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14.
Von Mailand bis zu Ende.

Der Morgen des 18. März brach an – der Tag des Ausmarsches.

Die Stadt glich einem großen Heerlager, ihre Straßen wimmelten von Soldaten-Kolonnen und Transportwagen, die anscheinend in babylonischer Verwirrung sich durcheinander bewegten, aber durch einen ordnenden Gedanken gelenkt und geregelt wurden.

In den Kasernen ging alles darunter und darüber. Da wurde gepackt und geputzt, gesungen und gejubelt, alle Branchen durcheinander, auf den Höfen, Gängen und in den Zimmern.

Und nicht nur, was Militär war, rüstete zur Abreise. Die armen Deutschen, die die Österreicher abrücken sahen, fühlten sich auch abermals bewogen, das schöne Mailand zu verlassen; denn die edlen Lombarden, die mit keck umgeschlagenen Mänteln durch die Straßen schritten, sich mit freudig glühenden Augen an der abermaligen »Flucht der Barbaren« weidend, sie hatten nichts Gutes mit ihnen im Sinne, wenn wieder einmal l'Italia a tout wurde.

Eine Masse deutscher Familien, sogar viele italienische, deren »Patriotismus« nicht gehörig erhärtet war, verließen mit der Armee die Stadt, deren Straßen nur zu jener guten alten Zeit so viele Equipagen durchrollten, als die Corsofahrten noch en vogue waren; diesmal fuhren aber die Batards und Kutschen über die Corsi – hinaus. Übrigens verließen selbst viele Vollblutitaliener die Stadt; denn es war bei allen noch im guten Angedenken, was für kommunistische Debuts die letzten Tage vor dem Einmarsch der Österreicher von jener Klasse Gesindels da versucht wurden, die man in Mailand Barrabi (Lumpen) nennt, und dass nur eben dieser Einmarsch den Schutz des Eigentums herbeiführte, das zu einer Zeit, wo alles, was Autorität hieß, geflohen war, mehr als gefährdet gewesen.

Und eine Wiederholung solcher Szenen stand sehr zu befürchten, da nach dem Manifeste des Marschalls bloß das Kastell mit so viel Militär und Geschütz besetzt blieb, als erforderlich war, um einen Aufstand in der Stadt niederzuhalten.

Wer also konnte, verließ die Stadt – man wusste, dass es nicht auf sehr lange geschehe.

Es lag alles daran, sowohl Lombarden als Piemontesen über die Art zu täuschen, in der man den Krieg beginnen wollte; man wusste, dass die Italiener in jeder retrograden Bewegung eine Flucht sähen. Im Vertrauen hierauf wurde das sogenannte »schreibende« Hauptquartier, die Kanzlei und Pressen, nach Crema verlegt und der Marsch durch die Porta Romana gegen Lodi angetreten.

Es war wirklich bemitleidenswert, die höhnischen Ausbrüche der Freude der Lombarden zu sehen, als sie die Dispositionen des Marschalls gewahrten, der im Tagesbefehl Turin als die Losung angab und gegen Lodi zog. Ein Mailänder Lion machte sogar den Witz, auf die Porta Romana mit großen Buchstaben zu schreiben: Via per Turino! Der arme Mensch!

Als die Piemontesen durch ihre Spione vernahmen, das Hauptquartier sei in Crema, die Armee nach Lodi, und am Ticino stehe nichts als eine Vorposten-Kolonne, da war die Sache Italiens bereits wieder eine gewonnene – denn der »Feind flieht«.

Die dichte Vorpostenkette am Ticino deckte aber nur die Flankenbewegung des Marschalls, der sich plötzlich nach rechts wandte und sein Hauptquartier in San Angelo nahm!

Es war gerade der 18. März – der Jahrestag des Ausbruches der Mailänder Revolution. –

Der Marschall bezog mit seiner Suite das alte Kastell von San Angelo, das diesen Abend ein Schauspiel sah, wie es wohl nie in und um seine alten, feudalen Mauern und Türme aufgeführt wurde.

