Alexander Moszkowski
Von Genies und Kamelen
Alexander Moszkowski

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IV. Teil

Sammlung aus dem Projekt Gutenberg-DE

2017

Von der Welt und andern Nebensächlichkeiten

Meskal oder der Multimilliardär

Es wurde dämmerig im Gemach meines Freundes Konrad Sturm. Schon drei Stunden hatten wir uns unterhalten, ich wesentlich rezeptiv, er mit der ganzen Schwungkraft des modernen Naturforschers, der von Problem zu Problem eilt und weitausgreifend alle Hindernisse überrennt. Bloß Physiker und Chemiker ist ja keiner. Erfinder sind sie alle, und sie erblicken die Grenze der Möglichkeit nicht mehr bei irgendwelcher natürlichen Schranke, sondern höchstens in einem verlorenen Patentprozeß. Vorläufig freilich kontrastierte die Weite seines Horizontes noch merklich mit der Enge seines bürgerlichen Lebens. Ich bin niemals bei Edison oder Marconi gewesen, nehme aber an, daß sie eleganter wohnen als Konrad Sturm. Kaum, daß die Anfänge einer Behaglichkeit in seinem Studierzimmer erkennbar waren; und die zwei Klubsessel, in denen wir es uns bequem machen durften, paßten eigentlich ebenso wenig in das Interieur, wie die Apparatgestelle und Retorten im Hintergrund der Stube.

Ein auffallend hübsches Mädchen servierte den Tee. Ei, ei, sagte ich bloß, als sie wieder draußen war. – Da ist gar nichts zu eieien, meinte Konrad. Es ist meine Wirtschafterin, und sie macht ihre Sache ausgezeichnet. Den kleinen Luxus einer hübschen Bedienung nehme ich als Abschlagszahlung des Schicksals auf die größeren Glücksgüter, die es mir noch schuldet. Uebrigens, wie schmeckt dir denn meine Zigarette?

Ehrlich gesagt, Konrad, sie schmeckt ein bißchen scharf; ich bin an leichtere Sorten gewöhnt.

– Aber das Kraut ist gut, glaub' mir nur. Die Schärfe rührt von einer Substanz her, mit der ich den Tabak imprägniert habe.

Ein Parfüm?

– Ja und nein, Aroma ist wohl dabei; aber die Hauptsache ist das Meskal. Weißt nicht, was das ist? So eine Art Haschisch: nur weit gediegener, intensiver, ich möchte sagen, feingeistiger. Also Haschisch in der dritten Potenz. Es beflügelt gleicherweise die Phantasie wie den Intellekt, öffnet Traumregionen, die sich an eine ferne Wirklichkeit anlehnen. Das Meskal stammt von den malaischen Inseln und ist bei uns gar nicht zu haben.

Ja, du hast es doch aber?

– Auf synthetischem Wege hergestellt. Ein indischer Naturforscher hat das Alkaloid, das dem Meskal zugrunde liegt, analysiert und seine Analyse in der »Ostasiatischen Revue« veröffentlicht. Danach habe ich das Ding gedeichselt. Ich selbst habe in meinem ganzen Leben keine Meskalpflanze in der Hand gehabt, nicht einmal gesehen. Aber in der Retorte kann man ja heutzutage Fernbotanik treiben. Also, was wir hier rauchen, ist das Narkotikum Meskal, der Tabak dient nur als Vorwand sozusagen.

Weißt du, Konrad, ich möchte wirklich zu meiner eigenen Sorte übergehen. Es ist doch eine riskante Sache mit diesen narkotischen Gewächsen; ich sehe schon violette Kreise in der Luft herumfliegen. Oder vielmehr, ich fliege zwischen den violetten Kreisen. Gib mir noch so eine Meskal! Uebrigens, deine Wirtschafterin gefällt mir ausgezeichnet. Seit wann bist du mit dieser lieblichen Jungfrau verheiratet?

– Lieber Freund, zum Heiraten gehört Geld, sehr viel Geld, immenses Geld!

Du hast keines! das macht nichts. Ich leihe dir gern eine Million bis übermorgen; noch mehr, alles, was ich im Portemonnaie bei mir habe.

– Danke sehr. Aber ich brauche deine Hilfe nicht. Ueber solche Bagatellen bin ich längst hinaus. Alles, was ich brauche, werde ich mir allein verschaffen.

