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6.
Der Sohn des Carbonaro.

Gib dem Teufel einen Finger, so hat er dich bald ganz und gar! Das ist ein uraltes Sprichwort und zufällig auch die Moral, die der Fabel von Macbeth zu Grunde liegt.

Armer Macbeth! Das hast Du glänzend betätigt! Du konntest es zufrieden sein, dass die Geschichte Deinen blutbefleckten Namen verwischte von ihren ehernen Tafeln; brachte ihn doch der Schwan von Avon, der Deinen doppelten Fall besang, für immer auf die Nachwelt!

Du musstest es zufrieden sein, dass tausend Possenreißer, die Gott in seinem Zorne Mimen werden ließ, Deine trotzige Reckennatur zum Popanz machten! Du überließest es dem alten »Will«, sich darüber im Grabe umzudrehen und lagst ruhig tief unten in der öden, verfluchten Heide, auf deren blutigem Boden noch immer der Lauch und das Riedgras allein und einsam flüsterte im Abendwinde.

Allein am 4. Januar des Jahres 1848, als der Genius der Harmonie mit verhülltem Haupte und weinend sein Heimatland Italien verließ und nordwärts ziehend über den Twed und Cheviot, auch über Deinem Grabe sein Klagelied erschallen ließ, da klang es gar grimmig unten zusammen von rasselnden Gewaffen in der tiefe der Dunbarheide, da erfasste Dich ein gewaltigeres Grausen, als wie Banquos Geist Dir entgegentrat und der Tod Dir nahte auf den Spitzen des Lanzenwaldes von Dunlinan!

Armer Macbeth! Verdi hatte Dich in Musik gesetzt! Königsmörder! Die Rache des Himmels ruht und rastet nie! –

Zwei Akte der Oper waren spurlos in den Orkus hinabgestiegen; keine Hand hatte sich geregt. Aber auch nicht ein Laut des Missfallens war aus jenen Claquersgruppen gehört worden, die das Monopol des musikalischen Gout ansprechend, seit jeher, wenn auch nicht feil, so doch mit demselben Terrorismus wie die Claque von Handwerk, den Erfolg eines Debuts zu bestimmen gewohnt waren.

Es lag eine Langweiligkeit über dem Hause, eine unheimliche Stille, die den Kenner des politischen Wetters in Italien an jene Schwüle gemahnen musste, die einem Gewitter voranzugehen pflegt.

»Vederemo!« sagte Bernard ruhig vor sich hin und lehnte sich an eine Bank, um das Ende des soeben beginnenden Balletts »I Flibustieri« abzuwarten und dann von Neuem seine Fahrt nach Werner anzutreten, mit dem er sich nun bereits auf einer Seite befand.

Er konnte ihn von seinem gegenwärtigen Platze aus nicht sehen.

Da ging der Vorhang auf – aber statt der Antillen und ihren heißblütigen Töchtern, statt dem rauschenden Meere und seinen kühnen Piraten, trat ein ältlicher, blasser Mann im schwarzen Frack mit der jämmerlichsten Armensündermiene aus den Kulissen an die Rampen vor, und mit bebender Stimme verkündigte er einem »hohen und verehrten« Publikum folgende Märe: »Es könne eingetretener Hindernisse wegen Signora Elsler nicht auftreten…«

Ein tobender Sturm des Unwillens erhob sich in allen Räumen des Hauses: »Perche, perche povero!?« erscholl es drohend aus den Parterre hinan zu dem armen Impressario.

Da legte er sich weit vor über die Lampen und flüsterte bebend: man habe der Elsler anonyme Drohbriefe gesandt, mit der Alternative, entweder die Sizilienne in den trikoloren Farben Italiens, wie die C. in Venedig, zu tanzen, oder sich auf das eklatanteste Fiasko gefasst zu machen; und die Tänzerin habe lieber auf ihr Engagement und 10 000 fl. verzichtet, als diesem Zumuten entsprochen!

Aus den Gruppen der Offiziere und Beamten, die besonders im Parterre stark vertreten waren, erhob sich nach dieser Auskunft der herzlichste Applaus zu Ehren der loyalen Tänzerin – außer einigen halblaut gemurmelten Verwünschungen und des Rufes »Puh, schiava austriaca!« der besonders von den Galerien herab ertönte, wurde nichts laut, was eine Störung der Ruhe befürchten ließ und der dritte Akt begann.

