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4.
Verona.

Neben der Lunetta, die den Brückenkopf des Ponte di Castell Vecchio über die Etsch in Verona verteidigt, steht ein kleines, ärmliches Wirtshäuschen.

Allein es war in der ganzen Stadt bekannt, das heißt, unter der Veroneser Garnison, dass der alte Klement – das war der Name des Wirtes, eines Deutschen und ehemaligen Soldaten – ein kreuzfideler Mann und der Rote »di val Polizzella« nirgend weitum feuriger und echter sei als in der Kneipe »alle tre pinie«. Deswegen konnte man auch sicher sein, die beiden rauchgeschwärzten Kabinette da nicht nur nach dem Rapport oder Befehle mit Soldaten aller Waffengattungen vollgepfropft anzutreffen, sondern man hatte selbst zu andern Stunden Not, da einen leeren Stuhl zu finden; denn seit der Marschall und die Armee nach Verona gekommen waren, gab es eine ganz andere Diensteinteilung als sonst in Friedenszeiten, wo es wahrhaftig galt, das leidige: »toujours perdrix« – alle Tage früh Rapport, nachmittags Befehl und nachts Zapfenstreich.

Jetzt aber gab es ganz andere Dinge zu tun: Patronen zu machen, Raketen zu schlagen, Granaten und Shrapnels zu füllen, Scheibenschießen, Bajonettfechten; denn »Hannibal ante portas!« – Längst klirrte und funkelte drohend die »Spada d' Italia« diesseits des Ticino, und heran zog in mächtigen Scharen das junge Italien über den Po, die Adda und den Oglio, um Österreichs enfant perdu, die Garnison Veronas, zu erdrücken und »zu vernichten«.

Da sah man denn zu allen Stunden des Tages und selbst der Nacht sich ablösende Arbeitskompagnien die Stadt durchziehen, und was über die Brücke musste, machte gut zum Drittteil immer Halt in der Boutique des alten Klement.

Er hielt auch deutsche Zeitungen, die »Wiener« und »Die Allgemeine«, die regelmäßig tagsüber einige Male vorgelesen wurden; wie horchten die guten Burschen da, wenn sie hörten, wie daheim alles jubilierte von dem Riesengebirge und den Karpaten bis hinunter zum Golf von Cattaro, während sie noch immer nicht wussten, was es denn eigentlich solle damit, und nach wochenlanger Mühsal und Not noch immer dasaßen und verdrießlich harrten, bis der »Alte« das heißersehnte »Marsch« erschallen lassen werde längs den grünen Ufern der Adige zu des Mincio.

Nur Geduld, Ihr braven Burschen! Lasst ihn nur walten den lieben Herrgott und den Vater Radetzky, bis die Stunde schlägt des Gottesgerichtes zwischen Treue und Verrat! Der »Alte« schleift den Degen!

Nur Geduld und unverzagt, ihr ehrlichen Soldatenherzen! Der »Alte« hat gar viel, gar riesenhaft viel zu schlichten und zu richten, ehe er wieder auf seinen Schimmel steigen kann und rufen: Marsch Kinder! Mit Gott für Österreich! Lasst ihm nur Zeit, der »Alte« schleift den Degen, um, wenn die Stunde kommt, scharf und schneidig niederzufahren an der Spada d' Italia!

Diese Gattung von Trost ungefähr entwickelte seinem Auditorium ein strammer, brauner Feldwebel, der in der zweiten Abteilung der Restauration des alten Klement in dem sogenannten Kadettenzimmer an dem Mitteltische präsentierte.

»Lasst nur gut sein, Kameraden!« sagte er mit wichtiger und zuversichtlicher Miene, »das ist nicht nur so, dass man alle Tage hergeht und liefert eine Schlacht – das braucht mehr, als dass wir die Patronentaschen voll und das Eisenzeug blank haben, nicht wahr, Bruder Constabler?«

Hierbei wandte er sich an seinen Nachbar, einen starken, blatternarbigen Mann in Artillerie-Uniform, der aus einem ungeheuren Meerschaumkopfe dampfte wie ein Hochofen. Obwohl er außer dem Veteranensterne nichts Auszeichnendes an sich trug, erkannte man doch auf den ersten Blick die Charge in ihm und die Reliquie aus jener artilleristisch vorsündflutlichen Zeit, wo man auf den Kanonier nur zu tippen brauchte, so ging eine Formel aus dem »Vega« oder ein Logarithmus los; die Kapitulationsherabsetzung hat sie fast alle weggefegt, diese ehrenwerten Säulen der alten Colloredischen Schule!

