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4.
Der Apostat

In seinem Schlafgemache an dem offenen Fenster stand Rudolf, die Arme verschränkt über der glühenden Brust, das Auge stier an dem tiefdunklen Nachthimmel hängend. –

»Heimat! Heimat!« sprach er leise vor sich hin, »was wollen deine trüben, traurigen Erinnerungsgestalten, die sich drohend rings um mich erheben, mir das Herz beengen und meine Kraft lähmen? Hier ist meine Heimat! Das Land der ewigen Blüte, des heißen Genusses! – Himmlische Chiara! Um einen Blick von dir schlug' ich das Leben freudig in die Schanze – und die Hoffnung, dich mein zu nennen, sollte mich nicht stählen, nach dir zu ringen, wäre es auch auf den Trümmern alles dessen, was ich bisher mein Leben nannte!? – Ich fühle heiß wie du, reizvolles Wesen – durch meine Adern schleicht des nordischen Blutes kalte Welle nicht, in mir pulsiert des Südens warme Glut! Ich tauge nicht zu meinem kalten, nüchternen Stamme, der alles misst mit der Elle starrer Pflicht – ich bin fremd geworden in dem Kreise der Meinen: der Vater und der Bruder kennt kein anderes Glück als zu dienen – ich aber will frei sein unter freien Brüdern und dienen – nur dir Chiara, du göttliches Weib!« –

Er trat rasch zurück und nahm das Licht vom Tische: »Was zög're ich? Was willst du ernster Mahner hier in der Brust? – Ich opfere den Vater auf der blinden Liebe, meinst du? Wir werden siegen, und mein Wort wird ihm zu Lohn und Ehren helfen bei der freien Nation! Auf – unverzagt! Brutus nennen mich die Brüder – ich will des Namens wert sein!« Er stürzte mit dem Lichte hinaus und nach der Kanzlei des Vaters.

Mit einem Nachschlüssel, den er seit langem schon bereit hielt, öffnete er die Kanzlei – aber trotz aller Glut des Rausches, in den ihn der Liebe Wahnsinn versetzt, überlief ein eisiger Schauer sein Herz, als er sich in dem Heiligtume seines Vaters sah; hier sollte morgen schon dieser treue Diener seines Herrn sich an dem Ziele seines langen, ehrenvollen Lebens sehen, betrogen – verraten, er und sein Landesfürst von seinem Sohne – von dessen Untertan und Beamten. Vor seinen stieren, verglasten Augen stieg noch einmal mahnend auf das rührende Bild seines greisen Vaters, dessen Ehre zu vernichten seine frevelnde Hand bereits sich ausgesteckt – aber das mahnende Bild erblasste und verrann, verdrängt von einem Antlitz, schön wie die Sünde, umwogt von einem dunklen, duftigen Lockenwalde über zauberisch glühenden Augensonnen, leuchtend über einem Halse und einem Busen, schneeflaumiger als Schwanengefieder – über der Gestalt Chiaras, der Sirene, die den Unglücklichen verlockt in den Tod des Verrates.

»Chiara! Chiara!« keuchte Rudolf krampfhaft hervor aus der tobenden Brust und – riss mit einem hastigen Rucke die Schlüssel des Pulverdepots von der wohlbekannten Stelle – er taumelte zurück – es war geschehen.

Da fühlte er plötzlich seine zitternd herabhängende Hand geleckt von einer heißen Zunge – er schrak zusammen – »Hektor!« rief er erstarrt und wandte sich um –

In der offenen Türe stand sein Vater, marmorbleich wie ein Steinbild des Schmerzes – hinter ihm blinkten die Bajonette einer Patrouille.

Rudolf ließ die Schlüssel fallen – sein Puls stockte, in seinem Kopfe drehte sich's wirr – mit einem gellenden Schrei brach er in die Knie. –

Da erhob der alte Hauptmann den zitternden Arm mit feierlicher Gebärde gegen ihn und sprach langsam mit hohler Stimme: »Dieb! – meineidiger Verräter! Ich fluche Dir!« – und verließ das Gemach.

Der Führer der Patrouille trat ein und – einen Augenblick darauf verließ er mit seiner Mannschaft, Rudolf in der Mitte, die Wohnung des Hauptmannes.

Der nächtliche Zug bewegte sich still und rasch dem Fort von Legnago zu. –

*

Drei Tage waren seitdem vergangen.

Es war am 8. März zeitlich morgens, als ein eigen bewegtes Leben sich kundgab in den sonst stillen Gassen der Festung.

Ordonanzen sprengten über die Adigebrücke in das Fort, und aus den Pavillons und Kasernen entströmte in schmucken Zügen die Garnison.

Die Gitterfenster der Kasematte Nr. 8 im Spitals-Kavalier des Forts staken voll sich vordrängender, neugierige Köpfe. Dort war das »Jung-Italien« Legnagos verwahrt. »Vittoria, fratelli! Hört Ihr sie rennen, die deutschen Lümmel? Es muss Großes geschehen sein! Ich wette, in einer Stunde ist Sercagnani hier und dies Loch hat andere Bewohner als Märtyrer der unita Italia!« rief der dicke Luigi Sala. –

In diesem Augenblicke sprengte ein Husaren-Unteroffizier vorüber dem Retrenchement zu. Von einigen Soldaten angerufen und befragt, rief er mit stolzem Tone: »Marschall Frimont hat Bologna ohne Schuss genommen und Retsey mit Bentheim Zucchis stolzes Heer vernichtet auf den Feldern von Rimini!« –

Die Köpfe an den Kasemattenfenstern verschwanden plötzlich wie vom Blitze getroffen – totenblass und zitternd umstanden die Gefangenen eine am Boden liegende Gestalt, die nach dem Berichte des Husaren ohnmächtig niedergesunken war.

Es war Rudolf Stark.


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