Im Schlosse spielt eine Musikbande; die heiteren Klänge dringen lustig hinaus auf den grünen Plan des Dorfes, auf dem Husaren, Dragoner, Jäger, Schützen und Wiener Freiwillige bunt gemischt untereinander sitzen.

Heida! Das sind die »Schönbrunner!« – die hat der »Alte« gern! Machen wir ein' »Steirischen!«

Die frischen Burschen springen lustig auf, fassen einander und tanzen jubelnd und johlend um die lagernden Gruppen herum, solange, bis selbst die ernsten Kanoniere und Grenadiere sich bewegen lassen »mitzutun«!

Endlich mischen sich auch Offiziere, selbst Generäle unter die lustigen Reigen, und der »Alte« schaut, auf seinen Stock gestützt, lachend zu. –

Aus den Fenstern der Häuser ringsum aber schauen dunkle, flammende Augen finster hinab auf das fröhliche Treiben der »Barbaren auf der Flucht!«

Endlich brach die Nacht heran, die Soldaten zogen sich wieder an die Feuer zurück und streckten die müden Glieder zur kurzen Ruhe aus. –

Am 19. war das Hauptquartier in Torre bianca am 20. in Pavia.

Um zwölf Uhr mittags lief der Waffenstillstand ab. – Bis dahin wurden alle Veranstaltungen getroffen, um den Ticin mit dem Schlag zwölf zu überschreiten, und die Feindseligkeiten zu beginnen. – Pioniere standen an dem Ufer des Flusses, in drei Abteilungen postiert, um in dem entscheidenden Augenblicke die Brücken zum Übergang zu schlagen, von Gravelone an bis weit über die Pavia hinaus standen die dunklen Heeressäulen Österreichs, um über sie in das Land des Feindes einzudringen.

Als vom Turme zu Gravellone herüber der erste Schlag der zwölften Stunde ertönte, geriet plötzlich das regste Leben in die bisher regungslos haltenden Massen; die Pioniere sprangen in die Pontons, und während die ersten Kolonnen die Brückenanfänge betraten, bahnten jene ihnen unter den Augen den sicheren Bohlenweg an das sardinische Uferland.

Die Ankunft der verschiedenen Armeekorps an dem Übergange war so genau berechnet, dass die Truppen ohne alle Stockung und Unterbrechung von Mittag bis zwei Uhr nach Mitternacht über die drei Brücken passierten. Vorwärts nach Turin! –

Ohne auf einen andern Widerstand zu stoßen als auf ein leichtes Schützenbataillon, das nach einigen Schüssen entfloh, erreichten das zweite und dritte Armee-Korps Carbonara und Gropello, jenes Stück klassischen Bodens, auf dem der Konsul Bonaparte seine ersten Lorbeeren holte und später Suwarow an der Spitze der österreichisch-russischen Heere die Generale Moreau und Macdonald schlug.

F. M. L. d'Aspre fand es sehr auffällig, dass er die wichtige Position von la Cava ganz unverteidigt antraf und demnach unbeanstandet besetzen konnte; hier zeigte sich das erste Ergebnis der kühnen und klugen Kombination des Marschalls, um den Feind über seine Absichten zu täuschen.

Als jener hörte, dass Radetzky gegen Lodi zog, nahm er an, dass der Marschall nirgends als bei Piacenza über den Fluss zu setzten beabsichtigen könne und ließ daher die Stellung und die Straße über Gravellone unbesetzt. –

Die verlorene Schlacht von Novara resultierte aus diesem Versäumnis; General Romarino erhielt den Marschbefehl nach la Cava vom 16. datiert, ob er bis zum 20., an welchem Tage der Marschall den Fluss übersetzte, sich diesem hätte entgegenstellen können, und mit welchem Erfolge, ist unnötig zu erörtern; er ward für dieses Versäumnis von einem Kriegsgerichte verurteilt und – erschossen. –

Ohne der mindesten Ahnung, das Radetzky die Offensive ergreifen werde, hatte der König an demselben Tage, den 20. die fünf Divisionen, mit denen er in die Lombardei eindringen wollte, zum Übergange an dem Ticino aufgestellt: die Division des Kronprinzen stand in Trecate, die Division Perrone bei Romentino, die Division Bés bei Cassolnovo und die Durandos bei Vespolato.