Um Himmels willen, wieviel brauchst du denn?

– Ungezählte Milliarden! Ja, da staunst du! Weil du nicht ahnst, daß sie greifbar nahe liegen. Natürlich wird man dabei etappenweise verfahren. Erst muß man das Handwerkszeug haben, und das allein beansprucht sechs bis sieben Millionen Mark.

So viel habe ich nicht bei mir, Konrad, nimm's mir nicht übel. Da ergibt sich also schon eine Schwierigkeit. Ich hörte so etwas wie Handwerkszeug; was verstehst du darunter?

– Ein nach besonderen Prinzipien konstruiertes und zu ganz besonderen Zwecken ausgerüstetes Turbinenschiff. Doch davon später. Zunächst handelt es sich darum, die Mittel zu gewinnen, um dieses geheimnisvolle Schiff zu erbauen und in Tätigkeit zu setzen.

Vielleicht findet sich eine Bank, die dir das Geld vorstreckt?

– Sie ist schon gefunden: die Bank von Monte Carlo.

Ach, auf die Sprünge willst du kommen! Systemspielerei? Dabei ist noch keiner reich geworden. Die Roulettekugel geht doch ihren eigenen Lauf.

– Falls sie nicht physikalisch beeinflußt wird.

Aber Menschenskind, das ist doch eine Unmöglichkeit! Nur in der Oper gibt es Wunder der Freikugeln, aber nicht im Spielsaal.

– Ich werde es dorthin verpflanzen und zwar durch das Prinzip der Fernlenkung. Es dürfte dir bekannt sein, daß man schon seit einigen Monaten so weit ist, ein Boot, ein Flugzeug aus der Distanz zuverlässig zu dirigieren. Ich bin weiter: ich lenke die Kugel aus der Entfernung.

Ja, wie denn? Da fehlen mir Zwischenglieder. Das Boot, das Flugzeug, ist doch besonders dafür konstruiert, durch Schrauben, die sich auf drahtlose Ströme von bestimmter Wellenlänge einstellen. Ihr Mechanismus wartet gleichsam auf den Anruf, den du ihr aus der Antenne entgegensendest. Aber eine Roulettekugel ist ein homogenes Stück Elfenbein, nicht mechanisiert, nicht vorgebildet, auf deine Willensbotschaft zu reagieren.

– So sollte es scheinen, wenn man sich nämlich auf den Boden der alten Grobmechanik stellt. Im Lichte der allerneuesten Feinmechanik sieht die Sache anders aus. So eine Elfenbeinkugel gehorcht den Gesetzen der Schwerkraft und der Elastizität, sie zeichnet im Wurf eine ideale Parabel, sie besitzt Vorratskammern zur Aufspeicherung von Kalorien, sie unternimmt von außen beeinflußt, diamagnetische Bewegungen. Und der Grund? Sie ist eben nicht homogen, sondern ihre Atome differenzieren sich in zahllosen Mechanismen, die zwar nicht in der Form, wohl aber in den Funktionen unseren Propellern ähnlich . . . Und nun blicke mal auf mich: für was hältst du das, was ich hier ganz unauffällig in der Westentasche trage? Für eine Taschenuhr natürlich! Und dafür soll man's auch halten. Aber es ist der Fernlenkapparat, mit dem ich jeder rotierenden Kugel den Weg vorschreibe. Ein unmerklicher Druck meines linken Mittelfingers trifft den Punkt, auf den es ankommt. Dieser Punkt korrespondiert mit der beabsichtigten Roulettennummer, oder doch wenigstens mit einem schmalen Sektor, dem sie angehört. Das Prinzip zu finden und es auf so engen Raum zu bannen, das war meine mechanisch-technische Tat. Auf die elektrischen Wellen, die von dieser höchst diskreten Pseudouhr ausgehen, ist unbedingter Verlaß. Und nun begreifst du wohl, daß ich nicht lange zu operieren nötig haben werde, um mir das Notwendigste zusammenzuspielen.

Konrad, Konrad, ich sehe dich auf Abwegen. Was du mir da vorträgst, mag sehr genial sein, aber sehr reell ist es nicht. Was du beabsichtigst, nennt man: corriger la fortune.

