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5.
Noch drei Nelken.

Das Theater war in allen Räumen überfüllt.

Sei es, dass Giuseppe Verdis eben aufdämmernder Stern die Bewohner Milanos und des Rayons angezogen oder dass die Füße der Eisler, vor denen die alte und neue Welt ihre Kränze niedergelegt, für heute die mächtigen Pläne des Umsturzes aus den Köpfen der trotzigen Lombarden verdrängt: genug, die Prophezeiungen der Opernliebhaber und die Angst des Impresario hatten sich als gänzlich unbegründet erwiesen; denn im schreiendsten Gegensatze zu den früheren Vorstellungen der Stagione waren alle Logen vollgepfropft, und zwar mit der Elite jenes stolzen Adels, der sich seit einiger Zeit so sehr in der Koketterie mit nationaler Trauer und daraus entspringender Zurückgezogenheit gefallen.

Das Parterre war besonders zum Erdrücken voll, und am meisten waren die weißen Mützen der benachbarten Universitätsstadt Pavia da vertreten.

Es war wieder einmal wie in der schönen alten Zeit, als Rossini und Bellini, die Schwäne von Pesaro und Catania ihr Schwanenlied noch nicht gesungen, als das Volk Italiens nur aufstand aus den Träumen seines far niente, um den Zaubermelodien jener Meister zu lauschen und sie dann auf den Corsos und den Kanälen wieder erklingen zu lassen unter dem milden Abendhimmel, dessen Kinder sie waren.

Alles harrte unten in größter Spannung des Schlages acht und des Auffliegens des Vorhanges; die Opernbücher wanderten von Hand zu Hand, und manches Wort darin, das ein Echo im Herzen gefunden haben mochte, fuhr, eine Parole, wie der Blitz durch die aufgeregte Menge, die sich summend und flüsternd auf und niederschob.

Bernard war etwas spät gekommen und hatte große Not, sich bis zu einem Platze durchzuarbeiten, von dem aus er seine Blicke rekognoszierend nach seinem Freunde aussenden konnte. Endlich entdeckte er ihn, und zwar gerade sich gegenüber, was er sich dadurch erklärte, dass er, um das Gedränge beim Haupteingange zu vermeiden, bei der Türe an dem Buffet eingetreten war und hierdurch fast in die Mitte der rechten ovalen Parterreseite zu stehen kam.

Werner stand wie gebannt an eine Säule gelehnt und starrte unverwandten Blickes nach einer Portalloge des zweiten Ranges, an deren Brüstung ein wunderholdes Frauenbild lehnte.

Bernard erkannte sie auf der Stelle wieder, es war die Dame vom Domplatze.

An ihrer Seite stand der lange, hagere Mann, der ihr Vater sein sollte; warum nicht, entsprießen doch dem knorrigen, rauen, dornigen Rosenstrauche die zartesten Knospen von ebenso duftiger Schönheit, als die junge, prangende Menschenknospe war, die sich hier an die verfallene Gestalt Marco Creppis lehnte.

Auch der nüchterne Bernard konnte sich einer unwillkürlichen Bewegung nicht erwehren, als er Blick und Sinn gefangen sah von der sieghaften Schönheit jener Erscheinung. Obwohl er gänzlich übersah, was tausend andere in entzückenden Liebestaumel versetzen konnte: den feuchten Glanz der dunklen Locken, den Schnee des feinen Halses und der Büste, gehoben durch den schweren, von feinem Blondengarnituren eingerahmten Samtmantel, konnte er doch nur mit männlicher Anstrengung seine Blicke von den Glutaugen losreißen, die von jener Loge ins Parterre wie suchend herab sprühten und nimmermüde die Reihen der Lorgnons und Operngucker überflogen, die wie das Heliotropium nach der Sonne, so nach ihr sich schauend wandten, bis die Blicke der Signora endlich, mit einem Male an einem Manne haften blieben – an ihm!

Beinahe erschreckt senkte Bernard den Blick – er senkte ihn tief und sah nicht mehr auf, aber sein Herz pochte ungestüm und drinnen, tief drinnen tauchten die dunklen Augensterne, denen er entfliehen wollte, mit strahlendem Glanze auf, als nähmen sie Besitz davon als ihr Eigen.

In diesem Augenblicke hatte die schale Ouvertüre geendet und er Vorhang flog auf.

Bernard atmete freier – aber die Musik ließ ihn und das Haus kalt: es war ein echtes Produkt Verdis, jenes am meisten talentierten Jüngers der neuitalischen Schule, die aus einer Reminiszenz der älteren Tonheroen, einigen Koloraturen und den unvermeidlichen Posaunenstößen a la chablone Opern zu schreiben lehrt.

Missmutig wandte Bernard den Blick wieder von der Bühne ab und nach seinem Freunde.

Der Zauber jener Augen, der ihn an den Volksglauben des malacchio erinnerte, war wieder seiner ernsten Ruhe gewichen, und dies befähigte ihn, auf einmal eine Entdeckung zu machen, die ihn merkwürdig überraschte.

An der zweiten Säule nämlich, hinter Werner, lehnte in fast derselben Stellung ein Dragoner-Offizier, die Augen ebenfalls nach jener Portalloge gerichtet und im Knopfloche eine dunkelrote Nelke – wie Werner.