Die Reservedivision hielt bei Novara. –

Es schlug zwölf Uhr, der Waffenstillstand war abgelaufen. – Der Kronprinz stand mit seiner Avantgarde an dem Brückenkopfe von Buffalora, den Übergang des Marschalls erwartend.

Es kommt kein Marschall, nicht ein Mann noch Maus! Es ist nicht anders, der Feind ist auf der Flucht! Der tollste Jubel bemächtige sich der piemontesischen Armee, deren Erscheinen allein dazu hingereicht hatte, die »Barbaren« in wilder Flucht hinter die Adda zu jagen. –

Es wird ein Uhr, es zeigt sich noch immer nicht einmal eine österreichische Patrouille.

Da beschloss der Kronprinz eine Rekognoszierung über den Fluss vorzunehmen, aber der König hielt ihn zurück; »er wollte der erste sein«, heißt es in den Erinnerungen eines österreichischen Veteranen, »der die Brücke überschritt und mit entblößtem Haupte, wie ein Gottfried von Bouillon, als er Jerusalem ansichtig ward, ging Karl Albert zu Fuß an der Spitze einer Kompagnie Bersaglieri über die Brücke, noch einmal, aber zum letzten Male das Gebiet seines einstigen Freundes und treuen Bundesgenossen feindlich zu betreten.«

Auch hier, bis Magenta gekommen, sah und hörte man nichts von den Österreichern.

Der Herzog von Genua blieb mit seiner Division auf dieser Seite des Flusses stehen, der König zog sich wieder nach Trecate zurück.

So kam die Nacht, und erst mit ihr erhielt der General en Chef die Hiobspost von dem Übergange der Österreicher unterhalb Pavia.

Zugleich meldete General Bés auch, das Ramorino die Stellung bei La Cava gar nicht besetzt hatte, sondern von der Armee abgeschnitten, an dem rechten Ufer des Po lagerte.

Chrzanowsky eilte mit angstbleichen, verstörten Zügen nach dem Quartiere des Königs, den er eiligst wecken ließ. »Sire!« meldete er mit bebender Stimme, »der Feind flieht nicht, wie wir geglaubt haben, sondern er wird uns angreifen auf sardinischem Boden. Er hat den Ticino bei Pavia passiert!«

Der König sprang erschreckt auf und rief: »Bei Pavia und Romarino?«

»So ist's, Sire! Der General steht am rechten Po-ufer, abgeschnitten, wenn nicht schon gefangen!«

»Mein Gott! Wer hat denn aber gerade diesem Aventurier einen so wichtigen Posten anvertraut?«

Chrzanowskys bleiches Antlitz überflog eine brennende Röte bei dem Worte »Aventurier«, das der König vielleicht in diesem Augenblicke ihm, dem Polen ohne Absicht entgegenwarf; aber er bezwang seine Aufregung und antwortete mit einer leichten Neigung des Kopfes. »Ich war's, Sire!«

Der König biss die Lippen verlegen übereinander und schritt einige Male nachdenklich im Zimmer auf und ab; dann fragte er rasch: »Woher haben Sie die Nachricht, General?«

»Von dem Divisions-Kommandanten Bés aus Cassolnovo!«

»Hatte Bés bereits einen Konflikt mit dem Feinde?«

»Das nicht; aber das versprengte Schützenbataillon Manaras, das um la Cava streifte, stieß zu seinen Truppen und brachte ihm die Kunde von dem Übergange der Österreicher!«

»So! – Nun, wir müssen uns trösten, dass das Sprichwort nicht immer eintriffe:

»Fortes fortuna adjuvat.«

… und hoffen, durch Tapferkeit zu erzwingen, was uns das Glück versagt, einmal wird ja die launische Göttin auch dem alten Österreicher den Rücken kehren!«

Der General sah mit düsterem Blicke vor sich nieder und antwortete nichts.

