Alexander Moszkowski
Von Genies und Kamelen
Alexander Moszkowski

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Ein unbeliebter Mitarbeiter

Damals gehörte es zu den beliebtesten Unterhaltungen: wer wohl reicher wäre, Mendelssohn oder Bleichröder? Krösus wurde nicht zum Vergleich herangezogen, denn der war schon lange verschollen und hatte außerdem niemals in Berlin gelebt. Und nur die ganz Eingeweihten gingen noch über Mendelssohn und Bleichröder hinaus, indem sie den Dr. Bethel Strousberg in der Wilhemstraße als den allerreichsten nannten.

Aber es gab einen Zeitgenossen, der sich doch noch reicher vorkam als diese Herrschaften alle zusammengenommen.

Und das war ich: sintemalen mir ein prominenter Verleger in der Maienblüte meiner jugendlichen Unerfahrenheit eine Stellung an seiner Zeitung angeboten hatte, mit einem Anfangsgehalte von 300 Mark für den Monat. Ehe er noch ausgeredet hatte, war in mir die waghalsige Multiplikation von 300 mit 12 zur Tatsache geworden. 3600 Mark im Jahr und die sofort auftauchende Frage »Was kost' Berlin?« lösten bei mir ein stürmisches Jawort aus. Uebrigens war meine Berechnung gar nicht so übertrieben phantastisch, denn ich habe mich mit diesen Moneten länger über Wasser gehalten, als Strousberg mit seinen Finanzen, die bald darauf in einer welthistorischen Pleite verkrachten.

Am nächsten Tage nach dem Angebot besuchte ich den Verleger, Herrn Riegel, in seinem Allerheiligsten. »Eigentlich,« so gestand ich ihm, »habe ich doch ein klein bißchen Angst. Ich habe gestern ein paar Nummern Ihrer »Estrade« durchgesehen, und ich muß Ihnen bekennen, so einen Leitartikel brächte ich gar nicht fertig.«

»An den politischen Hauptteil sollen Sie auch vorläufig nicht heran. Sie sollen vielmehr zunächst in der lokalen Rubrik beschäftigt werden, später im Feuilleton. Sie werden alltäglich im Bureau eine Menge kleiner Notizen finden, die uns die Reporter zutragen, auch wohl Zeitungsausschnitte mit wichtiger Substanz, aber nicht genügend redigiert. Davon suchen Sie sich aus, was Ihnen gutdünkt, arbeiten Sie die Notizen ein wenig durch, feilen Sie, schleifen Sie Facetten an, setzen Sie Pointen auf, das ist alles, was ich für den Anfang beanspruche. Und nun kommen Sie hinüber, ich werde Sie den Autoritäten meines Stabes vorstellen.«

So ungefähr war dem Schüler zumute, als er mit zagem Finger an die Pforte des Magus Faust pochte. Meine Knie schlotterten respektvoll, als ich dem Altmeister der lokalen Herrschaften, dem Herrn Oberredakteur Bernhardi, zur weiteren Ausbildung überwiesen wurde.

Allein schon nach einer halben Stunde begann diese Umwelt mich anzuheimeln. Die Eingesessenen kamen mir so nett entgegen, wie man es bei ihren überragenden Stellungen und ihren vollreifen Persönlichkeiten nur irgend verlangen konnte.

»Klimberger kommt heute nicht,« sagte der zweite Redakteur Dr. Krietschmann; »er hat vor fünf Tagen Premiere im Schauspielhaus gehabt und schreibt seitdem bei sich zu Hause an seiner Vorkritik.«

Ich gab der Hoffnung Ausdruck, daß ich Herrn Klimberger wohl noch persönlich kennen lernen würde.

»Fürs erste kaum!« meinte der Schriftleiter Kobisch, der in einem imposanten Schanzwerk von Zeitungen vergraben zur Seite hockte. »Wenn Klimberger im Theater gewesen ist, dann bleibt er gewöhnlich vierzehn Tage unsichtbar. Außerdem haben wir momentan Nordwind und er kann nur bei Westwind stilisieren. Er arbeitet ein bißchen langsam, aber gediegen, sage ich Ihnen.«

Bernhardi ergänzte: »Bloß, daß er mit seinen Prognosen etwas schwerfällig ist. Sobald er einen langanhaltenden Erfolg prophezeit, kriegt der Leser seine Kritik erst zu Gesicht, wenn das Stück längst vom Spielplan abgesetzt ist. Uebrigens – der reine Lessing!«

»Ha, ha, ha! Lessing!« dröhnte von der Ecke her der profunde Bierbaß des Redakteurs Sauerbrey, der eben dabei war, einer brennenden Kaffeemaschine ihren Quellsaft abzugewinnen.