Und an der dritten Säule gegen das Portal zu stand ein junger Mann in der Uniform der »Generalstäbler«, den Federhut in der einen, den Operngucker starr auf jene Loge gerichtet, in der andern Hand; in dem oberen Knopfloche seines grünen Rockes stak eine dunkelrote Nelke ganz wie bei Werner und dem Dragoner.

»Teufel, das ist stark!« murmelte, jetzt völlig ernüchtert, Bernard vor sich hin und hob den Blick frei und streng nach der Donna in der Loge.

Er tat dies in dem Augenblicke, als sie, die ihre brennenden Blicke noch immer auf ihn niederschießen ließ, eine dunkelrote Nelke aus dem reichen Bouquet dieser Knospen, das sich auf ihrem Busen wiegte, hervorzog, die sie, leicht gegen ihn geneigt, ihm anzubieten schein.

»I Gott bewahre, Madamigella!« flüsterte er halblaut vor sich hin, und er konnte sich trotz seines Mitleids mit dem düpierten Freunde eines Lächelns nicht erwehren, als er wieder auf jene drei gläubigen Toggenburge sah, die ohne einer Ahnung des soeben von ihrer gemeinsamen Flamme ausgeführten Manövers mit der rührendsten Konsequenz ihre Loge mit Liebesblicken bombardierten, was ihm umso lächerlicher erscheinen musste, da er gewahrte, dass die verratenen drei, weil in der Oblique der Säulenreihe stehend, voneinander außer den Rücken nicht das Mindeste sehen konnten.

»Das ist übrigens das Großartigste, was mir in diesem Genre vorgekommen!« dachte Bernard, und wieder sah er aufmerksam zur Loge hin; denn ihm ging es nicht aus dem Sinn, er habe dies Weib bereits einmal im Leben gesehen oder sei ihm begegnet, und zwar in Verhältnissen, deren Erinnerung den wundesten Fleck seines Lebens bildete.

Aber die Signora saß abgekehrt von ihm; sie mochte sein verächtliches Lächeln gesehen und richtig interpretiert haben. Der hagere Mann, ihr Vater, war verschwunden, und an der Seite der Dame stand eine ältere Frau.

Auch dies berührte jetzt Bernard unangenehm, weil ihm gerade beigefallen war, in dem Äußeren des Hageren, den er früher nur flüchtig angesehen, den Schlüssel zu jener vagen Erinnerung zu suchen.

Da fiel eben der Vorhang, und Bernard, gelangweilt und einsam auf dieser Parterre-Seite, beschloss, einen Versuch zu machen, in Werners Nähe oder an dessen Seite zu kommen, teils um Gesellschaft und Ansprache zu bekommen, teils und vorzüglich deshalb, um Werner zu vermögen, die verhängnisvolle Nelke, diesen Orden der Blame aus dem Knopfloch zu entfernen; da fühlte er sich leise auf die Achsel getippt.

Er sah sich erstaunt um, und seinen Blicken bot sich ein geschniegeltes au dernier gout gekleidetes Männchen, das ihn höflich und freundlich grüßte und ihm die sonderbare Frage stellte: »Was sagen Sie zu der Dame und ihren Nelken?«

War Bernard schon verdrießlich, als er sich von einem Zivilisten angeredet sah, obwohl er dies voraussetzen musste, da alle seine früheren Bemühungen, einen Kameraden in seinem Bereiche zu entdecken, vergeblich waren, so wurde er es noch mehr, als er die kecke Frage des Männleins vernahm, das sich so ganz sans gene in seine Gedanken einzudrängen suchte.

»Wie kommen Sie zu dieser Frage, mein Herr?« fragte er ziemlich barsch.

»Capperi! Wie?« entgegnete lächelnd der Italiener und drängte sich näher an Bernards Seite, »wenn man nicht einschlafen will bei dieser musikalischen Blasphemie des jungen Maestro aus Biotien, so muss man die Augen offen halten, und wer die Augen offen hielt, wo ich stand, neben Ihnen, der musste die ganze Nelkenkomödie begreifen und bewundern – wahrhaftig bewundern!« und der Mann sah, als er dies sagte, mit so unverschämt gleichgültiger Miene in das Gesicht des Offiziers, dass diesem die Röte ins Gesicht stieg. »Herr, und was un…«

»Brausen Sie nicht auf, Herr Offizier!« unterbrach ihn der Italiener und fasste mit einer seidenweichen Hand die Bernards. »Hören Sie«, fuhr er dringend und flüsternd fort, »ich bin ein loyaler Bürger – ein Patriot und bedauere mit ihnen jene Opfer der revolutionären Propaganda, die selbst die Schönheit in Sold nimmt, um mit ihrer Macht an den Säulen der Treue zu rütteln, die dem Golde und der Lüge widerstanden!«

Unwillkürlich nachgebend sah Bernard in das dunkle Gesicht des Mannes – es sah kühn und offen aus. »Was wissen Sie? Sprechen Sie!« flüsterte er, das Herz voll schwarzer Ahnungen.

»Hier nicht!« antwortete dieser.

»Wo also? Und scheuen Sie Zeigen nicht dabei?« drängte Bernard wieder.

»O nein! Wenn es Männer von Ehre sind!« war die Antwort.

»Offiziere!«

»Das genügt!« flüsterte mit bestimmtem Tone der Italiener; »also nach der Oper im Café Canetta!«

»Abgemacht!« sagte Bernard, drückte dem Italiener die Hand und trat in das Buffet.

Soeben begann der Chor des zweiten Aktes.


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