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3.
Nach dem Siege.

Der Tag nach einer gewonnenen Schlacht ist für die Soldaten der größte Festtag.

Wer da in dem Soldaten eben nur eine Maschine sieht, ein Stück von dem Ensemble des Heeres, vermag das wohl nicht zu begreifen; wer es aber weiß, wie innig verwoben die zarten und dennoch starken Fäden sind, deren Gewebe die große Familie eines Heeres verbinden, der wird es begreifen, welch' ein großer Tag für den Soldaten der nach einer Schlacht ist, wenn das Geschick es erlaubt, dass es ein Sabbat werde. Die Soldatenfreundschaft ist das eigenste Genre dieses edlen Gefühls. Keine Freundschaft entsteht leichter, keine ist aufopferungsfähiger im Augenblick der Not und keine ist anspruchsvoller als Soldatenfreundschaft. Und der Grund dieses allem liegt einfach bloß in dem Urwesen des Soldatentums, in der Gleichheit, die bei dem Rocke beginnt und bei der Kugel endet, die den Fürsten bettet neben den Trainsoldaten.

Die Kasernenfreundschaft ist schon etwas anrüchiger Natur, sie ist den Einflüssen der Langeweile und der Medisance ausgesetzt, die wahre Soldatenfreundschaft ist, die im Lager erblüht, wenn dem Krieger das Herz aufgeht in echter Würdigung seines Ehrenstandes, beim lustig prasselnden Feuer der Beiwacht, auf den Wachen tief drinnen im Feindesland, auf dem Zuge in die Schlacht und den Tod.

Nicht der Grenzer allein hat seinen Blutsbruder, der Böhme, der Pole, der Deutsche fühlt ebenso gut den Drang, ein zweites Ich zu haben, das, wenn der Tod heran saust mit den bleichen Schwingen, die letzten Grüße in die Heimat zu tragen und – Blut um Blut – den Tod zu rächen verspricht.

Doch ist die Schlacht vorbei und die Freunde finden sich wieder, wohlgemut und unversehrt oder Wunden bedeckt – so erneuern die einen den Bruderbund für den künftigen Schlachtentag und pflegen den andern treulich ihre Wunden, sich erzählend, was sie getan und erlitten. –

Zwei solcher Freunde – »Schmalzln« heißt sie der deutsche Soldat – finden wir den Tag nach der Schlacht von Santa Lucia in der Kantine der großen Kaserne auf der Plazza d' Armi zu Verona.

Sie sind von sehr verschiedenem Alter; der Jüngere, ungefähr zwanzig Jahre zählend, ein hübscher, schlanker Bursche und Kanonier vom 2. Regimente.

Der andere ist groß, robust und sehr, was man sagt, »martialisch«. Er ist Bombardier, und zwar ein sogenannter Praktischer oder »Barbar«, was sein intimes Verhältnis mit dem Kanonier erklärt; denn die theoretischen Bombardiere, die »Studenten« bilden eine ganz eigene Clique unter sich.

Der Bombardier hat Feder, Tinte und Papier vor sich und blickt mit tief gefurchter Stirne und kummervollem Ausdrucke seinen jungen Freund an, der einen Brief rezensiert, den jener für die Heimat aufgesetzt.

»Nein, nein!« sagt dieser, »das schreibe ich nicht heim! Die müssten ja glauben, ich allein habe die ganze Schlacht gewonnen, und das andere wäre alles Schuhwichs! Nein, wenn Du mir den Brief schon schreiben willst, da ich die wunde Hand sobald nicht werde gebrauchen können, so musst Du schreiben, was ich Dir diktiere, aber ganz ohne Faxen!«

»Bitt' Dich gar schön! Mich wirst Du doch nicht Brief schreiben lehren wollen, Blutfink Du! Ich habe Gott sei Dank schon vor fünfzehn, sechzehn Jahren im Regimente noch alle Briefe für die Kompagnie geschrieben, sogar in Versen, wie man's wollte! – Und Deinen Gusto träf' ich nicht!« brummte der »Barbar« mit verwundetem Stolze.