»Ich bitte mir Ruhe aus!« rief Dr. Stenzelburg vom Sofa her; »bei dem Gebrüll soll einer schlafen können!«

Um mir nicht die gleiche Rüge zuziehen, senkte ich meine Stimme auf Halbmast und fragte so diskret als möglich: »Ich bitte um Verzeihung, meine Herren, war der vorzügliche Artikel gestern über Talma und Garrik von Herrn Klimberger?«

»Keine Idee,« entgegnete Kobisch, »den habe ich gebracht: so was find man nicht alle Tage! Den famosen Aufsatz über Talma und Garrik habe ich in der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« gefunden.«

»Sie meinen das Quellenmaterial?«

»Nee, den ganzen Artikel!«

»Ach so,« sagte ich etwas enttäuscht, »er ist gar nicht von Ihnen?«

»Da hätte ich wohl ville zu tun, wenn ich auch noch Artikel schreiben wollte. Ich lese hier täglich fünfundvierzig Zeitungen, das soll mir erst mal ein Kollege nachmachen. Warten Sie mal eenen Augenblick, ich habe eben wieder was gefunden: hier in der »Züricher Morgenpost« steht ein sehr interessanter Aufsatz über Winterkuren im Engadin, den wollen wir morgen veröffentlichen.«

»Kann ich mich vielleicht dabei nützlich machen?«

»Nee, das Ausschneiden besorgt der Kollege Sauerbrey da drüben. Sie, Sauerbrey, schneiden Sie mal den Artikel hier aus der »Züricher« zurecht!«

»Sie werden gefälligst warten, bis ich meinen Kaffee fertig redigiert habe,« scholl des Angerufenen Stimme herüber, »ich werd' wohl gerade bei der zweiten Tasse aufhören, um mir für Ihren Engadiner Zimt Hühneraugen an die Finger zu schneiden! Schaffen Sie sich doch meinetwegen eine Dampfschere an mit Treibriemen, aber lassen Sie mich zufrieden, wenn ich beim Vesperbrot bin!«

»Sie müssen nämlich wissen, unser verehrter Sauerbrey ist ein bißchen bequem geworden,« erläuterte Bernhardi vertraulich, »er war früher einer der besten Schneider, die wir jemals in der »Estrade« gehabt haben. Sein Bild ist sogar in der »Illustrierten Welt« unter »Meister der Schere« erschienen. Aber, wie wir technisch zu sagen pflegen: er hat sich ausgeschnitten. Und insofern betrachte ich es als einen sehr glücklichen Gedanken unseres Verlegers, daß er jüngere, unverbrauchte Kräfte zur Unterstützung heranzieht. Ich werde Sie später persönlich darin unterweisen. Vorderhand können Sie mir zuschauen, wie ich die morgige Nummer disponiere.«

»Sind Sie schon mit Ihren Artikeln fertig?« warf ich ein.

»Jawohl, da liegen sie alle. Da kann sich der Laie kaum einen Begriff machen, was für Arbeit dazu gehört, um soviel Dutzend Zeitungsausschnitte zusammen zu bekommen. Die müssen jetzt sämtlich nach einem genialen Prinzip auf leere Blätter geklebt werden. Eine saure Arbeit, besonders wenn der Redaktionsdiener nicht für ordentlichen Kleister sorgt. Mit dem Pamps da soll einer ein Weltblatt machen!« Er klingelte dem Diener: »Päpke, was ist das nur wieder für eine Wirtschaft! Gießen Sie wenigstens eine Kanne Wasser auf den Kleister, mit der Substanz hier kann man Ziegelsteine mauern, aber kein hauptstädtisches Blatt redigieren!«

Während der Bureaudiener den Befehl vollstreckte, ergänzte Bernhardi: »Sie sehen, das ist nicht so einfach, man hat so seine Verdrießlichkeiten mit der Literatur. Sie selbst werden es bald genug spüren: sogar mit dem vorzüglichsten Kleister läßt sich noch keine gute Zeitung bauen; auf den Pinsel kommt es an! In dieser Hinsicht bin ich hier maßgebend und Herr Riegel weiß wohl, daß er in mir eine unersetzliche Kraft besitzt! Immerhin wird es mir manchmal etwas zu viel und es ist mir ganz willkommen, wenn ich in Ihnen eine Hilfe gewinne. Meine Losung ist Kleben und kleben lassen!« Bei dieser Sentenz schlug er mich frohlaunig auf die Schulter und leistete sich eine herzhaft dröhnende Lachsalve.