Dieselbe Stille – dieselbe Schwüle. –

Und der Vorhang fiel abermals nieder, um noch einmal aufzurollen und zu zeigen, wie Verdis Macbeth stirbt.

Da nahm Bernard einen ernsten Anlauf, denn es war höchste Zeit, zu Werner und dessen Liebesgenossen zu gelangen und ihnen den Ort zum Rendezvous mit dem patriotischen Lombarden anzuzeigen.

Aber ehe er durch das Gewühle der den Eingang umflutenden Masse durchbrochen hatte, begann bereits wieder die Introduktion des letzten Aktes. Als der Vorhang aufrollte, stand Bernard an der Seite des Generalstäblers.

»Herr Kamerad!« sprach er diesen leise an, »ich bitte um eine Viertelstunde nach der Oper bei Canetta! Es betrifft eine Ehrensache!«

»Zu Befehl, mit Vergnügen!« antwortete jener, ohne seinen Operngucker aus der bewussten Richtung zu bringen.

Die erste Szene war vorüber, ehe es Bernard gelang, durch eine wohlberechnete Parabel um die Menschengruppe, die zwischen der Säulenöffnung lagerte, an die Seite des Dragoners zu kommen. »Herr Kamerad! Nach der Oper zu Canetta, es gilt einem Komplotte und Ihrer Ehre!« flüsterte der Missionar des Lombarden diesem ins Ohr.

»Zu Dienste!« antwortete kurz und trocken der Kavallerist und besah sich Bernard streng von oben bis unten. Dieser aber ließ sich in nichts weiter ein und suchte zu Werner zu kommen, als die zweite Szene schloss und ihn ein ebenso überraschendes als eigentümliches Ereignis aufhielt.

In der dritten Szene dieses Aktes nämlich hat der Chor folgende Strophe zu singen:

»La patria tradita
Piangendo ne invita
Fratelli! Gli oppressi
Coriamo a salvar!
Gia l' ira divina
Sull' empio ruina
Gli orribili eccessi
L' eterno stancar!«

Kaum ertönten die ersten Worte: »La patria tradita&saquo;, als mit einem Male Parterre und Logen mit donnerndem Gebrülle »bravo, bravo!&saquo; schrien; vom Chor war nicht eine Silbe mehr zu hören, Orchester und Stimmen der Sänger waren hundertfach übertönt vom Gelärme des Auditoriums.

Dies war die Stelle, die im Libretto aufgefunden den Anlass zu einer Demonstration geben musste; um dieser Stelle willen war das geist- und harmonielose Produkt Verdis nicht unterbrochen worden nach Gebühr bis hierher, darum war selbst die Weigerung der Elsler, dem Wunsche des Jokei-Clubs nachzugeben, nicht so übel aufgenommen worden, wie es sonst bei diesem verhätschelten Publikum gewiss der Fall gewesen wäre. –

Als der Chor geendet, vermehrte sich wo möglich der Lärm noch mehr – die folgenden Szenen erlaubte es dem Auditorium nicht mehr, fort zu singen, und es verlangte stets die Wiederholung dieses Chores.

Nun ist es eine alte polizeiliche Einführung in Italien, dass außer bei der letzten Aufführung einer Oper in der Stagione, nie eine Wiederholung in den großen Opern stattfinden darf.

Der Vorhang musste demnach endlich sinken, und in der Loge des Gouverneurs wurde lebhaft unterhandelt.

Da das Absichtliche und Bösartige dieser Demonstration zu sehr auf der Hand lag und die mögliche Tragweite ihrer Konsequenzen nicht zu ermessen war, so wurde entschieden, dass eine Wiederholung des Chores nicht zulässig sei, die Oper aber ihren Fortgang nehmen könne.

Als der Vorhang wieder aufging und statt der Verschworenen gegen Macbeth dessen Weib erschien, also der Chor übersprungen war, ertönte ringsum wütendes Pfeifen und wildes Geschrei: »Fiori tutti! Fora, fora! Non vogliamo sentire niente!« Und unter diesem Gebrüll drängte sich überstürzend das italienische Publikum nach den Ausgangstüren.

