tiefsinn und Paranoia die goldene Mitte halten. Sobald der Mensch den irdischen Schauplatz betritt, erklingt ihm das drohende Parzenlied:

Gewöhnlich ist der Taufakt,
Des Jammerdaseins Auftakt.

Später spezialisiert sich der Reim auf Ernährungsfragen und warnt den Unbelehrten vor Ueberschätzung der kulinarischen Genüsse:

Von jedem Schund e bissel,
Das nennt sich bunte Schüssel.

Ja, er empfiehlt sogar das trockene Brot, unter der Voraussetzung, daß nur das nackte Leben ungefährdet bleibt:

Ist der Schnellzug in Gefahr – zieh sofort die Notbremse;
Reicht man dir im Diningcar – eine Schüssel Brot: nemm se!

Und wenn der Erdenwaller im Verlauf weiterer Askese beim Buddhismus landen sollte, so flüstert er ihm die vier Silben zu:

Du bist
Buddhist!

die mein Kollege Gustav Hochstetter als den kürzesten jemals erdenkbaren Schüttelreim erfunden hat.

Unter den Schriftstellern und Dichtern hat neben Blumenthal auch Ludwig Fulda für die schrullige Reimkunst ergiebige Quellen erschlossen. Als er einmal mit gelegentlichen Widersachern abzurechnen hatte, schleuderte er ihnen den Kernruf entgegen:

Man unterschätze Fulda nicht,
weil man mit keiner Null da ficht!

Aber die ausdauerndsten Schüttelmeister wohnen doch im Gehege der Frau Musika. Unter diesen hat sich der ausgezeichnete Tonkünstler Siegfried Ochs, der Leiter unseres philharmonischen Chors, einen besonderen Lorbeer verdient. Ich besitze von ihm zwei sehr ausführliche Episteln, in denen er mich Zeile für Zeile zum Objekt seiner schüttelnden Freundschaft macht. Leider kann ich daraus keine Probe geben, denn er stellt mich darin auf ein Piedestal, auf das ich hier ganz gewiß nicht hingehöre. Ich müßte sogar befürchten, mit der Zitierung solcher Studie in eine Apotheose des Schüttelreims zu verfallen, den ich doch im Prinzip für eine abklingende Episode halte. Wohl allen Versdrechslern, daß die Tage dieser Gehirnquälerei gezählt sind! Ich glaube, daß mehr als hundert brauchbare effektvolle Exemplare der Schüttelgattung in der ganzen deutschen Literatur nicht Platz finden, und daß man spätestens am Ende dieser Hundertschaft die Schüttelmuse zur ewigen Ruhe betten wird.

Ich habe sie hier vorwiegend anonym sprechen lassen, halte es indes für möglich, daß sich zu vereinzelten Stücken lebende mir unbekannte Autoren melden könnten. Eine nachträgliche Nennung verspreche ich ihnen nicht. Sollten sie aber ihre Urheberschaft dokumentarisch nachweisen, so will ich bei der griechischen Regierung beantragen, ihnen in einer abgelegenen Schlucht am Parnaß Denkmäler mit schüttelgereimten Inschriften zu setzen.

 


 


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