Der König ging einige Male rasch auf und ab, dann blieb er plötzlich vor Chrzanowsky stehen, fasste ihn bei der Schulter und fragte mit scharfen, eindringlichem Tone: »Sagen Sie mir aufrichtig, was Sie von dem Anfang des Feldzuges denken; aber aufrichtig, hören Sie!«

Chrzanowsky schwieg eine Weile nachdenkend, dann sprach er mit offener Miene: »Sire, die Antwort erhielten Sie in Magenta!«

Der König zuckte, wie von einem Stiche getroffen, zusammen; er gedachte des Augenblickes, wie er seiner Ansicht nach ein anderer Curtius sich für Italiens Wohl in Not und Tod stürzend, heute Mittag in dem ersten Orte auf lombardischem Boden aufgenommen wurde. Die Einwohner von Magenta verweigerten ihm sogar einen Kundschafter, um sich über die Österreicher und ihre Stellungen Nachricht verschaffen zu können. –

»Sie haben recht, die Lombarden sind undankbar –«, sagte er mit dem Lächeln der bitteren Erinnerung an den Tag, wo er vor sechs Monaten Mailand verließ, in finsterer Nacht, um das bedrohte Leben zu retten.

Der General sah den König mit mitleidigem Blicke an und fragte, um seine düsteren Gedanken zu verscheuchen: »Welche Maßregeln halten Ew. Majestät für jetzt an der Zeit?«

Der König sagte rasch: »Jedenfalls unverweiltes Aufsuchen des Feindes; wir dürfen nicht zugeben, dass er uns angreift –«

Der General zuckte mit den Achseln und verabschiedete sich von seinem Gebieter.

Er ließ den Herzog von Genua noch in der Nacht das lombardische Gebiet wieder räumen, was eine moralische Niederlage von großer Bedeutung war, da die Einwohner des besetzten Landstriches sich dieses fluchtähnlichen Manövers nicht zu erklären wussten und die Nachricht davon in Mailand, das bereits von Siegen und Triumphen träumte, alle Begriffe verwirren musste. –

Den 21. vor Tagesanbruch bewegten sich schon die Divisionen Bés und Durando in raschem Marsche ihren neuen Stellungen zu, die erste gegen Vigevano, die andere nach Mortara hin.

Erst gegen zwei Uhr nachmittags stieß die Avantgarde des Divisionärs Bés auf die österreichische. Diese bestand aus der Brigade Strassoldo, die nach einem kurzen Kampfe die feindlichen Tirailleurs zurückdrängte und Bés in Vigevano angriff.

Um diesen Ort wütete der Kampf mit wechselndem Glücke, aber gleicher Tapferkeit von beiden Seiten geführt bis spät in die Nacht hinein, die demselben hier ein Ende macht – bei Mortara hatte ihn inzwischen der Sieg der österreichischen Waffen beendet. –

Obwohl der König bei Anbruch der Nacht noch keine Ahnung von der Niederlage seiner Truppen hatte, war er doch müde und gebrochen im Gemüte, als die Finsternis den Waffen Ruhe gebot.

So hatte er sich den Anfang nicht gedacht! – Gedrängt durch die Manöver einer fluchwürdigen Partei, seines Landes nicht, jener lombardischen Flüchtlinge, die seit dem Eingehen des Waffenstillstandes mit ebenso großer Umsicht als seltenem Glücke allen Einfluss auf den aufgegebenen Mann an sich gerissen, hatte er sich für den Krieg entschieden. – Er erkannte, dass er den Krieg führen müsse, wolle er der Republik entgehen.

Aber man hatte ihn getäuscht; man sprach ihm von der Sehnsucht der Lombardei, sich bei seinem Anrücken wie ein Mann gegen Österreich zu erheben – und er wurde kalt empfangen, des Landes Sympathie schienen für Österreich. Und auch er hatte sich getäuscht; er war ein stolzer Fürst, er konnte es nicht überwinden, den verunglückten Erfolg des vorigen Feldzuges der Schwäche seiner Truppen den tapferen Österreichern gegenüber zuzuschreiben; er hielt das für Missgeschick, was Gottesgericht war!

