Alexander Moszkowski
Von Genies und Kamelen
Alexander Moszkowski

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Sexualforschung

Der berühmte Professor Sixtus Schmoll stand gerade im Begriff, den tiefsten Geheimnissen der Schöpfung auf die Spur zu kommen. Und so landete er bei der Sexualforschung mit der abgrundtiefen Frage: Kann man die lebendige Natur geschlechtlich umkomponieren? Kann man Männchen in Weibchen verwandeln, Weibchen in Männchen? Und in seinem Laboratorium fand er die experimentelle Antwort: Man kann! Und zwar durch Ueberpflanzung gewisser Keimdrüsen. Die Natur will so, der Gelehrte will anders, und selbstverständlich siegt der Gelehrte. Denn er allein kennt den Zweck der Drüsen: die sind überhaupt nur dazu vorhanden, um herausgenommen und überkapselt zu werden:

Er braucht Chemie, braucht Chirurgie,
Und aus dem »Er« wird eine »Sie«.

Die Methode verlangt, daß man mit dem Tierversuch beginnt, also begann Professor Sixtus Schmoll als strenger Methodiker mit einem Hahn; wesentlich deshalb, weil die hervorragend maskuline Veranlagung dieses Hahns nicht dem geringsten Zweifel unterlag. Man kann ja nicht gerade behaupten, daß die Operation dem Versuchsobjekt ein besonderes Vergnügen verursachte Allein darauf kam es in diesem Zusammenhang um so weniger an, als der Professor die Vorsicht übte, direkt zu operieren, ohne das gefiederte Individuum zuvor um seine Zustimmung zu befragen. Der Erfolg entsprach den Erwartungen. Schon nach wenigen Stunden mutierte der vormals prachtvolle Mannestenor aus der Kikeriki-Lage zu einem feminin glucksenden Sopran, und nach einigen Tagen offenbarte sich das volle Ergebnis des sexualen Eingriffs. Der Hahn begann sich Mutter zu fühlen und eine enorme Fruchtbarkeit zu entwickeln. Er legte das ganze Laboratorium voller Eier, um nur recht deutlich zu bekunden, daß er den alten Adam recht gründlich ausgezogen habe, um mit seinem ganzen Wesen in eine neue Genusregel zu schlüpfen.

Damit war eine gesicherte physiologische Grundlage gewonnen, und der Professor durfte daran denken, das Experiment auf die höhere Sphäre der menschlichen Gemeinschaft auszudehnen. Zunächst freilich erhob sich eine Schwierigkeit. Denn unter den ihm befreundeten Dozenten der Universität fand sich kein einziger, der die Rolle des Versuchskaninchens übernehmen wollte. Sie alle beriefen sich auf ihre standesamtliche Matrikel und befürchteten polizeiliche Scherereien, wenn sie plötzlich ins Lager des Ewig-Weiblichen hinüberschwenkten, zumal sie sich in die Listen der jüngsten Volkszählung mit dem eigenhändigen Vermerk »männlich« unverrückbar festgelegt hatten. Vergebens stellte Professor Schmoll ihnen die Vorteile der sexuellen Umwandlung vor; besonders den Erwerb unermeßlicher politischer Frauenrechte, die Aussicht, von zeitgenössischen Lyrikern angesungen zu werden und dabei obendrein die teuren Rasierkosten zu sparen. Er holte sich einen Korb nach dem andern und stand vor der Gefahr, seine weiteren Forschungen mit allem Zubehör an Skalpellen, Nähfäden, desinfizierenden Spritzen und sexuell betonten Drüsen an den Nagel hängen zu müssen.

Zum Glück sprang sein eigener Assistent in die Bresche. Dr. Aloys Knarre war von der Engherzigkeit der anderen empört und erbot sich freiwillig zum Versuch. »Herr Professor,« sagte er, »wenn Sie mich verweiblichen wollen, ich halte still, so wahr ich ein Mann bin. Dreißig Jahr bin ich maskulin gewesen, das genügt. Abwechslung muß sein!«

Also schritt der Professor ans Werk, mit allen Kautelen des Faches, und die Transplantation gelang schmerzlos und fieberfrei. Dr. Aloys Knarre feminisierte zusehends und hätte sich mit zureichendem Grunde den Rufnamen Aloysia zulegen können. Alle Tugenden, die von der biblischen Rahel, von der homerischen Nausikaa bis zu den Rautendeleins der Neuzeit gepriesen werden, entwickelten sich an ihm körperlich und seelisch in so scharfem Tempo, daß der Damenschneider mit der Lieferung der notwendigen Gewänder der rapiden Umwandlung kaum zu folgen vermochte.

Mit züchtigen, verschämten Wangen sah er die Jungfrau vor sich stehen, nämlich der Forscher Schmoll seinen Assistenten. Und besonders von »ihren« Augen ging ein Zauber aus, wie weiland von denen Kleopatras, als sie Cäsars Sinne verwirrten. Der Erzähler gerät hier in Verlegenheit, denn genau genommen müßte er ja sagen: von »seinen« Augen. Wie denn überhaupt die persönlichen Fürworte arg ins Gedränge geraten in einer transformatorischen Geschichte, bei der die landläufigen Geschlechtsunterschiede Sinn und Bedeutung verlieren.

Danach fragte aber Professor Schmoll nicht im geringsten. Nachdem sein Herz erst einmal den großen Knax wegbekommen hatte, war ihm erstlich die Grammatik egal geworden, zweitens und ganz besonders seine ihm vor dreiundzwanzig Jahren angetraute Gattin Rosaura, die ihm jetzt, mit Dr. Knarre verglichen, höchst unsympathisch, sozusagen unweiblich vorkam. Denn Rosaura trug auf der Lippe ein Mittelding von Flaum und Kratzbürste, besaß ein Sprechorgan wie ein pensionierter Major und zeigte überhaupt von Natur aus sogenannte Sexualphänomene. Der Gewissenskonflikt in Professor Schmolls Psyche endete damit, daß er sein überjähriges Gespons zum Hause hinauswarf und sich mit seinem Assistenten zum Standesamt verfügte, in der Absicht, mit »ihm,« beziehungsweise mit »ihr,« den neuen Bund zu besiegeln.

Vom rein physiologischen Standpunkt war hiergegen nichts einzuwenden. Aber ein Standesbeamter ist kein Physiologe, sondern ein Mensch, der an Verordnung und Urkunde festklebt, und der sehr viel von Ausweispapieren versteht, dagegen gar nichts von Drüsen. Kurzum, die Geschichte ist noch gar nicht abgeschlossen. Denn bevor der feminisierte Dr. Knarre wirklich dem Professor Schmoll vermählt werden kann, muß erst noch etwas anderes entschieden werden; nämlich die Frage der Sexualforschung:

»Ist das strafbar?«

 


 


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