Bernard war mitten in dem Schwalle und mit diesem fortgerissen worden. Erst im Foyer gelang es ihm, sich außer dessen Fluktuation zu retten und seinen Anzug wieder zu ordnen.

Aber er hatte sich kaum noch von seiner Erregung und dem Verdrusse über die passive Rolle, zu der er verurteilt war, erholt, als ihm eine neue Überraschung bevorstand.

Um nämlich Werner nicht zu verfehlen und ihn eher und verlässlicher aus dem Menschenstrome herauszufinden, der sich noch immer aus allen Öffnungen des kolossalen Opernhauses heraus wälzte, stellte er sich auf den ersten Absatz der Logentreppe, von wo aus er alle Ausgänge und die ganze Vorhalle übersehen konnte.

Da fühlte er plötzlich eine warme, flaumige Hand auf der seinen, die er am Degengefäße hielt; er wandte sich rasch um – seine Wangen trafen die duftenden Locken der Nelkenspenderin, die ihn freundlich anlächelte, ihm ein zierliches Tütchen in die Hand drückte, in dem Gewühle untertauchte und verschwand.

Lange stand Bernard da, verwirrt und unschlüssig, was er mit dem Päckchen anfangen sollte, in dem er, der Leichtigketi nach, nichts anderes als die famose Nelke vermutete, die ihm die Dame gleich im ersten Akte angetragen zu haben schien.

Endlich beschloss er es zu behalten und steckte es in die Brusttasche; da kam auch schon Werner auf ihn zu, der ihn bereits in allen Räumen des Theaters, in dem zuletzt bloß noch einige Offiziere und Beamte zurückgeblieben waren, ängstlich gesucht hatte.

»Gottlob, dass ich Dich finde, Herzensbernard!« rief dieser ihm zu, »ich habe Dir gar vieles zu sagen –«

Bernard sah ihn ernst an: »Des heutigen Skandales wegen?«

»Ei, was kümmern mich die Narren!« entgegnete Werner leicht, »sie werden sich um das bisschen Singsang auch noch bringen mit ihrem Wahnsinn! Meinethalb! Tu l' as vue George Dandin!«

»Dann betreffen die wichtigen Mitteilungen gewiss Deine Juamorata!« fuhr Bernard in gleichem Tone fort.

»Jawohl Bruder, ich bin glücklich wie ein Gott!« schwärmte der verliebte Offizier.

»Mein Lieber, dann tut es mir sehr leid«, sagte Bernard mit mitleidigem Lächeln, »Dir eine Partie bei Canetta vorschlagen zu müssen, wo Dein Glück gewaltigen Abbruch erleiden dürfte durch die Neuigkeiten, die Deiner dort harren!«

»Neuigkeiten? Und Chiarina betreffend?« fragte Werner erstaunt.

»Hoho! Chiarina – auch der Name? Es ist gewiss so, wie ich ahnte!« sprach Bernard leise und gedankenvoll vor sich hin.

Werner sah ihn verwundert an und wollte von Neuem fragen, aber sein rätselhafter Freund ergriff ihn hastig am Arme und zog ihn mit sich auf die Gasse hinaus.

Ohne mehr ein Wort zu wechseln, gingen die beiden Offiziere, jeder von anderen, aber dennoch in der Signora konzentrierenden Gedanken bewegt, durch den Akaziengarten, der die großartige Veranda des Café Canetta bildet, und traten in den Billardsaal.

Während aus den neben anstoßenden Spielzimmern noch der bunteste Lärm hereindrang, war der Saal ganz leer bis auf drei Personen, die ohne eine Konversation miteinander zu pflegen, auf und nieder schritten.

Es waren zwei Offiziere und ein Herr vom Zivil.

Sonderbar und auffallend waren die Blicke, die die beiden Offiziere einander beim jedesmaligen Begegnen zuwarfen. Aber waren diese stechend und drohend schon, als sie allein mit dem Italiener im Salone waren, so wurden sie herausfordernd und wutsprühend, als Werner mit Bernard eintrat.

Die Ursache davon lag in den Nelken, die zu ihrer gegenseitigen Überraschung und Befremdung alle drei im Knopfloch trugen.