– Ich nenne es anders. Was liegt im Grunde vor? Die Bank steht mit dem Spieler in einem Vertragsverhältnis. Voraussetzung dieses Vertrages ist: dein Wille, Spieler, ist einflußlos, unsere Maschine arbeitet so exakt, daß in ihr nichts zum Ausdruck kommen kann, als der blanke Zufall. Trete ich nun mit dem unsichtbaren Fernlenkapparat auf, so zwinge ich den Zufall unter meinen Willen. Die Bank leugnet solche Möglichkeit, und solange sie dabei verharrt, das heißt, so lange sie nicht zugibt, mit unvollkommener Maschine zu arbeiten, bleibt sie zahlungspflichtig.

Weil sie deinen physikalischen Kunstgriff nicht durchschaut. Wenn es nichts Schlimmeres ist, liegt doch ungerechtfertigte Bereicherung vor.

– Dein Gewissen ist sehr zart besaitet. Aber meinetwegen, ich will dem Rechnung tragen. Ich werde der Bank später, wenn ich das Handwerkszeug nicht mehr brauche, den ganzen Betrag zurückerstatten.

Erst haben!

– Ich glaube, du mißtraust meiner Erfindung noch immer; überzeuge dich also selbst.

Er öffnete eine breite Flügeltür, und wir schritten in das völlig dunkle Nebengemach. Eine Sekunde darauf entflammten die Kronen und ergossen ihr Lichtmeer auf einen der Prachtsäle des Kasinos in Monte Carlo.

Ich muß dir gestehen, sagte ich, mein Gedächtnis wird undicht. Daß wir uns hier im Brennpunkt der Cote d'Azur befinden, sehe ich ja klar, aber ich kann mich absolut nicht besinnen, mit welchem Zuge wir hierher gefahren sind.

Nimm an, erwiderte er, mit dem letzten Zuge aus meiner Meskalzigarette. Nachher im Atrium rauchen wir weiter, hier im Saal ist es verboten.

*

Konrad Sturm setzte ausschließlich die mittleren Nummern, die die reichste Maximallast vertragen, also 9 Louis en plein, 18 Louis à cheval, bis zu 6000 Francs auf den Seiten des Tableaus. Nicht jeder Coup glückte, da der Mechanismus nicht die Nummer exakt, sondern stets eine kleine Gruppe umspannte. Allein die Wirkung war doch sensationell; und das Phänomen der gesprengten Bank, das sich nur auf die Barvorräte der einzelnen Tische bezieht, vollzog sich oft genug. Keine Miene verzog der glückliche Pointeur, und nur die leise Fingerbewegung, deren Sinn ich allein begriff, schien seine Nervosität zu verraten. Häufig wechselte er das Operationsfeld von Tisch zu Tisch, stets verfolgt von einer gaffenden Völkerwanderung, die das unerhörte Wunder bestaunte. Immer wieder wurden die drehenden Croupiers auf Befehl der Chefs de partie erneuert, allein heute war die Wahrscheinlichkeit selbst auf den Kopf gestellt, die gleitende und hüpfende Kugel zeigte den unwiderstehlichen Drang, den höchstvergoldeten Nummern nachzulaufen und mit Verleugnung jeder Statistik nur den einen zu begünstigen. Nach einigen Stunden traten mehrere Vorstandsmitglieder im Hintergrund des Saales zu einer Beratung zusammen. Es lag die Gefahr nahe, daß die Tresors sich verbluten könnten. Aber keine Möglichkeit einer Abhilfe wurde gefunden, denn ein Zweifel an der Korrektheit der Maschinen durfte nicht aufkommen. Man stand einfach vor einem Rätsel in Menschengestalt. Das war ein Spieler, der über die Sekunde hinweg das Resultat der nächstfolgenden zu erraten wußte!

Endlich räumte »ce terrible Allemand« das Feld. Wieviel hast du gewonnen? fragte ich ihn im Vorsaal, mit einer frischen Meskal im Munde.

– Genau so viel, wie mein Handwerkszeug kostet, du weißt doch, mein Ozeandampfer. Willst du ihn sehen? So komm. Der Hafen von Villefranche ist ja nur wenige Kilometer entfernt, und das Auto wartet.

Du faselst Konrad. Eben erst hast du das Geld beisammen, und nun redest du schon von einem fertigen Schiff?

– Dein Bewußtsein äußert sich tatsächlich etwas kontraktiv. Du häufst auf eine Stunde die Tatsachen vieler Monate. Besinne dich, Alex! Genau vor einem Jahre waren wir in Monte Carlo.