»Ich will einmal nicht! Die arme Mutter wird so erschrecken, wenn sie eine fremde Hand sieht, umso wohler wird es ihr tun, wenn sie liest, dass nur die Hand eine fremde ist und mein Herz dieser den Gruß in die Heimat diktierte!« sage der junge Kanonier mit edler Wärme.

»Na, meinetwegen! So diktiere Du!« brummte der Bombardier mürrisch, hielt die Feder prüfend gegen das Licht, richtete Papier und Unterlage mit einer Pedanterie, wie sie nur alte »Pulverjuden« zuwege bringen, und nachdem er an dem Rande in zierlichem Latein »Verona, den 7. Mai 1848« geschrieben, fragte er mit komischer Distinktion: »Verehrteste, geehrteste, hochverehrteste – oder liebe, liebste, herzliebste Mutter! Wie willst Du es?«

»Schreibe: »Meine liebe Mutter!«

»Hm! So schreiben sonst nur »Dorfteufeln«, Bürgersöhne immer: geehrteste oder hochgeschätzte!«, opponierte der kritische »Barbar«, aber er schrieb:

Verona, den 7. Mai 1848.

Meine liebe Mutter!

»Erschrick nicht, wenn Dein besorgter Blick auf andere Züge fällt, als die Dir seit Jahren Botschaft bringen von Deinem Kinde in der Fremde!«

Der »Barbar« sah den Kanonier scheel an und schüttelte den Kopf sehr bedenklich, indem er sagte: »Alles recht, Bruder! Aber schau, Du verstehst das nicht und willst Dir auch nichts einreden lassen; ich kenne das besser. Sieh, wenn so ein Brief aus Italien in ein kleines Städtchen kommt, so schreit das gleich durch alle Gassen, die und die hat einen Brief aus Verona! Und jung und alt läuft herbei und bittet die und die, ihn lesen zu lassen oder vorzulesen, denn die wollen ja auch wissen, was da unten vorgeht; die Zeitungen, die lügen, dass es stinkt! Wir Soldaten, besonders die Artillerie, wir schreiben die Zeitungen! Nun, meinethalben kannst du machen, was Du willst, aber stelle Dir nur vor, ob Deine Mutter nicht vor Schande in die Erde sinken muss, wenn die Leute kommen und sagen: >Ah, Frau Kästnerin, Sie haben einen Brief vom Toni: Was schreibt er denn? Ah, lesen Sie uns ihn vor!< Und Deine Mutter fängt an: »Erschrick nicht, wenn Dein besorgter usw.« – Was werden denn die Leute von Dir denken? Während der Brief anhebt, wie ich ihn dir stilisiere!« Und er nahm sein verworfenes Konzept und las.

Verehrteste Mutter!

Soeben verstummt der Donner der Kanonen, und die letzte Kugel wühlt in dem schwachen Überreste, der gestern noch so stolzen »sardinischen Armee«! Der Feind ist geschlagen, und was nicht unser Geschoß niederstreckte, gefangen. Ich schreibe diese Zeilen noch mit rauchgeschwärzten Händen auf der Lafette meiner noch kampfheißen Kanone. Ich und mein Vormeister, der tapere Bombard –«

»Ich bitte Dich, lass mich, und behalte dieses Bulletin für einen anderen Kompetenten vor!« unterbrach ihn der Kanonier, »ich verzichte darauf, von meiner oder Deiner Bravour zu erzählen und will nichts als das Mutterherz trösten, das um mich in bangem Kummer schlägt, und ihm sagen, dass seine heißen Gebete und Segenswünsche es waren, unter deren Hut ich dem Tode entronnen! Schreibe weiter!«

Der Bombardier fügte sich seufzend und verdrießlich dem Willen seines Kameraden.