Der Korporal erhob ein wenig den grauen Kopf und schob seine Lagermütze zurück, dann sagte er langsam: »Das ist rein! Was nützt Euch alles andere, wenn wir nicht in Ordnung sind? Die Artillerie macht alles aus, drum kann früher keine Rede von einem Marsch sein, als bis wir die Geschützparks ganz und gehörig ausgerüstet haben, he! Dann kann's losgeh'n!« dies sagte er mit einer Zuversicht, als ob er soeben vom Marschall komme, der es ihm im Vertrauen zugesteckt.

»Hoho! Aber mitnehmen werdet Ihr uns doch, bitt' recht schön!« lachte der Feldwebel.

»O ja, natürlich, zu unserer Bedeckung!« erwiderte mit Gönnermiene der Kanonier.

Der Feldwebel zog sein Gesicht in höhnische Falten und schickte sich an, dem arroganten schweren Geschütz etwas zu entgegnen, als der alte Klement in der Zwischentüre erschien und ihm geheimnisvoll zuwinkte.

Er stand auf und trat zu dem Wirte. »Was gibt's, Alter?« fragte er leise.

Dieser flüsterte ihm hastig zu: »Ich meine – es ist vielleicht nichts daran – aber man kann nicht wissen.« –

»Nun heraus, in aller Teufel Namen, was ist los?«

»In dieser Zeit – man kann niemand trauen –«, fing der Wirt abermals an.

»Ja, was meinst Du denn eigentlich, Du bist ja verrückt!« polterte der Feldwebel ungeduldig hervor.

»Pst, pst!« beschwichtigte Klement und zog ihn unter die Türe: »Schaut Euch einmal den Mann dort an, den an dem zweiten Tische!«

»Den Zivilisten?«

»Ja, der kommt mir verdächtig vor – hat mir schon gestern nicht gefallen, sein Getue mit den Ungarischen – er gibt sich für einen Musikanten aus – gebt nur acht, bleibt eine Weile still!«

»Geh', alter Narr! Es wird ein Landsmann von ihnen sein, ein Fiumaner oder so was!« sagte der Feldwebel gleichgültig und wandte sich verdrießlich um, als ein Ton sein Ohr traf, der ihn an die Schwelle bannte.

Dieser Ton – doch wir müssen früher mit der Gesellschaft in dem ersten Zimmer der Schenke etwas bekannt werden.

Auf den ersten Blick hätte man sie für die ganz gewöhnliche einer Boutique dieser Klasse gehalten.

Auf den, längs den Wänden hinlaufenden Bänken Soldaten aller Waffengattungen, den Wein meist aus den blechernen Zeltflaschen trinkend, die gewöhnlich auch zur Arbeit auf den Wällen und in den Laboratorien mitgenommen wurden; die Tische mit eben solchen Gästen besetzt, die jedoch aus den grünen Glaspokalen des Wirtes tranken, eine Vergünstigung, deren übrigens jeder teilhaftig werden konnte, der über so viel überflüssige Centesimi gebot, um nebst dem Weine auch ein frugales Bohnen- oder Polentagericht anschaffen zu können.

Am meisten wurde an dem zweiten Tische von der Türe her getafelt: Da glitt der bescheidene Hornlöffel nicht kümmerlich durch die kärglich geschmorte Polenta, stolz klirrte die Gabel und rasselte das Messer in dem saftigen Kerne des Bratens, gewaltige Humpen voll Weines standen da zur gemeinsamen Benützung, man trank in der Runde, und so oft die frisch gefüllten Pokale klingend an einander fuhren, erscholl ein feuriger, donnernder Toast.

Ungarische Soldaten waren es, die da saßen in dulci jubilo; und in ihrer Mitte der Mann, der »Civilist«, auf den der Wirt die Aufmerksamkeit des Feldwebels gelenkt hatte; der musste die Debuche arrangiert haben und vermutlich auch bezahlen: denn wo käme da Geld zu Braten her bei dem Traktament?