Ja, sind wir denn nicht noch immer im Kasino? Nein, du hast recht, dieser Raum sieht anders aus, das scheint ein Schiffssalon zu sein.

– Wie du sehr treffend konstatierst. Noch genauer gesprochen: es ist der Salon meines Turbinendampfers »Elektra,« der genau so funktioniert, wie ich es vorausgesagt hatte.

Und wo willst du eigentlich hinreisen?

– Das ist für meine Zwecke total gleichgültig. Das Ziel ist nichts, und alles die Bewegung. Dieses Schiff schafft mir Reichtümer, gegen die alle Schätze eines Krösus verschwinden, und zwar automatisch, einzig und allein dadurch, daß es fährt.

Erkläre mir, Graf Oerindur!

– Die Sache ist so simpel, daß man sich nur über eines wundern darf: nämlich über den Stumpfsinn der Erfindergilde, die mir hierin den Vortritt und die Priorität überläßt. Schon vor vielen Jahren hat William Ramsay nachgewiesen: jedes Meerwasser enthält Gold.

Ist mir bekannt. Ich habe sogar die Ziffern in Erinnerung: auf 30 Millionen Kilogramm Wasser kommt ein Kilogramm des Edelmetalls. Diese feine Verteilung konvergiert ersichtlich nach dem Nullpunkt. Man könnte ebensogut sagen: das Meerwasser enthält kein Gold.

– Für den, der nicht multipliziert. Aber die großen Becken vom Kap Horn bis zum Nordkap, von Singapore bis Alaska machen solche Multiplikation zu einem Vergnügen. Ein einziger Kubikkilometer Wasser liefert nämlich schon 30 000 Kilogramm Gold im Werte von 84 Millionen Mark, woraus erhellt, daß der Okeanos überhaupt das eigentliche Grüne Gewölbe der Erde darstellt; seine Schätze gehen in die Billionen. Wie bescheiden bin ich also, da ich es nur auf eine Reihe von Milliarden abgesehen habe!

Gewiß, Konrad, wer die Milliarde nicht ehrt, ist die Billion nicht wert; aber wie willst du denn dem Meer die Beute abjagen?

– Auf dem Wege der Elektrolyse. Was du da stampfen hörst, hat einen doppelten Ursprung: die eigentliche Schiffsturbine und einen mächtigen Dynamo. Eine der beiden Schrauben aus Stahlbronze bildet die Kathode, die sich beständig vergoldet, indem sie aus ungeheurer Furche das Metall an ihre Oberfläche saugt. Bei zwei Meter Radius und 21 Knoten Geschwindigkeit durchpflügt sie in jeder Stunde 200 000 Meter Wasser. Selbst wenn ich mit einem sehr beträchtlichen Verlustkoeffizienten rechne und nur den zehnten Teil der elektrolytischen Leistung als wirklichen Nutzeffekt ansetze, erreiche ich in jedem Tage über 40 Millionen und pro Jahr gegen 15 Milliarden reinen Goldgewinn.

Menschenskind, wirst du da Steuern zahlen! Gewinnbringende Beschäftigung und Vermögenszuwachs!

– Damit werde ich mich abfinden. Jedenfalls ist meine Schraube der Steuerschraube überlegen. Sieh hier! – damit führte er mich an den Punkt, wo sich seine Schatzkammer füllte. Er erläuterte mir ein System baggerartig gegliederter Stahlschärfen, die das Metall stetig vom Propeller abschabten, aufgriffen und zutage förderten. Das war eine wahre Fontäne von Goldsplittern, die dort heraussprudelte, unversieglich, blendend und traumhaft bei aller Gegenständlichkeit.

*

– Wir sind hier an der Quelle der einzigen Großmacht! erklärte Konrad Sturm, dessen Gestalt sich straffte und dessen Stimme plötzlich einen imponierenden Klang gewann; jener Großmacht, die, unabhängig von Allianzen und Ententen, frei von dem Zufallsspiel militärischer und diplomatischer Kräfte sich stets und unbedingt durchsetzt. So und nicht anders betrachte ich mein Werk.

Mit anderen Worten: es gibt nunmehr für dich keinen Wunsch, den du dir nicht erfüllen kannst.

