Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Buch

Von Neujahr 1848 bis – Verona

 

»Ob jedes Aug' auch tückisch Euch verraten,
Der Grund selbst hohl, den Eure Füße traten:
Ihr habt dem Drachen, der Euch angesprungen,
Gezeigt die Igelhaut, bis er gezwungen
Im Staub sich wand.« –

Soldatenbüchlein von Zedlitz.

 

1.
Der Zigarrenkravall

Hei! Wie das sich stoßt und drängt an dem Tore der Caserma die St. Francesco, wie das hinaus flutet in hellen, lustigen Haufen gegen den Corso, die Porta Vercellina zu!

Es ist »nach dem Befehlsausgeben!«

Wie die Bienen bei Sonnenschein fröhlich summend vom Flugbrett des Stockes hinausfliegen in die grünende, duftende Blumenwelt, so schwärmt das lustige Soldatenvolk »nach dem Befehle«, der Stunde, wo es, quitt jeder Dienstpflicht, sich leben kann nach eigenem Reglement, an dem Schnarrposten, der ein Bild dienstlichen Ernstes, ruhig an dem Tore schildert, vorüber und ergießt sich in die weiten Straßen des schönen Mailands zum Glase oder zum »Schatz«, wie eben die Centesimi in seinem Beutel es erlauben oder das Herz es gebietet, in dessen Tiefen sich das Bild einer schwarzäugigen Milaneserhexe eingenistet.

Wie blinken die blanken Knöpfe, Rosetten und Schlingen? Wie glitzern die Säbel- und Bajonettgriffe im Sonnengefunkel? Wie sitzt heut' Corséhut und Czako ganz anders aus dem Kopfe – mehr, wie man sagt, auf dem Ohre als gestern in der Colonne, wo eben der Soldat nichts ist als ein kleines Stücklein Ensemble, genötigt, rechts zu schauen nach dem unwiderstehlichen Kommando, wenn auch links schönsten Augen locken; gezwungen, dem Kastell zuzumarschieren, wenn es um den Friedensbogen wimmel von den schlanken Töchtern der Olonastadt. Dafür aber nimmt er eklatante Revange, sobald es heißt »abtreten« nach dem Befehle; nun ist abgetan der starre Zwang und Ernst des Dienstes, und der Soldat bloß dem einen Gebote der militärischen Courtoisie noch untertan. Da ist er Herr seiner Glieder, die weder von Musquete noch Säbel belästigt, angetan mit schneeweiß gekreideten Handschuhen, nach rechts und links hin zierliche Salute werfend oder den langen, dünnen, schwarzen Glimmstängeln aus Virginiakraut jene zarten Liebesdienste erweisend, deren sie bedürfen, um Kohle zu erhalten und die charakteristischen Rauchringelwolken zu entströmen, deren aromatische Schichten auf allen Corsos der schönen Stadt lagern.

Wie sehnsüchtig blicken die zur Feuerreseve, daher zum Daheimbleiben Kommandierten ihren ausfliegenden Kameraden über die Brüstung der hohen Mauer nach, die die Kaserne von der Strada di St. Ambrogio trennt! Wie schleichen sie langsam und traurig ihren Dislokationen zu durch des kolossalen Gebäudes öde, lange Gänge, deren Einförmigkeit nichts unterbricht, als hie und da die Figur eines alten, keifigen Unteroffiziersweibes, das an seinem armseligen Krame gähnt und weinen möchte um all' die schönen, silbernen Lirestücke, die heute die unpatriotische Lebenslust der Soldaten außer die Kaserne schleppt auf Nimmerwiederkehr!

Doch halt; da ist ja ein Zimmer noch ganz voll!

Es ist Nr. 35; der vierte Zug der 1. Kompagnie eines Grenadier-Bataillons sonst keins, das gerne in der Kaserne hockt! Da muss es etwas ganz Apartes geben! Treten wir ein!

An dem Fenster im Vordergrunde des Zimmers neben einem kleinen Tischchen, auf dem, sauber gebunden, das Dienst- und Abrichtungs-Reglement, die Kriegsartikel, der »Streffleur« und andere militärische Evangelien prangen, steht der Zugs- und Zimmerkommandant, der Herr Korporal Heller.

Um ihn herum sein Zug – jung und alt meliert, auch alle voll Ernst und Aufmerksamkeit; denn es ist wirklich etwas ganz Apartes geschehen.

Der Korporal Heller nämlich, der Prototyp eines echten Korporals, hatte heute plötzlich zum ersten und einzigen Male, seit er das Zugskommando führte, seine unnahbare Natur von sich geworfen und seinen Untergebenen eine vertrauliche Besprechung vor dem Ausgehen angekündigt.

Der ganz Zug war, als hätte der Blitz in ihn geschlagen. Man muss aber Heller näher kennen, um diese Verwunderung zu begreifen. – An Heller war jeder Zoll ein Korporal. Er trug den Haslinger wie einen Marschallstab und hätte auf den Orden des goldenen Vließes nicht mit mehr Stolz blicken können als auf den sechseckigen Veteranenstern auf seiner Brust. Seine Montur saß überall stramm und straff, er ging so sauber im Zwillichkittel als in pleine parade, kurz er war ein Mustersoldat, durchdrungen von der gewaltigen Idee, die Korporalschaft sei die Basis aller militärischen Größe und der Kitt der Disziplin. Sein Blick sprühte Mut und gebot Gehorsam; seine Sprache war kurz und bestimmt, und sein ganzes Wesen so soldatisch ehern, dass man anzunehmen gezwungen war, er dürfe ohne Sorge mutterfasernackt unter eine Horde Irokesen treten, sie würden ihm zu salutieren gedrängt sein und anerkennen, das sein ein »Vorgesetzter«.