Diesen Krieg hatte er nicht mehr für Italien unternommen, Rache zu nehmen war er ausgezogen an den Österreichern, die es gewagt, ihn zu besiegen, und an – Mailand, das es gewagt, den Besiegten des Verrats zu beschuldigen. Ein Augenzeuge beschreibt den Zustand Carl Alberts vor Vigevano also:

»Der König brachte diese Nacht unter freiem Himmel in der Mitte der Brigade Savyoen zu, in eine wollene Decke eingehüllt, als Polster unter dem Haupte den Tornister eines Soldaten, neben ihm einige Diener, die die Ruhe ihres Königs überwachten; seine lange Gestalt lag ausgestreckt auf dem Boden, sein Gesicht war bleifarb, krampfhafte Zuckungen bewegten die Muskeln desselben, sein rechter Arm war in beständiger Bewegung; schwere Träume schienen die Seele des unglücklichen Fürsten zu ängstigen.« –

Doch wie kam das in Mortara?

Auch dort war unter beständigen Neckereien und Gefechten der Tirailleurs und Vorposten die Nacht angebrochen, und zwar eine rabenfinstere Nacht.

Dass es die Österreicher wagen würden, in einer solchen einen Angriff zu wagen, und noch dazu gegen eine um fast das Doppelte überlegene Macht – d'Aspre stand mit 15 000 Mann 24 000 Piemontesen gegenüber – das erwarteten die Piemontesen nicht, und dies war eine Hauptursache ihrer Niederlage.

Erzherzog Albrecht war der Held dieses Tages; er griff mit seiner Division rasch an, und die lebhafte Kanonade, die in dem Zentrum seiner Aufstellung unterhalten wurde, brachte bald die piemontesische Brigade Regina, die gegenüber hielt, in Unordnung. Dieselbe floh, und Oberst Benedek verfolgte sie in die Stadt hinein.

Hier entspann sich einer der merkwürdigsten Kämpfe dieses Feldzuges, der seinen glorreichen Ausgang nur der Entschlossenheit und dem Mute Benedeks verdankt.

Mit einem Bataillon des Regiments Gyulai und zwei Jägerkompagnien war er in die Stadt Mortara eingedrungen.

Die engen Straßen derselben waren noch mit den Resten der flüchtenden Brigade Regina angefüllt und verstopft; die Einwohner drängten in wildem Jagen den Toren zu, von den Türmen heulten die Glocken und vollendeten das schauerliche Nachtstück.

Das Bataillon Paumgarten, das Benedek folgte, hatte sich der Häusergruppen an der Porta di Milano bemächtigt und diese besetzt; Gynlai befand sich plötzlich in der Hauptstraße Mortaras, abgeschnitten und dem Feinde gegenüber.

Benedek verbarrikadierte sich, so schnell als es ging, an der Porta die Vercelli mit einem umgestürzten Pulverkarren und dessen erstochenem Bezuge. Doch schnell erkannte er, dass dieser Punkt nicht haltbar sei, dass sich die fliehende Brigade nur zu wenden brauchte, um ihn im Rücken zu nehmen.

Wagen gewinnt!

»Hurrah, meine Kinder, greifen wir lieber selbst an, als uns angreifen zu lassen!« ruft er mit schallender Stimme uns springt der Erste über die Barrikade dem Feinde entgegen.

Mit stürmischem Hurrah, das sich an den hohen, finsteren Häusern zehnfach bricht, das Bataillon mit gefälltem Bajonett ihm nach, und zum Jubel wird das Schlachtgeschrei, und die trotzigen, bärtigen Gesichter der Soldaten erhellt ein sonniger, stolzer Glanz, als sie ihres Führers gewaltige Stimme den Feind zum Strecken der Waffen auffordern hören!

Die List gelingt, der Feind, der die Stärke Benedeks in finsterer Nacht zu schätzen nicht vermag, ergibt sich – mit 2 000 Mann, sechs Kanonen, den Batteriekarren und einer Menge Bagagen, worunter auch der Marstall und das Gepäck des Herzogs von Savoyen. –

Als Durando, der dem Gewehrfeuer nach einen Sturm auf Mortara vermutete, Succurs schickte, war es zu spät und die Stadt bereits von dem inzwischen nachgerückten zweiten Bataillone von Gynlai unter Major Pötting besetzt.