Grund genug für Stenzelburg, um sich wieder aus der Tiefe des Sofas zu melden: »Also es ist hier radikal unmöglich, ein Auge zuzumachen. Lachen Sie doch draußen auf dem Korridor und nehmen Sie endlich Rücksicht auf die Redaktion!«

Nach einer kleinen Pause machte ich mich dem Wunsche des Verlegers entsprechend über einen Packen Notizen her, um sie stilistisch ein wenig aufzuputzen, und bat hierzu um Schreibpapier, Feder und Tinte.

»Was wollen Sie denn damit?«

»Schreiben. Dazu hat mich doch Herr Riegel verpflichtet.«

»Das sind nun wieder so überspannte Reformideen! Unser lieber Riegel scheint auch in moderne Uebergeschnappheit zu verfallen. Sauerbrey, haben Sie Tinte?«

»Was soll ich haben?«

»Tinte!«

»Zur Jause Tinte? Ich bin froh, daß ich meinen Kaffee habe.«

Auch bei Kobisch weckte diese Zumutung alle Symptome gerechter Entrüstung. Man wäre doch hier in einem Journalistenbetrieb und nicht in einer Gemeindeschule. Und Päpke, der Redaktionsdiener, machte dazu ein Gesicht, als hätte ich von ihm unterschwefligsaure Mangantinktur verlangt. Da war vorläufig nichts zu machen. Aber am nächsten Tage erschien ich mit meinem eigenen Material bewaffnet. Ließ mich am Tische des Chefredakteurs nieder, entkorkte eine Flasche tiefschwarze Kaisertinte, hantierte mit Feder, Papier und Löschblatt und begann ein Manuskript zu entwerfen.

Wenn ich es unternommen hätte, in diesem Raum ein Feuerwerk abzubrennen, so würde ich damit kein größeres Aufsehen erregt haben. Bernhardi mit hochgeschwungenem Kleisterpinsel starrte fassungslos, sein Nachbar wies mit gespreizter Schere auf das Phänomen, Kobisch schneuzte sich, um seine Erschütterung niederzukämpfen, in die »Kölnische Zeitung«, und Stenzelburg, der sich ermuntert hatte, fiel vor Schreck vom Sofa. Ich aber war entschlossen, allen Demonstrationen zu trotzen, und stippte meinen Kiel fleißig in die Tinte.

Als ich nach einem Absatz von zwölf Zeilen zum erstenmal aufblickte, war das Zimmer leer. Die Herren Kollegen hatten das Feld geräumt. Neben mir stand der Verleger in höchsteigener Majestät.

»Entschuldigen Sie nur, Herr Riegel, daß ich nicht schon gestern angefangen habe, aber es war keine Tinte vorhanden, und deshalb . . .«

»Hören Sie, junger Herr, ich bin doch in der Hauptsache wieder schwankend geworden. Betrachten Sie meine Eröffnung nicht etwa als eine Kündigung wegen Unfähigkeit – bewahre! Aber schließlich, es gibt doch in einer großen Zeitung eine Tradition, und ich als Verleger bin als erster berufen, die Homogenität des Arbeitskörpers zu wahren. Im Journalistenbetrieb ist nichts verhängnisvoller als die Durchbrechung erprobter Prinzipien, und sobald mir meine bewährten Mitarbeiter streiken, steht die »Estrade« vor einer Katastrophe.« – Er schob mir diskret ein ansehnliches Kuvert zu: »Sie sollen natürlich ausreichend befriedigt werden, mit einem vollen Monatsgehalt, und damit wollen wir Schluß machen. Ja, und wenn Sie mir noch einen besonderen Gefallen erweisen wollen, entfernen Sie hier alles, was die Kollegen zu gerechtem Protest reizen muß: Nehmen Sie bloß um Gottes willen Ihre Tinte mit!!«

Draußen war ich; zwar höchst opulent entlohnt, aber immerhin doch sozusagen hinausgeschmissen. Ich verfügte mich direkt in ein Luxusrestaurant, und mit einer Flasche guten Pommery schwemmte ich mir die Empfindung hinweg, daß ich mich mit meinem ersten Anlauf zur Journalistik so fürchterlich unbeliebt gemacht hatte.

 


 


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