Und das geht schon sein zwei Tagen so, sagte der alte Klement; seit der »Civilist« da ist, haben die Burschen alle mehr Geld, als wohl je in dem Beutelsacke ihres Köpernök geklungen, da sie noch den Fokos schwangen an den Ufern des blauen Balaton.

Der »Civilist« ist ein schmucker, schlanker, brauner Bursche; ist er, wie er sagt, ein Musikant, so ist er sicher ein Kind Pharaons, jenes rätselhaften Volkes, das seit Jahrhunderten flüchtig durch die Welt zieht, lungern, bettelnd, stehlend – heimatlos und nirgend rastend als im grünen, schattigen Walde, dessen Kronen ihnen noch immer dasselbe Schlummerlied singen, das von den Palmen Indiens niedergeklungen zu den Wiegen ihrer Ahnen, die an den Ufern des heiligen Flusses standen, aus dem die Lotosblume ihr Blütenhaupt erhebt.

Holla! Jetzt ist das lukullische Mahl zu Ende! Sie springen alle auf, die braunen, lustigen Söhne der Pußta, und die feinen, bebenden Füße schlagen schallend die Paganczen aneinander, an denen leider, die nationale Zier, der Sporn, fehlt.

Da setzt es einmal wieder in Stück Magyarentum auf italischem Boden!

Richtig! Da bringt schon einer ein Geiglein heran – eine kleine, rohe, eckige Guzla, die vielleicht ein armes Mazuren- oder Goralenkind selbst geschnitzt und zusammengeleimt hat zur Zeit des langweiligen Friedens, um mit ihren Klängen die Erinnerung zu wecken an die ferne Heimat und an sein Schätzlein, das er verlassen musste.

Er ist richtig ein Musikant, der Zigeuner! Er hat die Guzla schon in der Hand und rasch gestimmt; er neigt den Kopf zur Seite und an den Bauch der Geige; wie der Blitz fährt der schmale Bogen über die Saiten, nur einige Male, entweder zur Probe, ob die Stimmung hält oder ob dies Stücklein, dessen Anfang er bringt, seinem Publikum gerecht sei.

Wie ein Sturmstoß fährt der mächtige, rasche Geigenton durch das Gemach, wie ein Ruf zu den Waffen…

Dieser Ton hat den Feldwebel getroffen und an die Schwelle gebannt mit magischer Kraft…

»Ajo, hajo! Rakozy! Eljen!« braust es rings empor, feuriger funkeln die Augen und höher schnellen die flinken Füße der Burschen, als sie den Schlachtruf des »alten Rebellen« hören, der einst leuchtend emporgestiegen an dem Himmel Ungarns, ein blutiger Meteor, um spurlos zu versinken in sein einsames, verlassenes Grab zu Rumili!

Der Zigeuner geigte den alten Marsch mit einer Virtuosität, wie sie nur seinen Stammesgenossen eigen ist im ungarischen Liede; er entlockte der armseligen Guzla Töne, die sonst nur in den geheimnisvollen Wundergeigen Stradivaris und Amatis schlummern; alles schrie, tobte, tanzte, sprang um den braunen Künstler herum in wildem, tollem Jubel – der Zigeuner geigte – Revolution!

Dies war der Gedanke, der dem sprachlos lauschenden Feldwebel wie ein Blitz durch das Gehirn fuhr.

Ohne zu wissen, was er eigentlich wolle und ohne sich Rechenschaft geben zu können, weshalb er sich bewogen, gedrängt fühlte, dem Geiger ein Halt zuzurufen, trat er hastig aus der Türe, als er sich abermals zurückgehalten fühlte von der kräftigen Hand des Wirtes der Boutique.

»Noch nicht, noch nicht, lieber Heller!« raunte dieser ihm eindringlich zu: »Es ist noch nicht alle! So ging es gestern auch – es kommt noch anders, wartet nur!«

Der alte Heller bezwang sich mühsam zum Schweigen; aber er erkannte, dass das Motiv für ihn, loszubrechen, eigentlich erst auf einer bloßen, bösen Ahnung beruhe, und der Wirt wie früher auch jetzt Recht haben möge. Er trat langsam, ohne ein Wort zu sprechen, wieder unter die Türe zurück.