Der Dragoner brach zuerst das peinliche Schweigen, indem er sich an Werner wandte mit der scharf betonten Frage: »Wie kommst Du zu dieser Blume, Herr Kamerad?«

Werner trat mit blutrotem Gesichte einen Schritt zurück, und jetzt erst fiel sein Auge auf die Brust des Fragenden und des, in stummem Brüten neben diesem stehenden Generalstäblers, beide mit demselben Liebeszeichen geschmückt.

Er warf fast unwillkürlich einen raschen Blick nach der Blume auf der eigenen Brust und sagte dann kalt und kurz: »Ich habe Ursache, dieselbe Frage an die Herren zu richten!«

Bevor jedoch einer der beiden Offiziere hierauf etwas erwidern konnte, war Bernard zwischen sie getreten und zog mit einer bezeichnenden Gebärde aus der Brusttaschen die Tüte, welche ihm die Signora beim Verlassen des Theaters in die Hand gedrückt hatte.

»Ihr Herren!« sagte er mit launigem Lächeln, lasst Euch ein Wort von mir gefallen, ehe Ihre ans Halsbrechen geht – was sagt Ihr dazu?« dabei rollte er die Tüte auf: sie enthielt eine ditto dunkelrote Nelke!

Sprachlos vor Erstaunen und stummer Wut sah Werner einen nach dem andern an.

Außer Bernard, der geheimnisvoll lächelte und dem Italiener, der sich seitwärts an dem Billard vergnügt die Hände rieb, sahen die anderen aus wie die Bildsäulen der Verblüfftheit.

Eine lange Pause verstrich, ohne dass ein Wort gesprochen wurde, sie endete mit einem wie verabredeten raschen Ruck, und die vier Liebespfänder der Signora lagen schmählich im Staube des Salons.

»So, nun lasst mich Euch erklären«, begann Bernard ernst, »wie ich erfuhr, dass Ihr alle dupiert sowohl als –«

»Halt, halt Signore!« fiel ihm hier der Italiener in die Rede, der sich rasch bückte und die Tüte aufhob, in der Bernards Nelke stak, und die dieser achtlos zu Boden geworfen hatte: »da steht etwas, was mehr besagt als alle viel Nelken zusammen!« und damit hielt er Bernard das geglättete Papier hin, auf dessen duftender Fläche sich die feinen, flüchtigen Züge einer Damenhand erwiesen:

»Teufel, was gibt's denn noch?« brummte Bernard verwundert und las, während die anderen, die von der Beteiligung des Italieners an der Nelkengeschichte keine Ahnung hatten, diesen missmutig und fragend ansahen, wie er zu einer Einmischung in diese delikate Angelegenheit käme.

Bernard kam einem Ausbruche des hitzigen Dragonerleutnants zuvor, der an den Italiener mit einer Miene voll Ungewitter getreten war, indem er diesen der Gesellschaft mit den Worten vorstellte: »Dieser Herr wird die Güte haben, uns mit dem Charakter der Dame bekannt zu machen, die uns alle zu Sklave ihrer Reize und zu Opfern einer Clique, die mit jenen spekuliert, ausersehen: er ist ein Mann von Wort und Ehre, sonst wäre er nicht da – besonders nach den heutigen Auftritten in der Oper!« Bernard bat den Italiener mit einem einladenden Winke der Hand, seine Enthüllungen zu beginnen, und setzte sich auf die Brüstung des Billards, während die anderen noch immer in verlegenem, trotzigem Schweigen den Fremden umstanden.