»Ich komme aus der ersten Schlacht zurück«, diktierte der »Toni« weiter, »und zwar gesund, bis auf eine unbedeutende Quetschwunde an der Hand. So bin ich denn einmal auch dem Schlachtentode gegenüber gestanden, Aug' in Aug und unverzagt, Mutter! – Unverzagt, weil ich wusste, dass Dein treues Herz nie müde wird, in heißem Flehen für mich zu Gott zu beten, zu dem Gott der Gnade, der ein einsam verlassenes Mutterherz nicht mit dem Leide belasten wird, nicht einmal zu dürfen an dem Grabe ihres Kindes!«

»Na, da bitt' ich, jetzt hab' ich's satt!«, schrie der Bombardier empört und warf die Feder von sich; »mit so einem Gesalbader, mit so einem geflennten Brief traust Du Dich auf die Post? Pfui Teufel! Bist Du ein Soldat? Muss ich mich nicht in den Hals hinein schämen, Dein >Schlaf< gewesen zu sein? Sind das Grundsätze, die ich Dir beigebracht habe bei der Instruktion der >Wendungen< und beim Riemenputzen? Schau, schau: >Grab des Kindes!< – Willst Du nicht, dass Dir der Kaiser nebst Montur, Bettzeug, ein Zehner täglich und Brot und Kriegsbeitrag usw. noch die Hand darauf gibt, dass er Dich einbalsamieren und heimführen lässt zu Deiner Mutter, wenn sie Dich totschießen, dass sie wenigstens Deine Mumie, oder wie das heißt, verehren kann? Schau, schau! >Gott der Gnade!< – Meinst denn Du, die andern, die wir heut' begraben haben, die seien von den Bäumen gefallen und haben keiner eine Mutter gehabt ihr Lebtag? Du wärst recht – dass Du es weißt, ich hab' Dir bloß nachgeschrieben bis zu dem >Gott der Gnade<; da mach' ich einen Punkt, und wenn der andere Satz nicht mit einem Viktoriaschusse anfängt, so kannst Du Dir einen malen, der Dir den Brief schreibt, ich nicht! Verstanden, Blutfink miserabler!«

Der Bombardier hatte sich so in die Wut geredet, dass er ganz braun im Gesicht wurde, und seine Augen schossen furchtbare Blitze nieder auf seinen >Schlaf<, der sich unterstand, einen de- und wehmütigen Brief heimschicken zu wollen – nach dem Siege von Santa Lucia.

Der Kanonier, der seinen Mann kannte, lächelte sanft und hielt dem Freunde die verbundene Hand hin: »Sei nicht bös, Alter!« sagte er treuherzig, »ich kann mir nicht helfen, wenn ich an meine liebe Mutter denke und an ihren Schmerz, so wird mir immer so weh – es ist aber auch nur, wenn ich daran denke, denn kannst Du mir vorwerfen, ich habe mich gestern nicht ebenso gut gehalten wie die anderen?«

»O, allabonher! Da ist nichts zu sagen – drum gift' es mich ja desto mehr! Deiner Mutter wird es gewiss besser gefallen, wenn sie hört, dass Du mir nichts Dir nichts von einer fürchterlichen Schlacht redest, wie die gestrige war, als wenn sie liest, wie Du als Soldat ihr da einreden willst, sie soll nur immerzu beten, so geschieht Dir nichts! Wo bleibt denn da die Ehre? Ja, und wenn schon einer so ein Betbruder ist, so muss es der andere vertuschen; in dem Fall bin ich, drum schreib ich in dem Tone nicht weiter!«

»Nun gut, so mache den Punkt, wo Du willst, und schreibe weiter!«

Noch einen warnenden Blick warf der Barbar auf seinen zerknirschten >Schlaf<, dann begann er weiter zu schreiben.

»Liebe Mutter! Wir haben gesiegt! Dem Talente unseres allverehrten Vaters Radetzky und der Tapferkeit unserer Kameraden, der Jäger vom zehnten Bat –«

»Aber alle Teufel! Bist Du denn verrückt?« schrie der Bombardier mit grimmigem Gesichte und sprang auf: »Wer in aller Welt hat je gehört, dass ein Kanonier einen Jäger lobt! Ein Extra-Korps einen Feldsoldaten! Nicht einen Funken hast Du davon! Pfui Teufel!« – und er schritt mit überwallender Galle in der Kantine auf und ab: »Es ist alles recht, sie haben sich prächtig gehalten die »Zehner«, aber sie allein haben doch die Schlacht nicht gewonnen! Was wären denn nachher die von >Sigismund<, >d'Authon<, die Grenzer und wir – was denn wir? Haben die andern alle die Hände in den Taschen gehabt, nicht? – Ich will ein altes Weib sein, wenn ich mehr einen Finger rühre wegen deinem dummen Brief!« und er verließ mit einem lauten Fluche die Kantine. –

»Das sind zwei närrische Kerle!«, sprach lächelnd ein junger Unterarzt, der dem ganzen Gespräche der beiden Artilleristen zugehört hatte, zu zweien seiner Kameraden, die vor Kurzem von der Ablösung aus dem Spitale kommen, sich zu einer Partie Schach nebenan gesetzt hatten, »habt Ihr nicht zugehört?«

»Ja, und was findest Du >närrisch< dabei?« fragte der Ältere der Feldärzte.