– Fragt sich bloß, welche Wünsche ich mir konstruieren werde. Damit kommen wir zum Hauptpunkt. Zunächst ist es evident, daß die powern Existenzen außer mir, die sich heute Multimillionäre nennen, allesamt keine Ahnung vom Gelde haben, ich meine vom Verhältnis des Kapitals zur möglichen Arbeit, die es leisten kann. Ihr Gehirn wird durchgängig durch zwei Denkfehler verwölkt. Erstens glauben sie an die Gültigkeit der bürgerlichen Arithmetik, wenn einer hundert Millionen besitzt, so hält er sich für zehnfach reicher als den zehnfachen Millionär. Das ist ein Unsinn. Denn der subjektive Wert steigert sich nicht einfach arithmetisch, sondern logarithmisch. Der Exponent allein gibt das Wertmaß. Das will sagen: der hundertfache Millionär ist nur doppelt so reich als der zehnfache, denn hundert ist die zweite Potenz von zehn. Woraus wiederum folgt, daß die heute existierenden Krösusse ungemein überschätzt werden, da mit ihrem Vermögen, sobald es auf diese logarithmische Skala gespannt wird, eigentlich nicht viel los ist. Erst wenn man hoch in die Milliarden hineinsteigt, gewinnt die Sache den Anstrich wirklicher Ueberlegenheit, sozusagen etwas Vierdimensionales, Transzendentes. Mithin bin ich nicht nur der reichste, sondern exakt genommen der einzige, dem das Prädikat »reich« im strengeren Sinne zukommt.

Der zweite Denkfehler betrifft das Ausgeben. So töricht freilich ist ja keiner, daß er nicht merken sollte, wie schwierig es ist, den Genuß zu steigern oder auch nur in annähernder Balance mit der anschwellenden Finanzkurve zu halten. Kein Rothschild kann hundert Paläste bewohnen, in zweihundert Automobilen spazieren fahren oder dreihundert Beefsteaks zu einer Mahlzeit verzehren. Alles, was du von dem Gepränge amerikanischer Silberkönige und Oelmagnaten hörst, betrifft im Grunde nur snobistische Akte der Verzweiflung über dieses Mißverhältnis, und ihr Denkfehler besteht eben darin, daß sie trotz alledem wähnen, mit den Extravaganzen des Luxus die richtige Proportion zwischen Geld und Genuß erzwingen zu können.

Zugegeben, Konrad. Aber wenn schon die Gould und Vanderbilt an diesem Denkfehler scheitern, wie willst du dann erst über die Klippe hinwegkommen?

– Mit der Gewalt der Tatsachen. Mit der Macht, die ich in Händen habe, insofern die höchsten Entscheidungen, die überhaupt im Menschenbereich getroffen werden können, sich seit geraumer Zeit auf Finanzfragen zuspitzen. Zwischen meiner Geldmacht und der eines Astor oder Rockefeller besteht nicht ein Unterschied des Grades, sondern des Wesens. Und so wie sich bei elektrischer Hochspannung Erscheinungen zeigen, die dem Schwachstrom fremd bleiben, wie die Milliardenvibrierung des Aethers Farbphänomene erzeugt, die sich vom Klang der Kleinschwingung grundsätzlich unterscheiden, so soll auch die Hochspannung meines Goldes etwas qualitativ Neues leisten; nämlich nicht die Befriedigung landläufiger Wünsche, sondern die Behauptung meines ganz besonderen Willens, und der wird sich nicht mit Kleinigkeiten abgeben.

Sieh mal, die Herrschaften Nobel, Carnegie, Rockefeller waren auch nicht kleinlich, als sie Wissenschaften und Künste dotierten.

– Was auf diesem Gebiet vorliegt, ist der Anfang des Anfangs. Sie haben Intelligenzen geholfen, die keine Hilfe brauchten, Forschern die Leiter gehalten, die schon oben waren. Anständige Trinkgelder, um sich im Hotel der Menschheit einen guten Abgang zu verschaffen. Aber Hotelgäste sind sie zeitlebens geblieben, mit der Sucht, hohe Zechen zu machen, und froh, wenn's recht teuer war. Bis auf eine einzige Ausnahme allenfalls, weißt du, beiläufig, wer vor mir der Reichste war? – ja, dazu muß man Geschichte studieren und nicht bloß das goldene Buch der Millionäre: Wallenstein war's. Er besaß, historisch beglaubigt, ein Einkommen von fünf Millionen Talern, in einer Zeit, da das Geld mindestens die zehnfache Kaufkraft des heutigen hatte. Und er allein hat es auch richtig angewandt, im Sinne der Macht; die große Armee, die er kommandierte, war seine Armee, von ihm bar bezahlt. Hätte er im entscheidenden Augenblick nicht gezaudert, keine diplomatischen Fehler begangen, so fiel ihm die Souveränität zu; auf dem mit seinem eigenen Gold gepflasterten Wege wäre er zu einem Königsthron marschiert. Das nenne ich eine lohnende Geldausgabe!