Dieser begann nach einem freundlichen Blicke auf Bernard also: »Ich bin gezwungen, weit auszuholen und die Herren mit meiner förmlichen Biographie zu ennuieren, wenn ich auf Ihren unbedingten Glauben Anspruch machen will.« Er sah die Offiziere bei diesen Worten fragend an, und als er in ihren Mienen die vollste Zustimmung fand, fuhr er fort: »Ich bin der Sohn eines wohlhabenden Bürgers und Silberarbeiter wie mein Vater. – Sie alle, meine Herren, werden, wenn auch nicht aus eigener Erfahrung, so doch aus der Geschichte meines armen Vaterlandes die Begebenheit des Jahres 1831 und ihren unglücklichen Ausgang kennen. Meinem armen Vater, der in Legnago eine Loge der Unita hielt, brachte er die Gefangenschaft – mir, der ich fast ein Knabe noch, bei der Guardia die Speranza unter Zucchi stand – das Exil. Das Jahr 1838, das der Krönung des milden Kaisers Ferdinand und die von ihm gewährte Amnestie brachte uns beide ins Heimatland zurück – frei. – Als ich die grüne Erde meiner Heimat zuerst wieder küsste, schwur ich mit gerührtem Herzen, ein treuer Untertan zu sein meinem gütigen Kaiser. Ich habe den Schwur gehalten – Sie sehen mich, den Italiener, unter sich – nein, als Denunzianten nicht – nur als treuen Anhänger Österreichs. Aber mein Vater – mein unglücklicher Vater! Aus seiner Haft entlassen, kehrte er mit einem seiner Schicksalsgenossen, der jene Zeit hindurch eine seltsame Macht über ihn gewonnen, nach Legnago zurück…«

»Wie, nach Legnago?« unterbrach ihn mit erstauntem Tone Bernard.

»So ist's, Legnago ist meine Vaterstadt!« versetzte der Italiener, »seid Ihr bekannt da, Herr?«

»Etwas – aber davon später! Fahrt fort!« sagte Bernard mit einer gewissen Verlegenheit in Ton und Miene, die allgemein auffiel.

Der Italiener erzählte weiter: »Jener Mann, der unheilvolle Dämon meines Vaters, einer der tätigsten Apostel Mazzinis brachte es dahin, dass er sich zwei Jahre darauf abermals bei jenen revolutionären Bestrebungen beteiligte, die, wie es ihr Wahnsinn und schreiender Undank verdiente, abermals mit Schmach und strenger Ahndung endeten. Mein Vater wurde am 14. August 1840 in Mantua – erschossen, sein Verführer entkam.«

Der Legnageser hielt einen Augenblick inne und seufzte tief auf, während die Offiziere einander mit einiger Ungeduld über die lange, ihrer Angelegenheit ganz fremde Erzählung anblickten.

»Gedulden Sie sich nur ein wenig noch, meine Herren!« sagte der Italiener, als er die verdrießliche Miene der Offiziere sah, »Sie sollen sogleich erfahren, wie das mit der Signora zusammenhängt: Nebst dem glühenden Wunsche, meinen von dem Blute einer Fuselade befleckten Namen wieder ehrlich zu machen, hatte ich nur den einen noch, mich und den Vater zu rächen an dem Manne, der, wie vor Jahren vielleicht an dessen Gefangenschaft, nun gewiss an seinem schmählichen Tode Schuld war. – Ich verfolgte seine Spur durch die Schweiz und Frankreich bis Havre, wo ich erfuhr, vor Kurzem habe ein englisches Schiff Camillo Forte hinübergetragen in das Land der Verheißung – nach Amerika.«

»Camillo Forte?« unterbrach Bernard abermals den Erzähler uns eine Stimme zitterte be der Frage.

»So hieß dies Chamäleon damals«; war die Antwort, »als ich wieder auf ihn stieß – hieß der Mann Marco Creppi!«

»Ah!« riefen wie aus einem Munde die Zuhörer.

»Es war in Venedig«, fuhr der Italiener fort, »und zu der Zeit, die mit Pius IX. Stuhlbesteigung und der darauf erfolgten Amnestie, das unglückliche Land wieder zum Tummelplatze jungcarbonarischer Cliquen machte. Sie müssen gehört haben von dem rätselhaften Verschwinden mehrerer junger Offiziere jener Garnison? Es war, als sei die altitalische Zeit mit ihrem dunkelsten Märchen wiedergekehrt, mit dem von l' Orca, der Lagunenfee, die, eine Lorelei des Südens, alle, die ihr Reiz verstrickt, hinabzog in die blauen Tiefen der verschwiegenen Adria – und jene Fee war Marco Creppis Kind, ein Mädchen von wunderbarer Schönheit, von ihrem Vater erzogen und geweiht der Rache, doppelt sündhaft, weil basiert auf den Missbrauch eines heiligen Gefühles – der Liebe!«

»Chiarina?« riefen mit ahnender Hast die Offiziere.