Während Benedek Mortara nahm, stürmte General Kolowrat San Albino; kaum war dieses geschehen und die Kommunikation der Brigade wieder hergestellt, als abermals Gewehrfeuer vor dem Tore Mortaras erdröhnte, das von einem sonderbaren Kampfe herrührte. Es waren die Hilfstruppen, die der Herzog von Savoyen unter dem Kommando La Marmoras nach Mortara sandte, an dem Tore auf die Reste der Brigade Regina gestoßen, die in der Angst der Flucht die Ankommenden für Feinde hielten und auf die Ihrigen schossen.

Eine heillose Verwirrung bemächtigte sich der Massen. Von der Stadt heraus drang Benedek mit seinen Bataillonen, in der rechten Flanke stürmte Erzherzog Albrecht heran und attackierte die Brigade Cuneo, die der Herzog von Savoyen selbst führte, während d'Aspre die Brigade Durando angriff und schlug. La Marmora, der die Gegend nicht kannte, verirrte sich von seiner Truppe, die sich ergab, und kam mit nur fünfzig Mann zu dem Herzoge von Savoyen, der sich gegen Robbio zurückzog.

Die Mitternacht war nahe, als um Mortara kein Pienmontese mehr stand und die nach dieser Stadt benannte Schlacht gewonnen war. –

Alle, tags darauf eingezogenen Erkundigungen bestätigten, dass der Feind sich gegen Novara zu gezogen habe und allem Anscheine nach entschlossen sei, dort eine Schlacht »anzunehmen«.

Anzunehmen, armer König! Wie sind Deine stolzen Träume von Siegen und Triumphen so schnell zerstiebt! Die Spada d' Italia funkelt nicht mehr im kühnen Waffenspiele um den eisernen Königsreif der Langobarden, die ficht den Verteidigungskampf der eigenen Krone! –

Chrzanowsky traf erst in der Nacht in Novara ein; er hatte unterwegs die Überreste der geschlagenen Divisionen Bés und Durando getroffen und unter seine Truppen eingeteilt; jedoch erst als der Morgen des 23. anbrach, war es ihm gelungen, alle seine Streitkräfte zu konzentrieren. –

Seine Lage war eine äußerst schwierige, ja sogar verzweifelte. Wäre sein Plan, sich an die Sesia zurückzuziehen und dann mit konzentrierten Kräften auf einem Punkte gegen die Österreicher vorzugehen, nicht durch die Niederlage seiner Generale bei Mortara zunichte gemacht worden, so hätte der Feldzug sich in die Länge ziehen können und wenigstens jene Chancen gehabt, die die Zeit mit sich bringt. Nun aber blieb ihm nichts mehr übrig, als den Ausgang des Krieges dem Gott der Schlachten anheim zu stellen – »die Strategie war zu Ende, die Taktik musste ihre Rechnung geltend machen«. –

Es war ein trüber, regnerisch aussehender Tag, der 23. März 1849.

Das Hauptquartier des Marschalls befand sich in Borgo Lavezzaro.

Der Hof vor dem Hause, das der Marschall bewohnte, wimmelte von Offizieren und Ordonanzen. Adjutanten sprengten ab und zu, die Stabsdragoner saßen auf und stellten sich vor dem Hofe in Bereitschaft, und drinnen absolvierten die disponiblen Offiziere und zur Suite gehörigen Parteien das Frühstück mit eiliger Hast, denn bereits seit einer Stunde erscholl von Novara her das Knallen der Geschütze.

Die Schlacht hatte begonnen.

Um den Hof herum wogten die Männer und Weiber des Dorfes in neugierigen, plaudernden Haufen und schauten scheu herein nach den abenteuerlichen Gestalten der Seressaner, die seit dem Abmarsche von Mailand die Leibwache des Marschalls bildeten.

Als der »Alte«, durch das immer zunehmende Schießen gelockt, herauskam – es wechselten bereits ganze volle Lagen mit einzelnen Schüssen – wurden im Hofe auf dem abgeräumten Tische die Generalstabs-Karten Piemonts und der Situationsplan Novaras ausgebreitet, und die Adjutanten verfolgten hier, aus den eingelaufenen Meldungen den Stand der Dinge kombinierend, den Gang der Schlacht.