»Hm! Sie waren gewiss die besten Freunde vorher!«

»Ich denke nicht, dass dieser Zwist ihrer Freundschaft schadet, der eine ist ein armes Muttersöhnchen und noch durchdrungen von den Schaudern dieser, seiner ersten Schlacht, der er furchtlos, aber das junge Herz erbebend, beiwohnte als einem Gottesgerichte zwischen Recht und Unrecht, während der andere, der alte Soldat, sie abtat, ohne Weiteres handwerksmäßig; dies erzeugt ihre verschiedenartige Anschauung der Sache und demgemäß bei dem einen religiöse Sentiments, bei dem andern Poltronerie! Aber das schadet ihrer Freundschaft nicht; ich wette, wenn der Kleine morgen ins Spital kommt, wird ihn der Alte mit Liebe und Sorgfalt einer Mutter pflegen. Doch habt Ihr gehört, welches Glück den jungen Korporal trag, den ich gestern abends amputierte?« fragte er, auf ein anderes Thema übergehend.

»Welches Glück? Vielleicht dass du ihm nur einen Arm abnahmst?« fragte sein Kollege lachend.

»Nein, im Ernste!« versetzte dieser darauf, »er lag fast bis früh in Ohnmacht; als er nun erwachte und ihn das Wundfieber etwas verließ, konnte ihm die Nachricht des Glückes mitgeteilt werden, das ihm vielleicht in derselben Stunde arrivierte, in der er den Arm verlor!«

»Nun, so erzähle!«

»Es war bereits morgens eine alte Frau im Inspektions-Zimmer gewesen, die ihn sehen und sprechen wollte; nun lag er da noch gänzlich bewusstlos, und wir ließen sie nicht in den Saal. Als sie aber kurz darauf zwei- und dreimal wieder mit derselben dringenden Bitte kam, hießen wir sie da warten, und während sie dies tat, erzählte sie uns, es sei gestern nachts noch nach dem Einrücken der Truppen, der Hauptmann Fröhlich in ihre arme Wohnung gekommen mit den letzten Grüßen und einem Schreiben von dem preußischen Volontär, dem Baron Badern – Ihr kanntet ihn ja – der an seiner Seite gefallen, er tat Offiziersdienste bei der Brigade Lichtenstein!«

»Ah, gefallen? Also auch bei dem Sturme auf S. Lucia?«

»Ja, der hat Leute gekostet! Also weiter; sie erbrechen das Schreiben, das der Baron dem Hauptmann vor der Schlacht übergeben hatte und lesen, dass der generöse Preuße den Leuten, der Frau und ihrer Tochter in aller Form rechtens auf seinen Gütern eine kleine Landwirtschaft mit ganz netten Erträgnissen vermacht habe für ihre getreue Pflege in irgendeiner Krankheit, aber unter der Bedingung, dass die Tochter den Korporal Braun heirate! Ist das ein Glück?«

»Alleweil, für jeden Menschen, für einen Krüppel aber insbesondere, gar wenn das Mädchen nicht garstig ist.«

»Sie soll sogar hübsch sein und brav, denn sie ist Putzmacherin, und der ganzen Garnison unbekannt, also treu –«

Die Ärzte begannen ein neues Spiel, und der Kanonier an dem hinteren Ende des Tisches schloss eben, dem Weinen nahe, den Brief, den er dennoch mit der gequetschten Hand zu kritzeln unternommen mit den Worten: »Ich grüße und küsse Dich vieltausend Mal und bleibe Dein treuer und gehorsamer Sohn
P.S. Grüße mir – Du weißt schon wen!

Anton Kästner, k. k. Oberkanonier.«


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