»Sie ist die Fee, die jene, die ihr liebend nahten, dort den Lagunen und hier dem Mordstrahl der Konföderierten ihres Vaters überliefert«, sagte kalt der Italiener.

»Beweise, Beweise!« brauste Werner auf, während die anderen wie vom Donner gerührt, dastanden.

»Ich hätte sie in Händen«, sprach ernst und mit einem Anfluge bitteren Hohnes der Legnageser, »wäre die Polizei Venedigs nur halb so resolut gewesen wie Creppi und seine Alliierten. Man nannte mich einen Phantasten, verlachte mich, und als ich allein auszog zur Vendetta an dem Mörder meines Vaters – war er wieder entflohn!«

»Nun – und was soll –«

»Jetzt – liegt Beweis und Strafe in der Hand jedes von Ihnen«, sprach mit flammenden Augen der Italiener, »der den Mut hat, dem Rufe der Nelken zu folgen, der blutroten Liebesboten einer gottlosen Zauberin – in Ihrer Hand aber gewiss, Herr!« und dabei legte er seine bebende Hand auf die Schulter Bernards. »lesen Sie den Herrn den Inhalt der Tüte!«

Und Bernard las folgende, merkwürdige Weise in deutscher Sprache geschriebene Zeilen: »Ich verlasse Milan – heute noch! Wenn Ihnen daran liegt, mich zu sehen, dann: am 18. d. M. Schlag 4 Uhr vor dem zweiten Gartenhäuschen neben dem Spitale der Barmherzigen – das Wort: Speranza! Erschließt die Türe!«

Lange schwiegen die jungen Männer alle, sichtlich beschäftigt, mit sich über diese Sache einig zu werden; endlich sagte Werner mit gereizter Stimme zu dem Italiener: »Das alles beweist noch immer nichts von Ihrer Beschuldigung, Herr, höchstens, dass Bernard glücklicher als wir bei der Signora zu sein scheint!«

»Mit Erlaubnis, ohne Sie beleidigen zu wollen, meine Herren!« entgegnete ihm dieser, »nicht glücklicher, aber gefährlicher mag er ihr scheinen, weil kälter und weniger zugängig dem Zauber Ihrer Reize –«

Werner erwiderte darauf nichts mehr und ging in finsterem Brüten im Saale auf und ab.

Da fragte der Dragoner mit leichtem Lächeln: »Ja, was ist aber da zu tun, wir können uns doch von der niedlichen Hexe nicht so ganz ungestraft zum Besten halten lassen?«

»Mein Kamerad!« sagte Bernard ernst und feierlich, »ich übernehme es, dieser sonderbaren Propaganda das Handwerk zu legen –«

»So gehst Du hin?« fragte Werner erglühend.

»Ja, und zwar – doch den Schlachtplan entwerfen wir später! Aber Ihr, Herr, was könnt Ihr uns vorläufig für eine Sicherheit geben, für die Wahrheit Eurer Nachrichten sowohl als für Eure Diskretion?« sprach Bernard, zu dem Italiener gewendet.

Dieser antwortete rasch: »Mein Name ist Cèsare Sala, und –« hier neigte er sich gegen das Ohr Bernards und flüsterte ihm einige Worte zu.

Bernard verfärbte sich ein wenig, aber nach einem scharfen Blicke auf den Mann reichte er ihm die Hand und sagte: »Gut – ich stehe ein für den Herrn!«

Missmutig schieden die Offiziere.

An der Türe hielt Bernard den Italiener noch einmal zurück und fragte leise: »Habt Ihr nie etwas gehört von einem – Rudolf Stark?«

Der Italiener sann eine Weile nach, dann sagte er langsam: »Stark? So hieß, glaube ich, der Offizier, der an dem Tage, wo ich flüchtend von Legnago Abschied nahm, begraben wurde. Er starb, sagte man, aus Gram über seinen Sohn, der zur Unita hielt –«

Bernard hörte atemlos zu, – als der Italiener dies sprach und zu dem Offizier aufblickte, erschrak er, denn dieser war leichenblass – er winkte ihm noch einmal mit der Hand und verließ das Café.


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