Der Marschall ging schweigend, aber ruhig im Hofe auf und nieder.

Als aber die Meldungen immer ernster, die Kanonade immer stärker wurde, hielt er es nicht mehr länger aus in dem tiefliegenden Gebäude, bestieg mit seiner Suite die bereit und gesattelt stehenden Pferde und ritt hinaus, dem Orte des Kampfes zu.

Hinter Nibiola, einem kleinen Dorfe, ungefähr eine Miglie von Novara entfernt, ritt der Marschall auf den Kamm eines freistehenden Hügels, von dem aus man den Kampfplatz ganz übersah.

In grauen, aber deutlichen Umrissen zeichneten sich hier die Türme Novaras durch den Schleier des Pulverdampfes ab.

An die Stadt gelehnt und um sie herum standen die Piemontesen. Das hügelige Land war meisterhaft zur Aufstellung ihrer acht- und sechzehnpfündigen Batterien benützt, die, rasch und gut bedient, entsetzlich in den Reihen der Angreifenden wüteten.

Als der Marschall das Schlachtfeld überblickte und gewahrte, dass bloß ein Armeekorps hier gegen die gesamte Macht des Feindes halte, gab er sogleich Befehl, dass das dritte und das Reserve-Korps in Eilschritten vorrücke; er sah dabei seine Adjutanten lächelnd an und sagte, mit der Hand gegen Novara deutend: »Da schaun's hin! Der alte d'Aspre!«

Es lag ebenso viel Anerkennung als Tadel in diesem Lächeln Radetzkys, denn seit fünf vollen Stunden schlugen sich hier die beiden Divisionen Erzherzog Albrecht und Schaffgotsche unter dem Kommando des heißblütigen d'Aspre gegen die Hauptmacht des Königs, 20 000 gegen 50 000 Mann!

Aber d'Aspre wusste mit diesen Führern und diesen Truppen könne er getrost allein einen Choc wagen – und er wagte ihn!

Erzherzog Albrecht führte die Regimenter Kaiser und Franz Karl zum Sturme auf Montebello, ihm nach folgte eine halbe Raketenbatterie.

Die Soldaten, von dem tapferen Prinzen geführt, jubelten dem Tode entgegen, der aus den unausgesetzt aufdonnernden Batterien in ihre Reihen fuhr, ein Bataillon um das andere rückte in die Sturmlinie vor, die kecken Tirailleurs drangen sogar bis in die Nähe der Königs.

Inzwischen war auch die linke Flanke von den Piemontesen angegriffen worden, doch ohne allen Erfolg trotz der Übermacht der Geschützpiecen, die General Solaroli ins Feuer brachte. Oberst Kielmansegge verteidigte und hielt Torrione Quartara unerschütterlich und treu – bis in den Tod, der ihn traf, als sein brechendes Auge vier Bataillone Reserven zum Entsatze anrücken sah.

Im Süden der Stadt Novara erhebt sich eine sanfte Höhe, über deren Kamm der Straßenzug nach Mortara führt. Auf dem Gipfel dieser Anhöhe, fast in deren Mitte, liegt ein Kirchlein von einigen Häusern umgeben, die Bicocca genannt.

Dieses Punktes wollte sich der Erzherzog um jeden Preis bemächtigen und begann, ohne die vierfache Stärke des Feindes zu beachten, den Kampf darum, in den nach und nach das ganze Armeekorps gezogen wurde, ohne dass er sich entschied, bis der General Bés fiel, der hier kommandierte, worauf Unordnung unter der Besatzung einriss, der die wildeste Flucht folgte.

In diesem entscheidenden Augenblick erschienen die Fahnen der beiden nachgerückten Armee-Korps auf den Höhen, lustige, kriegerische Musikklänge tönten nieder wie heitere Grüße der Kameraden auf den weiten Schlachtplan und – tausendstimmiger Jubel erscholl. Der Marschall ritt im kurzen Trabe herab auf das rauchende Leichenfeld.

Hatten die Soldaten früher mit Heldenmut gefochten, so drangen sie jetzt mit glühendem Enthusiasmus vor!