Um des Himmels willen, Konrad, du willst dir doch nicht am Ende eine Armee kaufen?

– Nein, das wäre mir viel zu umständlich, meine Schecks werden genügen. Aber Großes werde ich wollen. Stelle dir etwa einen Eingriff in die Verfassung vor, und zwar unter folgender Formel: Ich, der Multimilliardär, baue euch eine neue Handelsflotte, verschaffe euch das Uebergewicht zur See, kanalisiere euch die deutsche Rheinmündung, tilge sämtliche Reichsschulden und übernehme alle Kosten der Arbeiterversicherung sowie der inneren Kolonisation; Bedingung und Gegenleistung: die von mir gewünschte Verfassung. Das Ministerium möchte ich sehen, das mir da mit Obstruktion käme! Es zerflöge vor meiner Offerte wie Spreu im Sturme. Oder blicke nach dem Balkan, nach dem Orient, wo alle Gestaltung schließlich die Form des Rechenexempels annimmt. Glaubst du nicht, daß ich dort neue geographische Linien ziehen könnte, wie sie mir gut erscheinen, sobald ich in Debet und Kredit dieser Völker mit meinen Argumenten dazwischenfahre? Das Schwert des Brennus ist ein Kinderspiel dagegen, wenn ich meine Milliarden in die Wagschale werfe. Und wenn ich Lust verspürte, ein Souverän zu werden – so viel wie ein Fürstentum da unten kostet, schaffen meine Propeller vom Frühstück bis zum Abendbrot. Da hast du meine Armee! Die Sekunden, von denen mir jede einzelne 20 Doppelkronen liefert, sind meine Soldaten: meine ausgemünzten Goldrollen, von denen jede im Laufe eines Jahres länger wird als ein Erdquadrant, sind meine Bataillone. Und hier vor dir steht ihr Kommandeur, der große Ordner zukünftiger Dinge, der wahre Uebermensch des zwanzigsten Jahrhunderts!

Es wird auf die Probe ankommen. Und dann muß ich dir bekennen: ich persönlich stelle den Menschen höher als den Uebermenschen. Auf deinen Gipfeln der Macht herrscht ein eisiges Klima, in dem die Pflanze des individuellen Glücks nicht recht gedeiht. Schon Goethe sagt . . .

– Glücklich allein ist die Seele, die liebt. Dieser Gemeinplatz war ja wohl unvermeidlich. Aber ich verspreche dir, auch dafür soll gesorgt werden, denn Goethe sagt auch: Am Golde hängt doch alles: die Liebe vor allen Dingen; gleich schenken, das ist brav, da wird er reussieren! Ich gedenke auf diesem Gebiet sogar einen besonderen Luxus zu entfalten.

Es wird wohl wieder etwas Gigantisches dabei herauskommen: König Salomo mit Don Juan multipliziert: dreißigtausend Maitressen!

– Die könnt' ich haben, wenn ich wollte, und wenn ich dumm genug wäre, es zu wollen. Hier tritt nämlich für den Einsichtigen eine umgekehrte Proportionalität hervor, und der äußerste Luxus mündet im Singularis.

Schau, schau! ein ganz menschlicher Zug; ich glaube, dir spukt noch immer die hübsche Wirtschafterin im Kopf, die wir in Berlin verließen.

*

Als ob sie auf das Stichwort gewartet hätte, trat sie herein, einfach gekleidet wie damals, in den Händen ein Präsentierbrett mit Erfrischungen. Konrad verschlang das Fräulein mit den Blicken. Als sie serviert hatte, hielt er sie fest:

– Bleiben Sie, Hedwig, ich habe ernsthaft mit Ihnen zu reden. Dieser Herr ist mein Freund, und wir brauchen uns nicht zu genieren. Um es kurz zu sagen: ich will Sie erheben, so hoch, wie noch nie ein Mädchen gestanden hat. wie eine Königin sollen Sie thronen in einem Paradies, das ich um Sie zu schaffen bereit bin. Glänzender als jede Königin! Alle Pracht einer Kleopatra und Semiramis soll verblassen; auf den Saum Ihrer Schleppe will ich den Kohinoor, den Orlow und alle Juwelen heften, die bis heute in den Zepterspitzen der Herrscher funkelten . . .