Eben war, lange nach dem letzten Takte des Marsches das letzte Eljen verklungen, als die Ungarn um den Zigeuner einen engeren Kreis schlossen, aus dem sich bald eine sonore, vorlesende oder vielmehr deklamierende Stimme erhob.

Zugleich sah man in demselben Augenblicke außerhalb jenes Kreises, wie vom Himmel gefallen, eine Masse großer, bedruckter Bögen mit grünrotweißer Farbeneinfassung in aller Händen.

Auch Heller fühlte plötzlich einen solchen Zettel in seine Hand gedrückt.

Es war der Text zu jenem Marsch, der Inhalt dieser Deklamation – es war – eine Proklamation der Mailänder provisorischen Regierung an die Ungarn – gerichtet an deren rebellischen Landtag.

Ehe Heller sich von seinem Erstaunen erholen und ein Wort hervorbringen konnte – der wütendste Grimm hielt ihm die Kehle zugeschnürt, er wusste jetzt mit Sicherheit, es handle sich um Verlockung der bereits berauschten Soldaten zum Abfalle von ihrer Fahne – trat ein Ereignis ein, das sein Einschreiten abermals aufhielt.

Der Vorleser der Proklamation war nämlich gegen ihr Ende gekommen, wo es unter anderem heißt:

»O tapfere Magyaren! Vergesset nicht, was Ihr Mutter Italien schuldig seid! Italienische Hände haben den ersten Pflug geführt, welcher die Felder an Eurer Theiß bebaut hat!«

Da erhob sich ein unwilliges Murren im Kreise der Zuhörerschaft, lauter Vollblutmagyaren und bisher eben durch dies bombastische Machwerk aus Mazzinis Werkstätte aufs Unverschämteste in puncto ihrer Nationalität gelobhudelt.

Ein »Bassama« um das andere wurde unter den Ungarn laut über den Schmach, die der Verfasser und hier der Deklamator des Proklams ihrem Vaterlande angetan, indem sie Italien vor jenem irgendeine Priorität einzuräumen versuchten.

Aber das Murren wurde zum förmlichen Sturme, als der Vorleser trotzdem fortfuhr:

»Italienische Hände haben die erste Brücke über Eure mächtige Donau geschlagen, Euer ganzes Land trägt die Spuren unserer Väter. Italien hat Euch für zehn Jahrhunderte die Sprache für Eure Altäre und Gesetze, das erste Verbindungsmittel Eurer nationalen Einheit geliefert. Nach den neuen Begriffen von –«

Weiter kam der Vorleser nicht; denn zu gleicher Zeit legten sich zwei kräftige Fäuste um seinen Hals: die eine stak an dem Arme eines schwarzbraunen Sohnes der Maros, der, den Zigeuner aus Leibeskräften schüttelnd, ein um das andere Mal schrie: »Die Pest über Dich, Du Hund von einem Kesselflicker! Der Tod in Deinen Hals, der die verdammte Lüge ausspie, das edle Ungarland wäre bei dem Seidenwürmerneste in die Schule gegangen!« –

Die zweite Faust gehörte dem Feldwebel Heller zu eigen, der mit feierlich erhobener Stimme rief: »Ruhig, Ihr alle! Ich verhafte diesen Mann da als Hochverräter an unserem gnädigen Kaiser und Herrn!« Dabei riss er den Zigeuner aus dem Kreise, und auf seinen Wink nahmen in einige deutsche Soldaten in ihre Mitte.

»Du gehst nicht mit zum Stockhause, Jacopo!« sagte dann Heller zu einem jungen Soldaten, der besorgt an seine Seite gesprungen war: »Lauf' nach Hause zur Mutter und beruhige sie, falls sie etwas von der Geschichte erfahren sollte; in den Kasernen wird alles gleich übertrieben, und die Arme ist so noch immer halbtot vor Angst seit den Mailänder Tagen verfluchten Angedenkens.«

Jacopo nickte und verschwand; darauf setzte sich der Zug mit dem Arrestanten, Heller und der Wirt an der Spitze, in Bewegung, über die Brücke der Festung zu. –


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