Fünf ungarische Grenadier-Bataillone von lauter abgefallenen Regimentern hatten beim Abmarsche von Pavia den Feldmarschall gebeten, die Schmach, die ihre ehr- und eidvergessenen Brüder in Ungarn dem Namen ihrer Regimenter angetan, beim nächsten Sturme mit ihrem Blute abwaschen zu dürfen; er hatte es ihnen zugesagt, und diese prächtigen Bataillone, das von Wasa voran, brachen jetzt auf, das feindliche Zentrum zu attackieren.

In dem Augenblicke, als Erzherzog Albrecht die Bicocca und die daran stoßenden, mit Batterien besäten Hügel nahm, war das Zentrum des Feindes durchbrochen und die Schlacht entschieden.

Noch einmal versuchte der tapfere Herzog von Savoyen, dem drei Pferde unter dem Leibe getötet wurden, die Trümmer des Heeres zu sammeln und den Siegern in den Weg zu stellen – allein sie wurden von den anschwellenden Massen zurückgedrückt, auch er musste sich zur Flucht wenden. –

Der König stand auf dem zerschossenen Walle der Stadt, mit starrem Blicke und ohne der um ihn her sausenden Kugeln zu achten, seinem fliehenden Heere nachschauend: »Lassen Sie mich!« sagte er zu dem General Durando, der ihn von dieser gefährlichen Stelle wegführen wollte, »lassen Sie mich sterben, das ist mein letzter Tag!« –

Furchtbare Nemesis! Es war der 23. März!

An demselben Tage vor einem Jahre hatte der König den ersten Schritt getan auf dem Wege des Unrechtes und des Verrats – es war der Jahrestag seiner Kriegserklärung an Österreich. –

Eine Stunde darauf erschien der General Casato bei dem Marschall mit der Bitte um Einstellung der Feindseligkeiten und Waffenstillstand. –

Um neun Uhr nachts ward der letzte Akt der Tragödie dieses Feldzuges abgespielt, und zwar in dem Saale der Prätura zu Novara.

Der König hatte um die Prinzen, den anwesenden Minister und um die Generale seiner aufgelösten Armee gesandt, und diese Männer harrten bleichen Angesichts und mit bange klopfenden Herzen der Dinge, die da kommen sollten.

Endlich trat der König in den Saal.

Er sah grauenhaft blass aus, seine großen, dunklen Augen lagen tief in ihren Höhlen und sahen wie durch einen Schleier heraus, sein Haupt hing müde nach der Seite: aber sein Schritt war fest und seine Stimme voll und tönend, als er in den Kreis trat, der sich mit der Ehrfurcht des Mitleides vor der gefallenen Größe verbeugte.

»Meine Herren!«, sprach er feierlich, »ich habe mich für die Sache Italiens geopfert – aufgeopfert! Ich bin besiegt und muss um Frieden bitten, aber ich kann mich nicht entschließen, ihn zu unterzeichnen. Da ich den Tod nicht fand, den ich suchte, da will ich dem Lande das letzte Opfer bringen: ich lege die Krone nieder und entsage ihr zu Gunsten meines Sohnes, des Herzogs von Savoyen!« –

In sprachlosem Erstaunen starrten die Anwesenden den König an, der darauf seine Kinder umarmte, den Generalen mit traurigem Lächeln Lebewohl zuwinkte und den Saal verließ.

Er begab sich in sein Gemach und sank in einen Stuhl. – Nach einem kurzen, harten Kapme mit seinem Herzen setzte der sich tief seufzend an den Tisch und schrieb – lange, lange.

Dann siegelte er das Schreiben, überschrieb es: »An die Königin« – und verließ die Prätura. –

Der Marschall schloss seinen Siegesbericht an das Kriegsministerium mit den Worten: »Jeder einzelne war ein Held. Um gerecht zu sein, müsste ich eigentlich alle nennen, denn der tapfere Einklang von oben herab war der gerechten Sache, die wir für unsern Kaiser verfochten, im höchsten Grade würdig. Ich wünsche Sr. Majestät Glück zu so einem Heere. Viribus unitis war der Wahlspruch dieser Schlacht!« –


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