Wofür, Herr Sturm?

– Das ist eine rhetorische Frage, die sich von selbst beantwortet, halten wir uns nicht bei Selbstverständlichkeiten auf. Mit dem hundertsten Teil dessen, was ich Ihnen biete, könnte ich eine Herzogin haben!

Mich nicht, Herr Sturm.

– Was soll das heißen, mich nicht! Bin ich Ihnen als Geliebter zu schlecht, ich, der herrlichste von allen? Oder wollen Sie mir mit der Armeleutemoral imponieren? Machen Sie sich nicht lächerlich, Hedwig. Hier wandeln wir auf nie dagewesenen Hochregionen, Sie und ich, ein neuer ethischer Horizont wölbt sich um uns. Hier ist nichts kostbar als die Zeit. Also schnell, – küssen Sie mich!

Nein, Herr Sturm.

– Und ich sage Ihnen: Sie werden! Ich habe den Zufall bezwungen und das Meer, ich kann auch diesen läppischen Widerstand brechen. Noch bleibt mir ein Trumpf in der Hand. Also hören Sie, angebetete Gans, ich werde Sie heiraten!

Ich bin verlobt, Herr Sturm, seit einem Jahre, mit einem kleinen Postbeamten; im August ist unsere Hochzeit. – –

Du bist mir unbegreiflich, Konrad, sagte ich, als wir wieder allein waren. Du stehst da wie ein Verunglückter und hast eigentlich nicht den mindesten Grund zu dieser Pose. Dieses Mädchen war eben noch eine Caprice für dich, willst du mir einreden, daß daraus in zehn Minuten eine Leidenschaft geworden ist, ein Lebensschicksal?

– Allerdings. Nicht mit Rücksicht auf die Person, denn es gibt Dutzende, die schöner sind und begehrenswerter und billiger. Nein, das ist es nicht. Aber das Unpersönliche daran treibt mich zum Wahnsinn. Daß ich mit der Weltmacht in Händen an einem kleinen Fräulein scheitere und an einem Briefträger. Daß ich, der Krösissimus, beim ersten Kaufgelüste abprallte vor einem unerschwinglichen Nichts. Das ist es. Meine Rechnung war falsch, ich habe verspielt. Machen wir ein Ende! Das wird schnell gehen bei den fünftausend Volt Spannung in meinem Dynamo.

Ich vermochte ihn nicht zu halten. Er entwand sich mir und stürmte in den Maschinenraum. Noch einmal versuchte ich ihn loszureißen aus dem Gewirr der Drähte, das uns beide umstrickte. Und sogleich spürte ich eine Erschütterung, als ob mir im Hirn eine Dynamitpatrone explodiert wäre. – – –

Da saß ich im Klubsessel mit einem Kopfschmerz, der mich an die bedeutendsten Kater meiner Jugend erinnerte. Vor mir die Aschenreste der Meskalzigaretten, gegenüber mein Freund mit einer Kompresse auf dem Schädel.

Was man so doch zusammenträumt! sagte ich. Wo waren wir doch? Ja, richtig, in Monte Carlo und auf einem Goldschiff, und du hattest eine blödsinnige Masse Mammon.

– Stimmt, stimmt, so ähnlich war auch meine Halluzination. Ich konnte machen, was ich wollte. Nehmen wir diese Duplizität der Träume als ein gutes Vorzeichen für meine Zukunft.

Nein, Konrad, du konntest durchaus nicht machen, was du wolltest. Gleich die erste Probe schlug fehl.

– Kann mich nicht besinnen, Alex. Wie war das doch?

Ja, du verliebtest dich in deine niedliche Hausdame und holtest dir einen Korb nach allen Dimensionen. Ich habe selten einen Menschen so abblitzen gesehen.

– Na, was das betrifft, so kannst du dich beruhigen. Das stimmt nicht ganz mit der Wirklichkeit. Sie ist nämlich seit einem Jahre mein Verhältnis!

 


 


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