Und dennoch hatte er sein Herz – doch davon später.

Also – der Befehl war vorüber, und die Leute schickten sich an, sich zum Ausgange zu melden, als der Korporal plötzlich mit feierlicher Gebärde winkte und mit den Worten: »Halt, Kameraden! Ich habe Euch etwas zu sagen!«, Stille gebot.

Die Grenadiere wurden förmlich rot vor Stolz von diesem Unteroffizier Kameraden genannt zu werden; atemlos lauschten sie seiner Eröffnung, und er begann, mit gedrückter Stimme anfangs, aber immer feuriger, je weiter er kam: »Kameraden! Ihr habt den heutigen Befehl gehört; Ihr wisst, was am Neujahrstage geschehen ist, unbestraft bisher und ungerächt zu unserer Schande. Was unser alter Marschall erlaubt, wagen uns armselige Käsekrämer zu verbieten; was die welsche Brut sonst still bei Nacht an die Mauern gekleckst, wagen sie heute uns ins Gesicht zu sagen, indem sie ihre Messer wetzen vor den Türen der Trafiken und Lottokollekturen. Teufel! Wir sollen nicht rauchen. – Nicht in die Lotterie setzen dürfen? He!«

Die Grenadiere antworteten nicht; aber ihre Augen funkelten und ihre Hände fuhren an die Säbelgriffe.

»Ei! Wenn wir das dulden«, fuhr Heller fort, »so kommt eines schönen Morgen so ein Furioso und verbietet uns, die Menage zu essen, ein anderer rät uns freundlich, statt des Säbels einen Flederwisch umzuhängen – hol' sie alle der Teufel! Wir wollen rauchen wie die Hochöfen! Nicht? – Na ich glaube, Ihr werdet wissen, was zu tun, wenn einem von euch so'n Condottiere des Cafe Cova entgegentritt, begeistert durch einige Parpajose (Silberscheidemünze) zu einer Heldentat mit dem Stilette; das ist's auch nicht, weswegen ich Euch aufgehalten, es ist vielmehr eine Bitte an Euch, die mir aber recht schwer auszusprechen fällt, denn Ihr werdet jeder froh sein, bis zum Zapfenstreich zwei, drei jener Zigarrenwauwaus zu Boden geschlagen zu haben, und ich stehe im Begriff, einige von Euch von dieser schönen Tour zurückzuhalten.« –

»Nur heraus damit, Herr Korporal!« scholl es ihm rings entgegen.

»Nun denn!« fuhr Heller etwas verlegen fort, »Ihr kennt alle meine Freundin, die Witwe Eures Feldwebels, die an der Porta nuova die Lottokollektur hält. Sollten sich einige von Euch von dem Andenken des Seligen oder aus Liebe zu mir bestimmen lassen, den heutigen Nachmittag, der ohne Händel gewiss nicht zur Neige geht, der armen Witwe aufzuopfern, die arg bedroht ist – man hört, es sollen heut' alle Trafiken demoliert werden – so – so würde es mich recht freuen –«, so schloss er mit etwas unsicherer Stimme, aber sein dunkles Auge flog scharf in dem Kreise seiner Grenadiere herum, um herauszufinden, welchen Eindruck seine Bitte gemacht; und ein Blitz freudiger Rührung fuhr über seine gebräunten Züge, als die Soldaten alle sich näher an ihn herandrängten und im wilden Tumulte riefen: »Wir! Wir alle wollen ihre Sauve garde sein! Wehe den Schurken, wenn sie eine Nummer ihres Lottohütchens berühren!«

»Dank, tausend Dank, Kameraden! Aber es genügen zwei, drei von uns, um eine Legion jener Banditen in Respekt zu erhalten! Du gehst also mit, Müller und mein Schlaf- (Bettgenosse) Frau Well kocht Euch dafür einen Schwarzen, wie ihn heute kein Principe trinkt im Cafe S. Carlo!«

Die beiden Genannten traten erfreut über die Auszeichnung an das Tischchen des Korporal, der, während die Mannschaft, sämtlich rauchend, dass es staubte, aus dem Zimmer flutete, eifrig seinen Haslinger mit einem fetten Wollfleck putzte und mit einem blanken, weißen Handriemen versah, das letzte Stück, das an seiner Toilette fehlte, um unter den Wagen der Mailänder Bevölkerung die Prachtausgabe eines Grenadierkorporals zu repräsentieren. –

Von dem Kasernenturm erklang gerade die sechzehnte Stunde des 3. Januars 1848, als drei Grenadiere, glühende Zigarren im Munde, an dem salutierenden Schnarrposten vorüber durch die Strada Maravigilia der Porta nuova zuschritten.

Es war Korporal Heller mit der Sauvegarde seiner Flamme, der Lottokollektantin.


 << zurück weiter >>